Tag: Tiere

  • Once, in the great China Empire in the province of Shandong, there lived a left-handed boy Sev Lin, who had an extraordinary ability of painting. His father brought him for apprentice in the private school of a renowned painter. The master-painter recognized in short time the boy’s talent, and became envious.

    “No, that is not the way to do it!” he would shout. “You will do better painting walls than drawing.” Slowly the boy’s confidence receded. No matter how hard he tried, the painter found faults, and humiliated Sev Lin in front of the other students.

    One day, the assignment was “Draw  a goldfish!” Sev Lin closed his eyes and tried to visualize a splendid fat fish from his grandfather’s aquarium, and created an astonishing painting. “No. No. No!” screamed the teacher and threw the boy’s painting into the nearby pond. Once in water, to everyone’s amazement, the painted fish miraculously converted in alive goldfish and proceeded to swim away.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Wunderschön

    In dem großen chinesischen Imperium in der Provinz Shandong lebte einmal ein linkshändiger Junge namens Sev Lin, der außergewöhnlich gut zeichnen konnte. Sein Vater brachte ihn als Lehrling in die Privatschule eines bekannten Malers. Der Meistermaler erkannte ganz rasch das Talent des Jungen und wurde neidisch.

    „Nein, so darf man das nicht machen!“, rief er. „Du solltest lieber Wände anstreichen als Bilder zu zeichnen!“ Langsam verlor der Junge sein Selbstvertrauen. Auch wenn er es noch so hart probierte, fand der Maler Fehler und demütigte Sev Lin vor allen anderen Schülern.

    Eines Tages hatten die Schüler die Aufgabe, einen Goldfisch zu malen. Sev Lin schloss die Augen und versuchte, sich einen prächtigen dicken Fisch im Aquarium seines Großvaters vorzustellen und schuf ein erstaunliches Bild.

    „Nein, nein, nein!“, schrie der Lehrer und warf die Zeichnung des Jungen in den nahe gelegenen Teich. Zum Erstaunen aller verwandelte sich der gezeichnete Fisch wunderbarerweise in einen lebendigen Goldfisch und schwamm davon.

     

     

  • A PROMISE

     

     

    Once in the time of great drought, a peasant Xiang had no rice to nourish his family, and even no money to buy it. He went to the feud ruler of Wu ( who was also a river keeper) to borrow four sacks of rice.

    The feud ruler said: “Soon, I would collect my taxes from my subjects, and after I would loan to you 96 tóngbì (copper coins) to buy four sacks of rice.

     Would that suit to you?

    The exasperated Xiang told him the following story:

    – Yesterday, I visited, through the drought devastated, field of mine, and I heard a voice calling me. I looked around and saw the big carp lying in a dry.  “How did you get here?”, I asked.

    “The strong winds pushed me here. Do you have a barrel of water to save my life?”, muttered the carp under its breath.

    “We’ll do it”, I said. – “Soon, I will visit the ruler of Wu, and I will make sure, that he releases the water from the East River. Would that suit to you?”

    The carp was terribly bitter.

    “It’s not my environment, I am desperate and unable to breath « mumbled the carp. One barrel of water would save my life, and instead you give me only the promise. After it, you will find me at a fish market.

    Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Ein Versprechen

    Während der Zeit der großen Dürre hatte der Bauer Xiang keinen Reis, um seine Familie zu ernähren, er hatte nicht einmal Geld, welchen zu kaufen. Er ging zu dem Lehnsherrn von Wu, der auch Besitzer eines großen Flusses war, um vier Säcke Reis zu leihen.

    Der Lehnsherr sagte: „Bald werde ich die Steuern meiner Untertan eintreiben, und danach würde ich dir 96 Tongbi (Kupfermünzen) leihen, um vier Sack Reis zu kaufen. Wäre dir das so recht?“

    Der entnervte Xiang erzählte ihm die folgende  Geschichte.

    Gestern besuchte ich mein durch die Dürre verwüstetes Feld, und ich hörte, wie eine Stimme mich rief. Ich schaute umher und sah einen großen Karpfen auf dem Trockenen liegen.

    „Wie bist du hierher gekommen?“, fragte ich.

    „Ein starker Wind hat mich hierher geworfen. Hast du einen Eimer Wasser, um mein Leben zu retten?“, murmelte der Karpfen außer Atem.

    „Machen wir“, sagte ich. – „Bald gehe ich den Lehnsherr von Wu besuchen, und ich werde sicherstellen, dass er Wasser aus seinem East River fließen lässt. Wäre dir das recht?“

    Der Karpfen war schrecklich erbittert:

    “Ich bin nicht in meinem Element. Ich bin verzweifelt und kann nicht mehr atmen“, murmelte der Karpfen. „Ein Eimer Wasser würde mein Leben retten, und stattdessen gibst du mir nur ein Versprechen. Danach wirst du mich auf einem Fischmarkt finden.“

     

     

     

     

  • Lehrer und Unterstützer

    (25.7.2019)

     

    Im alltäglichen Kampf gegen den Kapitalismus
    als eine Lebensweise im weitesten Sinne
    mit einer erbärmlichen Betrachtung des Daseins
    und einer verkümmerten Bedeutung der Liebe
    habe ich besondere Lehrer und Unterstützer:
    Das Storchenpaar auf der anderen Seite der Fulda
    in seinem Nest auf dem hohen Gestell
    die grauen Jungschwäne am Breitenbacher See
    die Fischreiher auf den Fuldawiesen
    die Obstbäume am Rande der Fahrradwege
    die Wiesen mit ihrer Blütenpracht
    die Kornfelder und Kleingärten
    Menschen, die ich therapeutisch begleite
    und Kinder mit ihren blühenden Phantasien

  •  

    Eine schwarz-weiße Katze Paula lebte in einer Villa am Königsforst. Meist lag sie auf einer Heizung, schnurrte vor sich hin und genoss die Wärme. Sie bewunderte die apart gekleidete Hausherrin, die sie immer mit Seidenhandschuhen streichelte. Sie empfand dies als besonderen Genuss, auch wenn es manchmal funkte. Sie beschloss, ebenso vornehm zu werden. Sie trabte zum Maulbeerbaum und sprach mit den Seidenraupen: „Könnt ihr mir ein zartes, fast durchsichtiges Seidenkleid und Seidenhandschuhe für die Vorderpfoten spinnen?“

    Die emsigen Seidenraupe unterbrachen ihre Arbeit und piepsten: „Wenn du uns vor den Vögeln bewahrst, die immer wieder einige von uns fressen, dann erfüllen wir deinen Wunsch.“

    So bewachte die Katze den Maulbeerbaum und fauchte die Vögel an, so dass sich diese sich nicht mehr in die Nähe des Baumes trauten. Innerhalb von nur 2 Tagen spannen die Seidenraupen ein der Katze passendes Cocktailkleid und so feste Handschuhe, dass die Krallen nicht durchkamen. So hatte die Katze seidenweiche Pfoten. Die Handschuhe reichten, wie bei einer Braut, weit über das Gelenk hinaus. Die Katze betrachtete sich im Spiegel und dachte: ‚jetzt benötige ich nur noch ein paar hübsche Schuhe und ein feines Hütchen.‘ Die Katze borgte sich aus der Haushaltskasse ihrer Herrin einige Münzen und stolzierte in den Puppenladen. Für kleines Geld bekam sie ein Paar weiße Schuhe und ein Hütchen mit einem bunten Kunstblumenkranz. Etwas unsicher stakste sie mit ihrem Seidenkleid und den neuen Schuhen aus dem Laden. Durch das Schwanken verschob sich das Hütchen über die Augen, so dass sie den Kopf nach hinten beugen musste, um etwas zu sehen. Da hörte sie das hässliche Lachen des Schäferhundes des Nachbarn, der sie schon mehrfach mit Gebell auf den Baum gejagt hatte.

