Schlagwort: Politik

  • Unvermeidlichkeiten der Zeit

     

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Manchmal ist er ein Ketzer,
    manchmal ein Gotteslästerer,
    manchmal ein Atheist.
    Manchmal ist er ein Feind des Volkes,
    manchmal ein Unruhestifter.
    Die Qual der Einsamkeit muss der Mensch kosten,
    der seiner Zeit voraus ist

    ۞۞۞

     

     

  • Vermisst

    Ein Gedicht von Mohammad Reza Shafi’i Kadkani  aus dem Jahr 2010
    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar۞۞۞

     

    Ein Kind namens Fröhlichkeit
    wird seit geraumer Zeit vermisst,
    mit hellen leuchtenden Augen,
    mit langen Haaren, der Größe der Sehnsucht entsprechend.
    Wenn jemand von ihr ein Zeichen hat,
    soll er uns benachrichtigen,
    und das ist unsere Anschrift:
    auf der einen Seite der Persische Golf
    auf der anderen Seite das Kaspische Meer

    ۞۞۞

     

     

  • Ich spreche vom Licht

    Fereydoun Moshiri (1926-2000)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ***

     

    Jeden Morgen,
    sobald das Sonnenlicht über den fernen Bergen emporsteigt,
    breite ich die Flügel aus,
    flinker als die Brise;
    lasse die Botschaft der Morgendämmerung fliegen
    mit hellen, klaren Gedichten.
    Die Menge der Schlafenden
    rufe ich
    mit süßen, lieblichen Liedern.

    Ich erzähle vom Licht, vom Licht,
    von lebendigem Leben,
    von frischem Atem, von neuem Dasein,
    vom Stolz.

    Aber im Gedränge der Straße
    verlieren sich meine Stimme und meine Lieder.

    Dieser und jener sagt:
    „Befreie dich von diesem sinnlosen Bemühen!
    All dieses Schreien ist fruchtlos
    in den tauben Ohren!
    Der Verrückte spricht übers Licht
    mit den Maulwürfen!“

    Fremd mit diesem ganzen kalten Gerede
    rufe ich weiterhin geduldig
    die Menge der Schlafenden
    mit Liebe, Freude, Leidenschaft.
    Die Botschaft der Morgendämmerung
    lasse ich fliegen.
    Wohin ich auch gehe,
    spreche ich diesem und jenem ins Ohr,
    sogar im Gedränge der Straße,
    vom Licht,
    vom Licht …

    ۞۞۞

  • Eine Brise aus dem Land der Versöhnung

     

    Fereydoun Moshiri (1926-2000)

    Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Also, sollte mir eines Tages jemand die Frage stellen:
    „Was hast du in deiner Zeit auf der Erde gemacht?“,
    schlage ich ihm meine Akte auf,
    weinend und lachend, erhebe ich mein Haupt,
    dann sage ich: „Er hat neues Samenkorn ausgesät,
    bis es erblüht, bis es Früchte trägt, wird noch viel Zeit vergehen.“

    Unter diesem unendlichen blauen Himmel,
    soweit ich die Kraft hatte, in jedem Gesang,
    wiederholte ich den erhabenen Namen der Liebe.
    Mit dieser müden Stimme habe ich, vielleicht, einen Schlafenden
    in den vier Himmelsrichtungen dieser Welt aufgeweckt.

    Ich verehrte die Liebe,
    bekämpfte die Bosheit.

    Ich litt beim „Verwelken eines Blumenzweiges“ 1,
    trauerte den „Tod des Kanarienvogels im Käfig“ 1,
    starb jede Nacht hundert Mal wegen des Leides der Menschen.

    Ich schäme mich nicht, wenn ich wie Messias,
    wenn man aus dem Herzen schreien muss,
    mit Geduld den Kummer ertrug.

    Aber im Gefecht mit den Törichten,
    wenn ich das Schwert ergreifen musste,
    – nimm es mir nicht übel –
    ging ich den Weg der Liebe.
    In meinen Augen bedeutet das Schwert in der Hand,
    dass man jemanden umbringen kann.

    Auf dem schmalen Pfad, den ich beschritt,
    wütete die Finsternis des Unwissens.
    Der Glaube an den Menschen war meine Leuchte,
    das Schwert war in Ahrimans2  Hand.
    Meine einzige Waffe auf diesem Schlachtfeld war das Wort.

