Schlagwort: Humor

  • Ein Gutmensch

    Moritz Grünling war, wie seine Freunde gern behaupteten, bereits als Gutmensch auf die Welt gekommen. Und diese ihm zugeschriebene Eigentümlichkeit, angeboren oder im frühen Kindesalter erworben, hatte sich mit den Jahren zugespitzt.

    Auch als Erwachsener verstand er es, seinen Beruf, er hatte Politologie studiert, mit seinen humanitären Absichten in Einklang zu bringen. Manchmal beklagte er sogar seine späte Geburt, wäre er doch zu gern viel eher gegen rassistische Vorurteile ins Feld gezogen. Aber der Amerikaner wie auch der Mohrenkopf waren schon vor seiner Zeit aus den Bäckereien verschwunden, Zigeunerschnitzel durch Ungarisches Schnitzel ersetzt worden, und am Zigeunerbaron hatten sich bereits Hartnäckigere als er die Zähne ausgebissen.

    Jedoch wie nach Überschwemmungen noch Pfützen zurückbleiben, so hatten auch diese akribischen Feldzüge für ihn noch Überbleibsel hinterlassen, denen er sich widmen konnte. Er war ein Kämpfer im Kleinen geworden und verbot seinen Kindern Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Drei Zigeuner fand ich einmal… zu singen.

    Nachdem er sein Sendungsbewusstsein nur unvollkommen ausleben konnte, ergab sich durch einen Wechsel der Arbeitsstelle verbunden mit einer Versetzung an einen anderen Ort noch einmal Gelegenheit, seine hehren Ideale zu praktizieren.

    Man könnte annehmen, Moritz Grünling habe in einem kleinen vergessenen Winkel noch etwas rassistisch Anmutendes aufgetan, aber so war es nicht. Grünling war in eine Großstadt versetzt worden, und sogar hier entdeckte er Unkraut, das es auszumerzen galt.

    Er war in der Mittagspause durch die ihm noch fremde Stadt gestreift und fand sich zu seinem Erstaunen vor einer Apotheke wieder, die den frevelhaften Namen Mohrenapotheke trug. Im Handumdrehen erfand er ein körperliches Übel und betrat den Verkaufsraum.

    „Ich brauche etwas gegen Sodbrennen?“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Ladentisch, der nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann empfahl Bullrichsalz. Grünling zückte umständlich sein Portemonnaie und warf, während er das Geld herausfingerte, einen Blick auf den über den Regalen angebrachten, prachtvollen Mohrenkopf, der sich, vorteilhaft mit einer Halskette geschmückt, im Profil präsentierte.

    „Wohl der Firmengründer?“, fragte Grünling launig auf den Kopf des Schwarzafrikaners weisend.

    „Mein Urgroßvater“, erwiderte der blonde, junge Mann völlig ernsthaft, der sich damit als Inhaber zu erkennen gab und die geistreiche Bemerkung des Kunden nicht recht würdigen konnte. Trotzdem wünschte er diesem einen schönen Tag.

    Etwa eine Woche später wurde der Apotheker zu einem Gespräch in die Rechtsabteilung der Stadt gebeten. Eine Ahnung sagte ihm, dass er diese Einladung dem an Sodbrennen leidenden Kunden verdankte. Und so war es: In höflicher Form wurde er gebeten, seiner Apotheke einen weniger Ärgernis erregenden Namen zu geben. Der Pharmazeut, in vierter Generation in diesem Geschäft, weigerte sich rundheraus.

    Abends, als er im Kreise seiner Kollegen am Stammtisch saß,  was einmal wöchentlich geschah, erzählte er ihnen von dem merkwürdigen Ansinnen. Einhellig waren die dort versammelten Pharmazeuten, der Adlerapotheker, der Schwanenapotheker, der Rosenapotheker und der Einhornapotheker der Ansicht, dass er, der Mohrenapotheker, sich richtig verhalten habe. Umso merkwürdiger berührte ihn daher die Meinung seiner Frau, der er vor dem Zubettgehen von den Ereignissen des Tages berichtete und dabei seine standhafte Haltung hervorhob.

    „Bist du sicher, dass das vernünftig ist?“, fragte die Gattin. Natürlich war sich der Mohrenapotheker sicher, aber wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, ließ er sich nach und nach von der Skepsis seiner Frau anstecken.

    Und so kam es eine Woche später zu einer geringfügigen Änderung des ethnisch anfechtbaren Namens: Über dem schönen runden O des Mohren hatten sich einfach zwei Strichlein eingefunden.

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

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  • Zu seinem Esel sprach der Bauer:
    „Ich sag dir offen, wie es ist,
    du bist nicht wert, mein alter Grauer,
    das Heu, das du tagtäglich frisst!“

    Der Esel hörte es mit Schrecken,
    er dachte an so manches Jahr,
    als er mit korngefüllten Säcken
    auf seinem Weg zur Mühle war.

    Das ist der Lohn für Müh und Plage,
    wie einen Hund jagt man mich fort.
    Nun muss ich auf die alten Tage
    noch suchen einen andern Ort!

    Doch hilft kein Jammern und kein Grämen,
    das bringt mich nur um den Verstand:
    Ich mach mich auf und geh nach Bremen,
    verding mich dort als Musikant.

    Warum, so wird sich mancher fragen,
    warum musst es denn Bremen sein?
    Ich weiß es nicht, ich kann nur sagen,
    dem Esel fiel nichts Bessres ein.

    Und die Idee, auf die er baute,
    die klang für  Menschenohren schlimm:
    Er wollte schlagen dort die Laute,
    so steht es bei den Brüdern Grimm.

    Ein alter Jagdhund lag am Wege,
    den ebenfalls sein Herr verstieß,
    weil er zu müde und zu träge
    das edle Wild entkommen ließ.

    „Kopf hoch!“  So sprach der Esel weise,
    als er den Hund in Tränen fand:
    „Komm doch mit mir auf eine Reise,
    ich werd  in Bremen Musikant.“

    Sie sahn an einem schatt‘gen Platze
    zwei Tiere noch, man glaubt es kaum,
    die arme ausgesetzte Katze
    und dann den Hahn auf seinem Baum.

