Schlagwort: Politik

  • Entscheidung

    (25.2.2021)

    Rainer Mausfeld gewidmet

    Das Haus verließ ich
    ie Stadt und das Getöse
    Behutsam betrachtend sprach ich
    mit Bergen, Wäldern und Flüssen
    Manches Leid hatte ich nicht selbst erfahren
    und doch mit allen Sinnen begriffen
    Trauer und Freude wuchsen dicht beieinander
    hiervon war ich ernüchternd ergriffen
    Auf dem Markt der Möglichkeiten
    wurden Ruhm und Reichtum
    getränkt mit Eitelkeit
    verführerisch feilgeboten
    und aufgrund einer gekonnt getünchten Ballung
    von Feigheit, Verzagtheit, Bequemlichkeit
    Verdrängung, Verleugnung und Verblendung
    von vielen Menschen angenommen
    ohne nach den Hintergründen zu schauen
    Die Lage war einleuchtend
    eine eindeutige Entscheidung fordernd
    Das Glück gedeiht in der Gemeinschaft
    sagten mein Herz und Kopf einstimmig lodernd
    So entschied ich mich glücklich
    für das gesellschaftliche Gedächtnis
    für kämpferische Ahnen
    für gemeinsames Verstehen und Handeln
    für aufrichtiges Bahnen

    ֎֎֎

  • Winterlinge

    (24.2.2021)

    Wolfgang Effenberger gewidmet

    Die Winterlinge sind wieder da
    diese beschwingten Botschafter des Frühlings
    Die große Vereisung der Sinne
    hat noch bedrückend Bestand
    Herzen und Köpfe
    in Ketten gelegt
    kritische aufrichtige Denker
    ohne Knebel zum Schweigen gebracht
    die Schwachstellen des menschlichen Geistes
    schamlos ausgenutzt
    Hass und Angst
    landauf, landab gesät
    sind die Herrschenden unserer Zeit
    sichtbar siegestrunken
    und doch sich nicht ganz sicher
    ob ihr Plündern beständig bleibt
    Die Winterlinge sind wieder da
    diese beschwingten Botschafter des Frühlings
    und besingen sinnstiftend die Sonnen
    die Teilchen in sich tragen

    ֎֎֎

    =======

  • Gesellschaftliches Gedächtnis

    (23.2.2021)

    in Erinnerung an Siavash Kasra’i

    Mit dir spreche ich heute
    dem Baum ohne Blattwerk
    im Walde mächtig stehend
    durch ein kräftiges Wurzelwerk
    mit anderen Bäumen verbunden
    Dich beneide ich so sehr
    Deine Artgenossen brauchst du nicht
    davon zu überzeugen und mehr
    dass Glück gemeinschaftlich gedeiht
    oder die gemeinsame Geschichte
    gegen Leid Heilungskräfte verleiht

    Du lebst nicht mit Wortverkäufern
    die friedliche Botschaften blockieren
    oder die Aufdeckung der Machtstrukturen
    mit allen Mitteln schändlich sabotieren
    Du hast keine arglistigen Artgenossen
    die sich als Auserwählte erachten
    und den schöpferischen Gemeinsinn
    als geschäftschädigend verachten

    Für dich gibt es kein Zeitalter
    der Duldung und Zustimmung
    Du hast keine Wegbegleiter, die verraten
    lebensbejahende Ziele und Gesinnung

    Mit dir spreche ich heute
    dem Baum der tiefen Einsicht
    schenke mir gerade in diesen Zeiten
    deine Lebenskraft und Zuversicht

    ֎֎֎

    =======

  • Behutsam

    (5.2.2021)

    Säuglinge spucken
    wenn sie hastig
    viel Milch trinken
    Mancher Zeitgenosse
    verhält sich ähnlich
    wenn er mit Wahrheiten
    konfrontiert wird
    So sei behutsam
    wenn du aufklärst

    ֎֎֎

  • (22.1.2021)

    Werner Rügemer gewidmet

    Eins, zwei, drei! Kinder kommt zusammen!
    Augen auf! Bleibt behutsam beisammen!
    Wenn die Wolken die Sonne bedecken
    über ihnen ist sie doch zu entdecken
    Zeigt der Mond auch den Sichel-Stand
    seine Kugel-Form hat dennoch Bestand
    Wenn die Rosen allmählich verblühen
    träumen die Hagebutten von neuem Erblühen
    Und sind die Bäume im Winter nackt
    Stamm und Triebe bleiben munter intakt
    Menschen können lernen und selbstlos aufstehen
    Die Welt bleibt im Fluss und stets im Entstehen
    Eins, zwei, drei! Kinder kommt zusammen!
    Augen auf! Bleibt behutsam beisammen!

