Schlagwort: Historie

  • Betriebsames Getue

    (1.6.2018)

     

    Der protzige Staatspräsident
    zeigte ohne Umschweife
    brutal, aufschlussreich
    das wahre Gesicht
    der elenden Gesellschaftsordnung
    die er vertrat 

     Betriebsam, entrüstet
    zeigte mancher Zeitgenosse seine Empörung
    dem Präsidenten gegenüber
    das System töricht verschweigend
    das im Hintergrund wirkte

    ֎֎֎

  •  

    Tore der Torheit*

    (25.5.2018)

     

    Tragisch trugen sie tief
    den Tod in ihren Adern
    Mancher träumte von gesicherter Zukunft
    mancher ersehnte Macht und Gewalt
    mancher pochte auf persönliche Entwicklung
    mancher dachte einfach nichts dabei
    Ihre Eltern schauten begeistert zu
    verhängnisvoll vielfältig vergessend
    was Krieg und Elend bedeutet
    Die Rüstungsindustrie brummte besessen
    die Denker waren käuflich

    ֎֎֎

    *Anlässlich der Ankündigung der Bundeswehr, ihre Werbung an deutschen Schulen auszubauen

     

  • Der Wurm im Kopf

     

    Hugo dachte immer komplizierter. Morgens beim Zähneputzen überlegte er lange, warum er die Zahnbürste für die Zähne und die Handbürste für die Hände verwenden sollte. Beides waren Bürsten. So nahm er die Handbürste und putzte damit Zähne und mit der Zahnbürste reinigte er die Fingernägel. Beim Zähneputzen störte in, dass es auf den Lippen kratzte, auch wenn er die Lippen weit auseinander riss. Als er versuchte, die Backenzähne zu reinigen, verkrampfte sich der Kiefer, so dass er über einige Minuten den Mund nicht mehr schließen konnte. Ich habe noch nicht die richtige Technik, dachte er und setzte sich an den Schreibtisch, um auf einem Blatt Papier die richtige Bürstentechnik zu entwerfen. Nach einer Stunde angestrengtem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass es an seinen Rotationsbewegungen liegen müsse.

    „Hugo, musst Du heute nicht zur Arbeit?“ rief seine Frau ungeduldig.

    „Doch, doch,“ brummte Hugo und stieg die Treppe nur langsam hinunter, da er seitlich über Kreuz abwärts stieg. Er schaffte es ohne zu stürzen. Eine Tasse Kaffee wollte er noch trinken, bevor er zur Arbeit ging. Er stülpte die Tasse verkehrt auf seinen Frühstücksteller und versuchte, Kaffee aus der Kanne einzuschütten. Verwundert sah er zu, wie das braune Wasser vom Tassenboden über den Rand, die Wand der Tasse hinunter auf den Teller floss. Es erinnerte ihn an die Wand in der Toilette eines teuren Restaurants, die durch das herabfließende Wasser faszinierend in ständiger Bewegung schien.

    „Hugo! Halt!“ Seine Frau riss ihm die Kanne aus der Hand, gerade so rechtzeitig, dass der Kaffee nicht mehr über den Rand des Frühstückstellers auf das Tischtuch schwappte. Etwas verärgert darüber, dass das Schauspiel so abrupt beendet wurde, wandte sich Hugo mit einer eckigen Bewegung ab, stolperte zur Garderobe und zog den Mantel mit der Innenseite nach außen an. „Es ist so praktischer,“ dachte er, da er nun leichter seine Papiere aus der Innentasche nehmen konnte. Was er schon immer erproben wollte, realisierte er jetzt. Er setzte sich in den Fond seines Automatikwagens, um von dort aus das Fahrzeug zu steuern. Wenn er mit dem Müllgreifer um die Lehne des Vordersitzes griff, konnte er das Steuer fassen und mit dem langen Stockschirm ließen sich Gaspedal und Bremse bedienen. Den Automatikhebel auf der Mittelkonsole erreichte er ohne Probleme. So setzte er das Fahrzeug in Gang und fuhr etwas unsicher langsam los. Die überholenden Fahrer blickten sich überrascht um nach dem Auto ohne Fahrer mit dem scheinbar entspannten Gast im Font. Heute im Zeitalter der Digitalisierung war ja alles möglich. So war niemand wirklich beunruhigt. Die Verwicklungen am Arbeitsplatz übergehe ich. Es war zu absurd.

