Schlagwort: Lebenskonflikt

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    Eine kleine, wahre? Geschichte über einen Einsatz der Bundesrepublik in Afrika  
    oder
    Ist der Mensch ein Werkzeug des Schicksals?

    Sie waren noch bei Dunkelheit aufgebrochen. Jetzt fuhren sie schon zwei Stunden über Straßen, die kaum als solche zu identifizieren waren. Die Landschaft ausgedörrt und ausgetrocknet. Es hatte seit Monaten nicht mehr geregnet. Die Vegetation war abgestorben. Nur hier und da an besonderen Stellen standen noch grün-braune Sträucher. Langsam stieg die Sonne und mit ihr die gnadenlose Hitze. Der Lastwagen zog eine kilometerlange rötlich-gelbe Staubwolke hinter sich her.

    Die zwanzig Soldaten saßen auf zwei gegenüberstehenden Holzbänken auf der offenen Ladefläche. Vornüber gebeugt, auf ihre Schnellfeuergewehre gestützt, die Helme tief ins Gesicht gezogen, sprach keiner ein Wort. Schweiß rann über ihre Gesichter und tropfte auf die Tarnkleidung. Schweiß floss auch über den Nacken. Er sammelte sich zu größeren Tropfen, die den Rücken hinunter rannen, bis sie vom Stoff aufgesogen wurden.  Es stank nach Schweiß, Männerschweiß. Unter ihren schusssicheren Westen waren alle durchgeschwitzt. Und es roch nach Angstschweiß. War da nicht auch der Geruch von Urin? Auch die Tarnhosen waren schweißnass, so dass keine urinfeuchte Stellen zwischen den Beinen erkennbar waren. In den hochgeschnürten Lederstiefeln stand ebenfalls die schweißige Feuchtigkeit. Die Stiefel ließen aber keine Gerüche frei. Jeder der Männer hatte seine Stiefel fest geschnürt, damit sie Schutz vor Insekten, vor allem Skorpionen – die waren zwar nicht gefährlich, aber unangenehm-  und natürlich vor Schlangen boten. Der Staub blieb in den schweißnassen Gesichtern kleben. Er ließ die Augen groß und weiß erscheinen in den rotbraunen Masken. Auch die Lippen waren staubverkrustet. Die Männer hatten schon lange aufgegeben, den Staub mit der Zunge wegzuwischen. Teilweise waren die Lippen aufgesprungen.

    Jedes Mal, wenn die Fahrer zu viel Zwischengas gab, zogen aus dem defekten Auspuff Abgasschwaben über die Ladefläche. Die weiter vorn Sitzenden husteten. Das Atmen war nahezu unmöglich, wenn sich Abgas und Schweißgeruch mischten. Immer wieder warfen sich die Soldaten einen kurzen Blick zu, bevor sie wieder ihre Blicke senkten. Keiner sollte die Angst bemerken.

    Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu ihrem letzten Einsatz vor drei Tagen zurück. Auch an diesem Tag waren sie lange gefahren. Nach Stunden erreichten sie ein Dorf am Fuße eines kleinen Hügels. Die wenigen Bewohner, vielleicht fünfzehn oder zwanzig, waren schnell auf dem Dorfplatz zusammen getrieben. Dort standen sie: einige Frauen und alte Männer. Allesamt armselige Kreaturen in bunter abgetragener Kleidung. Die meisten hatten ihren Kopf ängstlich gesenkt. Maier eins, der Befehlshaber, ließ alle in einer Reihe antreten. Er trat vor die dunkelhäutigen Haufen Elend und blickte jeden durchdringend an. Dann ließ er zwei Frauen hervortreten. Er zog seine Pistole, trat zu ihnen und schoss ihnen in den Kopf. Einfach so. Beiden Frauen fielen lang nach hinten.

    Markus Müllert sah immer noch die angstvoll aufgerissenen Augen. Die beiden Frauen hatten keine Zeit mehr, um zu begreifen was mit ihnen passierte. Die anderen umso mehr.

    „Maier vier, Maier acht, Maier neun und Maier fünfzehn, ihr erledigt das hier. Ihr nehmt den Toyota und kommt nach ins Lager. Wir fahren schon vor.“

    Maier eins brüllte diesen Befehl kurz und zackig.

    Die Männer antworteten wie aus der Pistole geschossen: „Jawohl, Maier eins.“

    Immer wieder sah Maier zwölf, Markus Müllert, diese Szene auf dem Dorfplatz. Fast fror es ihn jetzt. Er war froh, nicht bei dem Erledigungskommado eingeteilt gewesen zu sein. Aber was wird heute kommen?

    Wenn er in die Gesichter schaute, sah er Angst und Betroffenheit.

    Als sich Markus vor Monaten zu diesem Einsatz gemeldet hatte, wusste er nicht, was auf ihn zukommen würde. Es sollte ein großes Abenteuer werden. Er war schon häufiger im Auslandseinsatz gewesen, auch mit Feindbeschuss. Aber er hatte sich alles irgendwie anders vorgestellt.

    Plötzlich hielt der Toyota, und der Lastwagen stoppte dicht dahinter. Die Soldaten standen auf, froh, ihre Beine vertreten zu können. Sie blickten sich um. Nichts war zu erkennen. Nur ganz am Horizont war ein dünner grüner Saum. Hier gab es offenbar länger Wasser.

    Maier eins ging um den Lastwagen herum.

    „Absitzen, Männer!“

    Die Soldaten sprangen und kletterten von der Ladepritsche und stellten sich in Reih und Glied.

    Der Kommandant trat vor die Männer.

    „Soldaten! In knapp einer Stunde werden wir das Ziel unserer heutigen Operation erreichen. Es ist ein kleines Dorf vor uns. Es gibt eine Straße und nur ein paar Häuser. Wahrscheinlich ist es verlassen. Unsere Aufgabe ist, sicherzustellen, dass sich wirklich kein Feind mehr dort aufhält. Wir haben das Dorf zu bereinigen. Zwei Männer zusammen gehen in ein Haus und inspizieren es. Seit jederzeit bereit, dass es zu Kampfhandlungen kommen kann und dass ihr aus einem Hinterhalt angegriffen werdet. Denkt auch daran, dass es hinter den Häusern Ställe oder Anbauten gibt. Manche Häuser haben einen geheimen Verschlag unter dem Haus. Überall kann sich ein Feind verstecken und angreifen. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass sich kein Feind mehr im Dorf befindet. Ist ein Haus sauber, dann macht ihr ein weißes Kreidekreuz mit einem Halbkreis darüber rechts neben der Eingangstür. Maier eins blickte von Mann zu Mann, von Soldat und Soldat.

    „Noch Fragen?“

    „Nein, Maier eins“, scholl es wie aus einer Kehle.

    Während die Soldaten wieder auf die Ladefläche des Lasters kletterten, teilte der Befehlshaber die Zweiergruppen ein.

