Schlagwort: Historie

  • Nicht nur zum Waschen….

    Vom Wasser in der Antike

     

               Wamser-Krasznai -Wasser Bild 1

     

                    Bild 1: Salvom lavisse, bene lava – „Angenehmes Baden!“
    Mosaiken in Sabratha/Libyen. Photo der Verfasserin, 2009

    In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts kam ein Liedchen auf, dessen Refrain „Wasser ist zum Waschen da, falleri und fallera…..“ im Handumdrehen Karriere als Ohrwurm machte. Der ausführliche Text geht populär persiflierend auf einige der wichtigsten Aspekte des Wassers ein.

    Sehen wir uns daraufhin bei den antiken literarischen Quellen um, so lesen wir bei Platon von der Einteilung der Erdbewohner in solche, die innerhalb und andere, die außerhalb der Säulen des Herakles[1] leben (Plat. Kritias 108 e), nämlich die Einwohner von Attika und Atlantis. Dem ersteren, griechischen, Lande gab Zeus Jahr für Jahr reichlich Wasser, das aber nicht wie heute von der nackten Erde ins Meer abfloss, sondern vom Erdreich aufgenommen wurde und sich zusätzlich in Hohlräumen sammelte. Überall gab es „Ströme von Quellwassern und Flüssen. An ihren ehemaligen Quellen auch jetzt noch erhaltene Heiligtümer…“ (Plat. Kritias 111 d). Er geht dann zu den Verhältnissen in Atlantis über, einer Insel, die im Losverfahren dem Bruder des Zeus, Poseidon, zugefallen war. Auch dort quoll kaltes und warmes Wasser aus dem Boden, „wobei jedes von beiden nach Wohlgeschmack und Güte … für den Gebrauch wunderbar geeignet war … und sie schufen ringsum Wasserbassins, die teils unter freiem Himmel lagen, teils überdachte Winterbassins für die warmen Bäder, und zwar getrennt für die Könige und die Privatleute, ferner für die Frauen (sic!), weitere für Pferde und die übrigen Zugtiere…“ (Plat. Kritias 117 a. b).

    Wir hören vom Geschmack des Trinkwassers, von üppiger Vegetation und blühender Viehzucht in ihrer Abhängigkeit vom Wasser, aber auch von Badebecken mit kaltem und warmem Wasser, das nicht nur den Einwohnern, getrennt nach Geschlechtern und sozialem Stand, sondern auch den größeren Nutztieren zur Verfügung stand (Plat. Kritias 111 b. c). Zudem erfahren wir von den Kultorten in der Nähe der Quellen, wo man die Gottheiten, die das Leben spendende Wasser schenken[2], verehrt.

     

    Trinkwasser

    Qualvoll ist es, nicht trinken zu können, wenn man Durst hat. So übel ergeht es dem Frevler Tantalus, der zur Strafe im Tartaros unablässig am Trinken gehindert wird:

    „Dürstend stand er und konnte es doch nicht erreichen.
    Denn sooft er sich bückte, der Greis, im Wunsche zu trinken,
    zog sich das Wasser zurück und verschwand, und unter den Füßen zeigte sich schwarze Erde. Ein Dämon machte sie trocken.“ (Hom. Od. 583-586)

    Zu den frühen Schriften, die im Umkreis des Hippokrates entstanden, zählt die Abhandlung „Über Luft, Wasser und Orte“, auch „Über die Umwelt“ genannt. Darin wird dem in einer fremden Stadt Ankommenden empfohlen, genau zu „überlegen, …wie es mit den Gewässern steht, ob die Menschen sumpfiges oder weiches Wasser trinken oder hartes, das von felsigen Höhen fließt, oder salziges und schwerverdauliches…“[3].

    Keine Wasserart war in der Antike so hoch geschätzt wie das Quellwasser. Die Entnahmestelle, Krene, wurde durch eine Einfassung geschützt. Schöpf- und Laufbrunnen[4] entstanden. Man legte überdachte Reservoirs, Gefälleleitungen, steinerne Kanäle und Rohrleitungen an. Letztere bestanden  überwiegend aus Ton oder  Blei[5]. Trinkwasser für Rom und Italien war vor allem zur Zeit des Trajan (109-117 n. Chr.) ein kaiserliches Anliegen. Zum Teil musste das kostbare Nass mittels Aquaedukten über weite Strecken herangeführt werden. Es gab einen Wasserdirektor, den curator aquarum, und man feierte die Fontinalia zu Ehren des Quellgottes Fons, der in Rom Staatskult genoss[6].

     

    Wamser-Krasznai-Wasser Bild 2

     

    Bild 2:  Aquaedukt von Olbia Diokaisarea, Kilikien, 2. Jh. n. Chr.
    Aufnahme der Verfasserin, 2013

     

    Reinigendes Wasser

    Über die Wohltat des Bades ergeht sich Homer in ausführlichen Schilderungen. Dem staubigen, verschwitzten Gast bietet der Gastgeber neben Speise und Trank auch warme Bäder und frische Kleider.

    Und so

    „Stiegen sie ein zum Bad in die wohlgeglätteten Wannen.“ (Hom. Od. 4, 48)
    „Und eine Dienerin brachte in schöner goldener Kanne Handwaschwasser und netzte damit über silbernem Becken Ihnen die Hände….“ (Hom. Od. 4, 52 f.)

    Letzteres entsprach wohl eher einem Ritual als übertriebenem Reinlichkeitsbedürfnis. Auch die Fußwaschung, die das Behagen des Gastes erhöht, ist Teil des Begrüßungszeremoniells:

    „…Und die Alte ergriff die blinkende Wanne,
    Die zum Waschen der Füße diente, und füllte viel
    Kaltes Wasser hinein und schöpfte dann warmes dazu…“

    (Hom. Od. 19, 386-88)

     

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 3

                         Bild 3: Eurykleia bei der Fußwaschung des Odysseus
    Nach Furtwängler-Reichhold 1904, Taf. 142[7]

    Draußen erfreuen sich Nausikaa und ihre Freundinnen am fließenden Wasser:

    Und sie badeten sich und salbten sich mit dem Salböl

    …..bis die Gewänder vom Strahle der Sonne getrocknet (Hom. Od. 6, 96).

    Zuweilen entwickelt das Reinigungsbad geradezu therapeutische Eigenschaften:

    „Als das Wasser dann heiß im blanken erzenen Kessel,
    Setzte sie (Kirke) mich ins Bad und goss es aus mächtigem Dreifuß
    Mir mit duftenden Kräutern vermischt übers Haupt und die Schultern,Bis sie mir die verzehrende Mattheit nahm von den Gliedern.“

    (Hom. Od. 10, 360-365)

     

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 4

    Bild 4: aus Amathous/Zypern, 7./6. Jh. v. Chr.
    nach Karageorghis 1995, 140-142 Taf. 81, 1

     

    Noch deutlicher wird das in der Ilias:
    Nestor lässt ein Bad für Machaon richten:

    „Bis dass ein warmes Bad Hekamede mit kräftigen Flechten
    Für dich wärmt und abwäscht den blutigen Schorf von der Wunde.“

    (Hom. Il. 14, 6)[8].

    Achill lehnt zum Zeichen der Trauer die Wohltat des Bades ab,

    „Ehe Patroklos nicht ist verbrannt und das Mal ihm geschüttet“

    (Hom. Il. 23, 39-45)

    Erst danach erlauben die Gebräuche,
    „Einen Dreifuß ans Feuer zu stellen, um zu versuchen,
    Den Peliden rein zu waschen vom blutigen Schorfe.“

    Wasser in Mythos und Kult

    Berühmte Orakel gehen direkt von einer Quelle aus. Es… „befindet sich in den Trümmern von Hysiai (im Gebiet von Platiai / Böotien)…ein heiliger Brunnen; einst holte man sich …aus dem Brunnen durch Trinken Orakel“ (Paus. IX 2, 1). Auch an anderen Orten wird die Kraft der Weissagung durch einen Trunk aus einem Brunnen oder einer Quelle verliehen[9]. Hellseherische Begeisterung ist eine Gabe der Nymphen[10]. Die überwältigende Erfahrung der Ergriffenheit durch die Nymphen, der Nympholepsie, vermag die Menschen mitzureißen und in Verzückung zu versetzen. Als Folgen einer Erweiterung des Bewusstseins und geschärfter Wahrnehmung können sich besondere rhetorische Fähigkeiten[11]  und gesteigerte Ausdruckskraft einstellen[12]. Der schöne Jüngling Hylas freilich wird von den Nymphen in Persona ergriffen und in die Tiefe gezogen[13].

    Aus der engen Beziehung des göttlichen Geschwisterpaars Artemis und Apollon zur Reinheit ergibt sich deren Affinität zu allen strömenden Gewässern. Das begann bereits vor der Geburt der Zwillinge, da Leto, die von der eifersüchtigen Hera verfolgte werdende Mutter, die thessalischen Nymphen um Fürsprache beim Flussgott Peneios bat, damit dieser seine Fluten anhielt und ihr so die ruhige Geburt im Flussbett ermögliche (Kall. h. in del. 109). Später gehörten zahlreiche Nymphen zu den dienenden Begleiterinnen der Artemis[14]. Wasser ist heilig, da es jede Art von Befleckung wegzunehmen vermag[15]. Auch zu den Asklepieia[16] gehört die Nähe von Quellhäusern und Brunnenanlagen, denn: „Rein muss sein, wer in den duftenden Tempel tritt, rein sein ist aber, heilige Gedanken zu haben“[17]. Plutos (= der reiche Mann) begibt sich, nachdem er sich durch Baden im Meer gereinigt hat, mit seinen Begleitern in den heiligen Bezirk des Asklepios, wo die Opfer, Honigkuchen und anderes Backwerk, auf dem Heiligen Tisch deponiert werden (Aristoph. Plut. 660-663).

    Ein Trunk aus den Wassern der Lethe endlich lässt die Verstorbenen ihre Erdenschicksale vergessen, auf dass ihnen die Ruhe des Hades zuteilwerde[18].

    Wasser und Heilwässer zu therapeutischen Zwecken

    Frühe Spuren des Gebrauchs von Heilwässern finden sich in Griechenland und seinen westlichen Kolonien in den Gegenden, die über zahlreiche „gesunde Flüsse“ und natürliche, durch Calor, Odor und Color[19] auffällige Quellen verfügen[20].  „Am blauesten ist das Wasser, das ich an den Thermopylen sah, aber nicht alles, sondern nur das, das in das Schwimmbecken fließt, das die Einheimischen ‚Frauenwannen‘ nennen“ (Paus. IV, 35, 9).

    Auch Herodot wusste davon:

    „Im Westen der Thermopylen…gibt es warme Quellen, die die Einheimischen ‚Kochtöpfe‘ nennen“ (Hdt. VII, 176, 3)[21].

    In der Argolis steigt Süßwasser aus dem Meer auf (Paus. VIII, 7, 2), aber vor Dikaiarcheia (Puteoli=Pozzuoli) im Etruskerland“ gebe „es kochendes Wasser im Meer und eine künstliche Insel dafür, damit auch dieses Wasser nicht ungenutzt bleibe, sondern ihnen zu warmen Bädern diene“ (Paus. VIII, 7, 3).

    Doch Hippokrates warnt: „Wo warme Gewässer aus dem Boden kommen oder Eisen, Kupfer, Silber, Gold, Schwefel, Vitriol, Erdpech oder Natron vorhanden sind – solches Wasser halte ich zu jeder Verwendung für schlecht.“ (Hippokr. Schriften „Über Luft, Wasser und Ortslagen“)[22]. Bittere Erfahrung machte ein Athener, der an Pachydermie und Juckreiz litt: …„dabei war die Haut dick über den ganzen Körper und sah wie die Schuppenflechte (lepra) aus; an keinem Körperteil konnte man die Haut abheben wegen ihrer Dicke…“. Er „reiste nach Melos, wo die warmen Bäder sind; hier genas er vom Juckreiz und von der Dickhäutigkeit (pachydermia), starb aber an der Wassersucht“. (Hippokr. Schriften „Über die epidemischen Krankheiten“) [23]. Das ist nicht gerade  ermutigend. Mehr Hoffnung macht 500 Jahre später Pausanias:

    „In Samikon[24] ist eine Höhle nicht weit vom Fluss, die Höhle der anigridischen Nymphen genannt. Und wer mit der Weißfleckenkrankheit hineingeht, muss zuerst zu den Nymphen beten und ihnen ein Opfer geloben, und dann lösen sich die kranken Stellen des Körpers ab. Wenn er den Fluss durchschwimmt, lässt er jenen Schaden in seinem Wasser zurück und steigt gesund und mit gleichmäßiger Hautfarbe heraus“ (Paus. V, 5, 11).

    Die elischen Nymphen werden gleich göttlichen Ärztinnen verehrt:

    „Gegen 50 Stadien von Olympia entfernt liegt das elische Dorf Herakleia und dabei der Fluss Kytheros; eine Quelle ist da, die in den Fluss mündet, und ein Nymphenheiligtum an der Quelle. Jede der Nymphen hat ihren besonderen Namen“ (Paus. VI, 22, 7). Eine von ihnen trägt den sprechenden Namen Iasis, die Heilende. „Wenn man in der Quelle badet, erlangt man Heilung von Erschöpfung und verschiedenen Schmerzen…“

    Neben den zahlreichen Heilnymphen war es besonders Herakles, der Heros der Arbeit, den man als Schirmherrn der Heilquellen verehrte. Unter seinem Schutz (oder dem des Asklepios?)[25] steht wohl auch die Magnesium-Sulfat-Therme von Himera auf Sizilien. Noch heute sei das 42o C warme Wasser in Gebrauch[26]. Eine um 420 v. Chr. geprägte Münze zeigt die Ortsnymphe bei der Libation vor einem Altar[27] sowie einen Satyr, der seine linke Schulter dem scharfen Strahl  aus dem Löwenkopf-Wasserspeier aussetzt. Wir wollen für den kleinen Trabanten des Dionysos hoffen, dass er nicht an einer akuten Gelenkentzündung litt – dann könnte nämlich der Nutzen des „Blitzgusses“[28] leicht auf Seiten des behandelnden Arztes sein statt auf der des Patienten!

     

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 5

    Bild 5: Silbernes Tetradrachmon, 430/420 v. Chr.
    nach Franke 1964, 44 f. Taf. 22 a

    Ergötzliches Wasser. Baden als Lustgewinn

    In Rom wurde das Badewesen, das in republikanischer Zeit als moralisch nicht akzeptabel galt[29], zunächst mit Vorbehalt aufgenommen. Zwar hatte Scipio Africanus, der Sieger über Hannibal, in seiner Villa im kampanischen Liternum, in die er sich Anfang des 2. Jhs. v. Chr. zurückzog, ein kleines privates Bad, doch stand dieses in krassem Gegensatz zu dem Badeluxus, den man 250 Jahre später für selbstverständlich hielt[30]. 33 n. Chr. gab es in Rom bereits 170 öffentliche Bäder.

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 6

                Bild 6: Hypokausten in der Hafentherme in Leptis Magna/Libyen
    Aufnahme der Verfasserin, 2009

    Zu Zeit des Scipio erfreuten sich die Griechen bereits einer entwickelten Badekultur. Es gab Gemeinschaftsbäder mit Sitzwannen und Schwitzbad, Duschen und Becken, und auch ihre Sport- und Bildungsstätten, die Gymnasien, waren mit Badeanlagen ausgestattet. Durch Perfektionierung und Standardisierung der im griechisch-hellenistischen Kulturraum entwickelten Bodenheizungen und Badeanlagen[31] entstand ein Ambiente, das man sich ohne kostbare Marmorintarsien, Glasmosaiken und  Nachbildungen berühmter griechischer Skulpturen nicht vorstellen konnte: die römische Therme.

    Überkam den Badegast ein menschliches Rühren, so brauchte er einen angefangenen Dialog deshalb nicht zu unterbrechen. Latrinen waren Gemeinschaftsräume, Stätten der Kommunikation. Man konnte das WC, das von ständig fließendem Wasser durchspült wurde, in Gesellschaft betreten und,   immerfort diskutierend, alle notwendigen Geschäfte dabei erledigen.

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 7

                   Bild 7: Latrine in der Hafentherme von Leptis Magna/Libyen
    Photo der Verfasserin, 2009

    Für die Ableitung des Brauchwassers hatte man in Rom schon frühzeitig gesorgt, und zwar wie es die Überlieferung will durch die Ingenieure des etruskischen Königs Tarquinius Priscus, der die Cloaca maxima erbauen ließ. Aus dem unterirdischen Kanal wurde der flüssige Dreck – wohin wohl – natürlich direkt in den Tiber entsorgt. Das wird uns doch nicht überraschen? Betrachten wir nur einmal die Wasser der heutigen „schönen blauen Donau“ oder die des ebenso schönen Rheines!

    Wamser-Krasznai Wasser Bild 8

    Bild 8: Rom, Mündung der Cloaca maxima in den Tiber
    Zustand 1958, Photo der Verfasserin

    Übrigens handelt es sich bei der berühmten Bocca della verità in der römischen Kirche Santa Maria in Cosmedin möglicherweise um einen Kanaldeckel dieser Kloake[32].

    Bereits in der frühen Römischen Kaiserzeit wuchs die Neigung zu Luxuria atque avaritia, Luxus und Habgier. Ausgehend von der Hauptstadt verbreitete sie sich über die Villenvororte vor allem in der kampanischen Küstenregion, den „goldenen Strand der Venus“ (Mart. Epigrammata XI, 80)[33]. Dort entwickelte sich Baiae zu einem ebenso beliebten und „schicken“ Modebad wie sehr viel später Bad Ischl zur Zeit der Donaumonarchie. In mancher Hinsicht freilich dürfte das kampanische Seebad das k. und k. Landstädtchen im Salzkammergut übertroffen haben. Wenn wir Martial und seinen dichtenden und schriftstellernden Zeitgenossen glauben wollen, so geriet Baiae nicht nur zu einem Zentrum der Üppigkeit und Schwelgerei, sondern auch zu einem wahren „Sündenbabel“. Wohlanständige  Ehefrauen, die als keusche Penelope gekommen waren, verließen den Ort der Freuden nicht selten als kapriziöse Helena mit einem Paris im Gefolge (Mart. 1, 63) [34].

    „Ihr trinkt sogar verschiedenes Wasser!“ (Juv. V 52) geißelt Juvenal „die neumodische Verbindung von übertriebenem Luxus mit schmutzigem Geiz“. Es war nämlich durchaus üblich, die Teilnehmer am Gastmahl ihren sozialen Stellungen entsprechend zu bewirten. Sich selbst und erlesenen Freunden ließ der Gastgeber Delikatessen auftragen. Für geringere Freunde war eine einfachere Bewirtungsklasse vorgesehen und eine dritte noch schlichtere für die Freigelassenen (Plin. Epist. II 6, 2 und 6)[35]. Doch vor erfahrenen ‚Symposiums-Haien‘ und dickfelligen Schnorrern vermochte das System den vermögenden Gastgeber nicht zu schützen.