    „Karneval ist doch erst in fünf Monaten“, gluckste er und begann zu grölen: „supergeile Zick….“

    Paula hielt den Hut mit einer Pfote fest und beschleunigte ihren Schritt, um schnell nach Hause zu kommen. Der Hund hüpfte hinter ihr her, sang weiter Karnevalslieder und schüttelte sich immer wieder vor Lachen. Paula war froh, als die Haustür hinter ihr zuschlug. Als die Hausherrin Paula sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und rief: „Wer hat dich denn so zugerichtet?“

    Als Paula sie mit großen Augen ansah, begann sie zu lachen und kam erst zur Ruhe, als ihr die Luft weg blieb. Sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen und fragte: „wie willst du in diesem Aufzug die Mäuse fangen, die sich wieder auf dem Dachboden eingenistet haben?“

    Stolz wie Paula war, stieg sie mit Hut, Kleid, Handschuhen und Stiefelchen auf den Dachboden und versuchte, die Mäuse zu jagen. Als dies misslang, da sie sie ohne Krallen die Mäuse nicht halten konnte, legte sie die Kleidung ab.

    Ein wenig traurig sprang sie später auf die Heizung, legte den Kopf auf die Pfoten, schnurrte und genoss die Wärme. Sie tröstete sich, es sei besser nützlich als vornehm zu sein.

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    An ancient Zen story describes a despondent horse, which lies down and no longer wants to learn to get up. The desperate owner, after trying everything, calls the horse-healer. After the profound examination of the horse, he states: “Such cases are serious; let’s try for a couple of days with these plants. If it does not react, it will be necessary to bring the horse down”.
    A pig eavesdrops, and runs to the horse:  “Get up, otherwise throw badly !!!”  The horse  turns its head on the other side.

    A day after, the horse- healer returns and administers the medicinal plants again and declares: “The horse doesn’t react: we should wait a little longer, but I don’t think there is anything we can do. “Again, the pig has  heard everything and runs to the horse «You MUST get up!!!».                        But the horse still remains immovable.

    On the third day, the horse- healer verifies the progress, “Give me the rifle: it’s time to put down that poor beast.” The pig runs desperately to the horse: “Please you have to react, they’re coming to kill you!! The horse rises abruptly and starts to run, jumping over the obstacles.The owner turns delighted to the horse-healer:  “Thank you, thank you!!!  You are a wonderful healer, you did a miracle!  We absolutely have to have a big festivity: Come on, let’s kill the pig!!! ”

    Moral:

    Mind always your own business!! In this way you`ll stay busy all the time and not meddle with other men’s concerns.

     Dr. med. André Simon © Copyright

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    Eine Zen-Geschichte

    Eine alte Zen-Geschichte schildert ein bedrücktes Pferd, das sich niederlegt und nicht mehr lernen will aufzustehen. Der verzweifelte Eigentümer ruft einen Pferdeheiler herbei, nachdem er vergeblich alles versucht hat. Nacheiner gründlichen Untersuchung des Pferdes stellt dieser fest: „Solche Fälle sind ernst: Lass es uns ein paar Tage lang mit diesen Pflanzen versuchen. Wenn es nicht reagiert, muss das Pferd getötet werden.“

    Ein Schwein lauscht der Unterhaltung und rennt zu dem Pferd: „Steh auf, sonst geht es dir schlecht!“

    Das Pferd reagiert dreht seinen Kopf auf die andere Seite.

    Einen Tag später kommt der Pferdeheiler zurück und verabreicht wieder die Pflanzen und erklärt: „Das Pferd reagiert nicht: Wir sollten noch ein bisschen länger warten, aber ich denke, da gibt es nichts, was wir tun können.“

    Wieder hat das Schwein alles gehört und rennt zu dem  Pferd: „Du musst aufstehen!!“

    Aber das Pferd bleibt unbeweglich liegen.

    Am dritten Tag vollzieht der Pferde-Heiler die Entwicklung: „Gib mir die Flinte, es ist Zeit, das arme Vieh zu erledigen!“

    Das Schwein rennt verzweifelt zu dem Pferd: „Du musst bitte reagieren! Sie bringen dich sonst um!“

    Das Pferd steht plötzlich auf und rennt weg, indem es über die Hürden springt. Der Eigentümer dreht sich vergnügt zu dem Pferde-Heiler um: „Vielen Dank, vielen Dank! Du bist ein wunderbarer Heiler, du hast ein Wunder vollbracht. Wir müssen unbedingt ein Riesenfest veranstalten. Komm, lass uns das Schwein schlachten!“

    Moral:

    Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten! Dann bist du immer beschäftigt  und mischst dich nicht in die Sache anderer Menschen ein.

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    Was rollt denn da?

    Fahrzeuge natürlich, aber auch Lebewesen. Wie sind die im Altertum entstandenen rollenden Objekte zu deuten? Als Spielzeug, Kultgegenstände, Grabbeigaben? Sehen wir uns rollende Statuetten der Antike daraufhin an und versuchen uns selbst eine Meinung zu bilden.

    Karren und Wagen sind seit vorgeschichtlicher Zeit mit Hilfe von Rädern beweglich. Auf sie wollen wir hier nicht näher eingehen[1]. Doch es gibt auch Wasserfahrzeuge mit Rädern. Die altertümlichen Raddampfer auf dem Mississippi sind berühmt. Vitruv  beschrieb im 1. Jh. v. Chr. das Schaufelrad.

    Abb. 1: Räderschiff aus dem römischen Ägypten, 2.-3. Jh. n. Chr.
    Nach Andres 2000, 218 f. Kat. Abb. 141

     

    Räderschiff:

    Die Räder (Abb. 1) symbolisieren einen Wagen, auf dem das Boot gezogen werden konnte; doch aus der Darstellung im Relief lässt sich schließen, dass die Funktion als Fahrzeug nicht beabsichtigt war. Das kleine Schiff hatte eher eine Bedeutung im privaten Kult bzw. im Totenkult, etwa als Medium zur Überfahrt der Sterblichen in die andere Welt. Die Tonfarbe weist in den Fayum, wo ähnliche Terrakotta-Boote in Wandnischen gefunden wurden[2]. Auf einigen der aus dem römischen Ägypten stammenden Vergleichsexemplare befindet sich ein ‘Passagier’, den man mit der jugendlichen Gestalt des Harpokrates (des kleinen Horus) verband. Vielleicht handelt es sich bei der stilisierten Figur am Heck des Räderschiffs (Abb. 1) um eine Anspielung auf diesen Kindgott[3].

     

    Kriegsschiff auf Rädern:

    Nach einer Scholie des Eustathios zu Ilias XI, 20  hatte der zyprische König Kinyras einer griechischen Gesandtschaft 50 Schiffe gegen Troia versprochen; davon lief aber nur eines vom Stapel. Die anderen ließ der doppelzüngige Herrscher aus Ton verfertigen und mit tönernen Kriegern bemannen. In einem Terrakotta-Fragment aus Salamis/Zypern, das aus einem Schiffsbug mit Rammsporn und Schild sowie einer Durchbohrung für die Räder besteht, könnte sich dieser Mythos spiegeln[4].

     

    Rollenden Lebewesen wurden viel häufiger tierische Formen als menschliche oder menschenähnliche Gestalt gegeben. In Mesopotamien und in den Ländern am östlichen Mittelmeer stellte man schon seit dem Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. Tiere auf Rädern, vor allem Widder, dar[5]. Auch rollbare  Gefäße in Tiergestalt haben eine lange Tradition[6]. Da sie zumeist in Heiligtümern gefunden wurden, liegt es nah, sie mit der Libatio, der Trankspende für eine Gottheit, zu verbinden. Eine einfache Vorrichtung[7] ermöglichte, die Tiergefäße hin und her zu ziehen, bevor man aus ihnen spendete.

    Tierfiguren und Gegenstände auf Rädern, mit einer Zugvorrichtung und aus verschiedenen Werkstoffen hergestellt finden sich bis heute in Kinderzimmern; so lassen entsprechende antike Statuetten ebenfalls fast automatisch an Spielerisches denken[8]. Ist es aber statthaft, von beweglichen Geräten unserer Zeit auf die Situation im Altertum zu schließen? Waren Material und Konstruktion der auf uns gekommenen antiken Figuren robust genug für den bekanntlich oft rauen Umgang von Kindern mit einem Spielgerät?[9]. Allenfalls ein hölzernes Räderpferd aus dem spätantik-frühbyzantinischen Ägypten[10] hätte den kindlichen Spielen widerstehen können.

    Anders ist es bei einem Reiter auf Rädern (Abb. 2), der in unmittelbarer Nähe des Aphrodite-Altars von Tamassos/Zypern geborgen wurde. Die aus massivem Kalkstein bestehende Figur ist wegen ihres Gewichts und der Höhe und Länge von jeweils knapp 20 cm kaum als Spielzeug geeignet. Auch der Fundort spricht für einen sakralen Aspekt[11].