    Markus wurde mit Maier vierzehn eingeteilt.

    Maier vierzehn war ein drahtiger, noch nicht bulliger Typ. Sein Gesicht war immer recht ausdruckslos. Man wusste nie, was in ihm vor ging. Es zeigte keine Emotionen. Die blaugrauen Augen lagen tiefen in ihren Höhlen und wurden von tiefhängenden Lidern verborgen.

    Die Fahrt wurde noch holpriger. Der letzte Regen hatte alle Reste einer möglichen Straße verwischt. Jedes Schlagloch oder jede gröbere Unebenheit wurden durch die schlechten Federn des Lastwagen an die Männer oben auf der Ladepritsche weitergegeben. Obwohl es jedes Mal einen Schlag auf die Wirbelsäule der Männer gab, spürten diese keinen Schmerz.

    Nach mehr als einer halbstündigen Fahrt wurden die Häuser des kleinen Dorfes sichtbar; nicht mehr als drei Dutzend Häuser.

    Die Soldaten sprangen vom Lastwagen und entsicherten ihre Schnellfeuergewehre. Nach und nach wurden die Zweierkommandos in die Häuser geschickt.

    Maier zwölf und Maier vierzehn betraten das vierte Haus links an der Straße. Es war größer und hatte als einiges einen zweiten Stock.

    „Du unten, ich oben“, sagte Maier vierzehn.

    Sofort rannte Maier vierzehn die Holztreppe in den ersten Stock.

    Markus betrat den Raum rechts. Es war so eine Art Büro. Jedenfalls standen ein großer Schreibtisch in der Mitte und ein kleinerer Schreibtisch, mit einer mechanischen Adler-Schreibmaschine neben der Tür. Auf dem großen Schreibtisch stand ein großer, schwarzer Telefonapparat. Überall auf dem Schreibtisch und über den Boden lagen Papierbogen verteilt. Das Büro musste fluchtartig verlassen worden sein. Maier zwölf trat über geöffnete Ordner und Briefe, auch Stempel lagen verstreut. Nur wenige Ordner standen noch auf ihrem Platz im Regal hinter dem kleinen Schreibtisch. Markus blickte unter die Schreibtische und öffnete auch die Rollos der Tische.

    Hier war niemand versteckt, und es gab auch keinen Sprengstoff. Er ging langsam auf die Tür im Hintergrund zu und trat sie auf. Dieser Raum diente offensichtlich als Depot oder Lager. In der Regalen an den Wänden lagen ordentlich verpackte Papierpakete, Briefpapier, bräunliche Kuverts. Auf der anderen Seiten standen landwirtschaftliche Geräte und neben der Tür ein altertümliches Faxgerät. Einen Keller oder eine versteckte Falltür gab es auch hier nicht. Markus trat zurück in das Büro. Er ergriff einen der Briefe auf dem Schreibtisch. Markus las ihn. Er war in französischer Sprache geschrieben und irgendjemand hatte eine Anfrage. Eher unbewusste griff Markus einen Stapel Papiere. Er faltete sie zusammen und steckte sie in seine Oberschenkeltasche. Gerade als er das Büro verlassen wollte, polterte Maier vierzehn aus dem oberen Stock herunter.

    „Alles klar, Maier zwölf“, rief er.

    „Alles sauber bisher“, antwortete Maier zwölf.

    Gemeinsam betraten sie durch die nur noch notdürftig in den Angeln gehaltene Tür den Raum gegenüber dem Büro. Die beiden Männer warteten einen Augenblick, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Es war eine Art Waschraum. Es gab ein schmutziges Waschbecken und ein typisches Plumpsklo. Fünf Holzspinte standen an der Wand. Schlösser dazu gab es keine.

    „Also weiter“, rief Maier vierzehn.

    Als sie auf die Straßen traten, waren sie von dem hellen Licht geblendet. Plötzlich hörten sie eine Gewehrsalve und dann eine zweite. Meier zwölf und Maier vierzehn schreckten zurück und gingen im Haus in Deckung. Markus machte ein Zeichen, dass sich Maier vierzehn in den hinteren Raum positionieren sollte. Er selbst blieb neben der Tür, das Gewehr schussbereit, in Deckung. Aber jetzt blieb alles ruhig. Er rief Maier vierzehn. Vorsichtig blickten sie auf die helle, staubige Straße.

    Nur die einzelnen Zweiergruppen, wenn sie ein Haus verließen und ein anderes betraten, waren zu sehen. Maier vierzehn markierte das Haus rechts neben dem Eingang mit einem Kreuz und einem Halbkreis darüber. Gemeinsam gingen sie weiter. Das nächste Haus ohne Kennzeichnung war klein. Es hatte keine Tür oder keine Tür mehr und bestand nur aus einem Raum.

    Markus betrat vorsichtig den Raum. Maier vierzehn ging um das Haus herum zu einem Stall dahinter. Der Raum war spärlich möbliert. Ein grauer Tisch mit mehreren Plastikstühlen stand mitten im Raum. Daneben ein uralter Elektroherd. Markus erinnerte sich an den Generator außerhalb des Ortes. Maier eins und Maier zwo hatten angehalten und das Aggregat unbrauchbar gemacht. Zwei Betten, übereinander gestellt, mit zerwühlten Decken standen an der Wand gegenüber der Eingangstür.

    Plötzlich hörte er ein leises Geräusch, das aus dem Schrank in der Ecke zu kommen schien. Leise ging Markus zu dem Schrank und riss die Schranktür auf. Das Gewehr hielt er schussbereit in der rechten Hand. Im Schrank saß ein kleines Mädchen und starrte ihn mit ängstlich aufgerissenen Augen an. Langsam falteten sich ihre Hände zu einer Bitte. Markus blickte auf das Mädchen, das auf dem Boden im Schrank saß. Langsam führte er seinen Zeigefinger und legte ihn auf seinen geschlossenen Mund. Sachte nickte das Mädchen. Markus schloss leise den Schrank. An der Tür traf er Maier vierzehn.

    „Alles klar?“

    „Alles klar!“ antwortete Maier zwölf. „Los weiter, zum nächsten Haus.“

    Maier vierzehn schaute Markus in die Augen. Er schob zweifelnd seine Unterlippe vor.

    „Warte vor dem Haus auf mich.“

    Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. Er drückte Maier zwölf aus dem Haus. Markus blieb angespannt, an der Hauswand gelehnt, stehen. Trotz der Hitze und trotz des Schweißes fror er und hatte Gänsehaut. Keine Minute später hörte er eine Holztür zerbersten, dann einen kurzen kindlichen Schrei und sofort eine Salve aus einen Schnellfeuergewehr.

    „So, sauber!“

    Zufrieden trat Maier vierzehn auf die Straße. Er stellte sich vor Maier zwölf:

    „Wusste ich es doch.“

    Er nahm seine Kreide und malte ein großes weißes Kreuz neben die Tür und zog einen Halbkreis darüber.