    Moderne Spa-Abteilungen und Wellness-Oasen in ehrgeizigen zeitgenössischen Hotels versuchen, sich dem Fluidum und den Attraktionen des „goldenen Strandes“ der römischen Kaiserzeit anzunähern, ganz im Gegensatz zu den heutigen Rehabilitations-Einrichtungen mit ihrer Atmosphäre von Ehrgeiz und Leistung. Übrigens bedeutet das Wort Spa weder eine Verstümmelung von Spa-ß-bad, noch handelt es sich um historisierende Abkürzungen wie „Sanus per Aquam, Salus per Aquam oder Sanitas per Aquam (Gesundheit durch Wasser). Das wäre zwar durchaus passend, aber nein, Spa hat seine Bezeichnung vom gleichnamigen belgischen Badeort, von dem ausgehend das Wort Spa seit dem 17. Jh. in Britannien für Mineralquellen und dann ganz allgemein als englisches Synonym für unser deutsches „Bad“ gebraucht wurde. Also nachgestellt, Bath Spa entsprechend Bad Nauheim?

    Antike Bade- und Tafelfreuden gingen Hand in Hand. Man ließ seinen Rausch im Schwitzbad verfliegen, holte sich dort neuen Durst oder verlegte das weitere Zechen gleich ganz in die Therme[36]. Kein Wunder, dass es das folgende Distichon[37] zur Grabinschrift brachte:

    Balnea, vina, venus corrumpunt corpora nostra,
    sed vitam faciunt balnea vina venus.

    „Die Bäder, die Weine, die Liebe: sie richten den Körper zugrunde.
    Doch sie sind auch das Leben: Die Bäder, die Liebe, der Wein“[38].

    Abgekürzt zitierte Literatur:

    Benedum 1985: J. Benedum, Physikalische Medizin und Balneologie im Spiegel der Medizingeschichte, Zeitschrift für Physikalische Medizin, Balneologie und Medizinische Klimatologie 14, 1985, 141-159, hier 144

    Benedum 1994: J. Benedum, Die Therapie rheumatischer Erkrankungen im

    Wandel der Zeit (Stuttgart 1994)

    Brödner 1983: E. Brödner, Die römischen Thermen und das antike Badewesen (Darmstadt 1983)

    De Haan 2007: N. de Haan, Luxus Wasser. Privatbäder in der Vesuvregion, in: R. Aßkamp – M. Brouwer – J. Christiansen – H. Kenzler – L. Wamser (Hrsg.), Luxus und Dekadenz. Römisches Leben am Golf von Neapel (Mainz 2007), 122-137

    Dierichs 2007: A. Dierichs, Am goldenen Strand der Venus, in: R. Aßkamp – M. Brouwer – J. Christiansen – H. Kenzler – L. Wamser (Hrsg.), Luxus und Dekadenz. Römisches Leben am Golf von Neapel (Mainz 2007), 31-41

    E. Diez, Quellnymphen, in: Festschrift Bernhard Neutsch (Innsbruck 1980) 103-108

    Franke 1964: P. R. Franke – M. Hirmer, Die griechische Münze (München 1964)

    Hähner-Rombach (Hrsg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser (Stuttgart 2005)

    Heinz 1983: W. Heinz, Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus (München 1983)

    Kapferer-Sticker 1934-39: R. Kapferer – G. Sticker (Hrsg.), Die Werke des Hippokrates. Die hippokratische Schriftensammlung in neuer deutscher Übersetzung (Stuttgart 1934-39)

    Karageorghis 1995: V. Karageorghis, The Coroplastic Art of Ancient Cyprus IV. The Cypro-Archaic Period. Small Male Figurines (Nicosia 1995)

    Klöckner 2001: A. Klöckner, Menschlicher Gott und göttlicher Mensch? Zu einigen Weihreliefs für Asklepios und die Nymphen, in: R. von den Hoff – St. Schmidt (Hrsg.), Konstruktionen von Wirklichkeit. Bilder im Griechenland des 5. Und 4. Jahrhunderts v. Chr. (Stuttgart 2001)121-136

    Krug 1985: A. Krug, Heilkunst und Heilkult (München 1985)

    Laser 1983: S. Laser, Medizin und Körperpflege, ArchHom S, 1983

    Ninck 1960: M. Ninck, Die Bedeutung des Wassers im Kult und Leben der Alten (Darmstadt 1960)

    Pfisterer-Haas 2009: S. Pfisterer-Haas, Ammen und Pädagogen, in: Alter in der Antike, Bonn 25.2.2009-7.6.2009, 69-80

    Rook 1992: T. Rook, Roman Baths in Britain (Buckinghamshire 1992)

    Simon 31985: E. Simon, Die Götter der Griechen (München 31985)

    Simon 2000: E. Simon, Römische Wassergottheiten, AW 3, 2000, 247-260

    Steger 2005: F. Steger, Wasser in Kult und Medizin des Asklepios, in: S. Hähner-Rombach (Hrsg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“ (Stuttgart 2005) 36-43

    Tölle-Kastenbein 1990: R. Tölle-Kastenbein, Antike Wasserkultur (München 1990)

    Steudel 1960: J. Steudel, Heilbäder und Heiltempel der Antike, Münchener Medizinische Wochenschrift 102/11, 1960, 513-519

    Wamser-Krasznai 2006: W. Wamser-Krasznai, Frau „Kur“ und ihr Schatten, oder: Badelust von der Antike bis heute, Orthoprof 02/2006, 38-40

    Wamser-Krasznai 2012: W. Wamser-Krasznai, Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, Les Études classiques 80, 2012, 55-72

    Wamser-Krasznai 2012/2013: W. Wamser-Krasznai, Wie man sich bettet…Lager und Lagern in antiken Heil-Heiligtümern, in: dies., Auf schmalem Pfad (Budapest 2012/2013) 55-71

    Wamser-Krasznai 2015: W. Wamser-Krasznai, Vom Alter im Altertum, in:  dies., Fließende Grenzen (Budapest 2015), 58-69

    Weeber, Baden 2007: K.-W. Weeber, Baden, spielen, lachen. Wie die Römer ihre Freizeit verbrachten (Darmstadt 2007)

    Weeber 2007: K.-W. Weeber, Luxuria, das „süße Gift“, in: R. Aßkamp – M. Brouwer – J. Christiansen – H. Kenzler – L. Wamser (Hrsg.), Luxus und Dekadenz. Römisches Leben am Golf von Neapel (Mainz 2007), 2-15

     

     

    [1] Der Felsen von Gibraltar und der Berg Dschebel Musa auf der gegenüber liegenden Seite in Marokko.

    [2] Diez 1980, 107.

    [3] Krug 1985, 46 Anm. 7.

    [4] Tölle-Kastenbein 1990, 21-37.

    [5] Dies. a. O. 84-92; anscheinend sind bereits Vitruv mögliche Gesundheitsschäden durch die Verwendung von Bleirohren aufgefallen, ders., de architectura VIII (de aquis) 6, 10 f.

    [6] Simon 2000, 255.

    [7] Pfisterer-Haas 2009, Abb. 25; Wamser-Krasznai 2015, 63 Bild 6.

    [8] Laser 1983, 138-143.

    [9] = Hydromantik, Tölle-Kastenbein 1990, 12 f.

    [10] Ninck 1960, 48.

    [11] Man denke an die Redegabe der Echo, Ov, met. 3, 356-369.

    [12] Klöckner 2001, 128; vgl. Plat. Phaidros 238 c. d.

    [13] Simon 2000, 255 Abb. 13, unter Hinweis auf Goethes Gedicht “Der Fischer”, dessen Schlusszeilen zum geflügelten Wort gerieten: “halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr gesehn“.

    [14] Krause 1871, 143 f.

    [15] Simon 31985, 158 f.

    [16] Den Heiligtümern des Gottes Asklepios.

    [17] Porphyrius (De abstinentia 2, 19), für Epidauros überlieferte Inschrift, Krug 1985, 130; Wamser-Krasznai 2012, 66; dies. 2012/2013, 66; anders Steger 2005, 37: für Kos überliefert (?)

    [18] Ninck 1960, 104.

    [19] Wärme, Geruch, Farbe.

    [20] Benedum 1994, 125.

    [21] Benedum 1985, 147.

    [22] Kapferer-Sticker 1934-1939, Steudel 1960, 514; Benedum 1985, 144.

    [23] Kapferer-Sticker ebenda; Steudel ebenda;; Benedum 1985, 148.

    [24] In der Landschaft Elis, im Nord-Westen der Peloponnes.

    [25] Franke 1964, 44 f. Taf. 22 a.

    [26] Benedum 1985, 144.

    [27] Trankopfer.

    [28] Die mechanische und thermische Wirkung gezielter Wassergüsse wurde anscheinend seit 100 n. Chr. durch den Arzt Archigenes in größerem Umfang eingesetzt, Benedum 1985, 144. Diese Therapie hat, richtig angewendet, zwar noch heute ihren Stellenwert in der physikalischen Medizin, gehört aber längst nicht mehr zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen!

    [29] Rook 1992, 18.

    [30] Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 86; De Haan 2007, 123-137.

    [31] Griechisches Hypokaustenbad 180-80 v. Chr., z. B. Brödner 1983, 8.

    [32] Tölle-Kastenbein 1990, 168 f. Abb. 107.

    [33] Dierichs 2007, 31.

    [34] Steudel 1960, 517.

    [35] Weeber, Baden 2007, 71-73.

    [36] Petr. 73, 3 ff.; Quint. inst. or. I 6, 44; Weeber, Baden 2007, 14 f.

    [37] Zweizeiler, aus einem Hexameter und einem Pentameter, die sich aus sechs bzw. fünf Hebungen zusammensetzen.

    [38] Nach CIL VI 15258 (Corpus lateinischer Inschriften).

     

  • TURTLE’S   SECRET

    (Die deutsche Übersetzung von Dietrich Weller folgt nach dem englischen Text.) 

                                               Simon-Der Bibliothekar - Das Geheimnis der SChildkröte                                           

    A long time ago there lived in Xian the Emperor’s Supreme librarian named Li-Yuan. His every day’s work was to examine, catalogue and control manuscriptsand ancient books written on  bamboo strips or rice papers as wereother written pieces in the possession of the great Imperial Library.

    Coincidentally, leafing through an old book, to his great astonishment Li-Yuan came across, between the pages a faded loose leaf sheet of inscribed rice paper. Possibly it had been put there by one of his predecessors. The paper had written on the top a question – and was followed by an interesting answer.

    The question asked was: “Why do turtles all bear heavy shell on their backs?”

    The answer given was: “The turtle’s ancestor WUGUI got his shell after declining an invitation from the Almighty with the excuse, that “There is no place like home”. His refusal enraged the Almighty so much so that he condemned all turtles to carry on their back forever a shell as their home. However, every grief contains seeds of bliss.

    To be protected against all injuries the turtle hides its head, legs and tail in the shell. It is considered that the turtles are spiritually gifted creatures.

    In former times, most natural phenomena seemed inexplicable to people. Therefore, they invented an imaginary animal able to resolve all mysterious happenings. This imaginary creature was a “a dragon” that symbolized the representation of existing animals. People painted the dragon’s shape with a horse’s head, crocodile’s body and a snake’s tail. However, a dragon was only imaginary whereas turtles were real.

    Everybody is able to observe, stroke and even talk to turtles. The turtle is slow, but a careful and  cautious walker. Every step is preconceived and is in accordance with its prudent nature. These actions are appropriate at a given time and space.

    Gentleness and politeness are the ways turtles care for all other living creatures, great and small. This implies that the body is in a state of balance and the heart beats very slowly.

    The peaceful heart guarantees a very long life and the longevity gives the blessing of prudence. In comparison with a turtles life, the duration of a

    human life is too short to reach the heart of prudence. Prudent beings are able to
    judge between morally admirable and wicked actions. The actions are appropriate at a given time and space. Gentleness and politeness are the ways to care for all other beings “

     

    Author’s note

    The biggest gift in life is a peaceful heart. A peaceful heart is a blessing for a long life. GUI (龟) is one of the oldest Chinese pictograms. Such pictograms are found already in oracle bone inscriptionswhich express the admiration towards turtles and the simplicity of the figures shows theturtle’s side and front views.

    These pictograms are lifelike and children throughout the whole world can “read them and identify the turtle’s head, legs, shell and tail”.  The pictogram GUI () is used to depict longevity as in GUI-SHOU (a long life) as does the pictogram in GUI-LING (a turtle’s age), both metaphors for a venerable age . 

     

    Dr.med.André Simon  ©Copyright

    andre.simon@hin.ch

     

    Das Geheimnis der Schildkröte

    Von André Simon

    Vor langer Zeit lebte in Xian des Kaisers oberster Bibliothekar Li-Yuan. Seine tägliche Arbeit bestand darin, Manuskripte und alte Bücher zu untersuchen, zu katalogisieren und zu kontrollieren, die auf Bambusstreifen oder Reispapier geschrieben waren so wie andere geschriebene Stücke im Besitz der großen kaiserlichen Bibliothek.

    Zufällig stieß Li-Yuan zu seinem großen Erstaunen beim Durchblättern eines alten Buchs zwischen den Seiten auf ein verblasstes loses Blatt von beschriebenem Reispapier. Vielleicht war es von einem seiner Vorgänger dorthin gelegt worden. Oben auf dem Blatt stand eine Frage geschrieben – und sie wurde von einer interessanten Antwort gefolgt.

    Die gestellte Frage lautete: „Warum tragen alle Schildkröten schwere Panzer auf ihren Rücken?“

    Die gegebene Antwort lautete: „Der Vorfahr der Schildkröte, WUGUI erhielt seinen Panzer, nachdem er eine Einladung des Allmächtigen mit der Begründung abgelehnt hatte, es gebe keinen anderen Platz als das Zuhause. Seine Weigerung erzürnte den Allmächtigen so sehr, dass er alle Schildkröten dazu verdammte, für immer auf ihren Rücken einen Panzer zu tragen. Jede Trauer enthält jedoch den Samen zur Glückseligkeit.

    Um gegen alle Verletzungen geschützt zu sein, versteckt die Schildkröte ihren Kopf, die Beine und den Schwanz im Panzer. Man geht davon aus, dass alle Schildkröten spirituell begabte Kreaturen sind.

    In alten Zeiten waren natürliche Phänomene für die Leute unerklärlich. Deshalb erfanden sie ein symbolisches Tier, das alle mysteriösen Geschehnisse erklären konnte. Dieses symbolische Tier war ein Drache, der die Erscheinung der existierenden Tiere darstellte. Die Leute malten die Drachenform mit einem Pferdekopf, einem Krokodilkörper und einen Schlangenschwanz. Ein Drache jedoch war nur symbolisch vorhanden, während die Schildkröten Wirklichkeit waren.

    Jeder kann Schildkröten beobachten, sie streicheln oder sogar mit ihnen reden. Die Schildkröte ist langsam, aber eine sorgfältige und vorsichtige Geherin. Jeder Schritt ist vorbedacht und steht im Einklang mit ihrer weisen Natur. Die Handlungen sind angepasst an die jeweilige Zeit und den Raum.

    Freundlichkeit und Höflichkeit sind die Mittel, mit denen Schildkröten sich um alle anderen Kreaturen kümmern. Das setzt voraus, dass der Körper sich in einem Gleichgewichtszustand befindet und das Herz langsam schlägt.

    Das friedvolle Herz garantiert ein sehr langes Leben, und die Langlebigkeit schenkt die Segen der Besonnenheit. Im Vergleich zu einem Schildkrötenleben ist das Menschenleben zu kurz, um ein Herz der Besonnenheit zu erreichen. Besonnene Lebewesen sind fähig, zwischen moralisch bewundernswerten Handlungen und verrückten Taten zu unterscheiden. Die Handlungen sind an die jeweilige Zeit und den Raum angepasst. Freundlichkeit und Höflichkeit sind die Wege, um für alle anderen Wesen zu sorgen.

     

    Bemerkung des Autors

    Das größte Geschenk im Leben ist ein friedvolles Herz. Ein friedvolles Herz ist ein Segen für ein langes Leben. GUI (龟) ist eines der ältesten chinesischen Symbolbilder. Solche Symbolbilder findet man schon in Inschriften von Orakelknochen, die die Bewunderung für Schildkröten ausdrücken, und die Einfachheit der Zeichen zeigt die Anblick der Schildkröte von der Seite und von vorn.

    Diese Symbolbilder sind lebensähnlich, und Kinder in der ganzen Welt können sie lesen und Kopf, Beine, Panzer und Schwanz der Schildkröte erkennen.

    Das Symbolbild GUI wird benutzt, um Langlebigkeit abzubilden wie in GUI-SHOU (ein langes Leben) oder wie im Symbolbild GUI-LING (ein Schildkröten-Alter). Beide Metaphern stehen für ein verehrenswertes Alter.

    Übersetzung von Dietrich Weller

     

     

  •  

    Vom Alter im Altertum.
    Mit Texten und Bildern auf den Spuren einer „unheilbaren Krankheit“

     

    Zur Einstimmung seien ein paar Zeilen aus Elisabeth Herrmann-Otto, Die Ambivalenz des Alters[1], referiert:

    Während in Sparta, einem oligarchischen Staatswesen, den mächtigen Alten uneingeschränkte Anerkennung zuteil wurde, hing in Rom, sowohl unter republikanischer als auch monarchischer Führung, alles von der sozialen Schicht ab. Für den geistig gesunden Angehörigen der Oberschicht gab es gleitenden Ruhestand, private Altersversorgung und hohe Wertschätzung. Die Mitglieder der Unterschicht dagegen hatten weder Ruhestand noch Altersversorgung zu erwarten. Ihnen drohten Armut und Verachtung.

    Im demokratischen Athen dominiert der Kult der Jugend und der Männlichkeit, der die politische, soziale und ökonomische Marginalisierung der Alten, insbesondere der alten Frauen, zur Folge hat. Die unnützen Alten werden mit unzureichender Versorgung schutz- und fast rechtlos auf ihr nahendes Ende verwiesen. Zitat Ende.

    Es ist Seneca, der feststellt: Senectus enim insanabilis morbus est, das Alter nämlich ist eine unheilbare Krankheit[2]. Aristoteles sieht darin eine natürliche Krankheit – νόσος φυσική[3], eine Art Austrocknungsprozess, ähnlich dem Verwelken der Pflanzen.