    Abb. 2: Tamassos/Zypern, Fund-Nr. 485/1975
    Nach Buchholz – Nobis 1978, 300 Abb. 7

     

    Nicht nur Pferde mit und ohne Reiter[12], auch andere Tierfiguren hat man mit Rädern ausgestattet. Gelegentlich sitzt das Wesen auf einem Sockel, durch den die Achse führt[13].

     

    Vögel:

    Woher die Taube auf Rädern stammt (Abb. 3) wissen wir nicht. Zwar ist die Knubbe[14] zum Einfädeln einer Zugschnur durchbohrt, doch eignen sich die tönernen Räder nicht zum häufigen Gebrauch. Auch dieser Statuette kommt wohl eher kultische Bedeutung zu. Nicht zufällig sind Tauben der Göttin Aphrodite heilig.

    Abb. 3 Taube auf Rädern, Unteritalien, 4.-3. Jh. v. Chr.
    Nach Andres 2000, 132 Kat. Abb. 90

    Eine vom Rücken schräg nach vorn zur Brust führende Bohrung  macht den  Wasservogel auf Rädern (Abb. 4) zum Aufhängen geeignet. Vermutlich hingen derartige Vögel (Gesamthöhe 6,8 cm) an den Ästen heiliger Bäume in Kultbezirken unter freiem Himmel. Die Sitte war in der frühen Eisenzeit im Gebiet des südlichen Balkans und in Nordgriechenland heimisch; einen Schwerpunkt gab es in Pherais/Thessalien[15]. Als Amulett scheint der Gegenstand nicht fungiert zu haben; entsprechende Hinweise fehlen.

    Abb. 4: Thessalische (?) Bronze, 2. Hälfte des 8. Jhs. v. Chr.
    Prähistorische Staatssammlung München, nach Zaalhaas 1996, 72 Abb. 52

     

    Rollende anthropomorphe Figuren sind selten. Wir haben wenige Beispiele von Sterblichen, einzelnen dämonischen Wesen und göttlichen Gestalten.

     

    Sterbliche: Krieger-Figuren

    Eine Gruppe von etwa 24 archaischen Terrakotta-Statuetten aus Salamis/Zypern ist durch Bärte als männlich, durch spitze helmartige Kopfbedeckungen und Wangenklappen als kriegerisch ausgewiesen. Die Arme sind angehoben, die Beine durch Räder ersetzt, wobei die Radachse quer durch das untere Ende der offenbar mit einem langen Gewand bekleideten Körper führt[16] (Abb. 5). Der Thorax weist eine weitere, größere, Öffnung auf. Durch diese konnte ein Stab, an dem die Figur “wie ein Spielzeug”[17] zu bewegen war, geschoben werden. Ob derartige Statuetten eine, wie V. Karageorghis meint, zweifache Bedeutung hatten, nämlich als Spielgerät und als Votivgabe im Heiligtum[18], ist allerdings  offen.

    Abb. 5: Aus Salamis/Zypern, 6. Jh. v. Chr.
    Nach V. Karageorghis 1995, 142 f. Taf. 82, 1

     

    Dämonische Mischwesen:

    In Etrurien entstand bereits im 8. Jh. v. Chr. aus Bronze eine Räucherpfanne auf Rädern. Sie stellt einen geschwänzten, als flaches Deckelgefäß gebildeten Vogelkörper dar, überragt von zwei Hirschköpfen mit langen Hälsen[19].

    In der römischen Kaiserzeit fertigte man ein Mischwesen auf vier Rädern an, den Rosshahn, dessen Pferdekörper in einem Hahnenschwanz endet. Auch der Reiter ist eine dämonische Erscheinung[20].

    Gottheit:

    Aus der Nord-Nekropole von Knossos stammt ein Pithos (großes Vorratsgefäß) mit dem Relief einer weiblichen Naturgottheit, auf einer Platte mit Rollen[21] (Abb.6). Die Vorderseite des Gefäßes zeigt die Göttin mit je einem Vogel in den erhobenen Händen, auf der Rückseite sind die Arme gesenkt. Von den Ästen der flankierenden Bäume wird das Motiv aufgenommen. Handelt es sich um eine Darstellung des Werdens und Vergehens in der Natur?[22]

     

     

     

     

     

     

     

     

    Abb. 6: Naturgottheit auf Rollen, Pithos aus der Nord-Nekropole von
    Knossos. Nach Matthäus 2005, 327 f. Abb. 17

    Wie wir sehen, fungierten die rollenden Statuetten, so weit wir ihren Fundkontext kennen oder auf ihren Fundort schließen können, in der Antike zumeist als Kultobjekte und Grabbeigaben[23]. Die Verwendung als Amulett ist fraglich. Kinderspielzeug dagegen setzt ein weit widerstandfähigeres Material voraus als Kalkstein oder Terrakotta zu bieten vermögen.

     

    Abgekürzt zitierte Literatur und Bildnachweis:

    Andres 2000: M. Andres, Die Antikensammlung. Hessisches Puppenmuseum Hanau-Wilhelmsbad (Hanau 2000)     Abb. 1. 3

    Bianco – Tagliente 1993: S. Bianco – M. Taglienete, Il Museo Nazionale della Siritide di Policoro (Bari 1993)

    Borger 1977: H. Borger, Das Römisch-Germanische Museum Köln (München 1977)

    Brouskari 1985: M. Brouskari, The Paul und Alexandra Canellopulos‘ Museum (Athens 1985)

    Buchholz 1978: H.-G. Buchholz, Tamassos, Zypern, 1974-1976. 3. Bericht, Archäologischer  Anzeiger 1978, 155-230

    Buchholz 1980: H.-G. Buchholz, Grabungen in Tamassos und Liste der ausgestellten Stücke, Anhang II in: Schätze aus Zypern. Ausstellung 5. November bis 7. Dezember 1980, Akademisches Kunstmuseum der Universität (Bonn 1980) Nr. 217

    Buchholz – Nobis 1976/77: H.-G. Buchholz – G. Nobis, Tierreste aus Tamassos auf Zypern, Acta praehistorica et archaeologica 7/8,1976/77 271- 300     Abb. 2

    Buchholz – Untiedt 1996: G.-G. Buchholz – K. Untiedt, Tamassos. Ein antikes Königreich auf Zypern (Jonsered 1996)

    Buchholz – Wamser-Krasznai 2017: H.-G. Buchholz  – W. Wamser-Krasznai, Tiere – Reiter – Wagen. Aus den Heiligtümern von Tamassos, in: W. Wamser-Krasznai, Streufunde  (Filderstadt 2017) 23-26

    Cholidis 1989: N. Cholidis, Tiere und tierförmige Gefäße auf Rädern. Gedanken zum Spielzeug im Alten Orient, Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 121,1989, 197-220

    Crouwel 1985: J. H. Crouwel, Carts in Iron Age Cyprus, RDAC 1985, 203-221

    Crouwel 1992: J. H. Crouwel, Chariots and other Wheeled Vehicles in Iron Age Greece (Amsterdam 1992)

    Crouwel – Tatton-Brown 1988:  J. H. Crouwel – V. Tatton-Brown, Ridden Horses in Iron Age Cyprus, RDAC 1988 II, 77-87 Taf. 24-26

    Fittà 1998: M. Fittà, Spiele und Spielzeug in der Antike (Darmstadt 1998)

    Guggisberg 1996: M. A. Guggisberg, Frühgriechische Tierkeramik (Mainz 1996)

    Karageorghis 2002: V. Karageorghis, Ancient Art from Cyprus in the Collection of George and Nifeli Giabra Pierides (Athen 2002)

    Karageorghis 1995: V. Karageorghis, The Coroplastic Art of Ancient Cyprus 4. The Cypro-Archaic Period, Small Male Figurines (Nicosia 1995)    Abb. 5

    Lembke 2004: K. Lembke, Die Skulpturen aus dem Quellheiligtum von Amrit (Mainz 2004)

    Lubsen-Admiraal – Crouwel 1989: St. Lubsen-Admiraal – J. Crouwel, Cyprus & Aphrodite (s’ Gravenhage 1989)