    Wortlos gingen sie zum nächsten Haus ohne Kreidezeichen.

    Ab und zu hörte man Schreie und Schüsse. Dann blieb es ruhig, gespenstisch ruhig.

    Man konnte die Hitze fühlen und flimmern sehen. Und man konnte Angst und Blut riechen.

    Später saßen die Soldaten im Schatten des Lastwagens und warteten.

    „Aufstehen und antreten“, schrie Maier eins.

    „Irgendwelche Vorkommnisse?“ fragte der Kommandant.

    Maier vier trat einen Schritt vor und salutierte.

    „Ich bin von einer Frau mit einer Machete angegriffen worden“.

    Er zeigte auf seinen linken Oberarm. Der notdürftige Verband war durchgeblutet, aber die Blutung stand.

    „Den Feind abgewehrt und liquidiert.“

    „Gut gemacht, Maier vier“, lobte Maier eins.

    „Maier zwo, versorgen sie die Wunde“.

    Maier zwo salutierte und ging zum Toyota.

    Meier eins schaute weiter über die Reihe.

    Maier neunzehn trat einen Schritt vor und salutierte.

    „Zweimal von einem Feind mit Machete angegriffen worden. Beide Angriffe abgewehrt und die Situation bereinigt. Keine Verletzung und keine weiteren Vorkommnisse“.

    Meier neunzehn stand stramm. Er salutierte erneut und trat zurück ins Glied.

    Maier sechzehn trat vor.

    „Eine Feindberührung, die Situation geklärt. Sonst keine besonderen Vorkommnisse.“

    Er salutierte und trat zurück.

    Maier vierzehn machte einen Schritt vorwärts und salutierte.

    „Eine kleine Feindberührung. Situation geklärt, gereinigt ohne Verluste oder Verletzungen.“

    Er salutierte nicht, und er trat auch nicht in die Reihe zurück.

    „Maier vierzehn! Gib es sonst noch Vorkommnisse?“

    „Jawohl, Maier eins.“

    Maier vierzehn machte eine Pause.

    „Ich hatte den Eindruck, dass Maier zwölf den Feind absichtlich übersah.“

    „Noch etwas, Maier vierzehn“, fragte Maier eins laut.

    „Nein!“

    „Danke, Soldat.“

    Maier vierzehn salutierte jetzt und stellte sich zurück in die Reihe.

    Maier eins stellte sich vor Markus.

    „Maier zwölf, vortreten!“

    Maier zwölf trat einen Schritt vor und salutierte strammstehend.

    „Was haben sie dazu zu sagen?“

    Maier eins schob seinen Kiefer drohend vor.

    „Nichts, Maier eins“, sagte Maier zwölf fest.

    „Maier zwölf!“

    Maier eins machte eine gefährliche Pause.

    „Maier zwölf! Das ist eine schlimme Anschuldigung. Äußern sie sich.“

    Diese Aufforderung war ein Befehl und erlaubte kein Ausweichen.

    „Ich bin kein Mörder! Maier eins.“

    Markus antwortete steif. Sein Blick ging starr geradeaus. Bei der Vorstellung, was in dem Raum geschehen war, wurde es ihm fast übel.

    „Maier zwölf! Sind sie wahnsinnig? Wir sind keine Mörder. Keiner von uns. Wir sind Soldaten im Kriegszustand.“

    Die Stimme von Maier eins überschlug sich fast. Speichel spritzte und traf Markus im Gesicht. Dieser verzog keine Miene.

    „Das war ein kleines Mädchen. Keine fünf Jahre alt. Das bringt man doch nicht einfach um.“

    Markus wusste genau, dass die Situation zu seinem Nachteil kippen konnte.

    „Wir sind keine Mörder! Verdammt noch einmal! Wir haben hier eine Aufgabe zu erfüllen. Aus dem Mädchen wird später eine Terroristin und eine Gefahr.“

    Die Kopf und der Hals von Maier eins verfärbten sich unnatürlich rot.

    Markus konnte es nicht lassen:

    „Unsere Mission ist auf zwei Jahre beschränkt, so sagt man wenigstens, dann ist das Mädchen vielleicht sieben oder acht Jahre alt, aber niemals eine Terroristin oder eine Gefahr.“

    Die Augen von Maier eins traten hervor. Er sagte nichts. Er blickte nur in die Augen von Maier zwölf. Dieser blickte unverwandt zurück. Zwei Männer maßen sich.

    „Meier zwölf“, Maier eins sprach jetzt ruhig und leise, „wir wissen nicht, ob dieses Mädchen irgendwann, mit einem Sprengstoffgürtel auf eine belebte Straße oder einen Markt geschickt und dort in die Luft gejagt wird.“

    Markus holte Luft, um eine Antwort zu geben.

    Maier eins trat dicht vor ihn hin. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Markus spürte die Hitze des Gesichts von Maier eins, und umgekehrt war es wohl ebenso.

    „Maier zwölf, sie halten jetzt ihren Mund. Sie sagen kein Wort mehr. Das ist ein Befehl. Ist das klar?“

    Maier eins hatte leise gesprochen, fast geflüstert.

    „Jawohl, Maier eins“, brüllte Markus ihm ins Gesicht.

    Maier eins wich keinen Millimeter zurück.

    Markus salutierte und trat an seinen Platz zurück.

    „Aufsitzen und Abfahrt“

    Maier eins ging zum Toyota, nachdem er Maier zwei ein entsprechendes Zeichen mit dem Kopf gegeben hatte.

    Spät am Nachmittag kamen die Fahrzeuge im Camp an. Auf der gesamten Fahrt war kein Wort gesprochen worden. Müde sprangen die Männer von der Ladefläche.

    Maier eins stand schon bereit.

    „Angetreten!“

    Die Soldaten murrten und fluchten innerlich, stellten sich aber sofort auf und bildeten zwei Reihen.

    Maier eins stand stramm. Er schwieg lange. Dabei blickte er jeden einzelnen an. Der kleine rote senkrechte Strich unterhalb der Unterlippe wippte auf und ab. Maier eins achtete peinlich darauf, dass sein Bart immer gut getrimmt war. Der Befehlshaber hatte sich so positioniert, dass den Männern die tief stehende Sonne genau ins Gesicht und in die Augen schien. Er selbst hatte sie im Rücken. Die tief ins Gesicht gezogenen Helme und die Sonnenbrillen halfen wenig, die Augen brannten. Auch vom Schweiß und vom Staub.

    Maier zwölf spürte die Wut und Abneigung seiner Kameraden. Auch er wünschte sich jetzt eine Dusche, auch wenn sie nur lau war.

    „Männer“, sagte Maier eins leise.

    „Männer!“ brüllte er das Wort jetzt.