     

    „Mir furchte bereits hier, da und dort
    tief meine Haut das Alter
    … weiß wurde das Haar,…
    …nicht tragen mich mehr die Knie
    …und tanzen so leicht wie Rehe.“

    klagt Sappho[4], die doch der Schönheit so leidenschaftlich zugetan ist, denn
    „…euch, ihr Schönen, wird sich mein Sinn und Fühlen niemals entfremden.“

    Wamser-Krasznai-Vom Alter -Bild 1 Die Greisin

     

    Bild 1. Die Baseler Greisin
    Antikenmuseum und Sammlung Ludwig (Photo Verf.[5])

     

    Auch der Spartaner Tyrtaios ruft aus: die Älteren, die schon keine flinken Knie mehr haben, lasst sie nicht im Stich….[6]                                

    Und noch einmal die Knie, die nicht nur den beiden lyrischen Poeten, sondern auch dem Epiker Homer als Sitz und Sinnbild der jugendlich-raschen Fortbewegung gelten; Agamemnon spricht zum greisen Nestor die geflügelten Worte:
    „Alter, würden doch so, wie dir der Mut in der Brust ist,
    Deine Knie auch folgen, und wäre die Kraft dir beständig!“[7]

    Wir bleiben bei der Ilias und hören die Klage des Priamos:
    „Dem Jüngling gereicht noch alles zur Zierde,

    jedoch das graue Haupt und das Kinn das ergraute,

    … das ist wohl das kläglichste Bild für die elenden Menschen.“[8]

     

    Nicht alle antiken Autoren äußern sich so negativ über das Alter. Für Salomo sind „Graue Haare … eine Krone der Ehre; auf dem Weg der Gerechtigkeit wird sie gefunden“[9]. Ebenfalls ermutigend klingt es bei Solon: „Wird auch silbern mein Haar, lern‘ ich doch immer noch vieles“[10].

    Sehen wir einmal, wem graue Haare zur Ehre gereichen. Da ist Nestor mit seinem vielfältig klugen Rat, der die Achäer, die im Zorn auf einander entbrennen, mit honigsüßer[11] Rede besänftigt.

     

    „Doch nicht alles zugleich gewähren die Götter den Menschen.

    War ich ein Jüngling vordem, so drückt mich heute das Alter.

    Aber auch so begleit‘ ich die Kämpfenden noch und ermahne

    Sie mit Worten und Rat, denn das ist das Vorrecht des Alters.“[12]

    Wamser-Krasznai - Vom Alter - Bild 2 - Die Greise Nestor und Phoinix

     

    Bild 2. Die Greise Nestor und Phoinix finden den toten Aias

    (nach Simon[13]1981, 51 f. Abb. 28)

     

    Auch der Gegner im troianischen Krieg, König Priamos, wird als würdiger Greis dargestellt. Gebeugt stützt er sich auf seinen Stab; das schüttere Haar ist grau.

    Wamser-Krasznai - Bild 3 - Kriegers Abschied

    Bild 3. Kriegers Abschied (nach Simon 1981, 101 Abb. 112)

     

    Seine Gemahlin Hekabe, die ihm gegenüber steht, prangt in jugendlicher Schönheit. Sie ist es auch, die ihrem Abschied nehmenden Sohn Hektor die Waffen reicht.

    Bekanntlich unterliegt Hektor im Zweikampf dem Griechen Achilleus.

    Zuvor jedoch war Patroklos im Kampf gegen Hektor gefallen. Maßlos in seiner Trauer um den geliebten Freund lässt Achill sich nicht damit genügen, den Feind getötet zu haben.

     

    Er „… ersann dem göttlichen Hektor schmähliche Dinge.

    Denn er durchbohrte ihm hinten an beiden Füßen die Sehnen

    Zwischen Knöchel und Ferse …

    Band am Wagen sie fest und ließ den Kopf dabei schleifen.…“[14]

     

    Zum unaussprechlichen Schmerz des Elternpaares Priamos und Hekabe, die von den Zinnen Trojas auf die unwürdige Szene blicken, schleift der Sieger den Toten von der Stadt bis zu den Zelten der Griechen. Dann liegt der Leichnam unter der Kline des zechenden und schmausenden Achilleus. Um den Sohn würdig bestatten zu können, erniedrigt sich der greise Priamos so weit, daß er sich, vom Götterboten  Hermes geleitet, mit Wagenladungen voll Lösegeld dem Feind demütig bittend naht. Wen wundert es, daß Christa Wolf ihre Kassandra stereotyp wiederholen lässt: „Achill das Vieh“[15]

    Wamser-Krasznai - Bild 4 - Priamos vor Achill

    Bild 4. Priamos vor Achill (nach Simon 1981, 112 f. 146)

     

    Doch endlich „sich des grauen Hauptes erbarmend und Kinnes, des grauen,“[16]

    gibt Achilleus den Leichnam frei, sodaß ihn der Vater bestatten kann.

     

    Ein Beispiel rührender Sohnesliebe gibt der Troianer Aenaeas[17], der seinen greisen Vater schulternd und den Sohn an der Hand führend die brennende Stadt verlässt.

    Wamser-Krasznai -Bild 5 - Terrakottagruppe aus Pompeji

    Bild 5.  Terrakottagruppe aus Pompeji

    (nach von Rohden 1880, 48 f. Taf. 37 a)

     

    Wir haben gesehen, dass Alterszüge einer hochgestellten Frau wie Hekabe, der Gemahlin des Priamos, nicht zukommen. Auch Heroen altern nicht. Während Homer wortreich schildert, wie die Göttin Athena den Odysseus aus taktischem Kalkül in einen alten Mann verwandelt,

     

    „Sprach‘s und berührte ihn mit dem Zauberstabe, Athene,

    Und ließ schrumpfen die schöne Haut der geschmeidigen Glieder,

    Tilgte am Haupte die braunen Haare und legte dann ringsum

    Ihm um all seine Glieder die runzlige Haut eines Greises.

    Und sie machte die Augen ihm trüb, die früher so schönen;

    dass du unansehnlich erscheinst“ …[18]

     

    behält der Heros in der bildlichen Darstellung sein jugendliches Aussehen.

    Wamser-Krasznai - Bild 6 -Eurykleia bei der Fußwaschung

                                    Bild 6. Eurykleia bei der Fußwaschung

    (nach Furtwängler – Reichhold 1904, Taf. 142; Pfisterer-Haas 2009, Abb. 25)

    Die Amme Eurykleia ist seit der Abreise des Odysseus ebenfalls um 20 Jahre gealtert. Graues Haar und ein faltiger Hals legen Zeugnis davon ab. Darstellungen von Alterszügen, die man bei Heroen möglichst vermeidet, sind bei Dienerinnen statthaft. Während der Fußwaschung erkennt Eurykleia ihren Herrn an einer alten Narbe. Odysseus kann sie gerade noch daran hindern, in ihrer Begeisterung sein Inkognito zu verraten.

     

    „Mütterchen, willst du mich denn verderben? Du hast mich an deiner

    Brust doch selber gestillt; nach viel überstandenen Mühen

    Kam ich im zwanzigsten Jahr zurück ins Land meiner Väter.“[19]

     

    Frauen, die von ihrer Hände oder anderer Körperteile Arbeit leben, wurden ohne Weiteres realistisch, als hässlich, alt, verkommen, dargestellt. Unter den negativ konnotierten Eigenschaften, die man alten Frauen – und zwar nicht nur Hetären und Dienerinnen, sondern auch alten Bürgerinnen[20] – zuschrieb, war am häufigsten die übermäßige Liebe zum Wein, ein beliebter Topos seit  spätarchaischer Zeit bis in die Spätantike, sowohl in der Literatur als auch in der darstellenden Kunst[21]. Schilderungen weiblicher Trunksucht erregten gleichermaßen Heiterkeit und Verachtung.

    „Von jenem Myron, der als Bronzebildner berühmt ist, steht eine alte Betrunkene (anus ebria) in Smyrna“[22]. Das hellenistische Werk des 3. Jhs. v. Chr. ist in römischen Kopien des 1. und 2. Jhs. n. Chr. überliefert.

    Wamser-KRasznai - Bild 7 - Trunkene Alte Rom                   Wamser -Krasznai - Vom Alter -Bild 8 -Trunkene Alte München                                                                                                                                                                                                              

    Bild 7. Trunkene Alte, Rom                            Bild 8. Trunkene Alte, München

    Kapitolinische Museen                                              Glyptothek

    (Photos Verf.)

    Die alte Frau hockt auf der Erde, eine bauchige Weinflasche (Lagynos) liebevoll, als wäre sie ein Kind, in den Armen haltend. Der angehobene Kopf ist haltlos zur Seite gesunken, der Mund – lallend vermutlich – geöffnet. Tiefe Furchen durchziehen die schlaffen Wangen. Mit unbarmherzigem Verismus[23] hat der Bildhauer Muskelstränge, Schlüsselbeine und Rippen unter der papierdünnen Haut des abgezehrten Körpers wiedergegeben. Die umfangreiche Flasche und das Niedersitzen am Boden deuten möglicherweise auf eine Teilnehmerin an den Lagynophorien hin[24]. Eine Efeuranke, die als plastisches Relief die Schulter des Gefäßes schmückt, weist in den Bereich des Weingottes. War die alte Säuferin in ihren besseren Jahren eine Priesterin des Dionysos[25] oder eine betagte Nymphe, „das heißt eine dionysische Amme“[26]? Im Haltungsmotiv einen Rückgriff auf den Typus des spreizbeinig hockenden Satyrn zu sehen[27] kann im Hinblick auf die beiden großplastischen Marmorfiguren nicht befriedigen, denn die Sitzende hält trotz der verlorenen Kontrolle über Mimik und Halsmuskulatur ihre Beine schicklich gekreuzt (Bild 7). Anders als die zahlreichen Terrakottastatuetten und figürlichen Gefäße, die lediglich das beliebte Thema der trunksüchtigen Vettel reflektieren, lassen die Marmorstatuen weitere bedeutsame Details erkennen: das sorgfältig geknüpfte Kopftuch und die elegante Drapierung der fein gefältelten stoffreichen Gewänder. Der herabgeglittene Träger, ein aphrodisisches Entblößungsmotiv[28], legt jedoch statt einer wohlgeformten, die Sinne stimulierenden Rundung von Schulter und Busen den kachektischen Oberkörper einer völlig heruntergekommenen Alten frei (Bild 8).

    Für Dichter und Philosophen sind Zeichen des Alters und der Hässlichkeit kein Manko. Sie treten bereits in klassischer Zeit in Form von Stirnglatze, Runzeln und schlaffen Hautpartien auf. Wir begnügen uns mit dem Beispiel des sog. Hesiod und seinem faltigen Hals.

    Wamser-Krasznai - Vom Alter -Bild 9 - Hesiod

    Bild 9. „Hesiod“,  Neues Museum Berlin

    (Photo Verf.)

    Welches Kraut ist gegen das Alter gewachsen? Medea, die Zauberin aus Kolchis, weiß Rat. Sie demonstriert die Verjüngung eines Widders und verführt damit die Töchter des Pelias, ihren Vater zu zerstückeln und zu kochen, damit er mit Hilfe ihrer magischen Kräuter dem Kessel als ein Jüngerer entsteige. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.

    Wamser-Krasznai - Bild 10 - Vom Alter- Marmorrelief

    Bild 10.  Marmorrelief um 100 v. Chr. Berlin (Photo Verf.)

     

    Aristoteles betrachtet, wie wir gehört haben, das Phänomen des Alterns als eine Art Austrocknungsprozess. Folgerichtig behandelt später Galen mit befeuchtenden und wärmenden Mitteln. Dazu gehöre der Wein, der für alte Menschen das Beste sei (V 5). Wichtig sind diätetische Maßnahmen und die Ausfuhr (V 9), auch körperliche Übungen und sogar Stimmübungen (V 10). In den hippokratischen Schriften wird, wenn die Menschen die 50 überschritten hätten, vor plötzlicher Sonneneinstrahlung oder Abkühlung gewarnt. Dies alles sind prophylaktische Ratschläge. Als Therapie taugen sie wenig, allenfalls tragen sie ein wenig zur Linderung bei. Gegen den Tod und das Alter ist nicht anzukommen. So wie heute versucht man auch damals, die Jugend mit Hilfe der Kosmetik festzuhalten. Aus dem Orient stammen Duftstoffe. Falten werden mit Bleiweiß und  Schminke abgedeckt[29].

    Es ist bereits angeklungen, dass man die unnützen Alten auf ihr nahendes Ende verwies. Dazu gab es gelegentlich sehr direkte Beihilfe, zu allen Zeiten und an allen Orten. Der Zoologe Ilja Ilijitsch Metschnikoff, der 1865 in Gießen die intrazelluläre Verdauung, später die Phagozytose entdeckte, zählt 1908 in seinen Beiträgen über das Altern[30] verschiedene ersprießliche Lösungen auf: In Melanesien ist es gebräuchlich, unnütze alte Menschen lebendig zu begraben. In Feuerland würden bei Hungersnot zuerst die alten Frauen getötet und verspeist, danach die Hunde, denn diese fangen Robben, die alten Weiber aber nicht. Er verweist auch auf Dostojewskis Roman Schuld und Sühne, in dem ein altes dummes, böses Weib, das keinem Menschen das Geringste bedeute, ohne irgendwelche Gewissensbisse ermordet und beraubt werden dürfe.

    Greise laufen nicht nur Gefahr, ermordet zu werden; sie entschließen sich auch leichter, ihr Leben vorzeitig zu beenden. Wie eine Statistik aus Kopenhagen ausweise, seien die Alten mit mehr als 63% an der Zahl der Suicide beteiligt[31]. Seneca, dem mit etwa 65 Jahren von seinem Kaiser und früheren Schüler Nero der Selbstmord befohlen wurde, hatte sich rechtzeitig mit diesem Thema auseinandergesetzt. Er begrüßt die Möglichkeit, das Ende selbst herbeizuführen: und “danken wir dem Gott, dass niemand im Leben festgehalten werden kann“[32].

    Wamser-Krasznai - Bild 11 - Vom Alter - Seneca

    Bild 11.  Büste des Seneca, Neues Museum Berlin

    (Photo Verf.)

     

    Eine Doppelbüste zeigt ihn zusammen mit Sokrates, der ebenfalls von Staats wegen, im demokratischen Athen, den Schierlingsbecher leeren musste.

    Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf Kindheit und Jugend, den frühen Stufen des Alters.

    Wamser-Krasznai -Vom Alter- Bild 12- Herakles                                      Wamser-Krasznai- Vom Alter -Bild 13 - Der Ganswürger

    Bild 12. Der kleine Herakles als Schlangentöter          Bild 13. Ganswürger

    Rom, Kapitolinische Museen                                             München, Glyptothek                                                                                                                                                                                                                                                           (Photos Verf.)

    Berechtigen diese kleinen Lieblinge nicht zu den schönsten Hoffnungen?

    Abgekürzt zitierte Literatur und Bildnachweis:

    Alter in der Antike 2009: Alter in der Antike. Die Blüte des Alters aber ist die Weisheit. Katalog zur Ausstellung  im LVR-LandesMuseum Bonn 25.2.2009-7.6.2009

    De Beauvoir 1978: S. de Beauvoir, Das Alter  (Reinbek bei Hamburg  1978)

    Brandt 2002: H. Brandt, Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike (München 2002)

    Furtwängler – Reichhold 1904: A. Furtwängler – K. Reichhold, Griechische Vasenmalerei. Auswahl hervorragender Vasenbilder (München 1904)

    Gutsfeld – Schmitz 2009: A. Gutsfeld – W. Schmitz (Hrsg.), Altersbilder in der Antike. Am schlimmen Rand des Lebens? (Göttingen 2009)

    Herrmann-Otto 2004: E. Herrmann-Otto (Hrsg.), Die Kultur des Alterns (St. Ingbert 2004)

    Kunze 1999: Chr. Kunze, Verkannte Götterfreunde, Römische Mitteilungen 106, 1999, 69-77

    Lippold 1950: G. Lippold, Die griechische Plastik. Hellenistische Periode, Hochblüte des 3. Jahrhunderts, Handbuch III 1(München 1950) 322

    Neugebauer 1951: K. A. Neugebauer, Die griechischen Bronzen der Klassischen Zeit und des Hellenismus (Berlin 1951)

    Pfisterer-Haas 2009: S. Pfisterer-Haas, Ammen und Pädagogen, in: Alter in der Antike, Bonn 25.2.2009-7.6.2009, 69-80  Bild 6

    Von Rohden 1880: H. von Rohden, Die Terrakotten von Pompeji (Stuttgart 1880)  Bild 5

    Salomonson 1980: J. W. Salomonson, Der Trunkenbold und die Trunkene Alte, BaBesch 55, 1980, 65-106 Taf. 107-135

    Simon 1981: E. Simon, Die griechischen Vasen (München 1981)  Bild 2-4

    Simon 2004: Kourotrophoi, in: S. Bergmann – S. Kästner – E.-M. Mertens (Hrsg.), Göttinnen, Gräberinnen und gelehrte Frauen (Münster – New York – München – Berlin 2004)

    Wrede 1991: H. Wrede, Matronen im Kult des Dionysos, Römische Mitteilungen 98, 1991, 163-188

    Zanker 1989: P. Zanker, Die Trunkene Alte. Das Lachen der Verhöhnten (Frankfurt am Main 1989)

     

    Antike Literatur:

    Il.: Homer, Ilias. Übers. R. Hampe (Stuttgart 22007)

    Od.: Homer, Odyssee. Übers. R. Hampe (Stuttgart 22007)

    Plin. nat.: C. Plinius secundus d. Ä. Naturkunde Buch 26, 1-5. Lateinisch-deutsch (München 1979)

    Sappho: Sappho, Lieder, griechisch und deutsch (M. Treu Hrsg. München 1958)

    Verg. Aen.: Vergil, Aeneis. Übersetzt und herausgegeben von W. Plankl, unter Verwendung der Übertragung Ludwig Neuffers (Stuttgart 32005)

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

    [1] Herrmann-Otto  2004, 14.

    [2] Seneca, Brief 108, an Lucilius 28; den Hinweis verdanke ich Prof. Dr. K. D. Fischer, Mainz.

    [3] De generatione animalium V 4.784 b 32-34, zit. nach G. Wöhrle, Der alte Mensch im Spiegel der antiken Medizin, in: Herrmann-Otto 2004, 19-31.

    [4] Sappho 4, 65 a D. 13-15; 1, 12 D.

    [5] Abbildung mit freundlicher Erlaubnis von Frau Dr. E. van der Meijden Zanoni, Basel.

    [6] Zit. nach Brandt 2002, 33.

    [7] Il. 4, 313.

     

    [8] Il. 22, 71-75.

    [9] Sprüche Salomonis Kap. 16 Vers 31, nach dem Hinweis bei S. de Beauvoir 1978, 79 und 95.

    [10] Solon Frgm. 22,7,  Diehl, zit. bei Brandt 2002, 37.

    [11] Il. I, 249.

    [12] Il. 4, 320-323.

    [13] Für wiederholt erteilte Abbildungserlaubnis bin ich Frau Prof. Dr. Erika Simon, Würzburg, von Herzen dankbar.

    [14] Il. 22, 395 f.

    [15] Christa Wolf, Kassandra (Frankfurt am Main 2008) 33. 51. 69. 86. 87. 88. 93. 97. 117.124.125.127.129.142.

    [16] Il. 24, 515.