    Matthäus 2005: H. Matthäus, Toreutik und Vasenmalerei im früheisenzeitlichen Kreta: Minoisches Erbe, lokale Traditionen und Fremdeinflüsse, in: C. E. Suter – Chr. Uehlinger (Hrsg.), Crafts and Images in Contact. Orbis Biblicus et Orientalis 210 (Fribourg – Göttingen 2005) 291-350      Abb. 6

    Th. Monloups, Figurines à roulettes, Salamine de Chypre XII. Les figurines de

    terre cuite de tradition archaique (Paris 1984) 151-169

    Rühfel 1984: H. Rühfel, Das Kind in der griechischen Kunst (Mainz 1984)

    Schefold 1993: K. Schefold, Götter- und Heldensagen der Griechen in der Früh-

    und Hocharchaischen Kunst (München 1993)

    1. Strøm, The Early Sanctuary of the Argive Heraion and its External Relations

    (8th.- Early 6th. Cent. BC.) Proceedings of the Danish Institute at Athens I

    (Athens 1995) 37-128

    1. A. Trofimova, Greeks on the Black Sea (Los Angeles 2007)

    Ulbrich 2008: A. Ulbrich, Kypris. Heiligtümer und Kulte weiblicher Gottheiten auf Zypern in der kyproarchaischen und kyproklassischen Epoche. Königszeit (Münster 2008)

    Vierneisel-Schlörb 1997: B. Vierneisel-Schlörb, Kerameikos 15. Die

    Figürlichen Terrakotten I. (München 1997)

    Zahlhaas 1996: G. Zahlhaas, Aus Noahs Arche. Tierbilder der Sammlung

    Mildenberg aus fünf Jahrtausenden (Mainz 1996)    Abb. 4

     

    [1] Z. B.  Fragment eines tönernen Wagenmodells aus dem Aphrodite-Heiligtum in Tamassos, Buchholz-Untiedt 1996, 129 Abb. 69 a; Crouwel 1985, 204-212 Taf. 31-34; V. Karageorghis 1995, 121-123 Taf. 73. 74, 1-3..

    [2] Andres 2000, 218 f. Kat.-Nr. 141.

    [3] LIMC IV (1988) 431 f. Nr. 230 a. d. e. f Taf. 253 f. s. v. Harpokrates (Tram Tan Tin – B. Jaeger – S. Poulin).

    [4] Monloups 1984, 158 f. Abb. 601.Taf. 29.

    [5] Andres 2000, 33 Kat.-Nr. 10; Cholidis 1989, 204. 215 Abb. 6;  Fittà 1998, 74 Abb. 132.

    [6] Cholidis 1989, 199.

    [7] Eine Öse, durch die man eine Schnur ziehen konnte, oder ein Gefäßhals, um den man ein Band legte, Cholidis 1989, 202.

    [8] Andres 2000, 16. 205.

    [9] Verneinend: Cholidis 1989, 197-205; ebenso Guggisberg 1996, 299 f. Anm. 1405. 1409. Beispiele für den mehr als rauen Umgang von  Kindern mit lebenden Spieltieren: Schildkröte, Fittà 1998, 66 Abb. 105; “Gans-Würger”, Rühfel 1984, 255 Abb. 108.

    [10] Andres 2000, 229.

    [11] Buchholz – Wamser-Krasznai 2017,  23-26 Bild 7; Terrakottastatuette eines reitenden Kriegers auf Rädern aus dem Quellheiligtum von Amrit, Lembke 2004, 154, Nr. 14 Taf. 3 f.;  Reiter auf Räderpferd aus dem Heiligtum von Ayia Irini, Lubsen-Admiraal – Crouwel 1989, 170 f. Nr. 178 Farbtafel 77; zur Wahrscheinlichkeit des sakralen Gebrauchs: Cholidis 1989, 204; “Groupe sacrificiel (?)” Monloup 1984, 157 f. Nr. 599 Taf. 29; attisch-subgeometrisches Räderpferd vom Kerameikos, Athen, Vierneisel-Schlörb 1997, 167 Nr. 526 Taf. 26.

    [12] Terrakottafigur eines Reiters auf Rädern, Attika, Brouskari 1985, 24 f.; Borger 1977, 90 Abb. 29; attisch-geometrisches Pferd auf Rädern, Zahlhaas 1996, 121f. 127 Abb. 101  Holzpferd auf Rädern aus Ägypten, 235.

    [13] Andres 2000, 46 Nr. 23; Löwe auf Standplatte mit vier Rädern, 203 Nr. 126; ebenso Lasttier, 206 Nr. 127;  Widder, Cholidis 1989, 203 f. 207 Abb. 6. 7. 215 Abb. 20-31; Stier, Trofimova 2007, 207 Abb. 106; Tiere auf Rädern in Gräbern der frühen Eisenzeit, Basilicata, Bianco – Tagliente 1993, 56; kleine Ton-Ferkel aus einem Heiligtum von Salamis/Zypern, Monloups 11. 165 Nr. 613. 614 Taf. 30; Maus, Krokodil, Huhn, Fittà 1998, 69 f. Abb. 114. 117.

    [14] Andres 2000, 16. 132 Katn Nr. 90.

    [15] Zaalhaas 1996, 28. 72 Abb. 52; gleichartige Vogelfiguren aus Bronze ohne Räder, mit  prismenförmigem Stempelfuß im argivischen Heraion, Strøm 1995, 62-68 Abb. 26; auf hohem zylindrischem Fuß mit zwei eingeschalteten Kugeln, Brouskari 1985, 27 f.

    [16] Monloups 1984, 23. 151-160

    [17] “De mouvoir le personnage sur ses roulettes, comme un jouet”, Monloups 1984, 152.

    [18] Karageorghis 1995, 142 f. Taf. 82, 1; zur Deutung und zur zypern- bzw. salamis-spezifischen Entstehung der Statuetten v. a. Monloups 1984, 18-23.

    [19] Aus der Monterozzi-Nekropole von Tarquinia, Bianchi Bandinelli – Giuliano 1974, 30. 404 Abb. 29.

    [20] Reiter im Kapuzenmantel, Telesphoros? Andres 2000, 205 Kat.-Nr. 128; ohne Kopfbedeckung, Fittà, 1998, 74 Abb. 130.

    [21] Matthäus 2005, 327 f. Abb. 17; Schefold 1993, 59 Abb. 37 a. b.

    [22] Schefold 1993, 59.

    [23] Mylonas 2003, 67 und Anm. 52; Senff 1993, 62 und Anm. 51; Andres 2000, 16; Fittà 1998, 70; Cholidis 1989, 197f.;  s.; Monloup 1984, 152-157; zur möglicherweise verkürzten Darstellung von Pferd und Wagen durch Pferde mit Rädern, sowie zum trojanischen Pferd auf Rädern: Meyer 2010, 20-22.

  • Ich muss diesen Gedichten ein paar Worte vorausschicken:

    Wegen körperlicher Gründe ist mir das Schreiben schwergefallen (egal, ob von Hand oder am Computer). Ich musste aber meine Gedichte aufschreiben, sonst kann ich die Entwürfe bald selbst nicht mehr lesen… Ich entschloss mich, sie in den Mac zu diktieren und später in mein Gedichtbuch einzufügen.