    Als Hugo nach Hause kam, teilte ihm seine Frau mit, sie habe schon für morgen früh einen Termin beim Hausarzt gemacht.

    „Warum?“, rief Hugo fröhlich, „Wir sind doch alle gesund!“

    „Vorsorge!“, antwortete seine Frau ernst, „Das ist dringend notwendig.“

    Wenn es so dringend war, konnte Hugo nichts dagegen einwenden. Dem Hausarzt berichtete die Ehefrau die Verhaltensauffälligkeiten Hugos.

    Nach einigem Nachdenken sagte Hausarzt: „Es ist ein komplizierter Fall. Als Erstes schlage ich eine Kernspintomographie des Kopfes vor.“ Nach einigem Telefonieren hatte er einen Termin schon für den nächsten Tag organisiert.

    „Warum die Hektik?,“ fragte Hugo verunsichert.

    „Es ist dringend notwendig,“ antwortete seine Frau ernst.

    Wenn es so dringend war, konnte Hugo nichts dagegen einwenden. Hugo lauschte intensiv dem Klopfen des Kernspintomographen, das ihn an den Besuch in einem Bergwerk erinnerte. Er gewann jedoch keine neuen Erkenntnisse. Der Radiologe drückte Ihnen eine CD in die Hand und einen fast unleserlich beschrifteten Zettel.

    „Gehen sie damit zu Hausarzt und besprechen sie das weitere Vorgehen.“ Er schob sie zur Tür hinaus und schloss diese rasch.

    „Hugo hat die sogenannte Politikerkrankheit, die eigentümlicherweise bevorzugt Politiker befällt,“ klärte der Hausarzt das Ehepaar auf, nachdem er sich die Bilder der CD im Computer angesehen hatte.

    „Und was bedeutet das? Hugo ist doch kein Politiker.“

    „Ein großer Wurm frisst sich durch das Gehirn.“ Er drehte den Bildschirm des Computers ein wenig, so dass sie auf den Bildern eine wurmförmige Struktur sehen konnten, die das Gehirn durchzog. „Dies erklärt das auffällige Verhalten. Ich wollte es zuerst nicht glauben, da typische Symptome, wie Lügen und intrigantes Verhalten fehlen. Die Bildgebung ist jedoch eindeutig.“

    „Kann man dagegen etwas machen?“

    „Es gibt eine medikamentöse Behandlung, die jedoch nur eine langsame Besserung ermöglicht, da der absterbende Wurm weiter Symptome machen kann. Alternativ ist eine neurochirurgische Entfernung möglich, die zwar rasch wirkt, aber dafür muss man den Kopf aufbohren.“

    „Wir überlegen uns das,“ sagte Hugo schnell, der sich nicht wirklich krank fühlte und das mit dem Wurm nicht glauben wollte. Er zog  seine Frau am Arm aus dem Arztzimmer und ließ sich schweigend von ihr nach Hause fahren.

    Dort setzte er sich in sein Arbeitszimmer und dachte intensiv nach. Später habe ich gerüchteweise gehört, das er sich weder medikamentös noch neurochirurgisch behandeln ließ. Der Hinweis des Hausarztes auf das Lügen und Intrigieren hatte ihm gefallen. Er entschloss sich, in die Politik zu gehen und soll heute Staatssekretär in dem kürzlich geschaffenen Heimatministerium sein.