    [17] Verg. Aen. 2, 705-725.

    [18] Od. 13, 429-433.

     

    [19] Od. 19, 482-484.

    [20] Pfisterer-Haas 1989, 78.

    [21] Pfisterer-Haas 1989, 78; Salomonson 1980, 94-97; s. sprechende Namen wie οινοϕίλη für das Bild einer Alten mit Weinschlauch auf einem attischen Gefäß in London, Pfisterer-Haas 78, oder „Silenis“ in einem Spott-Epigramm, Salomonson 96, bekunden die Nähe zu Trunk und dionysischem Gefolge.

    [22] Plin. nat. 36, 33; zu Myron, möglicherweise ein hellenistischer Meister, der denselben Namen trägt wie der berühmte Skulpteur des 5. Jhs. v. Chr.: Zanker 1989, 82; zur etl. fehlerhaften Überlieferung des Künstlernamens Salomonson 1980, 96 Anm. 171.

    [23] Neugebauer 1951, 71.

    [24] Ein Fest, das von Ptolemaios IV in Alexandria eingerichtet worden war, Kunze 1999, 72 f; Pfisterer-Haas 1989, 83..

    [25] Lippold 1950, 322; Salomonson 1980, 96 Anm. 170; Wrede 1991, 173.

    [26] Simon 2004, 72 f. Abb. 1-2.

    [27] Kunze 1999, 77.

    [28] Zanker 1989, 61.

    [29] Alter in der Antike 2009, 173 f.

    [30] E. Metschnikoff, Beiträge zu einer optimistischen Weltauffassung (München 1908) 9-12.

    [31] Metschnikoff a. O.

    [32] Seneca, De senectute 12, 10, zit. nach Brandt 2002, 195.

    Der Aufsatz ist erschienen in dem Buch Wamser-Krasznai: Fließende Grenzen – Zwischen Medizin, Literatur und (antiker) Kunst), Minerva Verlag, Budapest, 2015. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

     

  • Diese Gedichte wurden vorgetragen bei der BDSÄ-Jahrestagung 2015 in Bremen in der Lesung mit dem Thema „Fehler“

     

    Hymne an den Stacheldraht 

    Stacheltier, du ausgerolltes
    Borstenvieh, du ungewolltes,
    von Tyrannen festgenagelt,
    dir sei jetzt ein Lied spektakelt!

    Von dem Volk, das du umfasst,
    von dem Volke, das dich hasst,
    von dem Land, das du umringst
    und in deinen Kerker zwingst.

    Wer kann deine Stachel zählen,
    die Millionen Menschen quälen,
    die Millionen tiefe Wunden
    in das Menschenherz geschunden?

    Magst du wie ein Tiger beißen
    und die Welt in Stücke reißen.
    Magst du deine Zähne wetzen
    und uns das Gedärm zerfetzen.

    Wie bestialisch du auch bist!
    Wie der Rost dein Eisen frisst,
    frisst der Freiheitshunger auch
    dich in seinen großen Bauch.

    Blumen um die Stirn der Braut,
    Schellen um die Hand, die klaut,
    und um den Tyrannenstaat
    Stacheldraht, Stacheldraht. –

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother,  1970

     

    Heinrich Heine Herbst 1989 in Leipzig

    1. Der 9. Oktober

    Im traurigen Monat Oktober war’s,
    die Tage wurden trüber,
    Paris hört’ grad mit Feiern auf,
    da fuhr ich nach Leipzig hinüber.

    Was dort zweihundert Jahr’ vorbei,
    hier war es aktueller.
    Der eingelullte Weltenlauf
    ging plötzlich wieder schneller.

    Zwar Tyrannei, vergreist und stur,
    sprach noch mit schriller Stimme
    von 40 Jahren DDR
    voll Stolz, und auch im Grimme

    Über ein zweites deutsches Land,
    durch das ich grad gereiset,
    und wo ich mich sehr wohl befand
    und auch recht gut gespeiset.

    Da spielten Siebzigtausend dann
    am Abend Ringelreihn
    und schlossen, wie im Kinderspiel,
    die alte Staatsmacht ein.

    Viel schöne Sprüche hört’ ich sie
    im Chore laut zitieren.
    Auch auf Bettlaken standen sie.
    Ich werde sie notieren

    Und wenn ich wieder in Paris,
    daraus ein Epos machen,
    worüber hoffentlich sodann
    allhier die Leute lachen.

     

    1. Stasi

    Ja, sie sind unverkennbar froh,
    auch wenn sie noch im Drecke,
    doch ihre Fröhlichkeit verfliegt
    an jener „runden Ecke“,

    An Leipzigs Reichskanzlei, in der
    sich jene tief verschanzten,
    die als Staatssicherheit  frech auf
    des Volkes Nase tanzten.

    Hier, schwer bewaffnet, lagen sie
    der Freiheit auf der Lauer,
    rund vierzig Jahre war ihr Bau
    ein Monument der Trauer.

    Dann kam das Wunder: Tausendfach
    Kerzen in bloßen Händen
    räucherten  die Tschekisten aus,
    konnten den Spuk beenden.

     

    1. Die Elster

    Die Weiße Elster ist ein Fluss,
    einst Leipzigs Wasserstraße.
    Ihr Wasser ist jedoch ganz schwarz
    und fährt mir in die Nase.

    Hätte sie 1813 schon
    so mörderisch gestunken,
    Napoleons Heer wär’ schnell gefloh’n
    und nicht in ihr ertrunken.

    Aus Schaum war Venus einst gebor’n,
    die Muse meiner Lieder.
    In diesem Chemikalienflaum,
    ich glaub, da stirbt sie wieder.

    Im Munde knirscht’s, ich spucke aus,
    die Spucke schwimmt zur Elbe
    und schwimmt durch Ost- und Westdeutschland,
    als wär’ es schon dasselbe.

    Ja, sicher wird es das, sie zanken
    nicht mehr um eine Grenze
    im Elbelauf  bei Magdeburg,
    nein, sie wird deutsch zur Gänze.

     

    4. St. Nikolai

    Den Spott über den Kölner Dom,
    den muss ich schnell vergessen,
    seit ich am Montagabend in
    Sankt Nikolai gesessen.

    Was mir zu Köln noch Zwingburg schien,
    des Geists Bastille und Kerker –
    hier macht die Kirche Menschen frei,
    gewitzt, furchtlos und stärker.

    Nach dem Gebet begann sie hier,
    die große Prozession,
    und nahm von hier den Siegeslauf,
    die Revolution.

    Dank unsern Glaubensbrüdern, die
    Sowjetbürger beglückten,
    indem sie Bibeln tonnenweis’
    ins Erbreich Stalins schickten!

    Ihr ließet euern Opfermut
    im Westen nie erkalten
    und habet auch den Menschen hier
    manch Kirchenbau erhalten.

    Erschreckt nicht vor der neuen Pflicht,
    sie noch zu unterstützen.
    Die Leute hier bedanken sich
    mit Kommunistenwitzen.

     

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother

     

     

     

  •  

    Ein entfernter Onkel von mir plauderte gerne aus seiner Vergangenheit. Er hatte etliche Jahre als Arzt in einem Gefängniskrankenhaus gearbeitet.

    Einmal erzählte er folgende Begebenheit:

    Im Krankenhaus waren für jede Station einige Gefangene als Hilfskräfte ausgewählt, sie hatten eine Sonderstellung: Man nannte sie Kalfaktoren.

    Einer von ihnen, Walter Pingel, von Beruf Bäcker, war besonders geschickt und zuverlässig. Als er nach zwei Jahren entlassen wurde, bedauerten wir alle, dass seine Freiheitsstrafe nicht länger währte. Zum Abschied bedankte er sich sehr, denn er fühlte sich gut behandelt und er war froh, dass wir ihn im Krankenhaus behalten hatten und er nicht wieder in die Braunkohle zurück musste, wo er das erste Jahr verbüßt hatte.

    Walter Pingel, ein Mecklenburger, versprach, für unsere Station eine wunderschöne Torte zu backen und eigenhändig zum Krankenhaus zu bringen. Wir brachten unsere Freude darüber zum Ausdruck und nahmen das Versprechen als gutgemeinten Gedanken, nicht an die Verwirklichung glaubend. Aber, er war eben ein Mecklenburger. Versprochen ist versprochen.

    Drei Wochen später bekam ich telefonisch vom Wachgebäude Bescheid, dass ein Herr Pingel mit einer Torte im Karton gekommen sei und diese für unsere Abteilung abgeben wolle. Am liebsten würde er sie mir, dem Chefarzt, übergeben. Der Karton sei bereits geprüft, es sei wirklich eine Torte darin und geviertelt sei sie auch schon, um sicher zu gehen, dass in der Torte keine Feile und kein Messer versteckt seien.

    Ich gab Anweisung, Herrn Pingel in den Besucherraum zu führen und dort auf mich zu warten.

    Herr Pingel übergab mir dann mit Stolz die selbstgebackene Torte. Sie war mit Sahne ummantelt, deren Oberfläche mit Raspelschokolade bedeckt war und am Rand 16 Sahnerosetten trug, darauf jeweils eine kandierte Kirsche.

    Herr Pingel wollte sicher sehen, wie mir die Torte schmeckte und bat mich, gleich ein Stückchen zu probieren. Das wollte ich nur tun, wenn er ein Stückchen mitessen würde. Er willigte ein. Der Wachmann lehnte ab. Die Torte schmeckte fantastisch. Herr Pingel war voller Freude. Er erklärte mir, dass er sechs Eier verwendet hatte, deren Eiweiß zu Schnee geschlagen worden war. Das Eigelb hatte er mit Zucker schaumig gerührt und unter die im warmen Wasserbad geschmolzene Kuvertüre mit Butter gezogen. Die weiteren Schritte der Herstellung konnte ich mir nicht merken.

    Jedenfalls wurde der gebackene und erkaltete Biskuit waagerecht zweimal durchschnitten und mit Kirschsaft und Kirschwasser getränkt. Die Zwischenräume wurden mit Sahne ausgelegt. Verwendung fanden auch Zucker, Mehl, Speisestärke und Backpulver. Er wolle mir gerne das Rezept zusenden.

    Ich erkundigte mich nach Frau und Kindern und der Wiederaufnahme der Tätigkeit als Bäcker. Alles erschien positiv. Herr Pingel verabschiedete sich und ich ging mit den 14 Stücken  Torte zu meiner Krankenstation, wo ich ein gemeinsames Kaffeetrinken mit Torte für den Nachmittag plante.

    Als ich mein Zimmer betrat, sagte mir die Sekretärin, ich solle sofort zum ärztlichen Direktor kommen. Warum, dass wusste sie nicht.

    Der Direktor hatte inzwischen durch den Diensthabenden der Wache von der Tortenübergabe erfahren und machte mir heftige Vorwürfe, dass ich die Torte überhaupt angenommen hatte. Und das von einem ehemaligen Gefangenen! Die Torte dürfe doch auf keinen Fall gegessen werden, sie könnte doch vergiftet sein. Ich möge mir doch nur einmal vorstellen, was es bedeute, wenn das gesamte Personal meiner Abteilung, ich eingeschlossen, wegen Krankheit ausfiele oder wegen Todes ersetzt werden müsse.

    Auf meinen Einwand, dass wir die Torte ja auch den Kalfaktoren geben könnten, erwiderte er, dass es mindestens genau so schlimm sei, keine Hilfskräfte mehr zu haben. Dann müssten Pfleger und Schwestern ja alle Arbeiten allein verrichten.

    Ich wurde langsam wütend und sagte: “Dann geben Sie die Torte doch den Hunden in der Laufzone”. Der Direktor erregte sich ebenfalls: “Das wäre ja noch furchtbarer. Wissen Sie, was so ein Tier kostet und wie viel Zeit es braucht, um es abzurichten?”

    Daraufhin habe ich meinen Dienstvertrag nicht verlängert.

    Die Torte wurde in einem chemischen Labor auf Gifte untersucht und, da sie kein Gift enthielt, von den dortigen Mitarbeitern verzehrt, was ich neidvoll zur Kenntnis nehmen musste.

     

    Copyright Dr. Jürgen Rogge

    Der Text wurde vorgetragen bei der BDSÄ-Jahrestagung 2015 in Bremen in der Lesung mit dem Titel „Fehler“

     

  • (deutsche Übersetzung von Dietrich Weller im Anschluss an den Text)

    Long ago there lived a Chan Master called Xu who was on the constant pursuit of perfection. To approach perfection, second in his opinion, the utmost sense of humility was essential.

    The mountains within the Earth´s landscape are images of humility. Mountains erode to become flat plains. The slope of a mountain to the plain is the core of humility. Humility is not simply modesty but the highest virtue -mother of all virtues. There cannot be any other good quality in ones soul which does not possess the virtue of humility.

    Master Xu was fishing by the banks of his favorite river, one day. The river was flowing; the birds were singing sweetly and the fragrance of the flowers overwhelmed the air. When suddenly a horse drawn gilded carriage appeared.

    The coachman opened the door, bent down with respect, and let two men dressed in long silk robes step down from the carriage. They both bowed with reverence to the fisherman and declared: “Honorable Master Xu we have been sent from His Heavenly Excellency the Emperor to invite you to his Palace. The Emperor offers you the position of Prime Minister; the highest rank in the whole Empire. You could even live in the Palace.

    Master Xu also bowed in respect and replied: “The Almighty has the capability to create everything, yet his gentle humility seems to know when there are enough plants, animals and every other living thing. A humble being avoids excess. Living in humility I know exactly when to stop wanting. My goal in this world is to be free, so that I can meditate, listen, teach and share my wisdom with others. With a profound gratitude I accept only two bowls of rice and three cups of tea every day, offered to me by my pupils.

    Please observe my old friend the turtle over there. He pointed to an aged turtle only two paces away from him.

    Simon-Humility-Schildkröte

    According to the legend the Gods gave its forefather Gui to the ancestor of our Emperor. The Emperor gave orders to wrap this turtle in a thousand silk pieces, and to lock it alive in a golden box ornamented with precious jade. Even today one can observe the jade-box lying beside the throne.”

    Once again, Master bowed respectfully and declared:   “Most worthy Messengers, please thank His Heavenly Excellence the Emperor for the great honor, he offers me. I believe that the finest quality of man can flourish only in freedom.Those who would give up essential liberty for temporary security deserve neither liberty nor security. Modesty is the conscience of the body, and because of that, I forego this promotion. I prefer to remain a simple dressed Chan Master with a peaceful heart, instead of being a Prime Minister dressed in golden robes, and shut up for eternity in the Emperor’s Palace.”

    The messengers departed and the humble Chan Master continued to fish with a smiling face, and the turtle as a sign of approval wagged its tail …..

    Copyright für den Originaltext bei Dr. med. André Simon, andre.simon[at]hin.ch

     

    DEMUT

    übersetzt von Dietrich Weller

     

    Vor langer Zeit lebte ein Chan-Meister namens Xu, der auf der ständigen Suche nach Vollkommenheit war. Um Vollkommenheit zu erreichen, ist seiner Meinung nach Demut unerlässlich.

    Die Berge innerhalb der Erdlandschaft sind Abbilder der Demut. Der Abhang eines Berges zur Ebene ist der Kern der Demut. Demut ist nicht einfach Bescheidenheit, sondern die höchste Tugend – Mutter aller Tugenden. Es kann keine andere gute Qualität in der Seele eines Menschen geben, die nicht auch die Eigenschaft der Demut hat.

    Eines Tages angelte Meister Xu am Ufer seines Lieblingsflusses. Der Fluss strömte, die Vögel sangen süß, und der Duft der Blumen überwältigte die Luft. Da erschien plötzlich eine von Pferden gezogene vergoldete Kutsche.

    Der Kutscher öffnete die Tür, verbeugte sich mit Respekt und ließ zwei in lange Seidenroben gekleidete Männer aus der Kutsche stiegen. Sie verbeugten sich beide mit Verehrung vor dem Fischer und erklärten: „Ehrenwerter Meister Xu, wir sind von Seiner Himmlischen Exzellenz dem Kaiser abgesandt, um Sie in seinen Palast einzuladen. Der Kaiser bietet Ihnen die Stelle des Ministerpräsidenten an, den höchsten Rang im ganzen Imperium. Sie würden sogar im Palast wohnen.“

    Auch Meister Xu verbeugte sich mit Respekt und antwortete: „Der Allmächtige hat die Fähigkeit, alles zu erschaffen, seine sanfte Demut scheint sogar zu wissen, wann es genügend Pflanzen, Tiere und alle anderen Lebewesen gibt. Ein demütiges Wesen vermeidet Überfluss. Weil ich in Demut lebe, weiß ich genau, wann ich aufhören muss zu wünschen. Mein Ziel in dieser Welt ist frei zu sein, damit ich meditieren, zuhören, lehren und meine Weisheit mit anderen teilen kann. Mit großer Dankbarkeit nehme ich jeden Tag nur zwei Schalen mit Reis und drei Tassen Tee an, die mir von meinen Schülern angeboten werden.

    Bitte beobachten Sie meinen alten Freund, die Schildkröte dort.

    Simon-Humility-Schildkröte

    Er zeigte auf eine alt gewordene Schildkröte nur zwei Schritte von ihm entfernt. Nach der Legende gaben die Götter den Ahnen die Schildkröte Gui  als Vorfahr unseres Kaisers. Der Kaiser gab Anweisung, diese Schildkröte in tausend Seidenstücke einzuwickeln und sie lebendig in einen goldenen Schachtel mit kostbarer Jadeverzierung einzuschließen. Jeden Tag kann man das Jadegehäuse neben seinem Thron betrachten.

    Noch einmal verbeugte sich Meister XU respektvoll und erklärte: „Ehrenwerte Botschafter, bitte danken Sie Seiner Himmlischen Exzellenz dem Kaiser für die große Ehre, die er mir anbietet. Ich glaube, dass die schönste Qualität des Menschen nur in Freiheit blühen kann. Jene, die unabdingbar nötige Freiheit für zeitbegrenzte Sicherheit aufgeben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit. Bescheidenheit ist das Gewissen des Körpers, und deshalb verzichte auf die Beförderung. Ich ziehe es vor, ein einfach gekleideter Chan-Meister mit einem friedlichen Herzen zu bleiben, statt ein Ministerpräsident zu sein, der in goldene Roben gekleidet und für die Ewigkeit im Kaiserpalast eingeschlossen ist!“

    Die Botschafter reisen ab, und der demütige Chan-Meister angelte weiter mit lächelndem Gesicht, und die Schildkröte wedelte bestätigend mit ihrem Schwanz …

    Bemerkung des Übersetzers:    
    Chan ist eine in China ab 5. Jahrhundert entstandene Strömung und ab dem 12. Jahrhundert auch nach Japan gelangt .Es ist ein Zustand meditativer Versenkung.

