Tag: Natur

  • Die Zeit, das meinte schon Einstein,
    soll Eigenschaft des Raumes sein.
    Ich habe das erst jetzt verstanden,
    als ich auf Wegen, altbekannten,
    die wir einst zu zweit passiert,
    erneut allein entlang spaziert.
    Unverändert schien der Raum,
    allein, er war derselbe kaum,
    nein anders wirkt er jetzt, und trist,
    seitdem du nicht mehr bei mir bist.
    Gleicherweise ich, der Wanderer,
    bin nach alledem ein anderer.


  • (08.01.2024) 
    Alles, was besteht,
    ist im Wandel und vergeht,
    mal langsam, mal geschwind,
    und weil wir selbst betroffen sind,
    entstehen sozusagen
    ganz verschiedene Lagen.

    Falle eins: du warst schon lange fort
    und kommst jetzt an den alten Ort,
    doch du erkennst nichts wieder:
    Häuser sanken nieder,
    Neues wurde hingebaut,
    nichts ist dir vertraut.

    Im zweiten Fall dagegen
    gehst du auf alten Wegen
    den bekannten Berg empor,
    der so blieb wie je zuvor,
    doch du hast dich verändert
    und wo früher du geschlendert,
    musst du auf halber Höhe rasten,
    dich nach der alten Bank hin tasten,
    auf der ihr einst zu zweit gesessen –
    die Bank hat es vergessen.