    Copyright Dr. Walter-Uwe Weitbrecht

  • Panne bei Hinnebeck

    Am 21. Mai 2017 hatte Freddy Radeke mit seiner grünen Ente, mit der er gerne an besonders schönen Orten im Bremer Umland liegenbleibt und dann in „buten un binnen“ über diese Gegenden berichtet, (s)eine Panne bei Hinnebeck. Der Bericht über die 270 Seelen Gemeinde fokussierte insbesondere auf eine Kunstausstellung der Italienern Deborah Brisotto. Mit Kükendrahtfiguren.

    Und nun, ein Jahr später, habe ich selbst eine Panne bei Hinnebeck gehabt.

    Und das kam so:

    Im Februar 2018 sind wir raus aus Bremen gezogen, an den Geestrand nach Meyenburg. Meyenburg gehört wie Hinnebeck zu Schwanewede, hat aber eine Kirche, einen Laden, ein Landhaus, eine Wassermühle mit Mühlencafé und eine alte Genossenschaft, wo man Maike’s Friesentorte bekommen kann.

    Von hier aus haben wir dann im Mai –also ein Jahr später als Freddy Radeke und bei genauso gutem Wetter- eine Fahrradtour nach Hinnebeck gemacht, weil die Sendung von buten un binnen aus dem Jahr zuvor unvergessen ist. Durch die Marsch ging es über die Gräben, bis endlich kurz vor Hinnebeck ein Graben keine Brücke mehr hatte: Der Weg war einfach zu Ende!

    Wir mußten umkehren, weil wir nicht den Mut hatten, die Fahrräder hinüberzuschmeißen und hinterherzuspringen, eine Furth gab es hier nicht.

    Also: zurückfahren. Oder auch nicht: Panne bei Hinnebeck. Hinterrad. Für mich irreparabel.

    Eine Woche später verfügt mein Fahrrad über unplattbare Reifen der Firma Schwalbe, und das Wetter ist pünktlich zum Pfingstfest herrlich. Ein neuer Versuch.

     

    Ich nähere mich Hinnebeck von Süden. Von Vorberg aus komme ich in die Hinnebecker Furth – hier gibt es also eine. Hinnebeck hat eine Furth und das rückt diesen Ort in die Nähe von Lübeck und München. Diese Städte wurde alle im 13. Jahrhundert von Heinrich dem Löwen gegründet, und als erstes erhielten sie eine Furth durch die Trave und die Isar.

    Hinter Hinnebeckerfurth  -hier gibt es eine Islandpferdezucht, die Tiere grasen auf einer Streublumenwiese- kommt dann der eigentliche Ort: „Junges Dorp unner ole Eken“ steht am Eingang. Ansonsten gibt es im Wesentlichen schöne Einfamilienhäuser und große Bauernhöfe und eine abknickende Vorfahrt: Links nach Neuenkirchen (da ist Freddy Radeke geboren), rechts nach Aschwarden, geradeaus in die Natur.

    Geradeaus geht’s dann auch schließlich nach Aschwarden, mehr gibt’s hier auch nicht. Aschwarden sieht man schon von Weitem in der platten Marschlandschft. Man erkennt die Mühle und die Kirche. Die Nikolaikirche ist wie die Keitumer Kirche in klein, man gedenkt der Soldaten, die im 2. Weltkrieg einen „guten Kampf gekämpft“  und „den Lauf vollendet“ hatten. Sicherlich steht die Stele aus Pietät noch da, denn ein guter Kampf was das ganz bestimmt nicht.