    Copyright für die Übersetzung bei Dr. Dietrich Weller

  • Die Darstellung echter Krankheitszeichen bei antiken Bildwerken ist eine Rarität, lange nicht so häufig, wie wir Ärzte, Medizinhistoriker und manchmal auch Archäologen mit unserer retrospektiven Diagnostik es gern hätten. Gleichwohl begegnen uns gelegentlich Darstellungen, die wir vorsichtshalber nicht pathologische Befunde, sondern

    1. Abweichungen von der Norm

    nennen wollen. Da gibt es die

    a. numerische Aberration, also eine quantitative Abweichung von der Norm.

    Wamser-Krasznik Linker Vorfuß Abb 1

                                  Abb. 1  Linker Vorfuß, Corvaro/Latium, 3./2. Jh. v. Chr.

    (nach L. Capasso 1999, 31 Abb. E 0.2)

    Hier ist ein Fuß mit sechs Zehen wiedergegeben. Hat der Koroplast (Tonbildner) wirklich eine Polydaktylie darstellen wollen[1], oder handelt es sich um ein Versehen, eine Unachtsamkeit des Kunsthandwerkers? Liegen rituelle Gründe vor? Haben wir es mit dem  Fragment einer Figur oder eines Votivfußes zu tun? Viele offene Fragen!

    Etwas anders liegt der Fall bei einem Fuß aus Praeneste, dem heutigen Palestrina. Die überzählige sechste Zehe ist deutlich kürzer und offenbar nicht vollständig von der fünften getrennt. Man gewinnt den Eindruck, daß es dem Koroplasten, der etwas Ähnliches aus eigener Anschauung am Lebenden gekannt haben mag, tatsächlich um die Darstellung einer Normabweichung ging.

    Wamser-Kraszinik Preneste Abb 2

    Abb. 2  Praeneste/Palestrina, frühe römische Kaiserzeit

    (nach M. Grmek – D. Gourevitch 1998, 289 f. Abb. 227)

    Noch weniger häufig ist die

    b. qualitative Aberration.

    Ein um 2000 v. Chr. auf Kreta entstandenes Terrakottafigürchen zeigt eine  beträchtliche Umfangsvermehrung des linken Beines.

    Wamser-Krasznik Lipödem Abb.3

    Abb. 3 Lipoedem (?) aus einem Höhenheiligtum auf Kreta, um  2000 v. Chr.

    (nach M. Grmek – D. Gourevitch 1998, 293 Abb. 230)

    Offensichtlich ist die Veränderung einseitig. Man denkt an ein Krankheitsbild aus dem Umkreis Lymphoedem, Lipoedem, Elephanthiasis, Papillomatosis cutis lymphostatica, die allerdings an den Beinen häufiger doppelseitig auftreten. So läßt sich denn auch ein „Ausreißer“, eine Fehlform, wie sie in jeder Werkstatt passieren können, nicht völlig ausschließen.

    Im 7. Jh. v. Chr. konnten die Pferdemenschen, Kentauren, sowohl mit männlichen als auch mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen dargestellt werden; nicht als Dokumentation eines hermaphroditischen Irrwegs der Natur, sondern als Ausdruck des Dämonischen, das all diesen Mischwesen innewohnt.

    Wamser-Krasznik Pferdemensch Abb 4

    Abb. 4  Ayia Irini/ Zypern 7. Jh. v. Chr.  Meddelhavsmuseet Stockholm

    (nach V. Karageorghis 2003, 164 f. Nr. 190)

    2. Abstraktionen und Stilisierungen

    Naturgetreue Formen können landschaftsspezifisch abstrahiert oder zeitbedingt stilisiert sein. Den bewußten Abweichungen von der physiologischen Anatomie des Menschen kommt bisweilen nicht der geringste Krankheitswert zu. Die Angabe eines zusätzlichen vierten Gliedes am fünften Finger ist durchaus nicht als pathologisch zu verstehen, sondern als eine

    a. spezifisch regionale Gestaltungsweise[2].

    Man bediente sich ihrer bei den Kouroi, überlebensgroßen marmornen Jünglingsfiguren archaischer Zeit, und zwar ausschließlich in der Landschaft Attika. Streng parallel und ganz naturwidrig liegen die Finger nebeneinander. Es ist eine reine Kunstform.

    Wamser-Krasznik Sunion Abb 5

    Abb. 5  Sunion, Kuros A , frühes 6. Jh. v. Chr. (nach W. Martini 1990, 130 Abb. 37)

    Auch andere Körperteile hat man vorsätzlich verändert, abstrahiert. Die Ohrmuschel des  Kouros A ist vollkommen vertikal gegeben, mit ornamentalen Windungen, parallel verlaufender Helix und Anthelix und einem übergroßen kugelrunden Tragus[3].

    Wamser-Krasznik Sunion Abb 6

    Abb. 6  Sunion, Kuros A , frühes 6. Jh. v. Chr. (nach W. Martini 1990, 18. 204 Abb. 3

    b. zeitgebundene Stilisierung

    Nicht auf Attika beschränkt ist die Vermehrung der naturgegebenen vier Abdominalmuskel-Kompartimente auf sechs bei archaischen Männerfiguren. Beim attischen Kuros A von Sounion wirkt die lineare Sechsteilung der Bauchwand vollkommen graphisch.

    Wamser Krasznik Sunion Abb 7

    Abb. 7   Sounion, Kouros A, frühes 6. Jh. v. Chr. (nach W. Martini 1990, 118 f. Abb. 34) 

    Dagegen stellt der Koroplast aus einer Werkstatt in Tarent (Westgriechenland) die sechs Kompartimente des geraden Bauchmuskels als plastisch gewölbte, durch tiefe Einziehungen von einander abgesetzte, ‚Kissen‘ dar.

    Wamser-Krasznik Tarentiner Symposiast Abb 8

    Abb. 8  Tarentiner Symposiast, Neapel (nach A. Levi 1924, 26 f. Abb. 28)

    Die ebenfalls noch in archaischer Zeit entstandene Terrakottafigur zeigt einen Symposiasten, einen zum Bankett gelagerten jungen Mann[4].

    Mehr als eine Generation später, in klassischer Zeit, halten sich die Skulpteure eher an die anatomischen Gegebenheiten. Eine römische Kopie der um 440/430 v. Chr. geschaffenen Statue des Diomedes lässt das Relief der vorderen Bauchwand mit den vier durch Faserplatten verbundenen Kompartimenten des Musculus rectus abdominalis erkennen.

    Wamser KRasznik Statue Abb 9

    Abb. 9   Statue ca. 440 v. Chr. (nach A. Benninghoff – K. Goerttler 1957, 162 Abb. 102)

    Der Kuriosität halber folgen einige Beispiele von retrospektiven Diagnosen, die nur als

    3. Fehlinterpretationen bezeichnet werden können.

    Wamser Krasznik Reibfinger Abb 10

    Abb. 10  Reibfinger aus Marmor (nach E. Holländer 1912, 306 f. Abb. 198)

    Die Beugestellung des Fingers verlockt dazu, an eine Kontraktur des Mittelgelenks oder an einen schnappenden Finger, digitus saltans, zu denken. Doch sind diese beiden Krankheitsbilder nicht gravierend und nicht häufig genug, um eine solche Fülle von Darstellungen erwarten zu lassen wie die Ausgrabungen im gesamten Mittelmeerraum ergaben. Mitfunde von Reibschalen unterstützen die Deutung als Reibfinger, eine Art von kleinen Mörserkeulen, in der „üblichen, einem gebogenen Daumen ähnlichen“ Form[5]. Sie bestehen aus Basalt, Marmor oder Kalkstein und wurden zum Reiben von Salben, Schminke und dergleichen verwendet.

                                                  

     Abb. 11   Terrakottafigur aus Ayia Irini/Zypern, Anf. 6. Jh. v. Chr.

    (nach V. Karageorghis 1993, 27 Nr. 66 Taf. 18, 1) 

    Für einen angehenden Unfallchirurgen ist es gewiss verlockend, in der zyprischen Männerstatue einen Soldaten zu sehen, „der seinen gebrochenen Arm mittels eines Bandes um den Hals in rechtwinkliger Beugung im Ellenbogengelenk hält, wobei der Unterarm in einer Mittelstellung zwischen Pronation und Supination steht“[6]. Dieser „Soldat“ ist jedoch kein Einzel-‚Fall‘. Er gehört zur großen Gruppe männlicher Gewandfiguren aus Kalkstein oder Ton, die auf Zypern seit der Mitte des 7. Jhs. und im 6. Jh. v. Chr. in Heiligtümer geweiht wurden[7]. Für das Motiv des gebeugt eingehüllten rechten Armes, verbunden mit dem Gestus der zur Faust geballten Hand hat man bisher noch keine wirklich überzeugende Deutung gefunden[8]. Die Interpretation als Gebets- oder Verehrungsgestus[9] kann schon deshalb nicht völlig befriedigen, weil es auch männliche Statuen mit dem traditionellen Gruß- oder Gebetsgestus gibt, nämlich dem erhobenen rechten Unterarm und der nach vorn gerichteten offenen Hand[10].

    Einen besonders reizvollen ‚Fall‘ versuchte man in die „Statue eines jungen, bildschönen armverletzten römischen Mädchens“ hineinzudeuten[11]. Doch der Mantelbausch, der den linken Arm umhüllt, sollte nicht als Armtragetuch mißverstanden werden. Es handelt sich vielmehr um ein Gewandmotiv, das die jugendliche Anmut und die kokette Haltung des sitzenden  Mädchens vom Kapitol wirkungsvoll unterstreicht.

    Wamser Krasznik Sitzendes Mädchen Abb 12 

                   Abb. 12   Sitzendes Mädchen, Rom, Kapitolinische Museen, Anf. 3. Jh. v. Chr.

    (nach Bulle 1922, 123 Abb. 171)

    Bildnachweis und abgekürzt zitierte Literatur:

    Benninghoff – Goerttler 1954: A. Benninghoff – K. Goerttler, Lehrbuch der Anatomie des Menschen 1 (München – Berlin – Wien 1957) Abb. 9

    Bulle 1922: H. Bulle, Der schöne Mensch im Altertum (München 1922) Abb. 12

    Capasso 1999: L. Capasso, Le terrecotte votive come fonti di informazioni paleopatologiche, in: G. Baggieri (Hrsg.), „Speranza e sofferenza“ nei votivi anatomici dell’Antichità  (Rom 1999)  Abb. 1

    Grmek – Gourevitch 1998: M. Grmek – D. Gourevitch, Les maladies dans l’art antique (Poitiers 1998) Abb. 2 und 3

    Holländer 1912: E. Holländer, Plastik und Medizin (Stuttgart 1912) Abb. 10

    Karageorghis 1993: V. Karageorghis, The Coroplastic Art of Ancient Cyprus III (Nicosia 1993) Abb. 11

    Karageorghis 2003: V. Karageorghis, The Cyprus Collections in the Medelhavsmuseet (Nicosia 2003) Abb. 4

    Levi 1924: A. Levi, Le Terrecotte figurate del Museo Nazionale di Napoli (Florenz 1924) Abb. 8

    W. Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) Abb. 5-7

    Mylonas 2003: D. Mylonas, Ikonographie und Typologie der kyprischen archaischen Kalksteinplastik, in: V. Karageorghis – S. Rogge (Hrsg.), Junge zyprische Archäologie (Münster – New York – München – Berlin 2003) 51-71

    Papaxenopoulos 1981: A. Papaxenopoulos, Zypriotische Medizin in der Antike, Diss. Universität Würzburg 1981

    Schadewaldt u. a. 1966: H. Schadewaldt – L. Binet – Ch. Maillant – I. Veith, Kunst und Medizin (Köln 1966) 64 f.

    Schmidt 1968: G. Schmidt, Kyprische Bildwerke aus dem Heraion von Samos (Bonn 1968)

    Senff 1993: R. Senff, Das Apollonheiligtum von Idalion (Jonsered 1993)

    Wamser-Krasznai 2013: W. Wamser-Krasznai, Für Götter gelagert. Studien zu Typen und Deutung Tarentiner Symposiasten (Budapest  2013)

    Wiegand – Schrader 1904: Th. Wiegand – H. Schrader, Priene (Berlin 1904



    [1] Capasso 1999, 31 Abb. E 0.2.

    [2] W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990) 130. 203 f. Abb. 37.

    [3] Martini 1990, 204.

    [4] Levi 1924, 26 f. Abb. 28; Wamser-Krasznai 2013, 182 Nr. 437 Abb. 83.

    [5] Wiegand – Schrader 1904, 393.

    [6] Papaxenopoulos 1981, 21 f. Abb. 1.

    [7] Senff 1993, 25. 30  Taf. 3 f. 51 d-f.

    [8] […] „verschiedene kultische Gesten, die sich seit frühesten Zeiten herauskristalisiert haben […] Die Armhaltung […] ist als bestimmter religiöser Gestus zu definieren“ […], Mylonas 2003, 54 f.; […] Der Gestus […] „einer dienenden Bereitschaft“, Schmidt 1968, 103; […] „der rechte (Arm) in einer Mantelschlaufe mit geballter Faust vor die Brust genommen“ […] Senff 1993.

    [9] Senff 1993, 25 Anm. 204.

    [10] Senff 1993, 34 Taf. 12 g-i und 13 e-g.

    [11] H. Schadewaldt – L. Binet – Ch. Maillant – I. Veith, Kunst und Medizin (Köln 1966) 64 f. Abb. 46, fälschlich  „Vatikan.  Museen“.

    Copyright Frau Dr. Dr. Waltrud Wamser-Krasznai

  • Endlich ist mir jemand begegnet, dem ich meine Schuldgefühle anvertrauen kann. Ich dachte, ich könne nie darüber sprechen, der Schmerz sei einfach zu stark. Doch der Schmerz darüber, dass die Welt weiterhin Jahr für Jahr, Jahrhundert für Jahrhundert, inzwischen sogar Jahrtausende lang meinem Geliebten Unrecht tut, ist noch größer, noch unerträglicher geworden. Ich weiß nicht, was mich trösten könnte. Vielleicht die Töne seiner Leier, die wie erfrischender Regen niedertropfen und manchmal aufsteigen wie Nebel in der Morgensonne. Aber er spielt nicht mehr. Zumindest nicht für mich. Zumindest hör ich es nicht. Bleibt nur das Geständnis meiner Schuld. Vielleicht tröstet es mich. Etwas. Der Versuch ist die Mühe Wert.

    Ich wurde gewaltsam geraubt, verschleppt ins Reich der Unterwelt. Weil ich keinen einzigen Granatapfelkern aß (schließlich kannte auch ich Persephones Geschichte) konnte ich weiterhin meiner Liebe treu bleiben, ich wurde kein Schatten unter den Schatten, der Herr der Unterwelt hatte nur bedingt Macht über mich. Aber in meine Welt zurückkehren konnte ich auch nicht.

    Orpheus’ Musik drang nicht zu mir in die Tiefe, so konnte ich sie nicht hören, aber ich hörte, wie man sich von seiner Musik erzählte. Seit er seine Trauer um mich durch die Musik ausdrückte, war sie wohl noch beeindruckender geworden. Felsen, Bäume und Tiere weinten mit ihm (oder statt seiner?), sie folgten ihm wie einer Trauerprozession. Und dann fand er den Eingang in dieses Reich, man wehrte ihm den Zugang nicht. Wahrscheinlich war man begierig darauf, seine Musik hier zu hören. Sie wandelte sich. Seine Musik – seine Trauermusik, seine Klagelieder – wandelte sich in fröhliche Musik, zu der man sich bewegen musste, sich drehen, wiegen, hüpfen, springen. Alle Schatten begannen zu tanzen. Licht entströmte den Tönen, den Saiten, seinen Fingern und floss ins Dunkel, wie ein gerade entsprungener Quell. Da wurde mir erlaubt, ihm zu folgen. Eine Bedingung gab es… ich hörte sie und hatte sie gleich wieder vergessen, vor Glück, ihm folgen zu dürfen. Ich meine, wir sollten nicht miteinander reden und auf unserem Weg nach oben nicht innehalten.

    Ich folgte ihm, was nicht leicht war, denn die Schatten legten sich wie Nebel zwischen uns auf den Weg, der ja keiner war, gerade entstanden unter Orpheus’ Tritten. Und im Dunkel schien er meinen Augen zu entschwinden. Ich eilte, denn ich wusste, wenn ich ihn nicht mehr sah, gab es für mich keinen Weg mehr, dann hätte der Gebieter der Unterwelt wieder Macht über mich. Vielleicht mehr als zuvor. Wieder und wieder entschwand Orpheus meinen Blicken, ganz klein war er schon durch die Entfernung geworden, Angst schnürte mir von neuem die Kehle zu, nahm mir die Luft zum Atmen, die ich gerade wieder zu spüren begann. Da rief ich seinen Namen: „Orpheuuus!“ und bittend fügte ich hinzu: „Warte auf mich“. Erschrocken blickte er sich um zu mir … im selben Moment waren wir unseren Blicken entschwunden, die Unterwelt hatte mich wieder.

    Seit dem habe ich ihn nie mehr gesehen, nie mehr seine Musik gehört. Hätte er sich nicht mach mir umdrehen sollen? Aber ich musste ihn rufen …

    Eurydikes Ruf, Eurydikes Klage… hören sie wir nicht manchmal ganz leise? In hellen Vollmondnächten? Im Dunkel des wolkenbedeckten Himmels? Im Schweifen der Nebel? In unserem eigenen Innern, wenn wir lieben und eine Ahnung vom ewigen Sein uns erfüllt?

    Eurydikes Klage… verstummt sie jetzt, wenn wir von ihrer Schuld wissen? Wer kann ihr verzeihen denn Orpheus kann es nicht mehr. Oder… muss sie ihn wieder rufen, denn sie weiß so wenig wie wir, wo er ist.

    Copyright Dr. Helga Thomas

    Dieser Text wurde beim BDSÄ-Jahreskongress zum Thema „Kommen und Gehen“ vorgetragen

  •  

    Es geht ein Geheimnis um den Sevan-See, den großen hoch gelegenen See in Armenien. Dunkle Wolken, die sich regenbeladen von den steilen Uferklippen auf das Wasser stürzen und sich dort in fahle Nebel, später dann in ein milchiges Grau und schweifende Geisterschwaden auflösen, sind die Zeichen dieses nur dem Kundigen sich offenbarenden Geheimnisses.

    Auch im Sommer, wenn die Sonne in der Höhenluft brennt und die Schrecken bringenden aber auch so erschreckbaren Geister in ihre unterirdischen, direkt über dem Seespiegel liegenden Höhlen scheinbar eingeschlossen und zum Schlafen verdammt hat, auch die Sonne kann sie nicht im Zaum halten. Immer wieder entwinden sie sich dem wärmenden Zwang des Lichtes und entlassen ihre tanzenden Schemen an den Ufern des Sees zumeist auf der östlichen Seite, der untergehenden Sonne zugewandt, in die Freiheit des weit ausladenden Sees.