    „Männer“, sagte er noch einmal, „wir haben hier eine Aufgabe zu erfüllen. Es ist eine spezielle Mission. Niemand weiß, dass wir hier sind und dass es uns gibt. Deshalb tragen wir auch keine Rangabzeichen, keine Namensschilder und auch kein Nationalitätenzeichen. Wir sind in geheimem Auftrag eingesetzt. Ich wiederhole ausdrücklich: Wir sind hier um eine geheime Mission zu erfüllen. Ihr seid bestausgebildete Elitesoldaten, und ihr seid speziell ausgewählt , weil ihr die besten seid. Jeder von uns muss jederzeit einhundert Prozent Einsatz bringen. Neunundneunzig Prozent sind zu wenig. Wer keine einhundert Prozent Einsatz bringt, gefährdet die gesamte Operation, gefährdet die gesamte Truppe, einzelne seiner Kammeraden und letztlich sich selbst. Unsere Aufgabe ist es, dieses Gebiet zu bereinigen, den Feind zu demoralisieren, zu schwächen und zu töten. Jeder hier ist ein potentieller Feind und Terrorist. Jeder, sage ich euch, Männer, Frauen, Junge oder Alte auch Kinder, jeder ist ein Feind und muss dementsprechend bekämpft werden. Männer, Soldaten, Kämpfer, tut alles, um den Feind zu destabilisieren, zu demoralisieren und zu liquidieren.“

    Maier eins machte eine Pause.

    „Habt ihr das verstanden?“

    „Jawohl, Maier eins“, schrien die Männer. Alle wollten in die Unterkünfte und ins Toilettenzelt.

    „Maier zwölf, sie melden sich in einer Stunde im Kommandozelt.

    Genau eine Stunde später betrat Maier zwölf das Kommandozelt. Er grüßte stramm. Maier eins saß geduscht, frisch rasiert und umgezogen hinter seinem Feldschreibtisch. Er ließ Markus einige Minuten stehen, ehe er ihm seine Aufmerksamkeit widmete. Wieder hüpfte der rote Bartstrich.

    „Ich will es kurz machen. Wir sind eine geheime Operation und diese Operation muss geheim bleiben und darf vor allem nicht gefährdet werden. Deshalb hat niemand von uns ein Handy, ein Laptop oder eine Digitalkamera. Es gibt nur ein Funkgerät, hier im Kommandozelt, mit einer Frequenz. Ich habe den Eindruck, dass Sie den Anforderungen dieser Aufgabe nicht gewachsen sind. Sie sind von allen weiteren Aktionen ausgeschlossen, mit dem nächsten Versorgungshubschrauber fliegen sie zurück nach Libreville. Sie haben absolutes Stillschweigen zu wahren, genau wie sie es schriftlich fixiert haben. Abtreten!“

    Maier zwölf salutierte und verließ das Kommandozelt.

     

    Sieben Jahre später

    “Markus, Markus“, Heideann kam suchend um die Ecke.

    Markus“, rief sie lauter.

    Ihr Mann saß im Liegestuhl und hatte die Ohrenstöpsel in den Ohren. Er hörte Musik. Sein Blick ging in die Ferne, durch den blauen Himmel ins Weite. Eigentlich sah er nichts, oder doch? Sein rechter Fuß wippte den Takt.

    Heideann ging zum Liegestuhl und kraulte Markus die Haare. Sofort riss er sich die Ohrstöpsel heraus und stellte die Musik aus. Er legte den Kopf in den Nacken um sie sehen zu können. Er musste blinzeln, denn jetzt schaute er direkt in die Sonne.

    Heideann ließ ihre beiden Hände langsam auf seine Brust heruntergleiten. Dabei beugte sie sich vor und legte ihre Wange auf seinen Kopf.

    Markus griff nach ihren Handgelenken und drückte sie fest an seine Brust. Wärme durchströmte ihn. Mit seiner rechten Hand zog er Heideann zu sich. Jetzt konnte er sie ansehen, ohne geblendet zu werden. Liebevoll betrachtete er ihren mächtigen, spitzen Bauch. Vorsichtig befühlte er ihre gespannte Haut.

    „Mein Baby“, sagte er.

    „Welches Baby meinst du?“ fragte sie lachend.

    „Meine drei Babys“, verbesserte er sich, ebenfalls lachend, „und euch zwei holen wir nächste Woche“, sagte er auf den Bauch zu.

    „Luisann kann man wohl nicht mehr als Baby bezeichnen. Sie wächst und wächst und hält mich ganz schön auf Trab.“

    „Meine süßen Babys bleiben immer meine Babys. Auch Du“, sagte Markus.

    Er stand auf und umarmte Heideann. Obwohl er seinen Bauch einzog, so richtig umarmen konnte er seine Frau nicht. Ihr Spitzbauch war einfach im Weg. Gerade als das Gewicht von Heideann wieder langsam nach unten ging, war sie wieder schwanger geworden, diesmal mit Zwillingen.

    „Markus, hast du heute Nacht schlecht geträumt? Du warst so unruhig“, fragte sie besorgt. Sie kannte die schlechten Träume von Markus.

    „Nein, eigentlich nicht. Nicht bewusst in den Morgen hinein“, antwortete Markus.

    „Hast du von dem kleinen Mädchen geträumt?“

    „Nein, nicht, dass es mir bewusst geworden wäre“.

    Markus blieb auch bei diesem Gedanken ruhig.

    „Nein, ich glaube nicht. Ich hatte schon lange keine schlechten Träume mehr. Es ist halt manchmal so, dass ich ihre großen, flehenden Augen und ihre gefalteten Hände sehe. Es ist, als sei etwas noch nicht abgeschlossen. Manchmal kommt mir ein Gedanke, nein es ist kein Gedanke, es ist so wie eine Ahnung oder Eingebung, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben kann, dass das Mädchen nicht ihre Ruhe gefunden hat.“

    Markus tätschelte Heideanns Bauch. Dann pikste er mit spitzem Zeigefinger in den vorstehenden Bauchnabel.

    „Glaub´ mir, ich freue mich auf zwei weitere Mädchen. Es werden doch Mädchen?“

    Er schaute Heideann fragend an.

    „Wenn man dem Gynäkologen glauben will und der Ultraschall nicht gewaltig täuscht, dann ja“, lächelte sie. „Ich habe so ein Gefühl, dass es Mädchen werden. Eine Frau spürt das.“

    „In zwei Wochen fliege ich nach München auf die Messe. Hoffentlich sind meine Mädchen dann alle Zuhause. Ich will unbedingt bei der Geburt dabei sein.“

    Er stellte sich im Kreissaal stehend vor. In jedem Arm ein schreiendes Mädchen.