    „Kommt mit und jammert hier nicht länger!“,
    schlug ihnen gleich der Esel vor,
    wir brauchen in der Band zwei Sänger;
    Sopran fehlt noch und auch Tenor.“

    Die Sonne war schon längst im Sinken,
    die Pfoten, Hufe müd und matt,
    und immer noch war da kein Blinken
    von Lichtern einer großen Stadt.

    Ein Jogger kam, der ganz ermattet
    sich setzte auf den nächsten Stein,
    der Esel fragte: „Ihr gestattet,
    könnt dies der Weg nach Bremen sein?“

    Der Jogger wischte mit dem Tuche
    Sich ab das feuchte Angesicht:
    „Nach Bremen seid ihr auf der Suche,
    das schafft ihr heute Abend nicht.

    Ein Tierheim gibt es hier am Orte
    für arme Streuner, so wie ihr,
    klopft dort mal höflich an die Pforte
    und fragt nach einem Nachtquartier!“

    Sie fanden schon das Tor verschlossen,
    jedoch der Pförtner war noch wach.
    „Geht weiter!“, sagte er verdrossen“,
    wir sind schon voll bis unters Dach!“

    Im Wald an einem trocknen Platze,
    da legten sich ins weiche Gras
    der Hund und auch die müde Katze,
    dieweil der Hahn im Baume saß.

    „Ich bleibe wach und werd dich rufen“,
    schrie er dem Esel zu, der bald
    lostrabte und auf müden Hufen
    durchforstete den finstern Wald.

    Er hatte fernes Licht gesehen,
    vielleicht war‘s auch ein Feuerschein,
    es konnten Menschen, Zwerge, Feen
    und schlimmstenfalls auch Räuber sein.

    Der Hahn da oben im Geäste
    Jetzt mit dem Esel leise sprach:
    „Ein Häuschen ist’s, es ist das Beste,
    ich flieg dorthin und sehe nach.“

    Es ist bekannt seit alten Zeiten:
    ein Hahn verbringt die Nacht im Stall,
    doch hier, das lässt sich nicht bestreiten,
    lag vor ein echter Sonderfall.

    Wer glaubt, er habe da gefunden
    nur eine wilde Räuberschar,
    dem sagen wir es unumwunden:
    Was dort bei Grimm steht, ist nicht wahr.

    Er sah nur ärmliche Gestalten
    bei einem kargen Abendbrot
    des Tages erste Mahlzeit halten.
    Das glich zu sehr der eignen Not.

    Der Esel wartete mit Bangen
    Auf seines Boten Wiederkehr.
    War er von Räubern abgefangen
    Und vorbereitet zum Verzehr?

    Dann rüttelte ein Sturm die Gipfel,
    ein Ast verfehlte ihn nur knapp,
    und durch der Bäume hohe Wipfel
    flog jetzt der Hahn zu ihm herab.

    „Ich dachte schon, dass man dich köpfte“,
    erleichtert sah der Esel aus,
    der Hahn sprach, als er Atem schöpfte:
    „Das ist fürwahr kein Räuberhaus!“

    „Ich denk, wir sollten höflich bitten
    um einen Platz am warmen Herd,
    und sind wir dort nicht wohlgelitten,
    so ist es den Versuch doch wert.“

    „Nur Mut!“, so sprach der Esel weise
    und musterte die künft’ge Band
    „ich glaub in unserm Künstlerkreise,
    da gibt es bald ein Happy- End.“

    Auf leisen Pfoten, Tatzen, Krallen
    so pirschten sie ans Haus sich ran,
    sie hörten Lärm und Lachen schallen,
    man stimmte grad ein Trinklied an.

    Es war, als ob der Hahn sich scheute,
    den andern offen zu gestehn:
    „Das sind sie nicht, die armen Leute,
    die ich durch’s Fenster hab gesehn.“

    „Wir müssen trotzdem danach schauen“,
    so sprach der Esel mit Bedacht,
    „wir werden eine Leiter bauen,
    ich zeige euch, wie es gemacht.“

    Er musst die müden Glieder bücken,
    denn schließlich war er Untermann,
    dann sprangen schnell ihm auf den Rücken
    der Hund, die Katze und der Hahn.

    Und so zu viert am dunklen Fenster,
    da boten sie ein schaurig Bild,
    ein Räuber schrie: „Dort sind Gespenster!“
    Die Haare sträubten sich ihm wild.

    Ein andrer rief: „Tod und Verderben!
    Wir müssen fort, so schnell es geht!“
    Da ging das Fensterglas in Scherben,
    eh nur der Hahn einmal gekräht.

    Getrieben von Gewissenslasten
    flohn jetzt die Räuber in den Wald;
    es war ein Rennen, Laufen, Hasten
    nach einem sichern Aufenthalt.

    Dass dann die Räuber wiederkehrten,
    dazu noch in derselben Nacht,
    das haben sich die sehr gelehrten
    Gebrüder Grimm nur ausgedacht.

    Doch andre Leute kamen wieder,
    die jüngst der Hahn durchs Fenster sah.
    Sie stiegen vom Geäst hernieder
    von einem Baume, der ganz nah.

    Die Tiere und die fremden Gäste,
    die ausgestanden manche Qual,
    verspeisten hungrig nun die Reste,
    die übrig war‘n vom Räubermahl.

    Dann rückten näher sie zusammen,
    das Feuer ward neu angefacht
    und sahen heiter in die Flammen,
    vergessen war der Schreck der Nacht.

    Mit ernster Miene sprach der Esel:
    „Welch guter Platz für Mensch und Tier!
    Was solln uns Hameln, Bremen, Wesel?
    Ich schlage vor, wir bleiben hier.“

    Doch hier ließ sich der Hund vernehmen:
    „Im Ganzen stimm‘ ich überein,
    doch vorher geh ich noch nach Bremen
    und heb am Denkmal dort ein Bein.“

     

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

  • Auf Kosten des Hauses

     

    Der Aischgründer Gastronom respektiert die Notwendigkeit von Ausgaben sorgfältiger als das Finanzamt. Er hütet seine Finanzen. Auf Kosten des Hauses bietet er allenfalls an, von Laune zu Laune zu springen.

    Im Tor des Biergartens in Gutenstetten stand ein Mannsbild in blauer Schürze, offensichtlich der Wirt. Ein Gast ging auf ihn zu; er wollte wissen, ob es ein Bier gäbe.