    Die Fischer kennen diese Geister und ihre Geheimnisse. Es sind ihre Geheimnisse, und sie reichen tief in die Seele ihres Volkes zurück. Sie sind Zeugen aus der Vergangenheit, vor allem aber, so berichtet der Fischer Armen Bagdalyan, sind sie Zeugen für die Zukunft. Die ungeheimnisvollen Menschen denken zwar, sie seien nur Zeugen aus der Vergangenheit. Sie würden nur berichten über wundersame Ereignisse, unglaubhaft wahr, mit Gutem und Bösem verknüpft. Sie seien vor allem fröhlich wie ein wackelnder Hammelhintern, dem sein blökender Widderkopf abhanden gekommen ist. Oder sie seien so traurig, wenn sie über die Unfähigkeit der Seenixen nachdenken, deren Liebster an der Unvollkommenheit ihres Beinersatzes verzweifelte.

    Das ist zwar alles wahrheitsgemäß und unwiderlegbar dokumentiert, ergänzte Armen Bagdalyan, aber es sei auf keinen Fall das Wesentliche. Natürlich, im Prinzip ja, auf der Vergangenheit baue sich alles auf und ohne sie gäbe es ihn, den Fischer Armen Bagdalyan, wahrscheinlich nicht, aber, und hier liegt eben das Geheimnis des Sevan-Sees, seine Gegenwart sei ohne das Einwirken der Geheimnisse auf die Zukunft überhaupt nicht möglich. Geheimnisse wirken immer auf die Zukunft, erklärte er verschmitzt, denn ohne Zukunft gibt es keine Geheimnisse. Und schon gar nicht die des Sevan-Sees.

    Wenn ich so über das Gespräch mit dem Fischer Armen Bagdalyan nachdenke und mich erneut in die Gegebenheit vertiefe, bin ich der Meinung, dass ich zunächst den Fischer Armen Badgalyan vorstellen sollte.

    Armen Bagdalyan war eigentlich ein hagerer, hoch gewachsener Mann mit tiefschwarzen Haaren und kräftigen Oberarmmuskeln. Im Laufe seines Lebens, er war zum Zeitpunkt meines Gespräches mindestens fünfundsechzig Jahre alt, hatte er an Leibesfülle und Gewicht sowohl in körperlicher als auch gesellschaftlicher Hinsicht deutlich zugenommen, ganz im Gegensatz zu seiner ehemaligen Haaresfülle, die sich eindeutig sichtbar den Erntebemühungen des Alterns unterworfen hatte. Seine kräftige Stirn lag nun entblößt und trotzig frei, eine lange bogenartig gekrümmte Nase schützte sie vor allzu aufdringlichen Anstößen, denen er sich, da er ein freier und wilder Mann war, häufig ausgesetzt fühlte. Ein breiter Oberlippenbart, der jedoch Kinn und Wangen frei ließ, gab ihm zusätzlich ein geheimnisvolles Aussehen, das er auch gewinnbringend einzusetzen wusste, wie wir gleich berichten werden, und das er zudem sichtlich genoss.

    Armen Bagdalyan war der Sohn eines Fischers, und dieser wiederum der Sohn eines Fischers, und dieser ebenso der Sohn eines Fischers. Diese Sohn – Fischer Kette reicht, soweit wir den leider nicht mehr einsehbaren schriftlichen Quellen entnehmen können, weit in die Vergangenheit zurück, mindestens bis in das groß – armenische Reich, dessen Hauptstadt allerdings in Tiflis in Georgien lag, wahrscheinlich aber zurück bis zu der großen Flut, die als ewige Erinnerung an den Zorn Gottes den Sevan-See als „noch nicht in China“ gefertigtes Souvenir für alle reiselustigen Menschen den Sevan-See Fischern, allen voran Armen Bagdalyan als Vorbild, ewige Mahnung an das Böse, als Nahrungsquelle und als Grundlage einer jeglichen, überhaupt möglichen menschlichen Gedankenwelt diente.

    Die auf den Fischer Armen Bagdalyan zurückzuführende Geschichte beruht zumindest im Prinzip, wahrscheinlich aber in Allem auf den frühesten Erkenntnissen der Sevan-Fischer, wenn nicht sogar aller Urmenschen.

    „Bedenken Sie, dass alles, was ich Ihnen zu berichten habe, aus der Urzeit meiner Vorfahren stammt. Genau so, wie die Chinesische Medizin, die abgeleitet von den im Prinzip aus Armenien importierten heute natürlich nicht mehr aktuellen Darstellungen des Aufbaus unseres menschlichen Körpers bis hin zur Akupunktur, Homöopathie und allgemeine Schlangen und Kröten Medizin sich vor Jahrtausenden entwickelte. Zwar waren damals eine Injektion, eine Blutuntersuchung oder gar eine Darmspiegelung aufgrund der allgegenwärtigen Geister und Feen Gestalten nicht durchführbar, das ändert aber gar nichts an der Wirkung der durch die Jahrtausende sich teilweise gewaltsam teilweise auch von tiefreligiösen Gläubigen in unsere jetzige Welt getragenen chemischen Eigenschaften von halb angedauten und in anregend duftende Tinkturen eingelegten Kriechtierleichen“.

    „Bedenken Sie weiter, dass hier, am Sevan-See, schon vor tausenden von Jahren Menschen siedelten, die sich intensiv um die Fortentwicklung ihrer Nachbarn kümmerten und sie mit ihren bronzenen Pfeilspitzen so sehr am Gesäß und vielleicht auch an anderen Körperstellen kitzelten, dass sie vor Lachen sich nicht mehr wehren konnten und sich freudig unseren damals mächtigen Herrschern unterwarfen.

    Das steht alles niedergeschrieben in der Felsinschrift von Zowinar, hier, am südlichen Ufer unseres so berühmten Sevan-Sees. Wer hat diese Inschrift verfasst? Natürlich unser allseits berühmter König Rusa, von dem, Sie wollen es glauben oder nicht, noch heute so umfangreich geredet wird. Denken Sie nur an Russland und an die vielen Russen, deren Namen sich zwar von unserem berühmten Vorfahren ableitet, die aber, ich muss es leider so deutlich sagen, von unserem berühmten Rusa, dem Sohn des noch berühmteren Sarduri, der sich in der vollkommen anders gestalteten, aber nicht weniger herausragenden Insel Sardinien mit den dicht gepackten Sardinen zusätzlich verewigt hat, – bis auf seine armenienhaft übertreibende, die Jahrhunderte überdauernde Keilschrift – nichts hinzu gelernt haben.

    Davon jedoch wollen wir jetzt nicht reden. Das ist bereits armenischer Alltag, zumindest im Prinzip und, wie jeder vernünftige und auch unwissende Mensch sich vorstellen kann, von wesentlichem Einfluss auf den Ablauf einer jeden und allgegenwärtigen Geschichte, sei sie nun heute wirklich, in der Zukunft phantasievoll, oder in der Vergangenheit märchenhaft gewesen.“

    „Versuchen wir bis auf den tiefsten Grund des Sevan-Sees zu schauen und uns vorzustellen, was dort eigentlich zu erspähen und zu erkennen ist. Ich sage Ihnen bei allem Respekt: Gar nichts! Jedenfalls nichts, das wir mit nacktem Auge in der Dunkelheit am Grund des Sevan-Sees sehen können.“

    Ich saß mit Armen Bagdalyan, dem Fischer, in einer kleinen, aber sympathisch schmucken Gaststätte am Rand des Sevan-Sees und schaute ihm neugierig in die braunen, überzeugend wachen Augen. Dann auf den graublauen See, dessen Steilhänge am gegenüber liegenden Ufer von einem herabsinkenden Nebelvorhang verdeckt waren. Wir aßen frisch gefangene und über einem Holzkohlenfeuer gegrillte Forellen. Sie schmeckten herrlich.

    „Wer von Euch westlichen Europäern, von Euch erfolgsverwöhnten und vom Schicksal so begünstigten Menschen, die Ihr nicht die Nähe des Himmels in den Kaukasusbergen, noch die Reife der Früchte in seinen Tälern oder gar die Freude der Fische, besonders die der Forellen in seinen Seen und Bächen kennt oder gar erfahren habt, kann schon auf den Grund des Sevan-Sees schauen oder dort gar den Sinn des Schicksals entdecken?

    Sieh auf die Oberfläche des Sees, sein leicht gekräuseltes Wasser, das sanft und doch fest unter den eigentlich niemals ruhenden, nie aus nur einer Richtung heran eilenden und häufig zornentbrannt wütenden Winden dahin gleitet. Seine Oberfläche bedeutet die Grenze zwischen Leben und Sein, zwischen Wissen und Glauben, Himmel und Hölle. Oder, wie wir in Armenien sagen, zwischen dem Prinzip und der Wirklichkeit.“

    „Lieber Armen“, sagte ich verwirrt, „bei allem Respekt, das verstehe ich nicht. Was haben Himmel und Hölle, Glauben und Wissen, mit Prinzip und Wirklichkeit, oder gar mit der Oberfläche Eures so wunderbaren Sevan-Sees zu tun? Hier haben Eure Vorfahren oder zumindest ein Teil Eurer Vorfahren gelebt, von hieraus haben sie andere Völker unterworfen, sich auch von anderen Völkern wie den Persern oder Assyrern unterwerfen lassen, hier hat der technische Wahn des modernen Kommunismus eine wunderbare Natur fast vollständig getötet, hat der verschwenderische und unbedachtsam grenzenlose Verbrauch des Wassers für Energieerzeugung und die Bewässerung der Felder den Wasserspiegel um zwanzig Meter gesenkt, ja, das alles ist wahr und einwandfrei dokumentiert.

    Aber die Grenze zwischen dem Sevan-See und seiner Umgebung, sei es nun der sanft abfallende Strand an der westlichen oder die Steilküste an  der östliche Seite oder sei es die Luft an der Wasseroberfläche bedeuten doch noch lange nicht eine Grenze zwischen Glauben und Wissen, Leben und Sein, Prinzip und Wirklichkeit. Und falls dennoch, auf welcher Seite liegen denn Leben, Wissen oder Himmel, und auf welcher Seite Sein, Glauben oder Hölle?“

    Armen lächelte und sagte vergnügt: „Siehst du, deine Fragen sind schon ein Hinweis, wenn nicht gar ein Beweis für die Richtigkeit meiner Aussage: Zum einen erkennst du, nicht nur im Prinzip, sondern auch in der Wirklichkeit die Grenze zwischen dem Wasser und seiner Umgebung, sei es nun Land oder Luft an.“

    „Aber das ist doch selbstverständlich. Ich wäre ein Narr, wenn ich diese Grenze nicht sehen und mich danach richten würde.“

    „Genau. Wenn du sie nicht sehen und nicht beachten würdest, dann wärest du längst in den Sevan-See hineingefallen und trotz all deiner hervorragenden Schwimmkünsten schon ertrunken oder würdest zappelnd um Hilfe schreien! Du kämst gar nicht heraus aus dem See, da du seine Grenze und das rettende Ufer nicht erkennen würdest!“

    „Ja, und? Das erklärt doch noch lange nicht, was die Sevan-Seegrenzen mit Glauben und Wissen und all den anderen Dingen zu tun haben“, wandte ich siegessicher ein.

    Armen lächelte erneut verschmitzt und einladend: „Du hast eben zugegeben, dass der Sevan-See seine Grenzen hat. Niemand wird das bestreiten. Auch du hast das gesagt. Nun, zwischen Glauben und Wissen ist auch eine Grenze. Genauso wie zwischen Himmel und Hölle, oder Prinzip und Wirklichkeit.“

    „Ja, aber, auf welcher Seite liegen denn nun Prinzip oder Wirklichkeit, Glauben oder Wissen? Über oder unter beziehungsweise genauer im Wasser?“ fragte ich immer noch siegessiecher.

    „Das kommt eben darauf an, wer die Frage stellt, oder von welcher Seite aus man die Dinge betrachtet“, kam die mich vernichtende Antwort.

    Ich erkannte, dass ich hierauf keine rettende Erwiderung geben konnte. Es war wie bei einem Schachspiel: Im Prinzip hatte ich gewonnen, in der Wirklichkeit war ich verloren. Das stand eigentlich schon bei Beginn oder nach dem ersten Zug des Spiels fest.

    Ich ergab mich meinem Schicksal und meinte kleinlaut: „Wir hier, die wir in der Luft atmen, leben in der Wirklichkeit, mit unserem Wissen, in unserem Sein. Die Fische atmen im Wasser. Sie leben dort in ihrer Wirklichkeit, mit ihrem Wissen und in ihrem Sein. Wir, oder du als Fischer, du kannst sie nur fangen, wenn du glaubst, dass sie sich dort aufhalten, wo du deine Netze auswirfst. Wenn sie dort sind, wo du es glaubst, dann wirst du sie fangen. Sind sie nicht dort, dann hast du falsch geglaubt und du fängst nichts. Das meinst du doch?“

    Er lächelte wieder hintergründig und wie ein persischer Teppichhändler, der nach erfolgreichem Handel über den Verkaufspreis eines handgewebten Teppichs noch einen kleinen zusätzlichen Gewinn erzielen möchte: „Im Prinzip hast du verstanden, was ich meine. Aber eigentlich nur im Prinzip. Denn, man kann die Dinge auch umdrehen, und dann stimmt all das wieder nicht so genau: Wenn ich nichts gefangen und trotzdem geglaubt habe, dass sich die Fische dort aufgehalten haben, dann darf ich nicht daraus schließen, dass ich falsch geglaubt habe. Es kann sein, dass die Fische vor dem Netz sich gefürchtet und versteckt haben, es kann sein, dass sich mein Netz, das Werkzeug meines Glaubens, nicht richtig gespannt hatte, es kann sein, dass die Fische von einem großen Raubfisch verjagt wurden, es kann so vieles sein. Vielleicht haben die Fische auch gelernt, sich sofort von dem ins Wasser klatschen Netz fern zu halten, obwohl sie genau dort geschwommen sind“.

    „Da habe ich es wieder“, dachte ich ein wenig erzürnt. „Man kann diesen armenischen Burschen einfach nicht beikommen. Selbst wenn sie zugeben, dass man Recht hat, so empfindet man das als Niederlage. So ist das eben mit dem Prinzip des Radio Eriwan“.

    Aber böse im eigentlichen Sinn war ich nicht. Dazu waren das Essen viel zu schmackhaft, der See zu einladend und friedlich, die Stimmung zu abendlich und ausruhend.

    „Für die Fische ist das Wasser keine Glaubens Angelegenheit, so wie es das für den Fischer ist“, meinte ich nachdenklich. „Sie glauben eher an etwas, das außerhalb, also oberhalb des Wassers ist, an etwas, das wir in unserer Welt nicht mehr als Glauben, sondern als Wirklichkeit ansehen. Vielleicht springen sie deshalb manchmal aus dem Wasser, um nachzusehen, was in ihrer Glaubenswelt  geschieht. Ob sie Recht mit ihrem Glauben haben. Ob ihr Gott zürnt, oder ob das Unheil, du, der Fischer, schon nach ihnen jagt.“

    „Hm,“ meinte Armen. „Hm. Sie springen zumeist dann aus dem Wasser, wenn, so wie jetzt, da, schau an die Ostwand, sich der Nebel von den Berggipfeln löst und zum See hinunter kriecht. Das ist ein böses Zeichen. Es kündigt Sturm und Kälte an. Nicht nur für den See, nicht nur für die Fische, die sich, sobald sie den kriechenden Nebel in ihrer Glaubenswelt bemerkt haben, zum Grund des Sevan-Sees flüchten. Auch für die Menschen, wie mir mein Großvater, der es von seinem Vater erfahren und mir berichtet hat, auch für die Menschen war und ist  es eine Vorwarnung auf das wirklich Böse, das Allvernichtende, das vom Menschen dem Menschen zugefügte Unheil.

    Denn so erzählte mein Großvater:

    Der Sevan-See ist ein Spiegel unserer Seele. Er lacht und tanzt. Er berichtet von den herrlichen Taten unserer Vorfahren. Er leidet unter unserer Gegenwart. Ihm graut vor der Zukunft, und er singt mit den tiefen Stimmen unserer Mönche und Priester. Vor vielen tausend Jahren, im Land Quihu, lebte einst einer unserer Vorfahren. Er war ein Fischer so wie mein Urgroßvater, mein Großvater,  dein Vater und auch ich. Er liebte den See und hatte mit ihm ein so enges Bündnis geschlossen, dass der Sevan-See, der unberechenbare und jähzornige See ihn in sein Vertrauen zog und ihm sagte:

    „Du, Simon Bagdalyan, du lebst auf und von mir. Ich respektiere dich, denn du bist freundlich, singst auch bei wütenden Stürmen deine Lieder und nimmst Rücksicht auf die Glaubenswelt meiner Fische.

    Höre mir genau zu, was ich dir jetzt sagen werde. Höre mir genau zu. Es ist die Gnade unseres Allmächtigen, der mir erlaubt, dir zu sagen, was sonst keine Sterblichen  erfahren dürfen: es wird ein großes Unheil über das armenische Volk hereinbrechen, ein unabwendbares und schreckliches Unheil. Ein Verbrechen von Menschen an Euch Menschen, an Euch, die Ihr hier friedlich und gottesfürchtig an meinen Ufern lebt.

    So sagt der zürnende Gott: Ich werde mein Volk, das geliebte armenische Volk der Prüfung durch die Ungläubigen aussetzen. Nicht, dass ich meine lieben Gläubigen fallen oder im Stich lassen werde. Aber, ich muss im Prinzip wissen, was meine Gläubigen von den Ungläubigen unterscheidet.

    Sind die Ungläubigen wirklich so grausam und menschliche Teufel, wie es meine Jünger behaupten? Werden meine gläubigen Schafe sich brav und dem Schicksal ergeben in die Wüste treiben lassen von den Ungläubigen? Werden die Ungläubigen nicht wenigstens Mitleid, das einfachste der menschlichen Gefühle empfinden? Werden sie oder wenigstens einige von ihnen meinen Gläubigen hilfreich zu Seite stehen, damit ich auch sie in meinen Glauben aufnehmen und ihnen meine friedfertigen Waffen anvertrauen kann?

    Als Zeichen werde ich dir den herab fallenden Nebel senden. Wenn er den See vollständig einhüllt, dann benutzt den Nebel zur Flucht. Er wird Euch vor den grausamen Feinden verbergen, solange, bis sie mit ihren Opfern in die Wüste gezogen sind. Im Prinzip wird so das Unheil vorher gesagt. Es wird kommen, unabwendbar, nur wann, das kann Euch niemand sagen.

    So sprach der Sevan-See vor vielen Jahren zu Simon Bagdalyan, und Simon Bagdalyan sprach zu seinem Sohn und sein Sohn  zu seinem Sohn und sein Sohn zu seinem Sohn und dessen Sohn zu dessen Sohn.