    Nun kann man entscheiden, ob man nach Harriersand oder nach Meyenburg weiterfahren möchte. Die Marsch ist riesig, am Horizont der Geestrand mit dem Düngelwald. Wie schön Meyenburg am Geestrand gelegen ist. Durch die Wiesen geht es immer geradeaus in Richtung Geest. Unterwegs ein Bienenstock vor einem Rapsfeld, dahinter ein Schöpfwerk, roter Backstein. Mein Langzeitgedächtnis arbeitet im Hintergrund vor dem Grün der Wiesen und dem hohen Himmel: Das ist genau die Gegend von Siggi Jepsen aus der Deutschstunde, es riecht hier auch genauso wie in Nordfriesland, und die Nikolaikirche von Aschwarden spricht ja auch noch die Sprache des Deutschaufsatzes von Siggi: „Die Freuden der Pflicht“.

    So ist nicht der Lauf beendet, aber die Fahrradtour nach Hinnebeck – als erstes erreicht man in Meyenburg das Herrenhaus von Wersebe, und dann sitzt man auf der Terrasse und bringt Ordnung in diese herrlichen Landschaftsbilder.

  • Prof. Dr. med. Horst Joachim Rheindorf

    Ehrenpräsident des BDSÄ
    geboren am 06. Mai 1922, verstorben am 07. Mai 2018

    Am 6. Mai 2018, seinem 96. Geburtstag, kämpft Horst Joachim Rheindorf in der Klinik um sein Leben.

    Geboren am 6. Mai 1922 in Kassel, dient Horst Joachim Rheindorf zurzeit des Krieges als Infanterist im Sanitätsdienst der Wehrmacht. Er studiert an der Medizinischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg von 1943 bis 1950. Mit der Promotion zum Dr. med. schließt er das Studium ab. Bis 1953 arbeitet er in der Frauenklinik und Medizinischen Klinik.

    Die hessische Ärztekammer, in jenen Tagen ein Verein, ab 1956 eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wirbt ihn von der wissenschaftlichen Laufbahn ab. Der Einsatz für die Rechte jüngerer Ärzte beeindruckt die ärztlichen Standesvertreter. Erinnern wir uns: Die vergütungsfreie Mitarbeit zu Beginn der klinischen Tätigkeit ist nahezu üblich.

    Horst Joachim Rheindorf wird als Ehrenmitglied auf Landes- und Bundesebene in den Marburger Bund aufgenommen. Die Ärztekammer Hessen beruft ihn zum ärztlichen Geschäftsführer, von 1956 an zum Hauptgeschäftsführer.

    Er setzt sich auf allen Ebenen bis in den Weiterbildungsausschuss der Bundesärzte-kammer für die Weiter- und Fortbildung ein, arbeitet an der Musterberufsordnung mit: Qualifikation unter Wahrung ärztlicher Normen ist das Anliegen. Er fördert die Carl-Oelemann-Schule: Qualifizierung des Assistenzpersonals ärztlicher Praxen in überbetrieblicher Ausbildung.

    Die Akademie für Ärztliche Weiterbildung und Fortbildung, Themen wie Gesundheitserziehung bzw. Prävention fesseln Rheindorf. Von Anbeginn sitzt er der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitserziehung stellvertretend vor. Er treibt den Ausbau des berufsständischen Versorgungswerks voran, um den Alters-unterhalt der Ärzte zu schützen.

    Im Hessischen Landesgesundheitsrat leitet er den Krankenhausauschuss; er initiiert die Gründung der Hessischen Akademie für Arbeits-, Betriebs- und Sozialmedizin, an der er lehrt. Als Mitglied mehrerer Ständiger Konferenzen und Ausschüsse auf Bundesebene sowie des Großen Senats organisiert, moderiert, referiert er in nationalen und internationalen Fortbildungskongressen.

    Die Pensionierung 1987 setzt der mitreißenden Energie kein Ende. Er bleibt Vor-sitzender der Deutschen Akademie für medizinische Fortbildung und Umwelt-medizin. Das korrespondierende Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allge-meinmedizin gilt als Pionier der hausärztlichen Qualifizierung.