  • „Das Wasser sucht sich seinen Weg“, sagte der Dachdecker, als er die Ursache für die Feuchtigkeit in der Küchenwand herausfinden sollte. Das lag Jahrzehnte zurück. Den Satz allerdings vergaß ich nie.
    Es geht um in Kisten verpackte Bücher. Nicht alle Bücher benötigt man ständig. Die man gerade nicht liest, stellt man in Regale, damit sie jederzeit griffbereit sind. So ist es im Allgemeinen und so ist es auch bei mir.
    Je mehr Bücher sich bei mir ansammelten, desto voller wurden auch die Regale im Haus. Das führte dazu, dass etliche Bücher, die, von denen ich mich nicht trennen mochte, die aber doch noch weiter für mich und im Allgemeinen von Bedeutung sind, oder sein können, oder vielleicht sein werden, wer trennt sich schon von Büchern, zumal sie so viel beinhalten, einen Verbleib haben mussten.
    Für die fortgesetzte Aufbewahrung aller Bücher spricht auch, dass man denen Respekt zollen muss, die sie geschrieben haben, denen, die sie lektoriert haben und Respekt vor dem bedeutenden Inhalt der Werke haben muss, natürlich. Dem Inhalt, einem wesentlichen Bestandteil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes, gilt dieser Respekt in erster Linie, das muss betont werden.
    Wohin also mit diesen Büchern?
    Mit schlechtem Gewissen entfernte ich sie aus meinem akuten Radius und legte sie in Kisten, in sehr gute, in sehr stabile Kisten, in Kisten aus wunderbar fester Pappe. Ich achtete darauf, dass nicht zu viele Bücher in den nicht zu großen Kisten Aufenthalt erhielten, wegen des Gewichtes und wegen der Möglichkeit des fortgesetzt einfachen Zugriffs. Die Kisten lagerte ich in dem gut belüfteten Keller, stapelte sie vorsichtig, so dass ich wusste, welche Inhalte wo waren.
    Ich muss gestehen, dass während der Verbringung meiner ausgelagerten Schätze in Kisten mein Herz schwer wurde. Auf keines der Werke mochte ich verzichten. Durfte ich sie so behandeln? Besonders ans Herz waren mir die Enzyklopädien gewachsen. Enzyklopädien, die voluminös und platzgreifend waren und das gesammelte Wissen von Generationen beinhalteten. Da waren Enzyklopädien zum Allgemeinwissen, aber auch vielbändige Werke zu verschiedenen Spezialgebieten wie der Kunst und der Literatur. Ja, die zur Literatur konnte ich nur verkisten, nachdem ich noch einmal mit strengem Blick die Regalsituation in den Arbeitszimmern, in meinem und in dem meines Mannes studiert hatte und wirklich keinen Platz dafür entdeckte. Ich tröstete mich, denn die Auslagerung war ja nicht endgültig. Ich wusste ganz genau, wohin ich die Kisten verbracht hatte und würde einfach Zugriff bekommen, wenn ich das Bedürfnis danach haben würde.
    Wir wollen hier keinen Exkurs über die ausufernden Recherchemöglichkeiten im worldwide web unternehmen, da die Kränkung für die wunderbar gedruckten Werke zu groß wäre und auch, weil meine Treulosigkeit zu den Enzyklopädien, indem ich diese elektronische Informationsquelle nutze, mir wirklich unangenehm ist.
    Auf diese Weise hatte ich das Bücherproblem gelöst. Kein überwältigend großes Problem, aber immerhin eine Sache, die mich einige Zeit und die passende Aufmerksamkeit gekostet hatte.
    Dass es lange regnete, war unübersehbar. Es regnete Tage und Wochen und Monate. So war es. Wir fuhren ein paar Tage fort und kamen erholt zurück, ein wenig durchgeregnet zwar, bis auf die Haut, um genau zu sein, aber daran hatten wir uns gewöhnt. Wir wollten unsere Sachen gerade ausziehen, um sie in die Waschmaschine zu legen, da bemerkten wir den Einbruch.
    Es war ein Wassereinbruch. Es waren nicht nur die Flüsse der Stadt randvoll, sondern das Wasser hatte seinen Weg zusätzlich in unseren Keller, in unseren Bücherkeller gefunden.
    Es stand da wortlos, klar und kühl und zentimeterhoch herum, still, unbewegt, mit großer Gelassenheit und, so kam es mir vor, sehr selbstbewusst.
    Natürlich schöpften wir, bis das Wasser verschwunden war. Es war vom Boden verschwunden, und nun machten wir uns an die Kisten.
    Sie waren zentnerschwer geworden und daher absolut unbeweglich, die Kisten. So hatte ich sie nicht hinterlassen. Auch mit ganzer Kraft waren sie nicht zu verrücken. Sie waren in ihrer unteren Hälfte dunkelbraun-schwarz verfärbt, mit Wasser vollgesogen. Bei näherer Betrachtung waren etliche an den Nähten zusätzlich geplatzt, diese ursprünglich so zuverlässigen Kisten.
    Beim Öffnen der gerade noch beweglichen, weil einigermaßen trocken gebliebenen Deckel stieß ich auf meine Enzyklopädien. Etwas hatte sich in den Kisten zugetragen. Etwas war geschehen. Dieses Etwas hatte die Veränderung zu verantworten.
    Die Bücher waren eine Beziehung mit dem neu erschienenen Wasser eingegangen. Sie hatten sich auf das besonnen, was sie ihrer Natur nach waren. Sie hatten unter Missachtung aller Autoren und Verleger und mit Gleichgültigkeit für die Arbeit der Buchdrucker und Buchbinder im Kontakt mit dem  Wasser zu dem zurückgefunden, was sie ihrer Natur nach waren. Sie waren nämlich Zellstoff, sie waren Holz. In der Verbindung mit dem überraschend anrollenden Wasser hatten sie sich auf das glücklichste damit vermischt, eine Hochzeit gefeiert und das neu Hinzugekommene eingesogen, die Druckerschwärze missachtet und ihr Volumen auf das vorteilhafteste vermehrt, sich in eine schwere, ausufernde Papiermasse verwandelt. Mit solcher Begeisterung hatten die Bücher das Wasser aufgesogen, dass sie dabei ihr Volumen vermehrt, stark vermehrt, sehr stark vermehrt hatten, so dass die nun weich gewordenen Kisten dieser enormen Kraft der Masse nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Sie waren geborsten. Die Enzyklopädien, deren ehemaliger Inhalt noch auf den gewölbten Buchrücken zu lesen war, konnten von mir höchstens als in sich fest verbackene, blattlose Einzelstücke, als Einzelpakete, als Einzelmassen mit einiger Kraftanstrengung entnommen werden. Nicht weiter verwertbares Wasser entließen sie beim Anheben, damit es andere Bücher beglücken konnte.
    Mit den Büchern war es vorbei. Alle Forschungsergebnisse waren unlesbar geworden, das Lektorat war obsolet und auch vom Druck oder gar der Buchbinderei war nichts, aber auch gar nichts übriggeblieben.
    Das Wasser hatte die Regie übernommen. Sie war irreversibel.