    »Schon«, sagte der Wirt, »aberso, wie Sie daher kommen, gibt’s für Sie keines.« Der Mann versprach, die Kleider zu wechseln. Er kehre sofort zurück.

    »Da muss ich erst sehen, ob Sie anders ausschauen als jetzt. Sie wohnen nicht hier. Wo wollen Sie ein Gewand herbringen?«

    Der Sommerwind strich über die Kastanien. Der Besucher suchte den Garten ab, winkte der Serviererin zu. Sie wedelte lächelnd. Der Wirt mahnte: »Bevor meine Tochter Ihnen zuwinkt, versuchen Sie erst einmal, an mir vorbeizukommen.«

    »Sie wirken nicht, als ob Sie zuschlagen wollten«, sagte der Gast.

    »Schlagen?« Der Torsteher wunderte sich: »Warum sollte ich? Sie sehen kaum nach einem Gauner aus. Bedenken Sie trotzdem: Ich bin draußen der Aufseher, drinnen der Maßgebende. Die Wirtschaft ist die fünfte Generation im Familienbesitz. Wissen Sie, mit wem Sie reden?«

    »Sie dürfen stolzsein«, antwortete der Besucher, »aber sie wirken mir eher selbstbewusst.«

    »Ich bin am Eingang der Aufpasser, im Biergarten der Aufseher, im Haus der Wirt, im Grundbuch der Eigentümer«, erklärte der Wirt. »Schritt für Schritt, den Sie hineingehen, hört man mehrundmehr auf mein Wort, besondersmeineTochter.«

    »Behüten Sie sie genug?«, fragte der Gast.

    »Jeden Tag kommt ein anderer Verehrer«, antwortete der Gastronom, »ich ertrage schon den Anblick nicht. Sie springt mit zudringlichen Leuten um, wie es sich gehört.«

    »In zwanzig Minuten«, teilte der künftige Kunde mit, »bin ich wieder da. Welche Art von Anzug wünscht der Aufpasser, der Aufseher, der Wirt, zu guter Letzt der Besitzer?«

    »Wenn Sie mit meiner Tochter anbandeln wollen, kommen Sie im besten Aufzug. Falls Sie ein Bier trinken, langenHemd, Hose undJacke.«

    Nach zwanzigMinuten ging der Herr des Hauses zum Tor; er blickte die Straße hinauf und hinab. »Na also«, brummte er zufrieden, »die Hungergestalt ist nicht zu sehen.«

    »Meinen Sie mich?« Die Hungergestalt stand mit Jacke, blauem Hemd, gebügelten Hosenfalten und Sommerschuhen hinter ihm. »Ja, werter Aufpasser, ich bin durch Hauseingang, Wirtshaus, Gartenausgang gegangen: Attacke von der Kehrseite. Die Tochterhält es für die beste Strategie.«

    Solch eine Frechheit hatte der Wirt nicht erwartet: „Der Garten ist jedem zugänglich, aber keines Falls meineTochter!«

    »Gerade das«, grinste der Gast, »bringt der Tochter meine Sympathien ein. Jetzt nehme ich Platz. Bitte ein Bier. Was zapfen Sie für ein Bier? Muss ich es mir selbst holen?«

    »Werden Sie nicht frech, setzen Sie sich hin, und ich«, der Wirt legt die flache Hand auf die Brust, »ich bediene Sie! Es kommt ein Gebräu auf den Tisch, das zu Ihnen passt.«

    »Welcher Gerstensaft passt zu mir?«

    »Ein Dunkles aus dem Aischgrund kriegen Sie, von der Brauerei gegenüber.«

    »Hervorragend! Den Tisch suche ich mir selbst aus.«

    »DieserTisch im Schatten, Senior«, rief die Tochter, »er ist für den Herrn reserviert!«

    »Was nimmst du dir heraus«, schimpfte der Vater, »seit wann machst du Kunden-Akquise?«

    »Das habe ich ihr beigebracht«, fiel der junge Mann ins Zwiegespräch, »Sie müssten es an der Zahl der Gäste merken.«

    »Woher wissen Sie das? Seit vier Monaten geht es aufwärts.«

    Der Blick des Aufsehers, Gastwirtsund Besitzers in einer Person verfolgte die Szene: Der Aufdringliche ließ sich nieder, als ob er Stammgast sei.

    Der gastronomischen Dreieinigkeit ging ein Licht auf. Die Ideen der Tochter fielen ihm ein, ihre anhaltend fröhliche Laune, die Lebensfreude. »Herrgott, es ist bei mir haltlänger her«, dachte er.

    »Ich dank´ dir schön, Barbara«, säuselte der Gast, als sie das Dunkle servierte.

    »Wieso ist das Bier gezapft, bevor ich es anordne?«, klopfte der Senior auf die Tischplatte.

    »Weil HerrFeuerlein gern dunkles Aischgründer trinkt.«

    »Jetzt haut es dem Aischgründer Fass den Boden aus!«

    »Beruhige dich, Vater, vor einem Kunden benimmt man sich nicht wie daheim.«

    Dem Papa verschlägt es die Sprache.

    Herr Feuerlein lächelt: »Darf ich Sie mit Namen ansprechen, Herr Lechner?«

    »Was reden Sie da? Wenn Sie mir was von Ihnen verraten, dürfen Sie mich beim Rufnamen nennen.«

    »Steinachwirt, wir alle streben nach Gewinn, da stimmen Sie mir zu?«

    »Man kann es übertreiben, indem man mit dem Rufnamen beginnt.«

    »Untertreiben gefährdet die Existenz, Steinachwirt.“

    Lechners Verdacht verdichtete sich: »Schleichen wir nichtwie die Katz um den heißen Brei! Was für einen Beruf haben Sie, Herr Feuerleger?«

    »Feuerlein mein Name, reden wir vom Biergarten«, schlug der Verehrer der Steinachwirtstochter vor: »Schattig, angenehm kühl, Kastanien ohne Miniermotten, frisch gestreuter Kies, standfeste Gartenmöbel … neue Tische und Stühle, nicht wahr?«

    »Sie wissen eine Menge«, wurde Lechner ungeduldig, »viel zu viel für einen Kunden. Erzählt Ihnen Barbara alles?«