    Der Sevan-See hörte zu und freute sich über die ihm anvertraute und im Prinzip nicht vergessene Warnung. Aber nichts Böses geschah. Friedlich lebten die Fischer, nur geplagt von den alltäglichen Kümmernissen, den unvermeidbaren Schmerzen ihrer Frauen bei der Geburt ihrer Söhne, dem überraschenden Wüten des Sees mit den Leichen der ertrunkenen Söhne, den gebrochenen Beinen der beim Besteigen der Berggipfel verunglückten Söhne, auch den harsch geopferten Söhnen, die im Verlauf der Blutrache gemeuchelt wurden.

    Aber friedlich und gottesfromm behütet verlief das Leben des Simon Bagdalyan und seiner Söhne, bis, ja, bis der Sevansee sein Zeichen sandte.

    Es war ein schrecklicher Tag. Der See wütete in seinen kräftigsten Tagen. Er wollte und wollte sich nicht beruhigen. Graue, Furcht erregende Nebelschwaden krochen wie graue Teufelsdrachen die östlichen Steilhänge hinab in den tosenden See. Es war als wollte sich die Natur, die sich an die Anwesenheit der friedlichen Fischer gewöhnt und sie lieb gewonnen hatte, gegen die Grausamkeit des Allmächtigen wehren. Aber der Allmächtige erlaubte keinen Widerspruch. Die Warnung war gesprochen. Es war nun den Menschen überlassen, auf sie zu hören, oder eben nicht.

    Die Familie oder Sippe des Simon Bagdalyan hatte sich im Laufe der vielen Generationen in zahlreiche Erbfolgen gespalten. Nicht alle seine männlichen Nachkommen waren Fischer geworden: Manche hatten sich der Landwirtschaft, andere einem einträglichen Handwerk wie Zimmermann, dem Bootsbau, oder dem Handel zugewendet.

    Einer seiner Nachkommen, der Fischer Tigran Bagdalyan, der mit seiner Frau Anna und seinen vier Söhnen Aram, Ashot, Levon und Hayk in seinem kleinen Haus am westlichen Seeufer lebte, sah mit Entsetzen das Tosen und den irrsinnigen Zorn des Sees.

    „Das ist seltsam. Der See will sich überhaupt nicht beruhigen. Es scheint, dass die Natur sich über etwas Ungeheures aufregt. Was meinst du, Frau?“, fragte er seine etwas dickliche, aber noch sehr ansehnliche Frau.

    „Ja, irgendetwas stimmt nicht. Alles ist unheimlich geworden. Denke nur, gestern habe ich Hasmik auf dem Weg zum Markt getroffen. Es waren auch türkische Soldaten zu sehen, die das Kloster Sevanawank besetzt und dort alle Priester interniert, wie man munkelt, sogar getötet haben.

    Es liege ein großes Unheil in der Luft, sagte mir Hasmik. Sie habe gehört, dass die Soldaten Befehl erhalten hätten, alle Familien zusammen zu treiben und nach Süden in die Wüste zu bringen. Nur der Sturm hindere sie daran, mit der Vertreibung zu beginnen. Das sagte mir Hasmik, die Bäckerfrau. Was sollen wir tun?“

    Aram, der mit sechzehn Jahren älteste der Söhne hörte zufällig das Gespräch zwischen seiner Mutter und seinem Vater. Er erinnerte sich an die Gespräche mit seinem Großvater, der vor drei Jahren an einer unheilbaren Herzkrankheit verstorben war. Der Großvater hatte ihm viele Geschichten über den Sevan-See, darunter immer wieder die eindringliche Warnung über das bevorstehende, aber bisher niemals eingetretene Unheil erzählt.

    Konnte es sein, dass dieses unheilvolle Wetter, das tosende Wüten des Sees, die grauenvoll kriechenden Nebel die Warnung bedeuteten, die seit Generationen in den abendlichen Wodkareichen Geschichten der Fischer erzählt wurde? Seine Fantasie, die ihm den Beinamen Surenmyan eingetragen hatte, ließ ihn aufgeregt zu seinen Eltern laufen.

    „Vater, Mutter, kann es sein, dass die alten Wahrsagungen Wirklichkeit werden?“ fragte er aufgeregt.

    „Ach, Surenmyan, deine Fantasie spielt dir wieder einen Streich. Wahrsagungen sind wichtig, im Prinzip, aber, ebenfalls im Prinzip, sie werden nie so Wirklichkeit, wie angekündigt“, versuchte der Vater ihn zu beruhigen.

    „Wenn aber doch? Alle sprechen, Mutter hat es auch berichtet, von der Furcht vor fürchterlichen Vertreibungen und einem langen bevorstehenden Weg in die Wüste mit Verdursten und Hungertod. Die Soldaten sind ja schon da. Was wollen die denn hier? Und der See, unser geliebter Sevansee zürnt und tobt wie ein Wahnsinniger. Hast du schon einmal ein derartiges Unwetter erlebt, Vater? Alles passt doch zusammen. Wie es die Vorsagen berichtet haben. Großvater würde mir wohl zustimmen.“

    Dem Vater, dessen Großvater ihm ebenfalls die unheimlichen Wahrsagungen eindringlich erzählt hatte, wurde unheimlich. Er schaute aus dem Fenster und sah die heftigen Regenwolken, hörte den wütenden Sturm und war unschlüssig, was zu tun war.

    Der See war bei diesem Sturm mit seinem kleinen Fischerboot nicht zu befahren. Das kleine Boot würde nahezu augenblicklich von den mannshohen Wellen mit Seewasser überschüttet werden und sofort sinken. Im Haus zu bleiben, das schien die vernünftigste Lösung in der schwierigen Lage zu sein. Jedoch, die Soldaten hatten schon das Kloster übernommen und waren vielleicht schon auf dem Weg in das kleine Dorf. Dann wäre es fast unmöglich, sich ihrem Zugriff zu entziehen. Sie waren gut bewaffnet. Es waren viele, sehr viele, ungläubige, fremde, gut trainierte sowie gehorsame, mitleidslose Uniformierte.

    Er rief den Familienrat zu sich. Zwar hatten Frauen und Kinder nach alter Tradition im Familienrat kein Stimmrecht und waren eher dem Sklavenstand zuzurechnen, aber in einer so geheimnisvollen Situation mit dem wohl vom Allmächtigen befohlenen Zusammentreffen der Sevan-See-Legende und den sich im Land ausbreitenden Gerüchten, Verhaftungen, ja sogar Hinrichtungen und in einen Todesmarsch getriebenen war jede, insbesondere jede fantasievolle Stimme gefragt. Es stand die Zukunft der gläubigen Familie, die ja nach den Legendenberichten den Ungläubigen zum Test über deren Ungläubigkeit ausgesetzt werden sollte, auf dem Spiel.

    „Was sollen wir tun? Wir alle sind in Gefahr. Die türkischen Soldaten haben schon unser Kloster Sevanawank besetzt. Eure Mutter hat erfahren, dass die Priester und Mönche getötet wurden. Nicht erschossen, nein, in Reih und Glied aufgehängt, wie die Schafe, die wir zum Ausnehmen an den Beinen aber nicht am Hals aufhängen. Hasmik, die Bäckerfrau hat erzählt, dass die Soldaten die Vertreibung von uns allen ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder vorbereiten.

    Es scheint, als solle die Sevan-See Mahnung vom Allmächtigen in die Wirklichkeit heute oder spätestens morgen umgesetzt werden. Surenmyan, du besitzt die weiteste Fantasie von uns allen. Was schlägst du vor? Was sollen wir tun? Uns dem wütenden See ausliefern, oder auf die Gnade und die Unvollkommenheit des Allmächtigen hoffen?“ fragte der Vater sorgenvoll.

    Surenmyan war überrascht. Es war das erste Mal, dass er den Vater so hilflos erblickte und, noch schlimmer, dass er, der älteste, aber mit sechzehn Jahren noch junge Sohn der Familie zu einer Entscheidung aufgefordert wurde, der sich zu beugen der Vater, der allmächtige Vater in der Familie bereit war. Das erfüllte Surenmyan mit Stolz und mit dem Bewusstsein, dass er, der älteste Sohn nun an Kraft und Verantwortung seinem Vater überlegen war.

    Er sagte kraftvoll und streng seinen Vater anblickend: „Mutter, Vater, meine jungen Brüder Ashot, Levon und Hayk, ich habe unserem Großvater genau zugehört. Immer und immer wieder hat er von der Warnung unseres geliebten, jetzt so erzürnten Levansees und dem fürchterlichen Test unseres Allmächtigen gesprochen. Leider können wir ihn nicht mehr um Rat fragen.

    Ihr sagt mir, dass ich die größte und vor allem heute wichtigste Fantasie von uns allen besitzen würde. Es bedarf keiner besonderen Fantasie, sich die Grausamkeit der Ungläubigen vorzustellen. Sie werden uns alle nicht nur töten, sondern zuvor unmenschlich, ja nicht nur unmenschlich sondern auch mit all ihrer Ungöttlichkeit quälen. Dem Allmächtigen können wir ebenfalls nicht widersprechen oder aus dem Weg gehen. Er wird seinen Plan, an uns die Göttlichkeit der Ungläubigen testen zu lassen, mit all seiner Vollkommenheit ausführen. Somit hilft uns keine Fantasie, dem Test des Allmächtigen und unserem dann so grausamen Schicksal entfliehen zu können. Was bleibt uns?

    Vertrauen wir uns unserem Levansee an. So wie er uns vertraut hat in unserer Familie von Generation zu Generation seine Wahrsagung weiter zu tragen. Ihm zu vertrauen, auch wenn seine Prophezeiung über Jahrhunderte und über den Zeitraum, den wir und unsere Großväter zurückblicken, nicht eingetroffen ist.

    Aber jetzt? Mit etwas Fantasie erfahren wir heute und erleben jetzt die Legende, die Warnung des Levansee. Wenn wir daran glauben, wenn wir daran so fest glauben wie an die Stellen im See, an denen sich die Fische aufhalten, die wir zu fangen wünschen, dann gilt nur die Wahl: Wir müssen versuchen, mit dem Boot die andere, die östliche, die von den Russen beherrschte Seite des Levansees zu erreichen.

    Ich habe ausreichend Fantasie und kann im Prinzip mit einem Eimer jede in das Boot schwappende Welle wieder heraus schöpfen. Wenn wir alle zusammen schöpfen, dann wird es gelingen. Dann wird dieses Prinzip unser Dasein erhalten. Dann können wir der grausamen Wirklichkeit und den schrecklichen Quälereien der Ungläubigen, veranlasst durch die nicht zu begreifende Absicht unseres Allmächtigen an den Ungläubigen unseren Glauben zu testen, entrinnen. So werden wir überleben, zusammen und als eine unserem Levansee vertrauende Familie.“

    Besser ersaufen, als in die Hände der Jungtürken zu fallen“, meinte zustimmend der Vater. Die Mutter sagte mehr Praxisnah: „Nun ja, wir haben kräftige Arme und auch genügend Eimer. Ich denke, dass ich schon vier Eimer auftreiben kann. Und Vater kann das Boot sehr gut steuern. Auch wenn der See zürnt und tobt.“

    So bereitete sich die Familie auf die Überfahrt hin zu dem rettenden östlichen Ufer des Levansees vor. Das kleine Ruderboot wurde soweit als möglich mit einer Plane abgedeckt. Der Vater setzte sich an die Ruder. Die Mutter und die vier Kinder nahmen in der Mitte mit ihren Eimern Platz. Die Familie steuerte auf den tosenden See hinaus.

    Kaum jedoch hatten sie das westliche Ufer mit all seinen überschwappenden Wellen verlassen, als sich der See zu beruhigen schien. Es war eine der insgesamt seltenen, aber nicht ungewöhnlichen Wind und Sturmlagen, die auf der westlichen Seeseite besonders stark wüten, sich aber zur Seemitte und zur östlichen Seite hin deutlich abschwächen und hier ohne allzu große Gefahrenmomente überwunden werden konnten.

    Die Familie erreichte wohlbehalten das andere sichere Ufer und blieb von den kurz danach stattfindenden wütenden Gräueltaten der Jungtürken an den überall gesuchten und vertriebenen Armeniern verschont.

    Armen Bagdalyan griff zur Wodkaflasche, füllte unsere Gläser und forderte: „Hier trink. Trinken wir auf das Wohl unserer verstorbenen Großväter! Auf deren Großväter! Und, im Prinzip, auf alle weiteren, von uns nicht mehr abzuzählenden Großväter! Prost!

    Hm, das ist guter Wodka. Er stammt aus der Ukraine. Es ist zu gefährlich unseren einheimischen Wodka zu trinken. Er ist zu oft verdünnt mit Wasser und im Ausgleich versehen mit Methylalkohol. Der Kopf brummt dann grauenhaft, und man kann man leicht erblinden. Jedenfalls soll das schon vorgekommen sein.

    Und dann, wenn man durch Genuss unseres einheimischen Wodkas zumindest im Prinzip blind geworden ist, dann kann man natürlich nichts mehr sehen, nichts mehr unterscheiden. Weder den Sevan-See, noch seine Ufer, oder seinen Grund oder seine Oberfläche. Wie gesagt, dann läuft man leicht Gefahr zu ertrinken, besonders nach Genuss  unseres einheimischen Wodkas. Zumindest im Prinzip.“

    Ich sah auf den See hinaus. Es war Nacht geworden. Auf der gegenüber liegenden, der östlichen Uferseite blinkten Lichter einzeln stehender Häuser. Es war kühl geworden. Undeutlich waren die hinab sinkenden Nebelbänke als graue verwehende Schleier noch sichtbar. In sanfter und friedlicher Stimmung plätscherten kleine Wellen an die Boote und an die Holzplanken des Anlegestegs. Schon war der Abendstern aufgegangen. Die Wodkaflasche war geleert. Die junge Bedienung stellte eine neue auf unseren Tisch. Armen schenkte ein.

    Ich sagte leise zu ihm: „Auf all die Großväter, die von dem Allmächtigen für seinen Test an den Ungläubigen geopfert wurden. Und Du, See, schenke den so Gequälten vertrauensvoll deinen Frieden.“

    Bei diesem Toast trank Armen sein Glas nicht vollständig aus, sondern erhob sich, blickte ernst und würdevoll auf den See, opferte den verbliebenen Wodkarest mit einem kurzen Schwung dem See und sagte: „Herr und Du Sevan, sei ihnen und uns allen gnädig.“

    Es wurde eine lange, sehr lange Nacht, natürlich nur im Prinzip, und nur für die Fische im Sevansee, wie Armen ergänzend hinzufügte.

    Copyright Prof. Dr. Dr. Kayserd

     

     

  • Hephaistos – ein hinkender Künstler und Gott

    Wenn es um die Behinderung des Hephaistos geht, sind die literarischen Quellen ebenso widersprüchlich wie die Zeugnisse der antiken Kunst.
    Hephaistos sagt von sich: „ [..] aber ich selber kam als Krüppel zur Welt“ (Od. 8, 310).

    In der Ilias 18, 393-398 geht er ins Detail:

    „Ihr antwortet drauf der hinkende Feuerbeherrscher:
    O, so besucht mein Haus die erhabene, würdige Göttin,
    die mich rettete einst nach dem schrecklichen Sturz in die Tiefe,
    als mich die [..] Mutter hinab warf, welche mich Lahmen
    wegzuschaffen beschloss. Trübseliges hätt’ ich erduldet,
    wenn des Okeanos Tochter [..] Thetis [..] mich nicht
    geborgen am Busen [..].
    Sprachs, der schnaufende Ries’, und erhob sich vom Ambossklotze
    hinkend, humpelte dann umher mit den schwächlichen Beinen [..]“
    (Il. 18, 410-411)

    Wamser-Krasznai-Relief Ostia

                                                Abb. 1: Relief Ostia, 2. Jh. n. Chr.

     

     

    Doch die einzige Darstellung, die wir von dem Sturzflug  besitzen, zeigt den unwillkommenen Sohn mit wohlgeformten Füßen. Es ist ein römisches Relief aus Ostia, das den Neugeborenen als verkleinerten Erwachsenen zeigt, mit den Attributen seiner späteren Tätigkeit, Hammer und Zange.

    Die Wiedergabe krankhafter Veränderungen an den Beinen beschränkt sich auf die archaische Zeit[1].

    Wamnser-Krasznai-korinthischer Amphoriskos

                               Abb. 2: korinthischer Amphoriskos, 600-580 v. Chr.

     

     

    In der Klassik wird das körperliche Gebrechen nicht mehr so drastisch vorgetragen; Hephaistos sitzt z. B. mit unterstützten Füßen seitlich auf einem Esel[2]. Am Ostfries des Parthenon in Athen deutet sich die Behinderung nur mehr durch einen unter die Achsel geklemmten Stock an:

    Wamnser-Krasznai-Hepaistos und Athena

                                     Abb. 3: Hephaistos und Athena, etwa 440 v. Chr.

     

     

     

     

     

     

    Wie kommt es eigentlich zu dieser Behinderung?

    Die homerischen Epen überliefern den Sturz aus dem Olymp zweimal, unter  verschiedenen Umständen. Im Homerischen Hymnus an Apollon zeigt Hera ihre Enttäuschung über den krummfüßigen Sohn und schildert ihre wenig mütterliche Tat:

    „Mein Sohn freilich, Hephaistos, den selbst ich gebar, ist ein Schwächling
    [..] mit krummen Füßen.
    Einst packt ich ihn grad an den Händen und warf ihn ins weite
    Meer; doch Thetis, die silberfüssige Tochter des Nereus,
    Fing ihn auf und versorgt ihn im Kreis ihrer Schwestern. “
    (Hom. h. Apollon 316-320)

    1. Liegt demnach eine angeborene Missbildung vor? Dabei denken wir vor allem an den Klumpfuß. Dazu passt die familiäre „Fußschwäche“, die von zwei Söhnen des Hephaistos überliefert ist. Palaemonios, einer der Argonauten, hinkt wie sein Vater Hephaistos, „mit verstümmelten Füßen“ (Apoll. Rhod. Argonautika 1, 202-204. Orph. Arg. 212). Periphetes,
    der Keulen tragende Sohn Vulcans (Ov. met. 7, 437; Paus. 2, 1, 4), wird von Theseus bei Epidauros erschlagen. Er war „schwach an den Füßen“ (Apollod. 1, 112  und 3, 16, 1)[3]. Auf den wenigen bildlichen Darstellungen der Hephaistos- Söhne findet sich jedoch kein Hinweis auf ein Gebrechen.

    Der zweite Sturz geht auf das Konto des Zeus. Er fasst den Hephaistos, der gegen ihn für Hera Partei ergriffen hatte, am Fuß und wirft ihn vom Olymp (Il.1, 590-594). Der Unglückliche ist
    halbtot, als ihn die Bewohner von Lemnos, die thrakischen Sintier[4], aufnehmen und soweit möglich gesund pflegen.

     

    2. Haben wir es also mit einer posttraumatischen Behinderung zu tun? Nach Apollodorus, Valerius Flaccus und Lukianus ist die Lahmheit eine Folge des Sturzes[5].

