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Aufstehen
(10.11.2019)
Julian Assange gewidmet
Bei Morgendämmerung
reinige ich meinen Blick mit Tauperlen
schärfe mein Gehör mit Vogelgesängen
und rede mit meinen Urahnen
über die in Vergessenheit Geratenen
Dankbar besinne ich mich meiner Fähigkeit
begreifen und gestalten zu können
So gehen in mir tausend Sonnen auf
erhellend, belebend
zum gelassenen Kampf aufrufend֎֎֎
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Schlachtbank
(10.11.2019)
Es ist wahrhaftig
eine verbrecherische Höchstleistung
der Großbanditen unserer Zeit
die Menschen so zu blenden
dass sie aufgebracht
ihre eigene Entmündigung fordern֎֎֎
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Liebeswärme
(26.10.2019)
In einer Gesellschaft
in der die selbstsüchtige Sichtweise gehuldigt wird
in der der Sinn für das Gemeinsame verkümmert
in der der Blick für große Zusammenhänge dahinschwindet
werde ich immer wieder gefragt
wie ich mich beständig
mit gesellschaftlichen Belastungen beschäftigen kannDie Antwort ist einfach und eindeutig
Ich lebe in einer Umgebung
der ich Liebeswärme schenke
die mir liebevoll lichte Geborgenheit gibt֎֎֎
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Tschüß, süßes Mädchen!
Gestern waren wir in Bremerhaven und haben uns von der „Seuten Deern“ verabschiedet.
Sie sieht erbärmlich aus.
Sie war im Hafenbecken gesunken, dann hat man sie ausgepumpt und mit Luftsäcken und Leinen wieder hochgehoben. Zwei Millionen Liter Wasser müssen pro Stunde aus dem Schiffsrumpf gepumpt werden, damit sie nicht wieder absäuft.
Das Absaufen der Seuten Deern ist ein Menetekel.
Es zeigt, was passiert, wenn man sich nicht kümmert, wenn man den Dingen ihren Lauf, wenn man alles verrotten läßt.
Wir wird bange um die „Deutschland“, um die Alexander von Humboldt.
In die Schulen in Bremen, die Universität, überall regnet es hinein.
Die Krankenhäuser und der Flughafen, alle haben Aufsichtsräte, die das Absaufen gar nicht bemerkt haben. Die Bremer Landesbank hatte gar die Finanzsenatorin als Aufsichtsratsvorsitzende. Nun steht von der Bremer Landesbank nur noch das Gebäude auf dem Domshof, die Bank selber ist weg.
Lothar Probst, Politikwissenschaftler aus Bremen, schreibt im Weserkurier über den Kampf um die Schwarze und die Grüne Null.
Es ist schon klar, was er damit meint. Der fiskalischen Sparpolitik steht das Klimaschutzpaket gegenüber.
Aber die Politik der grünen Null besteht darin, zur Weltklimakonferenz zu fahren und anschließend an den Leichtathletikmeisterschaften in Katar teilzunehmen, wo die Sportler um Mitternacht Marathon laufen müssen, und selbst dann noch reihenweise umkippen.
Es ist ein schönes Wortspiel, und es ist ein schönes Farbenspiel, der Kampf um die grünen und schwarzen Nullen.
Trotzdem gibt es noch andere Nullen.
Es gibt auch viele Standpunkte.
Es gibt Menschen mit einem geistigen Horizont mit dem Radius von Null, die genau das als ihren Standpunkt bezeichnen.
Und so geben wir unser Geld dafür aus, pro Stunde 2 Millionen Liter Wasser aus dem Bauch der Seuten Deern in das Bremerhavener Museumshafenbecken zu pumpen, und unser CO2-Abdruck entsteht durch das Klimatisieren einen Leichtathletikstadions in der Wüste von Katar. Wir sind dafür mitverantwortlich, weil wir da mitmachen.
Erich Kästner schrieb:
Allein ging jedem alles schief.
Da packte sie die Wut.
Und man bildete ein Kollektiv
Und meinte, nun sei’s gut.
Addiert die Null zehntausend Mal,
rechnet‘s nur gründlich aus,
multipliziert‘s mit jeder Zahl:
Steht Kopf, es bleibt Euch keine Wahl:
Zum Schluss kommt Null heraus.Bitte: Stellt die Pumpen ab und gebt der Seuten Deern ihren Frieden.