    »Nein.«

    »Nein? Von wem alleweil? Von meiner Frau erfahren Sie nichts, die plaudert mit keinem Fremden. Also woher?«

    »Barbara erfuhr es von mir.«

    »Jetzt hören Sie auf! Sie bringt mich auf Ideen, und sie spricht mit niemandem darüber?«

    »Das gefällt mir an Barbara, dass sie alles für sich behält, sogar dass Vorschläge von mir kommen.«

    »So, so, von Ihnen … was? Von Ihnen? Keinen Ton sagt sie. Um dickere Überraschungen zu ersparen: Was für einen Beruf haben Sie?«

    »Steuerberater, spezialisiert auf Gastronomie.«

    »Da stammt die Idee mit den Investitionen von Ihnen?«

    »Wenn Sie erlauben.«

    »Meine Frau hat Zustände gekriegt, so ein Haufen Geld. Barbara hatte alle Mühe, sie zu beruhigen. Inzwischen gefällt es ihr, dass wir Steuern sparen.«

    »Vielen Dank. Ich bin beruhigt.«

    Der Steinachwirt ist als Geschäftsmann beunruhigt: »Kriegen wir jetzt eine Rechnung … am Ende in Höhe der Steuerersparnis?«

    »Von mir nicht, wenn ja, dann von Barbara … in Höhe einer Aussteuer …«

    »Das fehlt noch! Beim Geld wird sie frech. In Freundschaften bleibt sie zaghaft. Stimmt es?«

    »Schüchtern ist sie nimmer; ich bin vernarrt in sie.«

    Im Wirt Lechner keimt Gefallen an dem Steuerberater für Gastronomie auf. Er ruft der Tochter zu: »Barbara, zwei Obstler undzwei dunkle Aischgründer auf unsere Kosten!«

    Das letzte Mal hatte er vor zweiundzwanzig Jahren spendiert, als Barbara auf die Welt kam. Er nimmt sich zielbewusst vor: »Feuerleger, geht das als Betriebsausgabe, den nächsten Enkel auf Kosten des Hauses zu begrüßen?«

    Copyright Dr. Harald Rauchfuß

  • Beitrag zur Lesung „Geheimnisse“ beim BDSÄ-Kongress 2016

     

    Das Rosmarinsüppchen

    „Hallo Schatzi!“

    Ich hasse diese einschmeichelnde Begrüßung! Schließlich hört man als erfahrene Frau die Lüge bei einem Mann schon, bevor er sie ausgesprochen hat. Ich musste nur noch genau hinhören oder hinschauen, um die Details zu erfahren. Henner hatte mich so oft an der Nase herumgeführt, und er machte sich geradezu einen Sport daraus, mich zu ärgern. Ich dumme Kuh habe ihm immer wieder verziehen. Mal habe ich aus falsch verstandener Liebe einfach den Mund gehalten und die Kränkungen geschluckt, mal habe ich mir die Tränen theatralisch über das Make-up laufen lassen und verschmiert, um ihm zu zeigen, wie sehr er mich verletzt. Auch wenn ich ihm Szenen gemacht habe mit Geschrei und zerschmettertem Geschirr, hat ihn das nicht wirklich und schon gar nicht lange beeindruckt.

    Jetzt war es mal wieder so weit.

    „Hallo Schatzi! Das war ein anstrengender Tag!“

    Ich schaute ihn an: „Wie siehst denn du aus?“

    Sie müssen sich das mal vorstellen: Wie im Kitschfilm. Die Krawatte auf Halbmast, die oberen beiden Hemdköpfe offen, die Goldhalskette über seinem gewellten dunkelbraunen Brusthaar, den Kopf zerzaust, das Jackett zerknittert, die Bügelfalten platt. Und das Gesicht wie nach einer durchwachten Nacht, ungewaschen, unrasiert, die Falten noch tiefer als sonst. Und die waren nicht nur vom Arbeiten so tief, ganz sicher nicht.

    Seit ich zufällig neulich seine neue Sekretärin gesehen habe, ist mir klar, warum er so oft abends und bis spät in die Nacht dringende Besprechungen machen muss.

    Ich sah sie auf dem Büroflur auf sein Zimmer zu gehen. Das blonde Haar floss über die schlanke und offene Rückenpartie des Kleides. Das hautenge Kleid betonte den wackelnden Hintern dieses Schoßhühnchens in geradezu obszöner Weise. Die hohen Stöckelabsätze waren eine orthopädische Katastrophe und ihr Klackern auf dem Steinboden eine Zumutung für jedes Ohr. Wie Pistolenschüsse knallten sie über den Gang. Meine Birkenstock-Schuhe hört man nicht! Und als sie sich umdrehte, dieses Möchte-gern-Playboy-Häschen, konnte ich sofort sehen, wo der Plastische Chirurg sein Geld verdient hat. Die mit Botox aufgedunsenen Lippen waren kurz vor dem Platzen, und die silikongefüllten Brüste drohten das eng anliegende Blüschen zu sprengen. Nicht einmal einen BH trug diese Büropuppe. Bei Heidi Klum wäre sie nicht als Model angekommen, aber mein Mann hat sie sofort eingestellt. Wofür eigentlich? Diese an allen Rundungen aufgeblasene Frau passte genau in sein Beuteschema. Sie erfüllte ganz sicher die Wünsche meines Mannes, aber bestimmt nicht bei der Arbeit.

    Es hat mich gar nicht gewundert, dass ich schon ein paar Tage später ganz zufällig blonde Haare auf Henners Hemd fand, und ich entdeckte, dass er in seinem Aktenkoffer eine zusätzliche Flasche seines Parfums mitnahm und abends frisch beduftet heim kam. Aber mich kann er nicht täuschen. Er stank nach einer schwülen Mischung aus Frauenparfüm und seinem Rasierwasser. Das war richtig ekelig!

    Früher wäre ich ausgeflippt vor Wut und hätte sein Büro zuhause demoliert. Aber ich habe mir geschworen, meine Kräfte zu sparen für den entscheidenden Tag. Ja, Sie hören richtig, ent-scheidend. Das hat etwas mit Scheidung zu tun. Aber nicht wie Sie denken – mit Rechtsanwalt und Gericht, nein, nein. Da muss mir schon etwas Besseres einfallen.