    Wenn mein Gedicht bei keinem das Feuer entfachte,
    so verbrannte mein Herz von beiden Seiten, wie das nasse Holz.
    Lies eine Seite aus dieser Akte, vielleicht wirst du dann sagen:
    „Kann man noch mehr als das verglühen?“

    Endlose Nächte schlief ich nicht,
    die Botschaft des Menschen teilte ich dem Menschen mit.
    Mein Gesagtes enthielt eine Brise aus dem Land der Versöhnung,
    im Dornengestrüpp der Feindseligkeiten.
    Vielleicht müsste ein starker Taifun auftreten,
    um diese Bosheiten zu entwurzeln.

    Unsere Weisen vor unserer Zeit sagten ermahnend:
    „Es ist zu spät… es ist zu spät…,
    der Finsternis der Erdenseele gegenüber
    ist die Kraft Hunderter wie wir nur ein Schrei in der Wüste.
    Ein neuer Noah ist von Nöten und eine neue Sintflut.“ 3
    „Eine neue Welt muss erschaffen werden
    und eine neue Menschheit auf jener Welt“ 3

    Aber dieser einsame, geduldige Mann schreitet immer noch voran
    mit seinem Rucksack voller Leidenschaft den Weg.
    Um aus der Tiefe dieser Finsternis ein Licht hervorzuheben,
    setzt in jede Ecke eine Kerze seines Gedichtes,
    hofft immer noch auf das Wunder des Menschen.

    ۞۞۞

     

    Anmerkungen:

    1 Hier bezieht sich Fereydoun Moschiri auf seine Gedichte aus dem Band „Glaube dem Frühling“.

    2 „Ahura Masdah“ und „Ahriman“ sind zwei Gestalten in der alten iranischen Religion stellvertretend für das Gute und das Böse.

    3  Hier bezieht sich Fereydoun Moschiri auf Gedichte der iranischen Poeten Nimtaj Salmasi und Hafis.

  • In dieser Sackgasse

     

    Ein Gedicht von Ahmad Shamloo (1925-2000) aus dem Jahr 1979
    Freie Übersetzung aus dem Persischen von Afsane Bahar

    ۞۞۞

     

    Sie riechen an deinem Mund,
    nicht dass du gesagt hättest, „ich liebe dich“,
    sie riechen an deinem Herzen,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Und die Liebe
    peitschen sie aus
    an dem Balken der Straßensperre.
    Die Liebe sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    In dieser krummen Sackgasse,
    in diesen Windungen der Kälte
    entfachen sie das Feuer
    mit Gedichten und Liedern als Brennmaterial.
    Riskiere nicht das Nachdenken,
    es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Derjenige, der nachts an die Tür klopft,
    ist zum Auslöschen des Lichtes gekommen.
    Das Licht sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    Dort sind Schlächter
    am Straßenübergang platziert
    mit Blut beschmierten Schlagstöcken und Hackmessern.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Den Lippen schneiden sie das Lachen aus
    und dem Mund den Gesang.
    Die Freude sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    Kanarienvögel werden gebraten
    auf einem Feuer von Jasmin und Lilien.
    Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.

    Der Satan, des Sieges betrunken,
    feiert unser Begräbnis am Festtisch.
    Der Gott sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.

    ۞۞۞

     

  • Systemerhaltung

    (8.2.2017) 

    für Bernd Duschner

     

    Begrenzte Betrachtung

    oberflächliche Orientierung

    benebelte Besinnung

    eingeschränktes Einfühlen

    gelenkte Gedanken

    umfangreiche Unehrlichkeit

    haarsträubende Heuchelei

    ergeben erwartungsgemäß

    genehmigte Gesinnung

    erlaubte Empörung

    erhaltene Entfremdung

    verfehlte Verantwortung

    ֎֎֎

      

     

  • Einsicht

    (8.2.2017) 

     

    für Elias Davidsson 

    Verbunden mit der einmaligen Erde

    ganzheitlich Geschehnisse beobachtend

    beharrlich Selbstbetrug meidend

    begriff ich berührt bewegt

    dass buchstäblich Banditen

    im  Lande  herrschten

     

    Nach dieser ergreifenden Erkenntnis

    kam sorgloses Wegschauen

    schmerzhaft der Selbstaufgabe gleich

     

    Fortan pflanzte ich federleicht

    des Lichtes Blumen

    ֎֎֎

     

  • Weihnachtsgebet

    Von guten Geistern wohl gehütet
    Sei Frieden dir in Herz und Hand.
    Wo heiß der Wüstenhasswind wütet
    Weit breite aus Dein Herzgewand.