     

    Markus blickte auf die Landschaft unter sich. Er hatte jedes Mal einen Knoten im Bauch, wenn das Flugzeug startete. Heute war es weniger schlimm. Das Wetter war sonnig und windstill. Wieder und wieder dachte er an seine Babys zu Hause. Es war alles gut gegangen. Mutter und Töchter waren wohl auf. Gott sei Dank. Linde und Dora waren glatt auf die Welt geflutscht und hatten wirklich kräftig geschrien, als die Hebamme sie in seine Arme legte. Die Hebamme hatte mehrere Fotoaufnahmen gemacht und meinte, der Vater könne stolz sein. Das sagt sie zwar immer, aber Markus hörte es trotzdem gern.

    Er griff sich eine der kostenlosen Wirtschaftszeitungen, die er vor den Abflug eingepackt hatte. Gelangweilt und ohne Interesse blätterte er. Hie und da las er einen Artikel an. Weiter hinten informierte der Hersteller von Fertighäusern über die neue Modepalette. Das interessierte ihn. Heideann und er hatten genau mit dieser Firma gebaut. Den Artikel über eine neuen Herrenmodeausstatter, La Torre, las er wieder oberflächlich. Er hatte sich schon vorher entschieden, die Kollektion nicht für sein Sortiment zu ordern. Vielleicht würde er, wenn noch Zeit war, über den Messestand von La Torre schlendern. Er blätterte lustlos weiter. Sein Blick fiel auf eines dieser unsäglichen Firmenportraits, bei denen man nie weiß, ist es ein Firmenportrait oder ein Inhaberportrait. Er wurde plötzlich steif und bekam eine Gänsehaut über den Rücken.

    Schnell riss er diese Seite heraus und legte sie sorgfältig gefaltet in seinen braunen Lederaktenkoffer. Den Rest des Fluges blickte er aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen.

    Nachdem er seine Termine erledigt, abgearbeitet hatte, zog er sich auf sein Hotelzimmer zurück. Er verzichtete auf sein geplantes Abendprogramm. Obwohl er die Oper liebte und seit vier Monaten eine Karte hatte, verzichtete er darauf. Bis spät in die Nacht und darüber hinaus bis in den Morgen saß er am Computer. In der Mittagspause verpasste er sein Mittagessen. Er telefonierte sein Handy heiß. Heideann schimpfte schon, weil er nicht wie gewohnt bei ihr anrief und sie ihn selbst nicht erreichen konnte.

     

    Markus horchte auf das Klingelzeichen.

    „Security by Terhagen. Sie sprechen mit Frau Weiler. Was kann ich für sie tun.“

    „Guten Tag, mein Name ist Maier. Ich möchte Herrn Terhagen sprechen.“

    „In welcher Angelegenheit? Was kann ich ihm dazu sagen?“, fragte die Stimme von Frau Weiler.

    „Wir planen eine Hausmesse, konnten dafür einen Minister gewinnen und benötigen dafür einen entsprechenden Schutz.“

    „Ich kann sie mit Herrn Mahler verbinden. Er ist der Ansprechpartner in solchen Angelegenheit.“

    „Nein, bitte nicht. Der Minister hat ausdrücklich Herrn Terhagen empfohlen und empfohlen, mit ihm persönlich zu sprechen. Bitte verbinden sie mich mit Herrn Terhagen“, sagte Markus bestimmt.

    „Einen Moment bitte“, hörte er Frau Weiler sagen.

    Nach einer langen Minute meldete sich zackig, eine männliche klingende Stimme.

    „Terhagen, was kann ich für sie tun.“

    „Guten Tag, Herr Terhagen. Mein Name ist Maier. Sie sind mir empfohlen worden. Ich will es kurz machen. Wir sind ein mittelständisches Unternehmen der Elektroindustrie und planen eine Hausmesse. Unser Wirtschaftsminister hat sein Kommen zugesagt. Zusätzlich wird eine Delegation aus Israel erwartet, und wir sind für die Sicherheit verantwortlich.“

    „Ja, ich verstehe. Wer hat unsere Firma empfohlen?“

    „Der Innenminister hat ausdrücklich ihren Namen genannt.“

    Es trat eine Pause ein. Markus hörte, wie Terhagen Seiten umblätterte.

    „Ich kann ihnen den 20. Mai um 14 Uhr als Termin anbieten. Passt das Ihnen?“

    „Nein, überhaupt nicht. Ich fliege gegen 22 Uhr zurück und möchte sie heute noch sprechen.“

    „Kommen sie um 19 Uhr in mein Büro.“

    „Wieder muss ich nein sagen. Die Sicherheitsorganisation wird über unser Büro in Haifa abgewickelt. Sie verstehen? Deshalb treffen wir uns auf der Wupperbrücke um 15 Uhr. Ich werde sie ansprechen. Es wird ein umfangreicheres Projekt werden.“

    „Gut. Ich werde auf Sie warten.“

    „Danke, Herr Terhagen, bis in einer Stunde.“

    Markus drückte die rote Taste auf seinem Handy. Dieses Handy hat er sich auf dem schwarzen Markt für dieses Gespräch besorgt. Er entnahm die SIM-Karte und vernichtete sie. Das Handy warf er in eine graue Tonne.

    Um 14 Uhr 54 stieg Markus an der Haltestelle Pestalozzistraße aus dem Bus und schlenderte in Richtung Wupperbrücke. Er sah einen Mann in mittelgrauen Anzug am Geländer gelehnt stehen. Einen schwarzen Ledergeschäftskoffer stand neben ihm abgestellt. Der Mann wirkte schlank und durchtrainiert. Markus ging nun zielstrebig auf den Mann zu.

    „Herr Terhagen, nehme ich an.“

    „Ja.“

    Der Mann drehte sich zu Markus. Unsicheres Wiedererkennen im Blick sagte er: „Maier zwölf?“

    „Richtig, Maier vierzehn. Gut, dass Sie sich erinnern.“

    Interessiert schaute Maier vierzehn auf seinen Gegenüber, den er als Maier zwölf kannte.

    „Wie geht es ihnen, Maier vierzehn.“

    „Gut, ich bin zufrieden. Wie geht es ihnen, äh, Maier zwölf“

    „Auch gut, soweit. Wie geht es Maier eins?“

    Terhagen oder Maier vierzehn blickte Markus prüfend an, dann lachte er trocken. Noch einmal lachte er freudlos. Diesmal war das Lachen eher ein Schnauben.

    „Auf der Rückfahrt vom Versorgungshubschrauber, übrigens der Flug, mit dem sie ins Hauptquartier nach Libreville geflogen wurden, geriet der Lastwagen in einen Hinterhalt. Maier zwei, Maier vier und Maier zehn wurden erschossen. Meier eins wurde die Kehle durchtrennt. Wir haben die Leichen am nächsten Morgen auf der Zufahrtsstraße zum Lager gefunden. Der Lastwagen mit dem Nachschub wurde gestohlen. Die gesamte Operation wurde daraufhin abgebrochen und das Camp aufgelöst.“

    Terhagen lehnte sich wieder auf die grün gestrichen Brückenbrüstung. Damit kehrte er in die Gegenwart zurück.