    Heute war das Fass voll. Ich meine das Fass meines Zorns. Und wissen Sie warum? Als Henner ins Bad ging und die Kleider auf das Bett geworfen hatte, fielen mir sogar ohne Suchen sofort schwarze kurze Haare an seinem Hemd auf. Und der Lippenstiftfleck auf dem Kragen war nicht zu übersehen. Henner hatte seine Jacke so achtlos hingeworfen, dass das Bild einer jungen Schwarzhaarigen heraus gefallen war. So was von billig! Wollte er mich provozieren? War er wirklich so blöd, solch ein Bild in der Jackentasche zu lassen? Oder hat die kleine schwarze Hexe ihm das Bild zur Erinnerung in die Tasche gesteckt, ohne dass er es gemerkt hat? Egal: Jetzt betrog er seine Sekretärin und mich mit einer neuen Frau!  Das war entschieden zu viel.

    „Schatzi, machst Du mir was zum Essen?“, tönte es aus dem Badezimmer unter der Dusche hervor.

    „Aber ja,“, rief ich zurück, „ich mache dir dein Lieblingssüppchen!“

    Ich ging in den Garten und sah mit der Terrassenbeleuchtung noch gut genug, um rasch die Zutaten zusammenzusammeln. Erst pflückte ich frische Rosmarinnadeln, dann von der großen Taxushecke frische Eibennadeln. Das reichte für ein wirkungsvolles Abendessen. Den Rest hatte ich in der Küche.

    Rosmarin mag Henner besonders gern. Den kräftigen Duft der ätherischen Öle möchte er in der Suppe schmecken. In unserer Verliebtheitsphase verwendete ich extra Kölnisch Wasser, weil dort viel Rosmarin enthalten ist, und Henner konnte nicht genug kriegen, an mir zu schnuppern. Die Eiben kannte er nicht. Er war ein Gartenmuffel.

    Also schnitt ich je eine Handvoll Rosmarin- und Eibennadeln ganz fein, bis sie fast pulverig waren, erwärmte sie in der Pfanne, aber nur ganz leicht und mit einem großen Stück Butter dazu, damit die Wirkstoffe auch wirken können! Dann vermischte ich sie mit Sahne und Gemüsebrühe zu einer cremigen Suppe. Das wird ein besonderes Essen, dachte ich und stellte das gute Porzellan auf den Tisch und eine Vase mit frischen Blumen aus dem Garten.

    „Willst du nicht mitessen?“, fragte Henner, als er sah, dass ich nur ein Gedeck gerichtet hatte.

    „Nein, ich habe schon gegessen! Lass es dir schmecken!“

    Ich muss gestehen, ich genoss es, wie er seine Suppe löffelte und meine Kochkünste lobte.

    „Das schmeckt heute ganz besonders! So anders als sonst!“

    „Ja, ich habe es besonders gewürzt!“, sagte ich nicht ohne ein gewisses Maß an Freude über mein gelungenes Werk. Ich beobachtete mit Genugtuung, dass Henner mit großem Appetit alles aufaß – drei Teller Suppe.

    Wir unterhielten uns nicht. Er war ja so müde – von seiner Beschäftigung im Büro oder wo auch immer. Dafür muss man als Ehefrau schließlich Verständnis haben. Als Henner sein Süppchen gegessen hatte, trank er einen Whisky und griff immer wieder an seinen Bauch.

    „Komisch“, sagte er, „das rumort so, aber vielleicht habe ich mir im Büro was eingefangen, da klagen alle über Durchfall.“

    „Ja, das wird es sein“, meinte ich ruhig und sehr zufrieden.

    Plötzlich rannte er los Richtung Toilette. Nachdem er sich dort erleichtert hatte, wollte er nur noch ins Bett.

    „Ich fühle mich so schwach, ich brauche noch einen Whisky!“

    „Den bringe ich dir gern!“

    Man soll letzte Wünsche nicht abschlagen!

    Nach einer Weile meinte Henner: „Mir wird so komisch, mein Herz schlägt so unregelmäßig.“

    „Ja, ja, das kann sein, bei dem Magen-Darm-Infekt. Bald hört´s auf!“

    Ich konnte mich einer gewissen Schadenfreude über meine Doppeldeutigkeit nicht ent-ziehen.

    Henner schlief rasch ein, unruhig zwar, und einmal erbrach er im Bett. Aber das nahm ich ihm nicht übel und machte das Bett frisch, soweit das bei dem inzwischen bewusstlosen Mann möglich war. Ich setzte mich neben ihn. Ich fühlte immer wieder seinen Puls und spürte genussvoll, dass er immer langsamer wurde.

    Tatsächlich hörte es nach einer Weile auf. Das Herz meine ich.

    Es ist schon wichtig, im richtigen Moment die richtige Suppe richtig zu würzen.

  • Beitrag zur Lesung Teufeleien beim BDSÄ-Kongress Mai 2016

     

    Ich bin sauer … stinksauer sogar … auf mich, auf die Technik, ich weiß nicht auf wen oder was. Und dann noch tief innen das dumpfe Gefühl, dass es eventuell so seine Richtigkeit hat. Aber ich muss der Reihe nach erzählen.

    Heute früh erwachte ich mit einem Schrecken, der BDSÄ-Kongress in Würzburg (Bund deutscher Schriftstellerärzte). Bis wann sollten wir die Texte, die vorgelesen werden sollen, geschickt haben? Was gab es noch für Themen? Garten … ich habe neue Schneeglöckchengedichte … Schneeglöckchen wachsen im Garten … Vielleicht ist das Thema grad noch nicht verfehlt.