    Dann hätte ich sie auch gleich zum Verschenken…. Ich mache keine Auswahl wie sonst und deshalb sind ein paar einführende Worte

    nötig. Manche Gedichte sind in einem Prozess entstanden, der noch nicht abgeschlossen ist, teils ist es ein innerer Erkenntnisprozess, teils gehören die Gedichte in verschiedene Projekte… Deshalb sind sie vielleicht nicht zu verstehen. Wundert Euch also nicht, wenn einige sehr… geheimnisvoll? Kryptisch?  Okkult?….

    erscheinen. Merkwürdigerweise gefielen sie einigen Freunden ganz besonders. Die Sprache, der Rhythmus, die Bilder wirken auch so… Mir fiel dazu ein Zitat von Paul Celan ein (ich will mich nicht mit ihm vergleichen!). Auf die Bemerkung, dass einige seiner Gedichte schwer verständlich sein, meinte er: Lesen, immer wieder lesen

     

     

    Unsere Pflicht ist es
    Beryll zu werden
    wie der Stein
    der den Augen
    neues Sehen ermöglicht
    wie seine Farbe
    die Farbe der
    im Feuerwasser
    im Wasserfeuer
    verborgenen Rosen

    Werde Beryll
    hilf ihm
    das Alphabet zu retten
    und sei es auch
    nur
    ein einziger Laut!
    Sage
    sprich ihn
    singe und tanze ihn forme ihn
    mit Händen in der Luft
    gestalte ihn
    in Farbe und Form

    Dann …
    du bist noch
    kein Beryll
    bist aber sein
    Gehilfe geworden

    12./13.12.2018

     

     

    Die schwarzen Vögel schlafen noch
    Die schwarzen Vögel der Nacht
    Die schwarzen Boten des Unheils
    wie die Menschen behaupten
    Menschen
    die ihre Brüder und Schwestern
    unter den Tieren nicht mehr kennen
    In Wahrheit bewachen sie im Winter
    die langsam erwachende Sonne
    deshalb siehst du sie
    in der Wintermorgendämmerung
    nur vereinzelt
    die schwarzen Vögel
    wissende Freunde von Hund und Mensch

    1. 12. 2018

     

    Heimat
    ist kein Ort
    Glaube
    ist keine Weltanschauung
    Glaube
    ist die Mutter der Liebe
    Liebe erschafft
    Heimat

    1. 12. 2018

     

     

    Dass ich mich opfern kann
    ohne mich zu verlieren
    dass ich unter den Sternen weile
    ohne die Erde zu verlassen
    dass ich fest auf Erden stehe
    und gleichzeitig hinabtauche
    in die Urgründe
    der Menschheit
    der Erde
    ohne zu ertrinken …
    Das verdanke ich
    dem Schmerz
    der mich weckt
    warnt
    hilft
    der mich das Kreuz
    spüren lässt
    das Kreuz
    das ich trage
    Nur weiß ich
    (noch) nicht:
    wessen Kreuz ist es?

    13.12.2018

     

    Wie einst der
    Zungenbaum
    in der Tiefe des Meeres
    sang
    so sangen später
    auf den Klippen des Meeres
    die Sirenen
    Die stummen Fische die
    die Laute

    des versunkenen Alphabets
    verschluckten
    wandelten sich
    in singende Vögel
    die Rettung des verlorenen Alphabets
    begann…

    …und irgendwann in Zukunft
    kann die neue Welt
    auf den Trümmern der alten
    entstehen

    14.12.2018, 17:50 Uhr

     

    Ich habe Rosen
    für dich gepflückt
    wollte dich erfreuen
    dich erinnern
    an uralt Vergessenes der Menschheit
    Doch du…
    hast die Blüten vertrocknen lassen
    und aus den Dornen
    für mich einen Kranz gewunden
    Warum?
    Du weißt doch:
    nur Freude und Liebe
    können Leid lindern

    Du weißt doch:
    es ist ein Ros entsprungen
    und auf deinem dunklen Pfad
    erstrahlt ein Lichtstrahl
    Spürst du nicht
    dein Engel begleitet dich
    das Tor zum Paradies
    ist für dich
    nicht mehr bewacht!

    Das uralte Gewässer aus
    Erdenbeginn
    funkelt im ersten Sonnenlicht
    wie am Morgen
    die Perle aus Tau
    wie die Tränen deines Kindes
    Das Netz
    geflochten aus dem dunklen Gespinst
    des Grauens unserer Zeit
    soll uns nicht mehr verbinden
    soll auch dich nicht fesseln

    Geh
    deinen Weg in die andere Welt
    Freude und Liebe
    werden deine Begleiter sein

    1. 12. 2018, 7:30 Uhr

     

    Antwort auf vegane Missionare

    Einst
    in einem längst vergangenen Leben
    wurden sie als Kind
    geschlachtet
    aufgegessen
    der Hunger
    die Angst vor dem Sterben
    der anderen
    waren zu groß

    Heute…
    um sicher zu sein
    dass sie niemals und nie
    gleiches tun
    verzichten sie auf jegliches Fleisch
    Wisst ihr nicht
    es gibt viele Arten
    zum Mörder am Leben
    zu werden

    18.12.2018, 7:45 Uhr

     

    Trugschluss

    Wenn du
    deine Augen
    mit deinen Händen
    bedeckst
    siehst du nicht mehr
    die Welt
    doch die Welt
    sieht dich immer noch
    Doch jetzt
    bist du ihr hilflos ausgeliefert

    18.12.2013

     

    Unterschied

    Ich verstecke mich
    weil ich nicht Zeuge werden will
    (und selbst nicht gesehen werden will)
    Ich verstecke mich
    hinter einer anderen Erscheinungsform
    weil ich so alles besser sehen kann
    weil ich Zeuge
    werden will

    18.12.2018

     

     

    Nach dem Hören der Nachrichten
    und der Presseschau im Radio
    am Morgen der Wintersonnenwende 2018 fragte ich mich:
    Müssen vielleicht heute
    in dieser Zeit
    hier und an vielen Orten der Welt
    so grauenhafte Dinge geschehen
    so viele
    damit wir erkennen:
    die Barmherzigkeit
    die Mitmenschlichkeit
    lebt immer noch
    unter den Menschen
    erwacht an dem Geschehen
    (oder wird sie erst
    in ihm geboren?)
    Ein neugeborenes Kind
    nicht aus der
    eigenen Familie
    kann anscheinend
    nicht mehr unsere Liebe
    Freude
    Staunen
    erwecken

    aber das Kind
    das unter Trümmern
    aus den Armen seiner toten Mutter
    lebend geborgen wurde!

    21.12.2018, 8:20 Uhr

     

     

    Ich vergesse so vieles
    weiß nicht mehr
    warum ich den einen Raum
    verließ
    den anderen betrat

    Vermeintlicher Trost sagt:
    Du hast zu viel
    an das du denken musst
    du bist müde
    auch du spürst
    das Alter

    Ist es wirklich so?
    ich ahne
    das Eigentliche dahinter:

    Innehalten
    Lauschen
    spricht aus dem eigenen Innern
    die wieder erwachte Erinnerung
    oder wird eine Frage gestellt
    der neue Impulse folgen?

    Vielleicht treten beide
    in herzlicher Umarmung
    vereint
    in mein Bewusstsein

    Jetzt
    in deinem Alter
    erinnert die Vielzahl deiner
    Pläne Pflichten Wünsche
    Vereine
    die längst vergangene Vergangenheit
    und die schon gekommene Zukunft
    in dir…

    dann …
    ist dein Vergessen
    kurz
    wie ein erholsamer Schlaf
    und die Erinnerungen kommen
    wie das Morgenlicht

    21.12.1978

     

     

    Vierter Advent
    Auch wenn ich
    wie alle Menschen jetzt
    von allen guten Geistern
    verlassen bin
    so weiß ich
    mein Schutzengel
    ist bei mir

    Ich kann den Blick
    in den Spiegel wagen
    ich kann den
    ersten Schritt wagen
    auf meinem erst noch
    entstehenden Weg

    Mein Engel fängt mich auf
    wie eine Mutter
    und er sagt tröstend
    zu mir:

    „Das Bild im Spiegel
    bist nicht du
    du hast falsch
    hineingeblickt
    schau in mein Auge…“
    Nun suche ich
    nicht nur am Himmel
    die Augen meines Engels:

    Manchmal
    finde ich sie in mir
    und es war keine Erinnerung
    wenn ich mich beschützt fühlte

    Es ist JETZT!!

    Und ich weiß:
    das Kind in mir kann ins MORGEN
    wachsen

    23.12.2018

     

    Ich spreche mit dir
    innerlich
    ohne Worte
    ich spreche mit dir
    in Gefühlen
    Gedanken
    Bildern
    Manchmal
    bist du in
    meinem Innenraum
    Dann sehe ich
    am Blick deiner Augen
    an deinem Lächeln
    dass du mich verstanden

    Für Anna

    25.12.2018

     

    I

    Ich spüre
    wie Kräfte
    vielleicht auch Wesen
    missbraucht werden…

    Sie kommen zu mir
    sind geschickt von einer
    unerlösten Toten
    – sie weiß nicht
    was sie tut –

    Die Wesen stören mich
    hindern mich
    drängen mich
    zum Abgrund

    Vielleicht ist es
    – für mich–
    zu früh
    die Seele zu erlösen?