    Mit Prof. Dr. Wilhelm Theopold, Mitbegründer des Marburger Bundes, ehemaliger Präsident der Hessischen Landesärztekammer und der Bundesärztekammer, bahnt sich eine Freundschaft an. Als aktueller Schriftleiter des Hessischen und des Deutschen Ärzteblatts leitet Präsident Theopold ab 1982 den BDSÄ. Er beruft 1986 in weiser Voraussicht Rheindorf zum Ehrenmitglied, das bald die Kasse führt.

    Theopold kandidiert 1992 nicht mehr; die Verbandführung mit Diskussionen um niveauorientierte Aufnahmekriterien reizt zu Widerspruch. Er überzeugt Rheindorf, der Richtige zu sein, und schlägt vor, den Freund zum Präsidenten zu wählen.

    Rheindorf lobt ihn für den hohen Stand der Mitgliederzahl. Zur Einrichtung der Bibliothek, zum regelmäßigen Rundbrief und die anhaltende Präsenz in den Medien gratuliert er. Ärztliche Körperschaften oder Mitteilungsblätter stehen dem organi-sierten Phänomen „Doktor und Poet dazu“, so der Titel des 1987 erschienenen Buchs Theopolds, aufgeschlossen gegenüber.

    Präsident Horst Joachim Rheindorf erklärt beim Amtsantritt das mit dem soziokulturellen Strukturwandel kompatible Ziel: Zusammenhalt im Verband ohne Distanzierung einzelner Gruppen. Das Stichwort „wir sind eine große Familie“ klingt in unseren Ohren.

    Sucht bisher Theopold Diskussionen mit Kritikern, Pressereferenten und Öffentlichkeit, lässt Rheindorf bei Medienauftritten Vorsicht walten. Bald überrascht es ihn, bei Mitgliedern und Standesorganisationen Anerkennung zu ernten. Sitz, Geschäftsstelle, Bibliothek des BDSÄ verlegt er in die Fortbildungsakademie der Hessischen Landesärztekammer in Bad Nauheim. Dem Rundbrief stellt er turnusmäßig den persönlichen Brief voran. Er beschäftigt stundenweise eine Bürokraft, anfangs Frau Walter, danach Frau Näther. Den Rundbrief redigiert seine Frau Gabrielle, von Beruf Journalistin, in rechtlichen Angelegenheiten des Verbands berät Sohn Axel.

    Niemand befürchtet eine oligarchische Familienherrschaft: Familie Rheindorf bewältigt in der Spätzeit klassischer Nachrichtentechnik die wachsende Summe der Verbandsnachrichten. Die Mitglieder erfahren alles aus den Lesungen der Landesverbände und des Bundesverbands, zu Publikationen, Ehrentagen, Aus-zeichnungen ebenso wie Bibliothekszugänge. Die Familie waltet mit Handarbeit, mit viel Liebe zum Verband und Mitgliedern. Bei der Drucklegung des Rundbriefs und der Pflege des Mitgliederverzeichnisses hilft unermüdlich Frau Jutta Näther, Sekretärin der Geschäftsstelle bis heute.

    1993 findet der 36. Kongress des Weltverbands der Schriftstellerärzte (UMEM) in Fulda statt, zugleich der Jahreskongress in Bad Nauheim mit Verleihung der Schauwecker-Plakette an Wilhelm Theopold. Die „Ärzte Zeitung“ berichtet darüber. Die Schauwecker-Medaille ist die höchste Auszeichnung des BDSÄ, benannt nach seinem ersten Präsidenten.

    Gleichwohl sinkt die Mitgliederzahl. Das Bayerische Ärzteblatt setzt die Doppelspalte „Äskulap und Pegasus“ ab. Der allgemeine Wandel soziostruktureller Gewohnheiten kündigt sich im Verbandsleben an. Rheindorf besucht die Lesungen der Landesgruppen möglichst oft.

    Die Bereitschaft zu Sponsoring durch Firmen, Verlage oder deutsche Ärzteblätter schwindet, obwohl die Arbeit des Verbands gemeinnützig anerkannt ist: Der BDSÄ stellt wirksame Spendenbescheinigungen aus. Das Interesse öffentlicher Medien schrumpft mit dem Wachsen der neuen Medien.