    „Wie ist Ihr Name, und was kann ich für Sie tun? Meine Sekretärin sagte, es handle sich um eine Sicherheits- und Personenschutzaktion?“

    Markus stellte sich dicht neben Maier vierzehn, fast berührten sich ihre Schultern. Er stützte sich ebenfalls auf die Brüstung. Beide starrten auf das gleitende Wasser.

    „Maier zwölf sollte genügen. Und tatsächlich handelt es sich um eine Personenschutzangelegenheit.“

    Markus nestelte an der Innentasche seine Jacketts und reichte Maier vierzehn einen Boden Papier.

    Terhagen griff nach dem Papier ,faltete es auf und las. Verständnislos blickte er zu Markus. „Ich verstehe nicht.“

    Er blickte erneut auf den Fax-Auszug mit seinem Bild, seiner Firmenadresse und seiner Privatadresse.

    „Können Sie mir das erklären?“ fragte er immer noch verständnislos.

    „Klar kann ich das.“, antwortete Markus locker, „Ich habe im Flugzeug Ihr Firmenportrait und vor allem Ihr Bild gesehen. Ich habe Sie sofort wiedererkannt, Maier vierzehn. Daraufhin habe ich mir mehrere Nächte um die Ohren geschlagen. Ihre Adresse herauszufinden, war nicht schwer. Schwieriger war es, mit dem Bürgermeister eines kleinen, mir unbekannten, Dorfes in Afrika in Kontakt zu treten. Als der Kontakt bestand, wurde er allerdings sehr lebhaft. Besonders die Familie des kleinen Mädchens war außerordentlich interessiert. Sie erinnern sich: das kleine Mädchen im Schrank? Sicher!“

    „Und Sie haben mein Bild und meine Adresse nach Afrika in das Dorf gefaxt?“

    „Ja, wahrscheinlich noch dasselbe Faxgerät, das damals im Nebenraum stand.“

    Markus war völlig emotionslos, obwohl er die Bestürzung und die Angst bei Maier vierzehn spürte, als diesem die gesamte Bedeutung klar wurde. Dieser drehte sich abrupt zu Maier zwölf und packte ihn am Oberarm. Markus wurde geschüttelt.

    „Aber wir waren damals im Krieg!“, schrie Maier vierzehn voller Panik. „Das ist doch vorbei. Wir haben keinen Krieg mehr.“

    Waren wir wirklich im Krieg damals? Im Krieg gegen wen? Sicher nicht im Krieg gegen das kleine Mädchen, übrigens: Sie hieß Hmgali. Haben Sie nie darüber nachgedacht, was wir damals gemacht haben? Wir waren nichts anderes als Söldner. Söldner der Bundesrepublik Deutschland, an den Meistbietenden verschachert. Das war bei uns so, und es ist heute noch so. Wer am meisten bietet, dem wird militärische Hilfe zu humanitären Zwecken, auch zum Töten Unschuldiger angeboten.“

    Die Augen von Terhagen waren angstvoll aufgerissen. Schweiß stand ihm im Gesicht.

    „Wissen Sie, was Sie da gemacht haben?“

    Seine Stimme überschlug sich.

    „Ja! Man muss fest davon ausgehen, dass sich die Familie von Hmgali jetzt im Krieg befindet. Im Krieg gegen Sie, Maier vierzehn.“

    Terhagen war kaum in der Lage zu antworten. Stotternd sagte er: „Aber, aber, wenn die nach Deutschland kommen und mich suchen, werden sie mich finden.“

    Jetzt verspürte Markus Genugtuung und Triumph.

    „Davon ist fest auszugehen“, sagte er kalt, „aber Sie sind ja Spezialist in Personschutzangelegenheiten: Security by Terhagen. Ich glaube, ihre Nächte werden furchtbar werden, Maier vierzehn.“

    Mit diesen Worten drehte sich Markus um und schlenderte zur Bushaltestelle.

    Terhagen blieb fassungslos an der Brückenbrüstung hängen.

     

    Sieben Wochen später.

    Markus war früh durch das Gezwitscher der Vögel aufgewacht. Fröhlich trat er vor die Haustür. Er blickte zum dämmrigblauen Himmel. Die Sonne würde gleich hinter den Baumspritzen empor kommen. Er genoss die frühmorgendliche Kühle und atmete tief durch. Als er die Samstagszeitung aus dem Briefkasten fischen wollte, bemerkte er einen Zettel auf dem Boden liegen. Markus hob den Zettel auf. In ungelenken Druckbuchstaben stand das Wort: D A N K E. Durch einen kleinen Riss war ein Blümchen gezogen.

    Markus atmete tief durch. Irgendwie konnte er besser atmen. Er fühlte sich schwebend.

    In den nächsten Tagen würde er keine Zeitung lesen oder Nachrichten hören.

    Copyright Dr. Gerhard Langenberger

     

     

     

     

     

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    langenberger-der-morgen-bild

    Es war noch früher Abend, trotzdem war es schon dunkel, fast finster. Der kühle Wind trieb dichte Regenschwaden durch die menschenleeren Straßen. Wenn dennoch jemand unterwegs sein musste, eilte er tief nach vorne gebeugt unter einem Regenschirm, der eng vor den Körper gehalten wurde, mit hochgestelltem Mantelkragen nach Hause. In den Wasserlachen doppelten sich die Lichter, ohne dass es heller wurde. Die Straßenbahn ratterte quietschend durch die verlassenen Straßen.

    Ein Mann saß mit Schulter und Stirn an die kühle Scheibe gelehnt. Außen erschienen tausende von Tropfen, die sich trafen und als kleine Bäche schnell die Scheiben hinunter eilten. Über die Backen des Mannes floss ebenfalls ein kleiner Bach. Die Tränen tropften vom Kinn auf seine Hose. Der Mann blickte leer durch das Fenster nach draußen, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Als die Straßenbahn hielt, stand er auf und stieg aus. Einen kurzen Moment stand er, dann wendete er seine Schritte in Richtung Pier. Der heftige Regen hatte aufgehört. Es nieselte nur noch unangenehm kalt. Der Mann sollte eigentlich frösteln, nur mit einem leichten Shirt bekleidet, aber es war ihm heiß, er schwitzte sogar zwischen den Schulterblättern. Ohne auf die Pfützen zu achten, ging er langsam zum Wasser hin. Seine fransig getretene Jeans zog Wasser. Er achtete nicht darauf. Seine Schritte klangen leise hallend, als er am Meer entlang ging. Er fühlte sich einsam und allein. Sein Blick suchte immer wieder das Weite und den unsichtbaren Horizont. Leichter Neben stieg vom Wasser auf. Es war nun windstill,und die Straße lag ruhig und verlassen. Jetzt blieb der Mann stehen und starrte, seine Unterarm auf der nassen gusseisernen Brüstung aufstützend, ins Leere.