    Sie weiß nicht
    was sie tut
    sie sucht meine Nähe
    und ist so verwirrt
    dass sie nicht bemerkt
    wie oft ich bei ihr bin
    Ich muss mich schützen…

    Eben war ich im Traum
    an der Tür des Stalles
    und bat darum
    mir meinen Umhang
    zurückzugeben

    Ich erwachte und verstand nicht:
    welchen Umhang?
    Brigids schützender Mantel
    fällt mir ein
    War ich vielleicht in ihrem Dienst
    einst und gab auch meinen Mantel?

    Vielleicht
    war die schützende
    Hülle gemeint
    die uns am Anfang
    umhüllt
    wie später Engelflügel?

    Warum musste ich
    auch erwachen
    bevor ich eine Antwort erhielt?

     

     

    II

     

    Vielleicht
    muss ich jetzt
    in dieser Zeit
    der Heilige Nächte
    in denen auch
    Dämonen ihr Unwesen treiben
    aus Gedanken
    eigenen
    Inspirationen
    geschenkten
    Tönen
    gehörten
    Bildern
    gesehenen
    mir einen
    eigenen Umhang weben

     

    III

     

    Ich werde dann
    am Faden der Erinnerung
    immer tiefer in
    die Höhle dringen
    Erwartet mich dort
    ein Ungeheuer
    oder ein Schatz?
    Vielleicht wie im Märchen
    Beides

     

    26.12.2018

     

    Beginn der 13 Nächte

    „Im Urbeginn war die Erinnerung“
    Welcher Urbeginn?
    Der eigene
    der Familie
    der Menschheit?
    Gibt es nicht viele
    Urbeginne?
    Die Geburt des Jesus
    die Geburt des Christus
    die Erschaffung der Erde wieder
    zur Zeit der Atlantis
    vor und nach der Flut

    Die Erschaffung der Erde
    als Idee
    im Kosmos

    (26. 12. 2018)

     

    Vielleicht
    sollte ich
    Vogel und Fisch fragen
    die Begleiter der
    Weltschöpfung?

    4.1.2019

     

    Überwinde die Hast
    die Hektik
    das Eilen
    die nach der Festeszeit
    wieder
    deinen Alltag
    beherrschen
    Schaffe Räume und Zeiten
    für Ruhe und Stille
    dass Güte und Weisheit
    geboren werden
    Väterlich
    mütterlich
    schützen sie
    deine Seele
    die zärtlich liebend
    sich mit der
    Schönheit der Welt
    verbindet

    Vierte Nacht der heiligen Nächte 2018/2019

     

     

    Wenn du zurückblickst
    heute
    am letzten Tag des Jahres
    und vorausblickst
    voll Hoffnung
    oder Angst
    dann verzweifle nicht
    über das Treiben in der Welt
    erschöpfe dich auch nicht
    im Kampf
    in dem du eh unterliegst

    Zeige auf andere Art
    dein Aufbegehren
    wandle dich
    werde Sand
    werde Sand
    im Getriebe der Welt

    Helga Thomas

    31.12.2018

    Aus verschiedenen Gründen wollte ich (eigentlich seit vorgestern) auf das Jahr 2007 zurückblicken. Dabei fand ich ein altes Gedicht, es war im Verlauf eines I GING-Seminars entstanden. Es passte eigentlich auch in die Zeit jetzt, ich hätte es jetzt schreiben können… Habe ich es eigentlich in mein Gedichtbuch von 2006 eingetragen? Ja, das habe ich, aber ich merkte, ich möchte es jetzt auch in meinen Gedichten von 2019 eintragen, ich möchte eine Karte mit ihm machen.

    Weil ich dich anerkenne
    habe ich Geduld mit dir
    weil ich Geduld mit dir habe
    anerkennst du mich
    meinen Rat
    meine Zuneigung
    Und langsam
    auf dem Wege der Geduld
    wandelt sich Anerkennung
    in Liebe

    Helga Thomas

    21.10.06/4.1.19

     

    Wenn du fürchten musst
    in den Fluten der Mutlosigkeit
    zu ertrinken
    und deinen Kräften
    nicht vertrauen kannst
    und keine Rettung
    weit und breit in Sicht ist…
    dann denke an den
    der über das Meer ging

    Er wird dir ein Halt sein
    dass du nicht untergehst
    selbst wenn du ertrinkst
    Mit seiner Hilfe
    wirst du dich
    zum Wasserwesen wandeln
    das seiner Schwester gleicht
    und den Menschen hilft

     

    Wer
    ohne gehalten
    getragen zu sein
    in den Fluten versinkt
    ist den Kräften des Bösen
    ausgeliefert
    Seine Angst wird sich wandeln
    in vernichtende Gefühle der Rache

    6.1.2019

    9:50 Uhr

     

    Zur Geburt des göttlichen Ich
    erstrahlte der Weihnachtsstern am Himmel
    ihm folgten die Könige
    aus fernen Landen
    Als Narziss
    – er hatte sich nie
    vom Jäger zum Hirten gewandelt–
    erkannte
    wer in seinem Spiegelbild verborgen war
    erblühte zur Auferstehungszeit
    der Stern seiner Blume
    die auch den
    heiligen Kelch
    bewahrt

    6.1.2019

     

     

     

     

     

     

  • Die goldene Nachtigall

    (1968)

     

    Von Jaleh Esfahani (1921-2007)

    Übersetzung aus dem Persischen von Amir Mortasawi und Andreas Schmidt

     

    Du, goldene Nachtigall,
    dich werde ich in meiner Dichtung,
    in den warmen Händen der Freunde,
    im Gesang des Lebens,
    in den Ländern des Frühlings,
    im Fleiß, der viele neue Triebe hervorbringt,
    in der unruhigen Nacht der Wartenden,
    beim Aufgang der ewigen Sonne,
    goldene Nachtigall,
    dich werde ich im Nest der Liebe finden,
    damit du meines Herzens Garten
    durch Licht und Gesang zum Blühen bringst.

    ֎֎֎

  •  

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    Sprecher ist Clemens Kerz.

     

    Aus dem Leben einer Kirchenmaus

    Das Leben ist wunderbar. Selbst für mich, der ich eine arme, graue Kirchenmaus, männlich, ein Mäuserich bin. Ich lebe versteckt in einem großen zum Himmel reichenden Haus mit wunderlichen Bildern unter dem Dach und bunten Fenstern, durch die morgens und abends die Sonne tanzende rot – blaue Schattenbilder malt. Das Haus ist so lang, dass ich den Weg vom Kopf zum Fußende selten wage. Er ist gefährlich. Eigentlich lebe ich nur nachts sicher, wenn die Menschen das Haus verlassen haben, der Besitzer den goldenen Becher, die goldene Schale und das Kreuz auf dem Tisch abgeräumt, das Licht ausgeschaltet, die Türen verschlossen und sich schlafen gelegt hat.

    Vor ihm und den Menschen, die mit Wassereimern, Besen und Wischtüchern nicht einmal einem kleinen Staubkorn erlauben, sich auszuruhen, muss ich mich verbergen und in Acht nehmen. Ich darf keine Spuren hinterlassen, die auf meine Existenz deuten könnten. Ich habe da meine Erfahrung.

    Es ist gar nicht so lange her und der Schrecken dringt mir immer noch in meine Träume, als ich aus einem Wasserrest getrunken hatte, der von den Reinigungsmenschen übersehen worden war. Einen Tag danach bekam ich fürchterliche Bauchkrämpfe und einen so heftigen Durchfall, dass ich meine Toilette nicht mehr erreichen konnte. Wie es das Schicksal will, wurden meine Hinterlassenschaften sofort entdeckt. Die Menschen suchten nach mir in den dunkelsten Verstecken, stellten Käsefallen auf, ja, beauftragten sogar eine Katze mich zu fangen und zu töten.

    Das war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Ich musste hungern und darben. Ich flüchtete mich in die Einsamkeit hinter einem großen Bild im ersten Stock. Es zeigt einen abgemagerten Mann, der schwer an einem Kreuz trägt. Ich weiß nicht, ob er es war, der mir half, die verlockenden Käseversuchungen, den Hunger, Durst und all die Angst zu überstehen. Aber ich glaube es. Heute, da ich nach Tagen vorsichtig und voller Furcht in mein Zuhause zurückkehre, lächelt er mir zu.