    Ein anderer Erklärungsversuch führt das Hinken des Hephaistos auf die Blessuren zurück, die sich dieser als Titan unter Titanen, im Kampf gegen die Olympier, zugezogen habe. Während die übrigen Titanen von Zeus in den Tartaros gestoßen wurden, habe Hephaistos in den Olymp zurückkehren dürfen. Zwar behalte er als Zeichen seines Sturzes die lädierten Beine, aber er werde eben doch Olympier[6]. Für diese Hypothese, die nicht ohne Reiz ist, fehlen allerdings bildliche und schriftliche Zeugnisse. Als einziger Hinweis auf die titanische Urgewalt des Gottes dient das stets betonte Missverhältnis zwischen den „schwächlichen Schenkeln“ und dem „stämmigen Nacken“ (z. B. Il. 18, 410-415).

     

    3. Im Gegensatz zur Schilderung von des Gottes armkräftiger Kampfgewandtheit und  „schnaubender“ Urgewalt wird er durch die Verbindung mit dem ägyptischen Ptah und den Patäken zum Zwerg, gar zu einem dysproportionierten, achondroplastischen[7] Zwerg (Hdt. 3, 37, 2). Eine seltene Darstellung zeigt den winzigen, hier allerdings wohlproportionierten Künstler- und Handwerkergott, kurz bevor er seine Mutter Hera von dem magischen Thronsessel befreit, den er als kleine Rache für ihre Lieblosigkeit konstruiert hatte[8]. Ist Hephaistos demnach ein hinkender Krüppelzwerg?

    Nach einer alten Begründung für die Lahmheit des göttlichen Kunsthandwerkers falle das Handwerk, das einem Helden nicht anstehe, den Krüppeln zu – eine wenig befriedigende Erklärung[9].

    4. Weitere Hypothesen verbinden Hephaistos mit den Schmiedegöttern und- Heroen anderer Zeiten und Kulturkreise[10], als man Sehnen gewaltsam durchtrennte, um geschickte  Handwerker am Ort zu festzuhalten.

    Ist es denkbar, dass man den Gott der Schmiede absichtlich verstümmelte?

    Auch Daidalos, nach der Genealogie ein Enkel des attischen Urkönigs Erechtheus, also ein Urenkel des Hephaistos[11], war ein begabter Zimmermann und Künstler, den König Minos auf Kreta festhielt. Von dort gelingt ihm die Flucht bekanntlich mittels seiner künstlichen, mit Wachs befestigten Flügel, während sein Sohn Ikarus der Sonne zu nahe kommt und sich zu Tode stürzt. Der Flug führt den Künstler unter anderem nach Sizilien, wo er seinen göttlichen Ahnherrn, Hephaistos/Vulcanus, trifft. Dieser ist besonders eng mit dem Feuer speienden Ätna und den liparischen Inseln verbunden. Überhaupt lasse der Himmelssturz des Gottes nach Roscher nur eine Deutung zu[12], nämlich das Herabkommen des Feuers im Blitz (Serv. Aen. 8, 414). Pindar bezieht die Ausbrüche des Ätna auf Hephaistos (Pind. P. 1, 25). Die mythische Doppelaxt ist ebenfalls ein Bindeglied zwischen dem göttlichen Ahnherrn und seinem Urenkel Daidalos. In den Darstellungen des Hephaistos als Helfer bei der Athenageburt spielt die Doppelaxt eine große Rolle. Niemals ist in diesem Zusammenhang eine Behinderung zu erkennen.

     

    Wamser-Krasznai-Hepahistos mit Doppelaxt

                Abb. 4: Hephaistos mit Doppelaxt bei der Athenageburt, etwa 570 v. Chr.

     

     

     

     

    Athena wird aus dem Kopf ihres Vaters Zeus geboren. Sie hatte ihm heftige Schmerzen bereitet, bis Hephaistos die langwierige Entbindung durch einen Hieb mit der Doppelaxt beendet. In voller Kleidung und Rüstung entspringt die Jungfrau dem göttlichen Haupt (Pind. O. 7, 35-38;  Hom h. 28, 4-5). Als sich Hephaistos in die unnahbare Göttin verliebt, ist seine Verfolgung natürlich zum Scheitern verurteilt (Paus. 1, 14, 6. Hyg. Fab. 166); aber sein Samen fällt auf die Erde und befruchtet sie. So bringt Gaia/Ge den schlangenfüßigen Erichthonios hervor, den autochthonen Stammvater der Athener (Apollod. 3, 14, 6)[13]. Gaia übergibt ihn der Athena, die hier als Kourotrophos auftritt, zur Aufzucht[14]. In Attika sind die Göttin und Hephaistos,  verhinderte Partner in Punkto Liebe, gleichwohl Kultgefährten (Paus. 1, 14, 6). Sie werden im Tempel auf der Athener Agora gemeinsam verehrt. Athena ist ja nicht nur die Göttin der Weisheit und des Krieges, sondern wie Hephaistos auch Schützerin des Handwerks.

     

    5. In jüngerer Zeit versuchen manche Autoren das Hinken des Schmiedegottes naturwissenschaftlich zu erklären. Bis in das 3. Jahrtausend v. Chr. arbeiteten die Schmiede nämlich mit Arsenbronzen. Beim Schmelzen von Arsenerzen mit Kupfer bildet sich schon bei 200 Grad der giftige Hüttenrauch, As2O3, der vor allem zu Lähmungen der Beine führt[15].
    Liegt hier gar eine arbeitsmedizinische Anamnese vor, und Hephaistos leidet an den Folgen einer Berufskrankheit? Auch zu dieser Hypothese schweigen die antiken Schriften. Nach Meinung von Schrade hätte Homer wenigstens ein Wort darüber gesagt, wenn er geglaubt hätte, dass die schwachen Beine eine Folge seiner Arbeit seien[16]. Einzelne bildliche Darstellungen sind dazu angetan, die Lähmungshypothese zu stützen. Der berühmte Fronçoiskrater in Florenz zeigt Hephaistos rittlings auf einem Maultier sitzend. Beide Füße sind regelrecht geformt, doch ist der linke nach vorn, der rechte nach hinten gerichtet[17] – ein Zeichen fehlender Muskelkontrolle?  Auf einer schwarzfigurigen Amphora in London ist der Gott mit auffallend schlaff herunterhängenden Füßen dargestellt[18], sodass ein Lähmungsspitzfuß denkbar wäre[19]. Trotzdem sind diese naturwissenschaftlichen Erklärungsversuche nicht ganz überzeugend. Vor allem stellt sich die Frage, warum ein berühmter, erfahrener Kunsthandwerker wie Hephaistos, wenn er denn gelähmt ist, nicht ein Paar Peroneusschienen (Fußheberschienen) konstruiert, er, der sich zu seiner Unterstützung sogar künstliche goldene Mädchen geschaffen hat?

    „ [..] nahm das Zepter, das dicke.
    Humpelnd ging er zur Tür hinaus, und goldene Mägde
    Stützten den Herrn von unten; sie glichen lebendigen Mädchen.
    Denn sie haben Verstand im Innern und haben auch Stimme
    Und auch Kraft und lernten von ewigen Göttern die Werke.
    Und sie keuchten als Stütze des Herrn; der humpelte aber
    Hin, wo Thetis war [..]“.

    (Il. 18, 416-423)

    Auf all die anderen wunderbaren Erfindungen und Erzeugnisse des göttlichen Schmiedes kann hier nicht eingegangen werden; von dem kostbaren, magischen Thron für seine Mutter Hera war schon die Rede. Wir wollen vielmehr, nach einem Exkurs, noch eine weitere Hypothese anfügen.

    6. Hephaistos ist eine mythische Gestalt. Schon deshalb können die rein naturwissenschaftlichen Erklärungen für seine Behinderung, wie Arsenvergiftung, nicht befriedigen. Die als Lähmungspitzfuß interpretierbaren Darstellungen sind selten und zweifelhaft. Archaische Vasenmaler geben den Gott mit gekrümmten Füßen wieder. Das passt nicht zu einer Parese, sondern eher zum Klumpfuß. In der klassischen Zeit wird die Gehbehinderung nur mehr angedeutet, schließlich verschwindet sie ganz.

    Mythologische Begründungen liegen näher.

    Wir haben es mit einem besonderen, einem fremden Gott zu tun. Sein Kult ist durch Linear B in Knossos für die kretisch- mykenische Zeit bezeugt; der Name des Hephaistos aber lässt sich aus dem Griechischen bisher nicht deuten. Möglicherweise geht er auf die Sprache seines ureigenen Volkes, der Sintier auf Lemnos (vielleicht waren es Thraker?) zurück[20], die ihn einst vor den Folgen seines Sturzes bewahrten.

    Als vorgriechische, besonders im ägäisch-anatolischen Grenzraum verehrte Gottheit ist er gemäß der Überlieferung mit dem Künstlergott Koschar von Ugarit[21] und dem ägyptischen Ptah von Memphis[22] verwandt. Im 7. Jh. v. Chr. kamen ionische und karische Söldner nach Ägypten und begannen, neben ihren eigenen auch die lokalen Götter zu verehren. Möglicherweise brachten sie ein Bild des Hephaistos mit, das diesen „noch ganz ursprünglich – als Krüppelzwerg – vorstellt“[23].

    Herodot 3, 37, 2-3 berichtet, es sei „die Kultstatue des Hephaistos im Heiligtum von Memphis [..] nämlich sehr ähnlich den phoinikischen Pataikos- Figuren, die von den Phoinikern am Bug ihrer Trieren mitgeführt würden. [..]. Sie sind das Abbild eines zwergenhaften Mannes [..]. Auch die [..] Statuen der Kabiren ähneln dem Hephaistos; man sagt, es seien seine Kinder“[24].

    Der Gott empfängt also Kult nicht nur in Attika und Westgriechenland, sondern auch in halb barbarischen Gegenden wie Lemnos, Kleinasien oder Memphis. Er ist ebenso im Olymp zu Hause wie in den Höhlen Feuer speiender Berge. Der Mythos vom Herunterstürzen des Gottes wird auch als das Niederfahren des himmlischen Feuers im Blitz gedeutet. In der Aenaeis ist von Behinderung nicht die Rede, umso mehr aber von der Beziehung des Meisters zum Feuer und dessen wandelbarer Gestalt.

     

    „ [..] früh erhebt sich des Feuers Beherrscher [..] und eilt in die Esse des Schmiedes.
    Neben Siziliens Küste und seitlich von Aeolus’ Insel, Lipari,
    hebt sich ein Eiland mit steilen, rauchenden Felsen,
    Unter ihm eine Höhle, die Aetnakluft der Kyklopen,
    [..] Hier ist das Heim des Vulkan, und Vulcano nennt sich die Insel.“
    (Verg. Aen. 8, 413-422)

    Die variantenreichen Darstellungen in Schriften und Kunst der Antike erscheinen als Ausdruck der verschiedenen Aspekte ein und desselben Gottes, dessen liebenswürdigste Charaktereigenschaften noch gar nicht zur Sprache gekommen sind: Gutmütigkeit, Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit, andere Götter zum Lachen zu bringen, meist auf seine eigenen Kosten. Hephaistos nämlich ist bekanntlich der Urheber des sog. Homerischen Gelächters, gleich, ob er seine treulose Gemahlin Aphrodite in den Armen des Ares erwischt (Od. 8, 266) oder ob er anstelle der reizenden Hebe und des schönen Ganymed als eine Art Hofnarr den göttlichen Mundschenk spielt[25]:

    „ [..] es lächelte drob die weißellbogige Hera,
    Lächelnd nahm sie darauf mit der Hand vom Sohne den Becher,
    Rechtsum schenkte er nun auch all den anderen Göttern
    Süßen Nektar ein, mit der Kanne vom Kessel ihn schöpfend.
    Unauslöschliches Lachen entstand bei den seligen Göttern,
    Als sie Hephaistos sah’n, der durch die Gemächer umher schnob“.
    (Il. 1, 595-600)

    Ist im hinkenden Hephaistos etwa nichts anderes zu sehen als eine der vielen Erscheinungsformen eines „fremden“  Gottes, der im Olymp ebenso zu Hause ist wie auf Lemnos und in Kleinasien, Ägypten und Sizilien, – nicht zu vergessen in unseren nur halb zivilisierten römischen Provinzen diesseits und jenseits der Alpen?

     

    Bildnachweis:

    Für die freundliche Erlaubnis, die folgenden Abbildungen zu reproduzieren, danke ich Frau Prof. Dr. Erika Simon, Würzburg, sehr herzlich.

    Abb. 1: Sturz des Hephaistos, Relief aus Ostia, 2. Jh. n. Chr.

    Aus: E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990) 254 Abb. 331. 332

    Abb. 2: Rückführung des Hephaistos, korinthischer Amphoriskos,  600-580 v. Chr.

    Aus: E. Simon, Die Götter der Griechen (München 1985) 219 Abb. 204

    Abb. 3: Hephaistos und Athena, Ostfries des Parthenon, Athen, um 440 v. Chr.

    Aus:  E. Simon, Die Götter der Griechen (München 1985) 228 Abb. 217

    Abb. 4: Hephaistos mit Doppelaxt bei der Athenageburt, Exaleiptron, um 570 v. Chr. Aus: E. Simon, Die Götter der Griechen (München 1985) 187 Abb. 166

     

    Literatur:

    L. Balensifen, Achills verwundbare Ferse, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts, 111, 1996, 82 Anm. 22

    E. Bazopoulou- Kyrkianidou, What makes Hephaestus lame? American Journal of Medical Genetics 72, 1997, 144-155

    F. Brommer, Hephaistos. Der Schmiedegott in der antiken Kunst (Mainz 1978)

    H.-G. Buchholz, Ugarit, Zypern und Ägäis (Münster 1999)

    A. Dierichs, Ein hinkender Gott: Hephaistos, in: dies., Von der Götter Geburt und der Frauen Niederkunft (Mainz 2002) 41-44

    M. Grmek – D. Gourevitch, Les pieds d’Héphaistos, in: Les maladies dans l’art antique (Poitiers 1998)

    G. Jobba, Mi okozhatta Héphaisztosz sántaságát? Communicationes de historia artis medicinae 117-120, 1987, 137-140

    L. Malten, Hephaistos, Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 27, 1912, 232-264

    S. Morenz, Ptah- Hephaistos, der Zwerg. Beobachtungen zur Frage der Interpretatio Graeca in der Ägyptischen Religion, in: Festschrift für Friedrich Zucker  zum 70. Geburtstage (Berlin 1954) 275-290

    A. Mozolics, Hephaistos sántasága. Communicationes de historia artis medicinae 78-79, 1976, 139-148

    M. Reitz, Hautkrebs bei alten Hochkulturen, in E. G. Jung (Hrsg.), Kleine Kulturgeschichte der Haut (Darmstadt 2007)

    E. Rosner, Die Lahmheit des Hephaistos, Forschungen und Fortschritte 29, 1955, 362f.

    W. H. Roscher, Hephaistos. Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie  I  2,  1965, 2050. 2066

    K. Schefold, Die Urkönige, Perseus, Bellerophon, Herakles und Theseus in der klassischen und hellenistischen Kunst (München 1988)

    H. Schrade, Der homerische Hephaistos, Gymnasium, 57, 1950, 38-55 und 94-112

    E. Simon, Die Götter der Griechen (München 1985)

    E. Simon, Die Götter der Römer (München 1990)

    E. Simon, Daidalos, in: Althellenische Technologie und Technik von der prähistorischen bis zur hellenistischen Zeit mit Schwerpunkt auf der prähistorischen Epoche (Ohlstadt/Obb. 2003) 195-209

    A. D. Trendall, Rotfigurige Vasen aus Unteritalien und Sizilien (Mainz 1989)

    J. Wiesner, Olympos. Götter, Mythen und Stätten von Hellas (Nieder-Ramstadt/Darmstadt 1960) 51-54

    J. Wiesner, Der Künstlergott Hephaistos und seine außergriechischen Beziehungen in kretisch-mykenischer Zeit, Archäologischer Anzeiger 1968, 167-173

     

     



    [1] bei der Rückführung z. B. Caeretaner Hydria, Wien, ca. 530-500 v. Chr., Brommer 1978, 203 Taf. 11, 2 sowie Taf. 11, 1 und 3; Hephaistos auf gekrümmten Füßen stehend, etruskische Version als Sethlans, LIMC IV (1988) 657 Nr. 18 a Taf. 405 s. v. Hephaistos/  Sethlans (I. Krauskopf).

    [2] s. Kelchkrater c. 460-450 v. Chr., LIMC IV (1988)  641 Abb. 149 Taf. 396 s. v.  Hephaistos (A. Hermary).

    [3] s. Bazopoulou- Kyrkianidou 1997, 144-155.

    [4] Wiesner 1960, 52.

    [5] Roscher 1965, 2050.

    [6] Schrade 1950, 108-109. Eine weitere Sage überliefere, dass Hephaistos hinke, weil er im Krieg mit seinem Pferd gestürzt sei, s. Morenz 1954, 284 und Anm. 66.

    [7] Morenz 1954, 282.

    [8] Apulische Amphora, ca. 320 v. Chr., Trendall 1989, 121 Abb. 264.

    [9] Malten 1912, 256.

    [10] Buchholz 1999, 210 und Anm. 638-639. Hier ist z. B. an die germanische Völundr- Wielandsage zu denken, s. Malten 1912, 259. Verbindung zur Gestalt des hinkenden Teufels in der ungarischen Mythologie: Jobba 1987, 137-140.

    [11] Simon 2003, 199-206, bes. 200 Abb. 4; Schefold 1988, 59.

    [12] Roscher 1965, 2050.

    [13] Für mündliche Informationen hierzu danke ich H.-G. Buchholz und E. Simon. Ferner Roscher 1965, 2064.

    [14] Stamnos des Hermonax, ca. 460 v. Chr., Simon 1985, 195 Abb. 178.

    [15] Buchholz 1999, 210; Mozsolics 1976, 139-148; Reitz 2007, 78-79 und Abb. 1; Rosner 1955, 362-363; Simon 1985, 213 Anm. 5; Wiesner 1960, 52-53.

    [16] Schrade 1950, 109. Ebenfalls aus heutiger Sicht wurde eine frühkindliche Poliomyelitis erwogen, Grmek – Gourevitch 1998, 285.

    [17] Klitiaskrater, ca. 560 v. Chr., Simon 1985, 219 Abb. 203.

    [18] Balensifen 1996, 82, Anm. 22; LIMC IV (1988) 642 Nr. 157 d Taf. 397 s. v. Hephaistos (A. Hermary).

    [19] Der Gott ist zwar  ikonographisch an Dionysos angeglichen, aber durch die Doppelaxt eindeutig als Hephaistos ausgewiesen.

    [20] Simon 1985, 215.

    [21] Wiesner 1968, 170.

    [22] Wiesner 1960, 51.

    [23] Morenz 1954, 285.

    [24] Dazu auch Grmek – Gourevitch 1998, 283-284.

    [25] Simon 1985, 214.