    ֎֎֎

    * Inspiriert durch das folgende Gedicht von Matthias Claudius (1740-1815) entstand der vorliegende Text:

    Seht ihr den Mond dort stehen?
    Er ist nur halb zu sehen,
    Und ist doch rund und schön:
    So sind wohl manche Sachen,
    Die wir getrost belachen,
    Weil unsre Augen sie nicht sehn.“

  • Der aufrechte Gang

    (17.1.2021)

    für Julian Assange

    Im sechsten Stock angekommen
    bleibe ich im Treppenhaus
    eine Weile verzaubert stehen
    Bei aufgehender Sonne
    spendet der Himmel
    kraftvoll Trost und Freude
    An solch einem Mahl
    kann ich mich täglich
    selig satt ernähren
    Und was ist mit dir
    dem Helden unserer Zeit?
    Seit Jahren sitzt du
    hinter verschlossenen Türen
    seit Monaten in Isolationshaft
    Die Schergen einer Weltmacht
    dokumentierten prahlend
    ihre eigenen Kriegsverbrechen
    Du veröffentlichtest diese Dokumente
    Die großen Banditen sind weiterhin frei
    planen offen weitere Kriege
    und du sitzt voller Ungewissheit
    in deiner zermürbenden Zelle
    Der Preis des aufrechten Ganges
    wird bedrückend hoch bleiben
    solange die Mehrheit der Menschen
    den Banditen dienlich
    schwerfällig schweigend wegschaut

    ֎֎֎

  • Der törichte Tiefschlaf

    (16.1.2021)

    Als sie sich schlafen legten
    schien die Welt in Ordnung zu sein
    So dachten sie nur
    So wollten sie
    aus Bequemlichkeit
    aus Feigheit
    das Geschehen wahrnehmen
    Als die gesellschaftlichen Ereignisse
    sie unweigerlich wachrüttelten
    war der umfassende Aufbau
    des gigantischen Kerkers
    weit fortgeschritten

    ֎֎֎

  • (2.1.2021)

    Die nächsten weißen Wolken
    werde ich bitten
    mich mitzunehmen
    Ich halte es hier
    nicht mehr aus
    Endlich möchte ich
    glücklich sein
    dachte einst ein Mitmensch
    unruhig, beschwert
    Bald erschienen am Himmels Zelt
    weise Wolken
    und dachten wohlwollend
    Seine Definition des Glücks
    sein Verhältnis zur Ruhe und Beständigkeit
    bedingen seine Rastlosigkeit
    Wir haben längst
    diesen stetigen Fluss des Lebens
    gründlich begriffen
    und tragen ihn in uns
    So haben wir
    mitten im beständigen Wandel
    glückliche Gelassenheit gefunden
    leichtfüßig, federleicht

    ֎֎֎

  • (2.1.2021)

    Liebste! Gehe ein paar Schritte zurück
    Aus der Ferne
    lässt sich dieses grauenvolle Gebäude
    besser betrachten
    Schau dir gründlich
    seine Grundsteine an
    Sie bestehen aus hohlen Halbwahrheiten
    Liebste! Habe Zuversicht
    Selbstvertrauen
    und einen langen Atem
    Früher oder später
    wird ein Lufthauch
    dieses Kartenhaus umblasen

    ֎֎֎

  • (2.1.2021)

    Inspiriert durch ein Gedicht des iranischen Lyrikers Siavash Kasra’i (1927-1996) entstand der folgende Text.

    Schau andächtig hin!
    Auf dem steilen Gefälle der Blätter
    bin ich eine tanzende Tauperle
    voll Blick und Betrachtung
    Einst die Träne der Nacht
    jetzt das Lächeln des Morgens
    werde ich bald
    auf den Lippen der Blume
    zum Abbild des Seufzers
    Unterschätze nicht
    das Beben meines Lebens
    Mein Körper ist die Wiege vieler Sonnen
    meine Brust voller Sturm und Wellen
    mein Auge randvoll mit Hoffnung
    Hör aufmerksam hin!
    In meinem Herzen
    tobt der Donner der Wut
    In meinem Kopf
    gedeiht der Gedanke
    ein Meer zu sein
    das kristallene Kleid abzulegen
    und sich zu verwandeln
    in Flügel, Gesang und Steppe
    Betrachte mich besonnen!
    Auf meinem Antlitz
    bildet sich das Leben ab
    wie die betörenden Bilder
    des Regenbogens
    Mein Lachen ist frei
    von irdischen Bösartigkeiten
    und mein Herz
    voll vom Anblick des Himmels
    Erinnere dich an mich ergriffen!
    Ich bin ein Hauch der Zeit
    ohne Stillstand
    getrennt von gestern
    versteckt in morgen
    Im Angesicht meines Todes
    von Freude erfüllt
    beschreite ich meinen Weg

    ֎֎֎