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Entscheidung
(25.2.2021)
Rainer Mausfeld gewidmet
Das Haus verließ ich
ie Stadt und das Getöse
Behutsam betrachtend sprach ich
mit Bergen, Wäldern und Flüssen
Manches Leid hatte ich nicht selbst erfahren
und doch mit allen Sinnen begriffen
Trauer und Freude wuchsen dicht beieinander
hiervon war ich ernüchternd ergriffen
Auf dem Markt der Möglichkeiten
wurden Ruhm und Reichtum
getränkt mit Eitelkeit
verführerisch feilgeboten
und aufgrund einer gekonnt getünchten Ballung
von Feigheit, Verzagtheit, Bequemlichkeit
Verdrängung, Verleugnung und Verblendung
von vielen Menschen angenommen
ohne nach den Hintergründen zu schauen
Die Lage war einleuchtend
eine eindeutige Entscheidung fordernd
Das Glück gedeiht in der Gemeinschaft
sagten mein Herz und Kopf einstimmig lodernd
So entschied ich mich glücklich
für das gesellschaftliche Gedächtnis
für kämpferische Ahnen
für gemeinsames Verstehen und Handeln
für aufrichtiges Bahnen֎֎֎
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Behutsam
(5.2.2021)
Säuglinge spucken
wenn sie hastig
viel Milch trinken
Mancher Zeitgenosse
verhält sich ähnlich
wenn er mit Wahrheiten
konfrontiert wird
So sei behutsam
wenn du aufklärst֎֎֎
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(22.1.2021)
Werner Rügemer gewidmet
Eins, zwei, drei! Kinder kommt zusammen!
Augen auf! Bleibt behutsam beisammen!
Wenn die Wolken die Sonne bedecken
über ihnen ist sie doch zu entdecken
Zeigt der Mond auch den Sichel-Stand
seine Kugel-Form hat dennoch Bestand
Wenn die Rosen allmählich verblühen
träumen die Hagebutten von neuem Erblühen
Und sind die Bäume im Winter nackt
Stamm und Triebe bleiben munter intakt
Menschen können lernen und selbstlos aufstehen
Die Welt bleibt im Fluss und stets im Entstehen
Eins, zwei, drei! Kinder kommt zusammen!
Augen auf! Bleibt behutsam beisammen!֎֎֎
* Inspiriert durch das folgende Gedicht von Matthias Claudius (1740-1815) entstand der vorliegende Text:
„Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön:
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.“ -
Der aufrechte Gang
(17.1.2021)
für Julian Assange
Im sechsten Stock angekommen
bleibe ich im Treppenhaus
eine Weile verzaubert stehen
Bei aufgehender Sonne
spendet der Himmel
kraftvoll Trost und Freude
An solch einem Mahl
kann ich mich täglich
selig satt ernähren
Und was ist mit dir
dem Helden unserer Zeit?
Seit Jahren sitzt du
hinter verschlossenen Türen
seit Monaten in Isolationshaft
Die Schergen einer Weltmacht
dokumentierten prahlend
ihre eigenen Kriegsverbrechen
Du veröffentlichtest diese Dokumente
Die großen Banditen sind weiterhin frei
planen offen weitere Kriege
und du sitzt voller Ungewissheit
in deiner zermürbenden Zelle
Der Preis des aufrechten Ganges
wird bedrückend hoch bleiben
solange die Mehrheit der Menschen
den Banditen dienlich
schwerfällig schweigend wegschaut֎֎֎
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Der törichte Tiefschlaf
(16.1.2021)
Als sie sich schlafen legten
schien die Welt in Ordnung zu sein
So dachten sie nur
So wollten sie
aus Bequemlichkeit
aus Feigheit
das Geschehen wahrnehmen
Als die gesellschaftlichen Ereignisse
sie unweigerlich wachrüttelten
war der umfassende Aufbau
des gigantischen Kerkers
weit fortgeschritten֎֎֎
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(2.1.2021)
Die nächsten weißen Wolken
werde ich bitten
mich mitzunehmen
Ich halte es hier
nicht mehr aus
Endlich möchte ich
glücklich sein
dachte einst ein Mitmensch
unruhig, beschwert
Bald erschienen am Himmels Zelt
weise Wolken
und dachten wohlwollend
Seine Definition des Glücks
sein Verhältnis zur Ruhe und Beständigkeit
bedingen seine Rastlosigkeit
Wir haben längst
diesen stetigen Fluss des Lebens
gründlich begriffen
und tragen ihn in uns
So haben wir
mitten im beständigen Wandel
glückliche Gelassenheit gefunden
leichtfüßig, federleicht֎֎֎
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(2.1.2021)
Liebste! Gehe ein paar Schritte zurück
Aus der Ferne
lässt sich dieses grauenvolle Gebäude
besser betrachten
Schau dir gründlich
seine Grundsteine an
Sie bestehen aus hohlen Halbwahrheiten
Liebste! Habe Zuversicht
Selbstvertrauen
und einen langen Atem
Früher oder später
wird ein Lufthauch
dieses Kartenhaus umblasen֎֎֎
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(2.1.2021)
Inspiriert durch ein Gedicht des iranischen Lyrikers Siavash Kasra’i (1927-1996) entstand der folgende Text.
Schau andächtig hin!
Auf dem steilen Gefälle der Blätter
bin ich eine tanzende Tauperle
voll Blick und Betrachtung
Einst die Träne der Nacht
jetzt das Lächeln des Morgens
werde ich bald
auf den Lippen der Blume
zum Abbild des Seufzers
Unterschätze nicht
das Beben meines Lebens
Mein Körper ist die Wiege vieler Sonnen
meine Brust voller Sturm und Wellen
mein Auge randvoll mit Hoffnung
Hör aufmerksam hin!
In meinem Herzen
tobt der Donner der Wut
In meinem Kopf
gedeiht der Gedanke
ein Meer zu sein
das kristallene Kleid abzulegen
und sich zu verwandeln
in Flügel, Gesang und Steppe
Betrachte mich besonnen!
Auf meinem Antlitz
bildet sich das Leben ab
wie die betörenden Bilder
des Regenbogens
Mein Lachen ist frei
von irdischen Bösartigkeiten
und mein Herz
voll vom Anblick des Himmels
Erinnere dich an mich ergriffen!
Ich bin ein Hauch der Zeit
ohne Stillstand
getrennt von gestern
versteckt in morgen
Im Angesicht meines Todes
von Freude erfüllt
beschreite ich meinen Weg֎֎֎