    Freie Lesung … da habe ich viel zur Verfügung, zu viel, muss ich also eine Auswahlentscheidung fällen. Mag ich gar nicht. Ich mag die Texte, die nun ausgegrenzt und abgeschoben werden, nicht so verärgern, sie tun mir leid, sie sind doch auch mit Liebe geschrieben worden. Geheimnisse … Ich glaub, da hab ich was, wenn der liebe Kollege es nicht passend findet, dann soll er es gleich weiterleiten zur Freien Lesung. Wertewandel … da habe ich auch was. Halt … das ist ja die Lesung, die ich moderiere. Da habe ich alle Zeit der Welt. Aber vielleicht sollte ich es doch auch mir selbst schicken, damit es nicht verloren geht. Verlorengehen …. verschwinden … unauffindbar, sogar im Computer! Das ist der Grund meiner schlechten Laune. Mir fielen nämlich Texte ein, die zum Thema Teufeleien passen. Ich beschrieb Erlebnisse, wo etwas schief lief, was dann doch gut endete und diese Texte suchte ich heute. Ich sah im Mac: Engelwirken … zweimal, einmal mit Fragezeichen, einmal ohne. Engelwirken sind aber keine Teufeleien, oder? Die koboldartigen Wesen, die uns stören, behindern sind doch rechte kleine Teufelchen, aber was wissen wir, wer im Hintergrund wirkt?

    Ich wollte mir daraufhin den Text genauer anschauen. Ich meinte, der mit Fragezeichen sei der endgültige. Ich klicke ihn an. Ausser den Anfangszeilen nichts ….Beim Engelwirken ohne Fragezeichen dasselbe. Wohin ist der Text verschwunden? Die Suchmaschine findet nichts, ich auch nicht, auch nicht im Papierkorb.

    Schließlich kann ich nicht länger suchen, ich muss aus dem Haus. Ein Gehetze …. hasse ich genauso wie das Suchen ohne Finden.

    Ich entschließe mich, den Text noch mal zu schreiben. Im Laufe des Tages mache ich mir Notizen. Ich will ihn am Abend zu Hause endgültig schreiben. Ich suche mir Konzeptpapier, in meiner noch nicht ganz ausgepackten Reisetasche habe ich noch welches. Ich suche es raus und … halte den Text in Händen. Ich hatte ihn noch gar nicht eingetragen!

    Hier ist er:

     

    Engelwirken?

    Ich bin in Reisevorbereitungen, d.h. ich bin kurz vor meinem Abflug nach Sofia. Je, wie relativ alles ist …was heißt kurz? Ich bin kurz davor, meine Wohnung zu verlassen, dann werde ich mit der S-Bahn fahren, dann mit dem Zug bis zum Flughafen Zürich und von dort aus fahre, d.h. fliege ich nach Sofia.

    Noch habe ich den Mantel nicht angezogen, trinke die letzte Tasse Tee und überlege, was für eine Reise nach Sofia auf dem Plan steht. Köln, Jahrestagung der DGAP (Deutsche Gesellschaft der Analytischen Psychologie). Da fällt es mir mit Schrecken ein: Habe ich eigentlich schon mein Zimmer bestellt?

    Ich denke darüber nach, warum ich mich nicht erinnern kann. Wohl weniger eine Alterserscheinung als ein Hinweis, dass ich mal wieder etwas zu schnell machte, weil es so viel zu tun gibt, und ich mich nicht recht mit meinem Tun verbunden habe. Aber das ist im Alter vielleicht genau so: zu viel – innerlich  – zu tun und schon etwas abwesend …

    Die Unterlagen liegen auf dem Schreibtisch. Bis 31.1.  gab es ein Kontingent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich es nicht bestellt habe, aber die Unsicherheit plagt mich jetzt. Soll ich sie mitnehmen und von Sofia aus per Email anfragen? Nein, ich möchte schneller Gewissheit. Ich rufe an. Die junge Dame an der Rezeption des Tagungshotels scheint mich nicht recht zu verstehen, vielleicht habe ich mich aber auch in der Aufregung unklar ausgedrückt. Sie sagt mit anteilnehmendem Bedauern: Leider alles schon ausgebucht. – Ich  erkläre ihr, dass ich nicht buchen will, sondern nur nachfragen (das ungute Spannungsgefühl nimmt zu). Sie sucht mich im Computer, sie findet mich, hurra, ich sage ihr, dass sie mich eben zu einem glücklichen Menschen gemacht hat. Da lacht sie herzhaft und meint: Haben Sie eine Ahnung, Sie mich nämlich auch. Heute morgen dachte ich, der ganze Tag wird Scheisse – oh, Entschuldigung – ich kann gerade liegen bleiben, ich tauge eh zu nichts! –

    Wir verabschieden uns fröhlich und hoffen auf ein Wiedersehen bei der Tagung.

    Habe ich mich deshalb nicht mehr erinnert? Hat ihr Engel ein Schleier des Vergessens bei mir drübergelegt und, als ich an Köln dachte, mir den Schreck einfahren lassen?

    Vielleicht hat der Schutzengel oder sonst ein hilfreicher Geist es auch bei anderen Kolleginnen und Kollegen so gemacht. Dann wird die junge Dame an der Rezeption heute ganz besonders gut drauf sein!

    Also, man mag nun denken, was man will, aber offensichtlich liegen Teufeleien und Engelwirken nah beieinander, ja, vielleicht bedingen sie sogar einander.

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

    Februar 2016

     

  • (Beitrag zur Freien Lesung beim BDSÄ-Kongress Mai 2016)

    Ich habe Narziss eingeladen, mich mal zu besuchen. Vielleicht macht es ihm Spaß, das Regal anzuschauen mit all dem vielen Material zum Thema „Narziss und Narzissmus“, meine Fotos seiner Blume und all die vielen Ordner mit meinen Texten, fertigen – unfertigen, die bereits veröffentlichten Gedichthefte …

    Vielleicht hat er eine Idee, wo ich weiterfahren soll? Eigentlich weiß ich, was ich will, aber mir fehlt die Zeit, das heißt natürlich fehlt mir die Zeit nicht, aber anderes hat – leider! – größere Priorität!

    Narziss zögerte, er möchte sein Spiegelbild nicht verlassen. Ich tröste ihn damit, dass es bei mir auch Spiegel gibt, sogar mehrere. Natürlich muss er seinem Spiegelbild nun aufrecht gegenübertreten. Das demutsvolle Sich-Zuneigen erfolgt nicht zwangsläufig. Er kann auch nicht sein Spiegelbild auf dem Untergrund des Himmels sehen … Er winkt ab … er kennt diese Überlegungen doch schon aus meinen Gedichten. Soll ich sie hier anfügen?

    GEDICHTE?????