    Die Aktivitäten verlagern sich auf private Initiativen der Mitglieder. Präsident Rheindorf ruft zur Aufmerksamkeit gegenüber der ärztlichen Schriftstellerszene in den neuen Bundesländern auf. Die Integration gelingt mit der Darstellung des Verbands als eine Familie.  Mitte der Neunziger Jahre steigen die Mitgliederzahlen.

    Vorstandsmitglieder kommen, gehen oder wechseln die Ämter, Präsident Rheindorf bleibt. Vor jeder Vorstandswahl fragt er, ob jemand das Amt übernehmen mag. Die Versammlung wählt ihn stets einhellig. Vier Mal erscheint die offizielle Verbands-anthologie „Edition deutscher Schriftsteller-Ärzte“.

    Gabrielles Idee „Neues aus der Redaktionsstube“ fördert die Zusammengehörigkeit. Sie betont, neben den aktiven Mitgliedern auch von anderen Mitgliedern Beiträge anzunehmen, um das Schaffen von Erfahrenen und Anfängern gleichermaßen zu dokumentieren.

    Die Beltzmühle in Altenstadt, ländliches Anwesen der Familie Rheindorf, dient mehrmals organisierten Lesungen. Weitere Landesverbände der neuen Bundesländer treten ab 2000 dem BDSÄ bei. Die Aktivitäten regen das Verbandsleben an, Ältere und Jüngere finden zusammen.

    2002 beginnt Harald Rauchfuss den Aufbau einer Webseite. Rheindorf begrüßt es, den Verband in neuen Medien zu präsentieren, um Interesse zu wecken. Der Rundbrief schwillt zu einem vielseitigen Publikationsorgan an. Die Herstellungs-kosten wachsen zwar, aber er ist ein Ausgleich für jene, die nicht an den Treffen teilnehmen können. Darüber freut sich Präsident Rheindorf im Dezember-Rundbrief 2004. Im Sinne der klassenlosen Gemeinschaft verzichtet er seit Beginn der Amtszeit darauf, Titel und Ehrenauszeichnungen der Autoren zu wiederholen.

    2005 stiftet Rheindorf auf dem Kongress in Bad Schandau den Literaturpreis, dem die Mitgliederversammlung den Namen Horst-Joachim-Rheindorf-Literaturpreis gibt. Das Hauptmotiv der Stiftung ist, den Verband für Interessenten attraktiv zu machen, zumal nach 1998 die Bundesärztekammer keinen Literaturpreis mehr ausschreibt. Der Literaturpreis des BDSÄ wird in der Regel auf dem Jahreskongress verliehen, ein Turnus ist nicht vorgegeben. Wie der Präsident befürchtet, öffnet der Preis eine Tür für Gefühle, übergangen zu sein.

    Der Präsident bereitet 2008 Harald Rauchfuss auf die neue Amtszeit vor. Nach der Wahl muss die Mitgliederversammlung den emeritierten Präsidenten drängen, der Ernennung zum Ehrenpräsidenten zuzustimmen. Rauchfuss würdigt Rheindorf, den Verband vor jenem Zeitgeist bewahrt zu haben, der im allgemeinen Literaturbetrieb das absolut individuelle Stilmittel beanspruche. Damit sei es ihm gelungen, einen Tiefpunkt des Verbands in den Neunziger Jahren zu überwinden.

    Hojo Rheindorf führt mit der Übernahme  der Präsidentschaft einen damals neuen Stil im Verband ein. Die vorher etwas steife Atmosphäre verwandelt er durch seine väterliche Art in eine freundschaftlich-familiäre, in der sich neue Mitglieder schnell angenommen und wohl fühlten. Als fortwirkendes Vermächtnis ist das bis heute so geblieben. Gleichwohl vermeidet er die Rolle des Übervaters: er kann loben, anerkennen und andere neben sich gelten lassen.