    Zu meiner Überraschung begrüßt mich eine mir unbekannte, weiße, wahrscheinlich Einstein – intelligente Maus Madame. ‚Sie werde Madame Curie genannt. Sie sei eine Labormaus. Mit List und Verstand dem Verderben entronnen. Die Flucht sei extrem schwierig gewesen, da sie von der Welt außerhalb ihres Laborkäfigs nichts gewusst habe. Sie sei durch mehrere Abwasserkanäle geschwommen, habe sich erschöpft auf den stinkenden Abfällen der Menschen ausruhen können, und sei schließlich durch die offene Tür in die Kirche geschlüpft – denn das sei hier doch, so wie sie es auf ihrer langen Reise erfahren habe, ein Gotteshaus. Sie bitte um Aufnahme und Schutz. Um sorgfältige Betreuung. Hungrig sei sie und durstig dazu.‘

    Ich bin mit mir uneins. Da bittet um Aufnahme und Schutz eine Madame Curie, die wahrscheinlich welterfahren und intelligenter ist, als ich es bin. Ich habe von der Welt nichts, aber auch gar nichts, sie aber hat alles gesehen. Sie weiß sogar, dass mein großes Haus eine Kirche ist. Zweifelsfrei, sie ist schön, sexy, attraktiv. Aber ich? Bleibe ich Herr im Haus? Hat sie vielleicht einen Pakt mit der Katze oder mit dem Käsefallensteller geschlossen? Sagt ihnen, wann ich mein Versteck verlasse und zur leichten Beute werde?

    Kann ich ihr vertrauen? Wie kann Ich sie auf die Probe stellen? Vielleicht mit meinen Erinnerungen an die Vorträge über Wissen, Glauben, ferne Länder, die ich aus meinem Versteck verfolgen konnte?‘

    Ich bitte sie, sich zu mir an den Tisch zu setzen, mit mir zu essen und zu trinken. Ich nenne sie ‚Liebes‘ – ja, ich bin schon in der Stimmung sie ‚Liebes‘ zu nennen und sage zu ihr:

    „In der großen, weiten Welt war ich noch nie. Ich kenne nur die Menschen, die hier in das Gotteshaus kommen. Entweder sie fotografieren sich mit ihrem Smartphone, oder setzen sich andachtsvoll auf die Stühle.

    Die Menschen, die in den Vorträgen gezeigt werden, verhalten sich anders. Die tragen rote Schwimmwesten und sitzen eng aneinander gepresst auf kleinen Gummibooten, die über das Wasser schaukeln. Manchmal tobt das Meer. Dann fallen die Menschen hinein und ertrinken. Manchmal findet sie ein großes Schiff. Dann klettern die Menschen von dem kleinen Boot auf das Schiff.

    „Weißt du, warum die Menschen das tun? Haben sie keine Angst?“, frage ich sie. „Ich habe große Angst vor dem Wasser. Das Meer ist ein Teufel.“

    „Das Meer, sage ich dir, ist kein Teufel. Es folgt wie ein Mensch seinen Gefühlen. Mit Liebe und Hass, Mordlust und Mitleid, Neid und Gier. Das Gefühl des Wassers ist der Wind. Du musst den Wind begreifen, wenn du das Meer verstehen willst“, erwidert sie.

    „Und die Menschen? Hier in dem Gotteshaus sind sie friedlich. Reichen sich die Hände. Singen andachtsvolle Lieder. Knien und beten. Spenden sogar Geld“, erkläre ich.

    „In den Vorträgen aber erzählen die Menschen, „dass da draußen Kinder, Männer und Frauen gemartert und ermordet würden. Kinder und Frauen würden in einer Reihe aufgestellt. Ihnen dann die Köpfe abgeschlagen. Kleine Kinder würden auf alte Frauen schießen. Kampfjets Bomben abwerfen und ehrfurchtsvolle Häuser zertrümmern. Die Menschen würden hungern, sich hassen und Krieg führen. Die bösen Menschen würden die guten Menschen martern und vertreiben. Deshalb seien fliehende Menschen immer gute Menschen. Und guten Menschen müsse man helfen.“

    Sind diese Berichte Fake News? Besitzen böse Menschen kein Herz, keinen Verstand? Wissen böse Menschen, dass sie böse sind? Oder glauben sie, dass sie Gutes tun? Du kommst aus der Wissenschaft. Hast die weite Welt durchwandert. Bitte sage mir. Sagen die Vorträge die Wahrheit? Wenn ja, warum sind die Menschen dort so böse und hier so gut?“, frage ich sie.

    Sie lächelt mich an: „Wie der Wind die Stimmung des Meeres regelt, so bestimmt die Landschaft die Gefühle der Menschen. Ich war eine Versuchsmaus. Ich lag schon mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Eine weiß gekleidete Menschenfrau hielt mich fest und wollte mich töten, als sie einen Anruf erhielt. „Ich muss es dir sagen: Es ist aus mit uns. Endgültig!“, hörte ich die Telefonstimme. Die Menschenfrau wurde kreidebleich und ließ mich fallen. Ich benutzte ihre Verzweiflung. Floh sofort. Flitzte durch den Türspalt hinunter auf die Straße.  Suchte nach Schutz.

    Wenn du auf der Flucht bist, sind Katzen sehr gefährlich. Aber sie meiden Wasser wie die Pest. So rannte ich durch die Abwasserkanäle zum Flusshafen, schlich mich auf ein Containerschiff und fuhr als blinder Passagier um die Welt. Ich erlebte übersatte, aber auch magere Tage. An manchen fraß ich Menschenfleisch, das ich den Ratten stahl. Es schmeckt gar nicht so schlecht, sage ich dir.

    Ich verbarg mich in Kameltaschen und Schilfrohrhütten, klaute den hungernden Bauern das letzte Maiskorn. Dabei hatte ich kein schlechtes Gewissen, denn sie wurden sowieso erschossen. Auf weiße Mäuse aber schießt niemand. Zumindest nicht in Afrika. Schließlich brachte mich ein Kohleschiff wieder in den Hafen. Dort floh ich vor einer lauernden Katze in diese Kirche, zu dir.“

    „Du hast viel erlebt in deinem aufregenden Leben. Sind die Menschen wirklich so böse? So böse wie Katzen, die mit uns Mäusen Stierkampf spielen. Uns quälen, bevor sie uns ermorden?“

    „Ich kann dir nicht sagen, was bei den Menschen gut und böse ist. In der Mauswelt kann ich keinen Unterschied erkennen oder gar erklären. Bei den Menschen?

    Ich meine, dass viele Menschen gut sind und Böses tun. Andere sind böse und tun Gutes. Die Menschen glauben oft, sie täten Gutes und wissen selten, dass sie Böses tun. Umgekehrt gilt das aber nicht. Denn die Menschen glauben niemals, dass sie Böses tun und wissen selten, ob sie Gutes tun.

    Wir Mäuse haben wenige Probleme. Die Wichtigsten sind Katzen, Fressen, Trinken, Kinder aufziehen. Menschen haben viele Probleme. Zusammenleben, Eigentum, Arbeit, Freizeit,  Macht, Unterscheidung in Gut und Böse. Diese Aufgaben können sie heftig erzürnen. Dann demonstrieren sie. Fühlen sich stark. Werden gewalttätig. Legen Feuer. Vergewaltigen und Morden.

    Sie gründen eine ‚Heiligen Katze’, tanzen um sie herum. Verlangen von jedem Menschen, dass er sie anbetet. Tut er das nicht, dann töten sie ihn wie ein Schwein. Wie die Katze uns Mäuse. Sie sagen, dass nur die Katzenanbeter Gottes würdige Menschen seien. Die anderen höchstens Affen, Hunde, zumeist Schweine. Deshalb würden sie allenfalls Hunde, Affen oder Schweine, niemals Menschen morden. Weißt du, wenn sie Katzen töten würden, hätte ich eine gewisse Sympathie für sie.

    Wissen verachten die Katzenanbeter. Es interessiert sie nicht. Nur ihr Katzenglaube zählt. Deshalb könnten sie mit ihrem Glauben Berge versetzen. Mit Wissen wäre das weniger als ein Staubkorn.

    Ich bin eine Maus. Ich kenne keinen Glauben. Ich stelle mir vor, dass ein Glaube auf inneren Wunsch, Vorstellung und Gefühl beruht. Er Ist an die Seele gebunden und führt sie bis hin zum Tod. Bei Katzenanbetern möglichst mit Mord an fremden Affen, Hunden oder Schweinen.