    Nun ist er gekommen, er blickt sich um, erblickt meine Körbe und Taschen mit Papieren, Büchern, Briefen …. er strahlt:

    „Hast du schöne Spiegel, und ganz individuelle, nur du kannst dich in ihnen erkennen.“

    Da erkenne ich: Ein MZ (Messiezustand) ist der Spiegel, in dem sich ein MiM (Mensch im Messiezustand) erkennen kann … Ich schaue ihn dankbar an. Auch er lächelt, liebevoll, bezogen: “Und ich erkenne dich, ein wenig, ich sehe, welche Kräfte aus der geistigen Welt sich bemerkbar machen möchten.“ (Also kann bedingt auch ein anderer sich in meinem individuellen Spiegel erkennen?). Er fährt fort – er hat mein Denken gespürt und innegehalten – „und ich erkenne, wer dich zu mir führte!“

    Narziss, sag, wer … er ist verschwunden … ein kleiner Nebel in meiner Wohnung…

    Wieder im Hier und Jetzt angekommen denke ich:

    Wer mit Hilfe des Narziss seinen eigenen Narziss erlöst, hat einen einfühlsamen Freund an seiner Seite.

     

    Anmerkung:

    Und nun habe ich ein Problem, wenn ich den Text nun für andere abschreibe, in meinem Computer, wo lege ich ihn ab? Im Ordner „Narziss 2015“ oder im Ordner „Messie_neu“?

    Wenn ich nicht aufpasse, entsteht in mir ein Mini-Messiezustand! Was kann ich daran nun über mich erkennen? Ob Narziss es weiß?

    20.6.15, 7.20 h

     

    Inzwischen ist mir ein Untertitel eingefallen:

    Messiezustände als Spiegel der Selbsterkenntnis

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

  • „Und was haben die im Krankenhaus gefunden?“ „Ja, die haben bei mir ein vegetarisches Nervensystem entdeckt!“

    „Am meisten tun mir meine Kopfschmerzen immer im Kopf weh.“

    „… und dann haben sie mir diese eigenartigen Kobold-Bestrahlungen gegeben.“

    „Neulich haben sie beim Röntgenologen eine Monografie von meinem Busen gemacht!“

    „Ich möchte einen Termin zu einer Krebsvorhersage!“

    Eine alte Dame von etwa 70 Jahren: „In meinem Alter muss man damit rechnen, dass man immer älter wird.“

    „Immer wenn ich mal schneller gehe oder Treppen steige, denke ich, es ist meine Harnblase.“

    „Ich kann Ihnen mit gutem Gewissen sagen, dass es in meiner Familie keine Erbanlagen gibt.“

     

    Aus: „Ich bin mit meinem Alter schon seit Jahren nicht mehr einverstanden! Stilblüten aus der ärztlichen Sprechstunde“, Sigurd Göttlicher, Erich Weiß Verlag, 2015

    Mit freundlicher Genehmigung des Erich Weiß-Verlags, Bamberg

     

  • Diese Texte trug Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vor in der Lesung über Bremer Stadtmusikanten“ (Moderation Helga Thomas)

    Tagfreier Tag

    Herr Wennemann klappt den Kalender auf
    und sieht, dass in des ganzen Jahres Lauf
    sich ein Gedenktag an den andern drängt,
    auf manche Tage eine Vielzahl zwängt.
    Just siebenhundertfünfundvierzig Tage
    fand Wennemann, und das sind schliesslich sage
    und schreibe reichlich zwei pro Tag im Schnitt.
    Zählt man jedoch nur die globalen mit,
    so findet man zweihundertfünfzehn Treffer –
    für eine Jahressuppe reichlich Pfeffer.
    Es finden sich dabei ein Tag des Lachens
    sowie ein Tag des Musik-selber-Machens,
    ein Tag des Kusses und ein Tag der Huren
    wie gleichfalls der Versöhnung mit den Buren,
    die Deutschen retten einmal die Kastanien,
    am zweiten Mai denkt an Madrid ganz Spanien,
    die Toiletten ehrt man im November,
    die Anti-Korruption dann im Dezember,
    dann wieder widmet man sich dem Tourismus
    beziehungsweise schließlich dem Autismus.
    Gesundheit allgemein sowie der Zähne
    entdeckt man alsbald neben Handhygiene,
    am siebten März Gesundernährung steht,
    am sechsten Mai dagegen Anti-Diät.
    Psoriasis und Leber, Niere, Herzen,
    sowie auch Rheuma, Lepra, Krebs, Kopfschmerzen
    erhalten einen eignen Tag als Bonus,
    desgleichen Brailleschrift und Hypertonus.
    Knapp fünfzig aller Denktermine hangen
    allein an medizinischen Belangen.
    Doch dann fand Wennemann noch unbenutzte
    zweiundsechzig Tage, und er stutzte.
    Er rief den Aberach, das Glück zu teilen.
    Sie proklamierten ohne zu verweilen
    den Tagefreien Welttag und fixierten
    als Jahresdatum Monat März, den vierten.
    (26.02.2013)

    Schweinerei

    Verwunderlich, verwunderlich,
    wie Menschen oft beschimpfen sich
    mit den Namen ihrer besten und nützlichsten
    Freunde aus dem Tierreich:
    Schwein, Hund, Esel, Ochs.
    Weit schlüssiger würde es sein,
    beschimpfte ein Schwein ein anderes Schwein –
    ein ganz besonders bösartiges Schwein:
    Du Mensch!
    Doch davon kenn ich keinen Bericht,
    denn solche bösen Schweine gibt’s nicht.
    (02.11.2014)

    Bremer Stadtmusikanten

    Die Stadtmusikanten von Bremen,
    getrieben von argen Problemen,
    sie fassten den Plan und sie gingen
    gen Bremen, um dorten zu singen.
    Doch schon auf dem Wege nach Stunden
    war ihre Misere verschwunden,
    auch ohne die Stadt zu erreichen.
    Was lehrt uns nun das und dergleichen?
    Erlangen wir oft auch im Leben
    nicht das, was wir eifrig erstreben
    und lässt sich nicht alles erklimmen,
    so gilt doch: die Richtung muss stimmen!