    Eine spontane Ehrung überrascht Familie Rheindorf am Abschiedsabend auf der Havel-Insel Lindenwerder. Barbara Kromphardt und Harald Rauchfuss komponieren eine mehrstimmige vielstrophige Abschiedshymne für „Hojo“, in die alle Kongress-teilnehmer einstimmen. Sie verklingt im besonnten Abend der Berliner Luft.

    Horst Joachim Rheindorf hat eine Tradition hervorgebracht, die Stabilität garantiert. Sie hilft, die Turbulenzen eigenwilliger poetischer Ausdrucksweisen und der modernen Medien zu steuern. Es gilt für die nachfolgenden Präsidenten Harald Rauchfuss und Dietrich Weller, über den Wandel der Poesie und der ärztlichen Tätigkeit im Sinne Rheindorfs nachzudenken.

    Am 8. Mai 2018 endet ein Leben im Dienst des ärztlichen Berufsstands, der Schriftsteller-Ärzte und der eigenen Familie. Von den zahlreichen Auszeichnungen seien genannt:

    Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer 1971
    Bundverdienstkreuz Erster Klasse 1972
    Bernhard-Christoph-Faust-Medaille des Landes Hessen 1982
    Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft 1997
    Großes Verdienstkreuz mit Stern 2002.
    Schauwecker-Medaille 2009

    Es ist Rheindorfs wegweisendes Vermächtnis, unsere Satzung zu leben mit »Förderung der Volksbildung, nicht nur in Fragen der Gesundheit, mit Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur, des Völkerverständigungsgedankens und der Humanität.« Es obliegt uns »die Pflege des literarischen Schaffens und dessen Förderung sowie die Hebung des gegenseitigen Verstehens und kulturellen Zusammengehens der Nationen zusammen mit der Union Mondiale des Écrivains Médecins (UMEM).«

    Die Satzung klingt mit Horst Joachim Rheindorfs Worten verständlicher: »Wir sind eine große Familie.« Wir gedenken seiner Worte auf Dauer und danken ihm für seine treue und hingebungsvolle Arbeit.

    Harald Rauchfuß und  Dietrich Weller

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    Untertanen

    (6.5.2018)

     

    Wie der Kuchen entsteht
    was alles dabei auf der Strecke bleibt
    ist nicht bedeutsam
    solange unser Anteil
    erhalten bleibt

    ֎֎֎

  • Das Mittelmeer

    (4.5.2018)

     

    Im malerischen Horizont
    küssen sich Himmel und Meer
    Am Strand
    liegt ein einsamer Schuh
    Der Eintritt ins europäische Paradies
    auf Jahrhunderte langem Elend
    anderer Erdteile gebaut
    ist nicht jedem gestattet

    ֎֎֎

  • Mehrgenerationenhaus

    (3.5.2018)

     

    Vom betörenden Duft angezogen
    entdecke ich Blüten und Früchte
    dicht nebeneinander
    an einem Zitronenbaum
    Fröhlich fange ich an
    mögliche Wohnformen auszumalen

    ֎֎֎

  • Grundlage

    (3.5.2018)

     

    Die laufende menschliche Misere
    ist auch dadurch bedingt
    dass in vielen Menschen
    ein Stück vom Dritten Reich steckt:
    Nach oben ducken
    nach unten treten

    ֎֎֎

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    Tradition

        (26.4.2018)

    Als die Vasallen
    einer nach dem anderen
    der eigenmächtig erscheinenden Marionette
    kriechend huldigten
    pochte sie großspurig
    auf ihr sonderbares Verständnis
    von der folgerichtigen Fortsetzung
    der abendländischen Tradition:
    Die weiße Herrenrasse
    als auserwählter Alleinherrscher
    der zu unterwerfenden Welt

    ֎֎֎