    Wissen habe ich nur im Labor gesehen. Dort wird begründet und beobachtet. Katzenanbeter können das nicht verstehen.

    Dort habe ich beobachtet, wie sich die Menschen erregten, heftig stritten. Über Dinge, die sie weder verstanden noch selbst erfahren hatten. Sie glaubten an Demokratie, nur wenige an Katzen. Sie wussten auch, dass ihre Demokratie eine Fata Morgana ist. Ein falsches Spiel. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Menschen nicht das tun, was sie wissen, sondern nur das, woran sie glauben.

    Die Menschen hier wollen Demokratie nach Afrika exportieren und wundern sich, dass die Afrika-Menschen von dieser heiligen Katze nichts wissen, sie nicht einmal als Gastgeschenk empfangen wollen. Für Essen, Trinken, oben schwimmen, den Tod vermeiden kämpfen sie dort, wo das Leben am Abgrund steht. Dummheit ist tödlich. Die intelligenten Menschen führen die Dummen zur Schlachtbank. Manchmal überlassen sie uns Mäusen das Menschenfleisch als Dessert.“

    Ich höre ihr gespannt zu. Blicke ihr tief in die Augen. Sie zwinkert. Ich fühle eine tiefe Zuneigung zu ihr. Schon möchte ich sie in meinen Arm nehmen, ihr einen Kuss geben, als eine tiefe Männerstimme ‚um Aufmerksamkeit’ bittet. ‚Er heiße die Anwesenden herzlich willkommen und freue sich, ihnen seine Erlebnisse aus dem Sudan und Jemen berichten und erklären zu können’.

    „Komm mit mir. Es gibt einen Vortrag über das Elend der Menschen. Vielleicht auch über die Katzenanbeter. Komm bitte! Lass uns zuhören!“, bitte ich sie spontan. Wir verlassen vorsichtig unser Versteck und schleichen entlang der Bodenspalten in meine dunkle Zuhörerecke. Ein schlanker hochgewachsener Mann mit ausschweifendem Bart und zerzausten Haaren steht am Rednerpult. Er spricht laut und zeigt erschreckend bunte Bilder.

    Im vertrauten Zuhörerversteck höre ich den Redner sagen‚ er wisse, dass die Bilder, die er jetzt zeigen werde, schwer zu ertragen seien. Die Aufnahmen seien authentisch. Die Wahrheit. Er selbst habe sie geschossen. Es seien die Dokumente eines fürchterlichen Krieges. Verstümmelte Leichen, um die sich niemand außer Ratten und Mäusen kümmere.

    „Hier, bitte beachten Sie, unter den grauen Ratten frisst sogar eine weiße Maus! Auch in dieser von Gott verlassenen, schwer bestraften Welt zeigt die Natur, wie stark sie ist. Dass seltsam auffällige Tiere jedem Tod zum Trotz überleben können!“

    Auf den sorgfältig in Reihen aufgestellten Bänken sitzen die Zuhörer. Unter ihnen ein junges Paar. Beide schmiegen sich eng aneinander, halten sich an den Händen. Sie trägt lange, schwarz gefärbte Haare und ein buntes Sommerkleid. Er hat die Kopfhaare abrasiert. Ist ein kräftig gebauter muskelstarker Mann. Sie ist erschreckt. Ihm macht nichts und niemand etwas vor!

    „Du, Martin! Das ist doch eine Labormaus! Kein Albino! Eine gewöhnliche Labormaus!“, flüstert sie. So laut, dass einige Zuschauer sich erstaunt nach ihr umdrehen. So laut, dass meine Freundin Madame Curie und auch ich es hören.

    Sie wisse das genau! Die weiße Maus gleiche genau der frechen Labormaus, die ihr vor einigen Monaten, als sie noch mit Peter befreundet war, entwischt sei. Die habe ihr damals bei ihrem Chef eine Menge Ärger eingebrockt.

    Dann blickt sie in unsere Richtung. Ich bin besorgt, ob sie mich oder meine Freundin in ihrem weißen Fell entdecken kann.

    „Du Martin, ob es hier Mäuse gibt?“, fährt sie fort.

    ‚Er glaube es nicht. Die würden in der Kirche nichts zu fressen finden. Hier könnten sie nicht überleben und seien gezwungen, wie die Flüchtlinge auf den Fotos auswandern.

    Allerdings … Er erinnere sich an einen Vorfall im letzten Jahr. Da habe man voller Abscheu Mäusekotspuren direkt neben dem Altar entdeckt. Man habe versucht, die Maus mit Käsemausfallen zu fangen. Ja, sogar ein Katze in der Kirche übernachten lassen. Die Maus sei nicht erwischt worden. Ihr Kot aber sei seitdem verschwunden. Man glaube, dass die Maus gestorben oder verhungert sei, jedenfalls nicht mehr in der Kirche lebe. Die Mausaktion sei somit erfolgreich gewesen.’

    „Ja, das bin ich“, bestätigt mir meine Liebe Madame Curie. „Ich war im Jemen. Nach einem Bombenangriff wurde fotografiert. Wir alle aßen Menschenfleisch. Es gab nichts anderes. Es schmeckt übrigens nach Mais und Zucker. Gar nicht so schlecht. Ich könnte mich daran gewöhnen.“

    „Liebes“, sage ich ihr. „Menschenfleisch kann ich dir leider nicht anbieten. Aber Oblaten aus der goldenen Schüssel oben auf dem Altar. Manchmal auch einige Tropfen Wein aus dem goldenen Becher. Sie sagen, das sei das Blut und das Fleisch Gottes, des Jesus von Nazareth.

    Man überlege, die Kirche in eine Moschee um zu gestalten. Es gäbe nur noch wenige Kirchenbesucher, hörte ich vor einigen Tagen den Pfarrer sagen. Wenn das geschieht, versiegt meine Nahrungsquelle. Ich kann dich dann nicht mehr mit dem Blut und Fleisch des Jesus von Nazareth ernähren. Dann müssen wir flüchten. Vielleicht dorthin, wo wir Menschenfleisch finden können.“

    Sie schmiegt sich an mich.

    Das gehe in Ordnung. Dort kenne sie sich aus. Dort würde sie schon für mich sorgen können, tröstet sie mich. Ich umarme und küsse sie. Dann sage zu ihr: „Wie wunderbar wird unser Leben!“

  •  TIGER

                           

    It is difficult to imagine, almost impossible to describe,
    the pain and the bitter surprise of a great born egoist,
    when someone becomes disloyal to him, leaves him suddenly,
    or manage him in the same way, he had always done to the others.
    In the similar way responds usually the wounded tiger,
    who has his whole life harmed, injured and killed
    all beings around him.

    Dr. med. André Simon © Copyright

    Translater´s Note:

    Recently I read, that a tiger in a zoo had attacked and killed a visitor who had climbed into the tiger´s corral. The director of he zoo said: „The accident is very sad, but he tiger has just reacted like tigers use to behave.“

    I want to stress that men can decide with full awareness  to react in various ways – if they had learned to behave like humans and not exclusively as instinctively controlled beings.

     

    Übersetzung von Dietrich Weller

    TIGER 

    Es ist schwierig, sich vorzustellen, ja fast unmöglich zu beschreiben:
    den Schmerz und die bittere Überraschung einen geborenen Egoisten,
    wenn jemand unloyal ihm gegenüber wird, ihn plötzlich verlässt,
    oder ihn gleich behandelt, wie er es mit den Anderen immer getan hat.
    Auf ähnliche Weise reagiert gewöhnlich der verletzte Tiger,
    der sein ganzes Leben lang alle Lebewesen
    um sich herum beschädigt, verletzt oder getötet hat.

    Anmerkung des Übersetzers:

    Neulich las ich, dass ein Tiger in einem Zoo einen Besucher anfiel und tötete, der in sein Gehege geklettert war. Der Zoodirektor sagte: „Der Unfall ist sehr traurig, aber der Tiger hat sich verhalten, wie Tiger das normalerweise tun.“

    Ich möchte betonen, dass Menschen mit voller Achtsamkeit bewusst entscheiden können, sich auf unterschiedliche Weisen zu verhalten – wenn sie gelernt haben, sich als menschliche und nicht als instinktgetriebene Wesen zu benehmen.