    „Annett, warum hast du mich verlassen?“

    „Warum so plötzlich? Ich konnte nicht einmal mehr Adieu sagen.“

    „Ach, Annett, Liebste, warum bist du weg, einfach weg, für immer weg von mir?“

    Diese Fragen stellte er sich immer wieder und wieder, ohne eine Antwort zu finden.

    Diese Gedanken kreisten in seinem Kopf. Immer wieder. Es gab keine Antwort. Es gab keinen Trost. Das Einzige, was er spürte, wirklich spürte, war dieser zerreißende Schmerz in seinem Inneren. Der Mann fühlte sich leer, einsam, unsagbar einsam und traurig. Er blickte weiter auf das ruhig Wasser mit seinem weißen Nebelhauch.

    „Komm, komm zu mir, schien es zu sagen, komm zu mir. Bei mir ist es weich und warm. Hier bist du geborgen, für immer. Und vielleicht bist zu Annett ganz nah. Komm, es ist nur ein kleiner Schritt. Ein ganz kleiner Schritt.“

    Der Mann hörte die lockenden Worte ganz deutlich. Wieder blickte er auf das dunkle Wasser mit seinem Hochzeitsschleier.

    „Ja, das ist die Lösung.“

    „Ja, Annett, ich komme“, sagte der Mann laut.

    Hinter sich hörte er, wie eine Tür geöffnet wurde. Musikfetzen trieben zum ihm. Dann wurde die Tür wieder geschlossen, und es war wieder ganz still. Ali las er über dem Eingang. Langsam und schwer ging er hinüber, öffnete die Tür und betrat das schmuddelige Lokal. Wieder hörte er die Musik, die aus einem Fernsehgerät in der Ecke kam. Er sah einige Menschen drum herum sitzen und auf die Bilder sehen. Er trat an die klebrige Bar. Ein junger dunkelhaariger Mann kam zu ihm, den Blick nicht vom Fernsehapparat zu wenden.

    „Einen Schnaps, bitte. Einen Doppelten“, bestellte der Mann. Wortlos stellte der Junge das Gewünschte auf die fleckige Platte und verschwand. Vor sich hin starrend trank der Mann den Schnaps in kleinen Schlucken. Er bestellte noch einen und dann noch einen und dann noch einen doppelten Schnaps. Der Störungen leid stellte der Junge die Schnapsflasche neben das Glas und ging zurück in die Ecke mit dem Fernsehgerät.

    Irgendwann später, die Flasche war ziemlich leer, klemmte der Mann einen Geldschein unter die Flasche. Unsicheren Schrittes verließ er das Lokal. An der Brüstung stehend blickte er auf das Wasser. Jetzt war es dunkle Nacht. Das rote Licht der Hafeneinfahrt spiegelte herüber. Der Mann hörte die verlockenden Worte, dem Gesang der Sirenen gleich. Die Fäuste krampften sich zum Sprung um das Geländer. Plötzlich spürte er einen feucht-schwitzigen Körper neben sich. Der Mann roch einen Atem, nach Knoblauch, Schnaps und kaltem Zigarettenrauch stinkend. Ein schwerer Arm mit einer riesigen feuchten Hand legte sich väterlich um seine Schultern. Der Mann blickte auf und sah in ein breites, fettiges Gesicht, mit einem mächtigen schwarzen Bart über der Oberlippe. In den langen Barthaaren klebten Schweiß und Speicheltropfen. Mit hartem türkischen Akzent sagte er, „Mein Freund, wir gehen wieder hinein. Du wählst den falschen Weg. Wir trinken noch ein Glas zusammen. Dann erzählst du mir alles.“

    Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er den Mann mit seinem kräftigen Armen zurück in das wärmend Lokal. Die Flasche stand noch am selben Platz. Ali holte noch ein Glas und füllte die Gläser. Das hob er sein Glas und beide tranken in einem Schluck aus. Wieder füllte Ali die Gläser. Dann sagte er, „Sprich, du bist unter Freunden.“

     

    Am nächsten Morgen wurde der Mann durch einen heftigen Tritt geweckt. Er lag auf einem Haufen Decken in einer Ecke. Der Mann öffnete die Augen und schloss sie sofort geblendet wieder. Jetzt bemerkt er den pochenden Schmerz im Hinterkopf und in den Augen. Er fühlte sich kräftig hochgerissen und auf die Füße gestellt.

    „Ayda hat dir ein Frühstück gemacht. Setz dich an den Tisch.“

    Der Mann wurde stützend durch die Tür nach draußen geschoben. Blinzelnd schaute er sich um. Die Sonne schien warm an diesem frühen Morgen. Normale Geschäftigkeit wogte um ihn herum. Menschen gingen zur Arbeit, Autos fuhren an ihm vorbei. Große Lastschiffe fuhren langsam auf das Meer hinaus. Der Mann erblickte jetzt, dass eines der kleinen Tischchen, die an der sonnenbeschienen Hauswand entlang aufgestellt waren, für ein Frühstück gedeckt war. Er wurde an den Tisch gesetzt. Vor ihm standen warme Croissants und frische Brötchen. Auf einem Teller war scharfe Salami mit Schafskäse angerichtet. Es gab Butter, Honig und Marmelade.

    Ali stellte eine Tasse extra starken Kaffee vor ihm auf den Tisch.

    „Schau, ein neuer Tag ist wie ein neues Leben. Wenn es dir wieder einmal schlecht geht, dann komm. Hier bist du unter Freunden“.

     

    In meinem ganzen weiteren Leben, immer wenn es mir schlecht geht, spür ich den feucht-schweißigen Körper, die mächtige fleischige Hand und rieche den Atem, der nach Knoblauch, Schnaps und kaltem Zigarettenqualm stinkt.

    Copyright Dr. Gerhard Langenberger

  • Bitteres Ende

    Was lange ihre Heimstatt war,
    wo sie gelebt in ganzen Horden,
    wo sie gehaust seit Tag und Jahr,
    das ist zur Falle jetzt geworden.

    Verhängnisvoll war just der Platz,
    den sie erwählt für ihr Zuhause –
    hat jemand erst mal einen Schatz,
    zerstört ihn auch schon ein Banause.

    Allhier in Wennemanns Salon,
    da hatten sie Quartier genommen,
    doch Wennemann kennt kein Pardon,
    ist ihnen auf die Spur gekommen.

    Mit einem Sauger sog er sie
    heraus aus ihrem trauten Hort,
    nur zwei entkamen, wer weiss wie,
    und sie verkrochen sich vor Ort.

    Doch Wennemann voll List und Arg
    hat alle Ritzen abgedichtet
    und so den beiden einen Sarg
    der ganz besondren Art errichtet.

    Dort schleppt sich nun mit letzter Kraft
    verzweifelt, abgekämpft und leise,
    auf dass der Tod Erlösung schafft,
    der Ameisbock zu der Ameise.