    Lass den Verstand des Kindes weben
    Von Kunde Armut Krippenglück
    Dir werden Sterne Weisheit geben
    Ins Morgen weist des Kindes Blick.

    K. Kayser, 13.12.2016

  • Amtseinführung

    Zum Kampf der Demos und Plakate,
    Der in den USA dem Staate,
    dem Präsident gewidmet ist
    Zog Johnny Smart, der Journalist.

    Es war sein Job live zu berichten
    Von Straßentod und Blutgeschichten
    Von Wut, die Demokratenwelt
    In Innersten zusammenhält.

    Ihn sandten unerkannt und leise
    Times, Spiegel auf Erkundungsreise.
    So geschickt, sein Auftragssoll
    Sei Leserangst, sei Hosen voll.

    Nach Washington zur Amtseinführung
    Fuhr Johnny Smart zur Volksberührung
    In froher Lust, mit freiem Mut
    Hat nicht gewusst, wer Böses tut.

    Nah konnte er Wutmenschen sehen
    Stieg aus dem Auto, ließ es stehen
    Nahm Kamera und Mikrophon.
    Da hörte er in bösem Ton

    Du Journalist, du Übeltäter
    Du Demokrat, du Volksverräter!
    Wer gegen Präsidenten schreibt
    Als Toter auf der Straße bleibt.

    Hass in der Menge, Knüppelschläger
    Wut, Kriminelle Menschenjäger
    Verbeißen sich in Johnny Smart.
    Sie schlagen zu und treffen hart.

    Der Tod schleicht lauernd in die Meute
    Wählt sich den Johnny Smart als Beute
    Der schreiend um sein Leben rennt.
    Er sei doch nicht der Präsident!

    Er sei der Wahrheit stets verpflichtet.
    Ein Journalist nur schreibt, nicht richtet.
    Die Stimme stockt. Schlag, Stahl, Metall.
    Der Schrei verstummt, verweht im Fall.

    Ein Polizist versucht zu retten.
    Allein der Tod mit seinen Ketten
    den Johnny Smart umschlungen hält.
    Er führt ihn fort in seine Welt.

    Die Redaktion erfährt betroffen
    Von Johnnys Tod. Man schreibt ganz offen
    Allein der Präsident sei Schuld.
    Ihm fehle Klarheit und Geduld

    Demokratisch in bewegten Zeiten
    Wutbürger gehorsam anzuleiten.
    Ein Leser liest und angstvoll schreibt:
    Nicht stirbt, wer demonstriert, der bleibt.

    Der Bericht weckt Kerzenspenden
    Blumenkränze, Krokodilslegenden.
    Das Leichentuch weiß eingehüllt
    Sagt Johnnys Auftrag ist erfüllt.

     

    K.K. 18.1.2017

     

     

     

     

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    Quelle der Zuversicht

    (20.10.2016)

     

    Wenn ich unsere Medienlandschaft betrachte
    wächst bei mir grenzenlos
    ein empörendes Erstaunen
    da ich mich immer wieder
    wie in einem großen Kerker fühle
    schalltot und echolos 

    Anstelle der Wände
    sehe ich in diesem Gefängnis
    wohl ernährte Menschen
    finstere, bunte, feige Gestalten
    Sie gestikulieren gedächtnislos
    fabulieren unverschämt
    manche mutmaßlich erzwungen
    einige augenscheinlich begeistert
    andere gedankenlos und mitläuferisch
    Offensichtlich können sie kaum erkennen
    dass der vermeintlich feste Boden
    unter ihren Füßen tausend Risse zeigt 

    Wenn ich aus der Vogelperspektive
    das Geschehen ganzheitlich betrachte
    sehe ich nicht nur in unserem Land
    sondern auf verschiedenen Erdteilen
    unzählig viele Bienen und Ameisen
    die gelassen, geduldig, gewagt
    vielfältig, vereint, unbeirrt
    aufrecht, authentisch
    der gewaltigen Maschinerie der Verwüstung trotzend
    ihren Weg beschreiten und bestreiten 

    Sie sind meine Quelle der Zuversicht