  • Diese Texte hat Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress in Bremen 2015 vorgetragen in der Lesung „Schiff-Fisch“ (Moderation Jürgen Rogge)

    Memorandum eines Wassertropfens

    Halt!
    Bevor du mich trinkst
    oder wegspülst
    sieh mich an
    mich
    den kleinen wassertropfen
    Von weit komme ich her
    aus einem fernen ozean
    stieg ich empor
    flog hoch über meere und inseln
    und kontinente
    regnete nieder auf berge
    sickerte durch gestein
    wusch höhlen
    und trug das mineral
    für tropfstein und sinterbecken
    so schön dass maler nicht
    aufhören sie zu bejubeln
    auch üble gifte
    lud man mir auf
    die ich mühsam in
    sandschichten ablegte
    manches rad drehte ich
    für dich auf meinem weg
    manches schiff trug ich zu dir
    brot liess ich dir wachsen
    ich reinigte dich und dein haus
    in adern floss ich und tränen
    ich habe deinen zorn befriedet
    im rauschen des baches und des meeres
    im sommer gab ich dir kühlung am fluss
    Sieh mich an
    bevor du mich
    trinkst oder wegschüttest!
    (27.06.2010 Ždiar SK)

    phylogenese rückwärts

    früher war es besser
    sagte der primat
    und stieg vom baum der erkenntnis
    streckte sich wohlig in die waagerechte
    auf der besten matratze der saison
    und sprach
    es ist fast wie früher
    als ich ein fisch war
    im warmen meer
    (30.10.2012)

    Allein

    Ein Haus hat Ritzen und Ratzen,
    und oben, da flitzen die Spatzen,
    unter jedem Silbertischchen
    wohnt auch gleich ein Silberfischchen,
    von Fliegen und Mücken zu schweigen,
    die sirren und tanzen den Reigen.
    Da klagt doch so mancher, wie kann es nur sein,
    er wäre allein.
    (25.07.2013)

    Wennemanns neue Himmelsmechanik

    Wennemann erwacht
    mitten in der Nacht.
    Ein Gedankenblitz
    reisst ihn aus dem Sitz.
    Die Väter stritten grob,
    ob die Erde, ob
    sie eine Scheibe sei
    oder Kugel oder Ei.
    Alles eitler Tand,
    wie Wennemann jetzt fand.
    Vom Traum her mit dem Tubus
    erkennt er sie als Kubus
    mit Gebirgen an den Kanten
    vom Ural bis zu den Anden
    und mit Ebenen dazwischen
    und mit Seen drin zum Fischen,
    und mit Mooren und mit Torfen
    wird er täglich neu geworfen
    von des Schicksals Übermächten,
    von den guten wie den schlechten.
    Wennemann erklärt penibel,
    so erst würden uns plausibel
    die Wechselfälle der Geschicke,
    welche statt als Bahn als Knicke
    imponieren und im Leben
    wie auch sonst als Erdenbeben,
    wenn wieder mal und über Nacht
    der Würfel auf die Kante kracht.
    Aberach ist hochentzückt,
    endlich wird zurechtgerückt,
    was ihm bisher als ein Rätsel
    verschlungen schien wie eine Brezel.

  • Diese Texte trug Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vor in der Lesung über Bremer Stadtmusikanten“ (Moderation Helga Thomas)

    Tagfreier Tag

    Herr Wennemann klappt den Kalender auf
    und sieht, dass in des ganzen Jahres Lauf
    sich ein Gedenktag an den andern drängt,
    auf manche Tage eine Vielzahl zwängt.
    Just siebenhundertfünfundvierzig Tage
    fand Wennemann, und das sind schliesslich sage
    und schreibe reichlich zwei pro Tag im Schnitt.
    Zählt man jedoch nur die globalen mit,
    so findet man zweihundertfünfzehn Treffer –
    für eine Jahressuppe reichlich Pfeffer.
    Es finden sich dabei ein Tag des Lachens
    sowie ein Tag des Musik-selber-Machens,
    ein Tag des Kusses und ein Tag der Huren
    wie gleichfalls der Versöhnung mit den Buren,
    die Deutschen retten einmal die Kastanien,
    am zweiten Mai denkt an Madrid ganz Spanien,
    die Toiletten ehrt man im November,
    die Anti-Korruption dann im Dezember,
    dann wieder widmet man sich dem Tourismus
    beziehungsweise schließlich dem Autismus.
    Gesundheit allgemein sowie der Zähne
    entdeckt man alsbald neben Handhygiene,
    am siebten März Gesundernährung steht,
    am sechsten Mai dagegen Anti-Diät.
    Psoriasis und Leber, Niere, Herzen,
    sowie auch Rheuma, Lepra, Krebs, Kopfschmerzen
    erhalten einen eignen Tag als Bonus,
    desgleichen Brailleschrift und Hypertonus.
    Knapp fünfzig aller Denktermine hangen
    allein an medizinischen Belangen.
    Doch dann fand Wennemann noch unbenutzte
    zweiundsechzig Tage, und er stutzte.
    Er rief den Aberach, das Glück zu teilen.
    Sie proklamierten ohne zu verweilen
    den Tagefreien Welttag und fixierten
    als Jahresdatum Monat März, den vierten.
    (26.02.2013)

    Schweinerei

    Verwunderlich, verwunderlich,
    wie Menschen oft beschimpfen sich
    mit den Namen ihrer besten und nützlichsten
    Freunde aus dem Tierreich:
    Schwein, Hund, Esel, Ochs.
    Weit schlüssiger würde es sein,
    beschimpfte ein Schwein ein anderes Schwein –
    ein ganz besonders bösartiges Schwein:
    Du Mensch!
    Doch davon kenn ich keinen Bericht,
    denn solche bösen Schweine gibt’s nicht.
    (02.11.2014)

    Bremer Stadtmusikanten

    Die Stadtmusikanten von Bremen,
    getrieben von argen Problemen,
    sie fassten den Plan und sie gingen
    gen Bremen, um dorten zu singen.
    Doch schon auf dem Wege nach Stunden
    war ihre Misere verschwunden,
    auch ohne die Stadt zu erreichen.
    Was lehrt uns nun das und dergleichen?
    Erlangen wir oft auch im Leben
    nicht das, was wir eifrig erstreben
    und lässt sich nicht alles erklimmen,
    so gilt doch: die Richtung muss stimmen!