  • (26.12.2023)

    Der Sumpf stinkt nach Verwesung
    verschlingt gierig jeden Lichtstrahl
    Und in demselben Moment
    bringt er den besten Schlamm
    zum Gedeihen neuen Lebens hervor

  • Ja, es ist mein Leichnam
    Aber nicht meine Leiche.
    Von mir weiß ich nicht
    Ihr wisst vielleicht von mir
    Von meiner Welt in euch
    Von meinem Grab.

    Ich bin euch entrückt
    Versteht ihr mein Gestern
    In eurem heutigen Tun?

    Ist nicht euer Verstand
    Das Werkzeug unseres Schöpfers,
    Die Fehler des Allmächtigen
    Auf Erden zu korrigieren?

    Seid ihr nicht seine Kinder
    Ich seine erlöste Geburt?

    Warum zwingt ihr seine Kinder
    Eure Geburten, zappelnde Frösche
    Zu kühlenden Bädern
    In überfüllten Sardinenbüchsen?

    Ist nicht zu viel
    Der Leichnam des zu gut?
    Der Frosch die Freiheit
    in der Sardinenbüchse?

    Höre, Herr, du Allmächtiger
    Sage mir vom Heute,
    der ich nicht einmal mich weiß
    Warum züchtest du
    Hirnlose Hammel
    Die im Gedenken
    An das Böse von Gestern
    Den Sinn ihres Lebens
    Im Chaos des Morgen
    Verschlafen?

    Warum lässt du
    Das Werkzeug deiner Fehler
    In dümmlich geifernden
    Mächtigen deiner Kinder
    Sinnlos verrosten?

    Sind Angst quakende Frösche
    Nicht auch deine Leichen
    Im Sardinenteich?

  • für meine Enkelkinder
    (23.10.2023)

    Seid im Herbst heiter-hellhörig
    wenn die Brise sich sachte
    die bunten Blätter streichelnd
    durch die Bäume tanzend bewegt
    Sie erzählt den Bäumen genüsslich
    geheimnisvolle Geschichten
    gehört oder selbst erlebt
    auf ihrer langen Reise
    durch Berge, Wälder, Wüsten
    und manches wunderbare Land

    Hört euch diese schönen Geschichten
    gut mit euren Herzensohren an
    Dann habt ihr einen riesigen Schatz
    für eure eigenen Erzählungen
    auch in den langen Winternächten

  • Der Samen sang
    das Lied des Lebens
    und verwandelte sich
    in Äste, Blätter und Blüten

    Die Feder feierte
    das Lied des Lebens
    und verwandelte sich
    in Zugvögel lichter Botschaften

    Die Erde entdeckte
    das Lied des Lebens
    und verwandelte sich
    in bezaubernde Landschaften

    Mein Herz beherbergte
    das Lied des Lebens
    und verwandelte sich
    in ein Meer des Edelmuts


  • Für Heidi
    Die Hortensie Annabelle
    braucht deine Unterstützung
    wenn sie die Schönheit trägt

    Die anmutige Kletterrose
    braucht deine Unterstützung
    wenn sie die Wand verziert

    Die Lampionblume
    braucht deine Unterstützung
    wenn sie das Beet beleuchtet

    Und auch ich
    brauche deine Unterstützung
    wenn ich dem Leben huldige


  • Der Jangtsekiang, der Jangtsekiang
    Ist elend und entsetzlich lang
    Gehen Kinder quellnah auf die Reise
    Sehn sie das Meer als Tattergreise

    Der Huang Ho, der Huang Ho
    Heißt Gelber Fluss, doch tut nur so
    Den Gelben, so sie an ihm hausen
    Beschert er gelbes Augensausen

    Der Perlfluss fragt im Delta
    Nicht nach dem Damm: mal hält er
    Mal hält er nicht – dann läuft er
    Und Mensch und Vieh ersäuft er

    Zwei Obern sagt der Oberrhein:
    Jetzt lasst doch den Zinnober sein!
    Doch voller Not und grober Pein
    Springen beide Ober rein

    Plitsch! sagt Dieter, Platsch! Karl-Heinz
    Beschwert mit Hilfe eines Steins
    Der nicht ertrank, der schwimmt bis Mainz
    Und wird dort Chef des Schwimmvereins