30.9.2019
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Lagebericht
(28.9.2019)
Betrachte ich bewegt-beunruhigt diesen Haufen
in goldenen Tretmühlen verloren
selbstzufrieden, satt, gefräßig
behäbig beschäftigt mit blendenden Blasen
in untätiger stumpfsinniger Mitläuferschaft
an nahen und fernen Verbrechen beteiligt
blicke ich in diese aufgerissenen dunklen Gründe
kommt in mir Bitterkeit und Groll gewaltig aufDann sage ich zu mir wiederholt warnend
der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge*
der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser*In solchen schmerzenden Phasen
brauche ich Tränen klärender als der Frühlingsregen
einen Blickwinkel breiter als die Ozeane
einen Standpunkt höher und fester als die Berge
ein Farbbrett bunter als die Herbstpalette
In solchen Zeiten brauche ich
die aufrichtende Wärme der Erde
die gütigen Augen der Liebe֎֎֎
* In Anlehnung an Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen; 1939 veröffentlicht in Svendborger Gedichte
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Gedeihliches Leben
(16.9.2019)
für Svea
Auf meinem Unterarm
schaukle ich ein Wunder
frohgemut hin und herDein Blick gewinnt täglich
an willentlicher Aufmerksamkeit
Ich merke gerührt-glücklich
dass du deine Umwelt
umfassender wahrnimmst
und besser Botschaften abgibst
Wenn du auf meinem Arm einschläfst
durchströmt mich tröstliche Wärme
begleitet von den schönsten Melodien
meines tanzenden HerzensImmer und immer wieder
frage ich mich sehnsüchtig suchend
mit tiefstem Heimweh nach Frieden
wie wir uns verhalten sollen
gerade in diesen turbulenten Tagen
damit zerbrechliche Wesen wie du
auf diesem Planeten gedeihlich leben
und ihre wunderbaren Fähigkeiten
vollkommen entwickeln können֎֎֎
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Die Saalach
(1.9.2019)
Andreas Peglau gewidmet*
Gestern waren im Fluss
drei Stein-Stränge erkennbar
auf der einen Seite
oben mit Moos bekleidet
unten vom Wasser umspült
in der Mitte
tief im Wasser schimmernd
auf der anderen Seite
im Trockenen die Sonne anbetend
Heute nach einer regnerischen Nacht
im tosenden Fluss
sind die drei Stein-Stränge nicht mehr sichtbarMitten in dieser verzaubernden Gestaltung
werde ich vom Zifferblatt der Armbanduhr
erschütternd daran erinnert
dass die Vorfahren meiner Landsleute
vor achtzig Jahren begannen
ihre verbrämten Verbrechen
gnadenlos auszuweitenVoller Sehnsucht nach gesellschaftlicher Gerechtigkeit
frage ich mich gerührt
wie viel Menschen auf der Erde
das faschistische Gedankengut
bewusst oder unbewusst
noch in sich beherbergen
und wie viel Generationenwechsel nötig sind
damit diese verbrecherische Denkweise
bedacht bearbeitet
und schöpferisch beseitigt werden kann֎֎֎
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Ich spreche vom Licht
Fereydoun Moshiri ( 1926-2000 )
Jeden Morgen,
sobald das Sonnenlicht über den fernen Bergen emporsteigt,
breite ich die Flügel aus,
flinker als die Brise;
lasse die Botschaft der Morgendämmerung fliegen
mit hellen, klaren Gedichten.
Die Menge der Schlafenden
rufe ich
mit süßen, lieblichen Liedern.Ich erzähle vom Licht, vom Licht,
von lebendigem Leben,
von frischem Atem, von neuem Dasein,
vom Stolz.Aber im Gedränge der Straße
verlieren sich meine Stimme und meine Lieder.Dieser und jener sagt:
„Befreie dich von diesem sinnlosen Bemühen!
All dieses Schreien ist fruchtlos
in den tauben Ohren!
Der Verrückte spricht übers Licht
mit den Maulwürfen!“Fremd mit diesem ganzen kalten Gerede
rufe ich weiterhin geduldig
die Menge der Schlafenden
mit Liebe, Freude, Leidenschaft.
Die Botschaft der Morgendämmerung
lasse ich fliegen.
Wohin ich auch gehe,
spreche ich diesem und jenem ins Ohr,
sogar im Gedränge der Straße,
vom Licht,
vom Licht.֎֎֎
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West-östlicher Divan
(18.8.2019)
Suche die Seele des West-östlichen Divans
nicht in verstaubten Bücherregalen
oder in glänzend aufgetakelten Aufführungen
Suche sie in den Herzen der Menschen
Möchtest du den West-östlichen Divan
wahrhaftig ehren
so lasse es nicht zu
dass blendende Banditen
in deinem Namen
und mit deinen Steuergeldern
seine Geburtsstätten verwüsten
und seine Lebensgeschichten vernichten֎֎֎
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Neglect und Hemianopsie
(25.7.2019)
Bei manchen Gehirnerkrankungen
ist die Wahrnehmung der Umgebung einseitig eingeschränkt
oder das Gesichtsfeld ist bedeutend beeinträchtigt
Für eine Störung der Sinne in unserer Gesellschaft
sorgt ein Heer von Wissenschaftlern
Psychologen, Politikern, Philosophen
Künstlern, Journalisten
und Geistlichen unterschiedlicher Schattierungen
So kann der der Kapitalismus fortwähren֎֎֎