    Den letzten ihres Volkes ist
    ein Denk- und Mahnmal hier errichtet,
    das Aberach voll Lust und List
    den Nachgeborenen gedichtet.

    (20.07.2013) © E W Grundmann

     

    Lüge

    Die Lüge dringt
    überall ein
    und
    überall durch,
    sie ist so
    geschmeidig
    und klein
    und hat ganz
    kurze Beine.

    (21.03.2005) © E W Grundmann

     

    Fettsucht

    Er lebte
    von der Hand in den
    Mund und daran
    starb er auch,
    denn seine
    Rechte wusste nicht, was
    seine Linke tat

    (03.04.2005)© E W Grundmann

     

    Augen

    Die Rätselfrage, welche Augen
    zum Sehen überhaupt nicht taugen,
    sei leicht, sagst du, und glaubst, es sind
    die Hühneraugen, welche blind.

    Ich muss dir aber widerstehen,
    weil nämlich Hühner prächtig sehen –
    und weisst du auch, womit sie’s tun?
    Mit Hühneraugen sieht das Huhn!

    (20.12.2013 0100)© E W Grundmann

     

    Greifswald

    Als die Wissenschaft zur Erden
    sprach, du sollst zur Kugel werden,
    da war Greifswald einmal schneller,
    und es blieb so flach wie’n Teller.

    Dieses schuld’ ich, sprach es eilig,
    meinen Türmen, die mir heilig,
    dass sie sich nicht seitwärts neigen
    und verschiedne Himmel zeigen.

    Da stehn sie nun jahrein jahraus,
    Maria, Jakob, Nikolaus,
    wo die Erde ewig bleibe
    eine schöne platte Scheibe.

    Und ich weise es dir gerne:
    Nahst du dich der Stadt von ferne,
    siehst du, niemand kann’s verhehlen,
    alle drei in Parallelen.

    (05.04.2015 0245)© E W Grundmann

     

    Erkenntnis

    Will ich die Welt betrachten,
    muss ich auch mich selbst beachten.

    Doch seh’ ich, was ich sehe,
    stets aus meiner Augenhöhe.

    Demzufolge sehe ich
    beinah alles, nur nicht mich,

    denn niemand ist es eigen,
    selber sich zu übersteigen,

    um dort, wie soll ich’s nennen,
    ausserhalb sich zu erkennen.

    Es bleibt nach diesem Gleichnis
    in mir selbst die Welt Geheimnis.

    (08.09.2004) © E W Grundmann

     

    Epithalamium

    Das Wunder
    bleibt ein
    Geheimnis
    du kannst es
    erfahren
    aber nicht
    erklären
    du kannst
    es empfangen
    und verschenken
    aber nicht
    erzwingen
    hüten kannst du es
    oder
    zerstören
    es weilt nur
    wo Wahrheit ist
    und Freiheit.

    Menschen zugedacht
    nicht
    von Menschen gemacht
    ist Liebe.

    (für Karen und Christian 08.04.2000)© E W Grundmann

     

    Klarwasser

    Einst wandert ich durch dunkles kaltes Tal,
    tief eingeschnitten und geheimnisschwer,
    es war das sagenhafte Digital.

    Darinnen floss ganz schnell ein Fluss daher,
    so schnell, dass er nicht war zu sehen, hören,
    zu riechen oder fühlen, aber er,

    der Fluss, der Digi hiess, ich kann es schwören,
    riss alles mit sich, was man wissen wollte,
    um an dem Ufer jeden zu betören.

    Und wenn dann einer tat, was er nicht sollte,
    klammheimlich ohne Angelschein zu fischen,
    dann ging das leidlich, bis dass die Revolte

    der ehrenhaften Fischer ihn erwischen
    und in die ferne Wüste schicken würde.
    Genauso ist es auch geschehn inzwischen.

    Der Digifluss trägt eine schwere Bürde:
    das klare Wissen für der Menschen Leben,
    und er benötigt eine sichre Hürde,

    ihm gegen Unrat, Missbrauch Schutz zu geben,
    damit an seinen Ufern Früchte wachsen.
    Ihr Leute, danach, danach müsst ihr streben.

    (19.12.2013 0435) (Terzinen)© E W Grundmann

     

    Virtuelles

    Will Herr Wennemann spazieren gehen,
    mag er nicht aus seinem Fenster sehen,
    sondern fragt TV und Internet,
    was es heute für ein Wetter hätt’.

    In den meisten Fällen bleibt er hängen,
    weil ganz andre Themen ihn bedrängen
    oder weil die Technik wieder zickt –
    Abend wird’s, bis er sich durchgeklickt.

    Bestenfalles sieht er Leute wandern,
    er versetzt sich dann in diese andern,
    und so verwandelt sich ganz auf die Schnelle
    sein Spaziergang in das Virtuelle.

    Manchmal wünscht er sich, dass an der Türe
    Aberach, der Freund, stünd’ und entführe
    ihn zu einem Rundgang um den Block,
    dass er nicht nur in der Stube hock’.

    Da erfand der Fortschritt – welch ein Hohn –
    das verflixte Bildertelefon.
    Wennemann hat’s um so mehr beweint,
    als der Freund nur noch am Schirm erscheint.

    (05.02.2013) © E W Grundmann

     

    Teppich

    Frau Grote erbte einen Teppich
    und sprach zu sich, sie sagte nebbich,
    wie hoch kann man das Stück bewerten?
    Ich frage besser den Experten.

    Der Fachmann hat nach zehn Sekunden
    neunhundert für genug befunden.
    Die Freude war die allergrösste,
    als neunzehntausend sie erlöste.

    Schon bald ihr Glücksgefühl entschwindet,
    just als ihr Käufer einen findet,
    der ihm den Teppich wird entlohnen
    mit sieben Komma zwei Millionen.

    So wird die Wirklichkeit gemessen
    an unsern Plänen und Int’ressen.
    Uns stimmt nur alles das zufrieden,
    was wir nach unserm Willen schmieden.

    Doch haben wir es dann bekommen,
    wird es uns wieder abgenommen,
    und sei es nur, weil Wünsche schwanken
    und dauernd sich um andres ranken.

    (27.01.2012)© E W Grundmann

     

    Werte

    Kinderstube:
    Du sollst es einmal besser haben.
    Du sollst alles haben.
    Haben.
    Nimm dir.
    Iss, soviel du kannst.
    Wenn du nicht mehr kannst,
    nimm Naschwerk.
    Etwas geht immer.
    Nie hörst du die Worte:
    – Das tut man nicht.
    – Das musst du verantworten.
    – Das ist deine Pflicht und Schuldigkeit.

    Später:
    Sei Knallhart.
    Sei tough,
    gnadenlos erfolgreich,
    schlagkräftig,
    schlage kräftig.
    Maximiere den Gewinn.
    Du hast nichts zu verschenken.
    Du kannst alles kaufen.
    Mitnehmen und abräumen.
    Abstauben, dass es staubt.
    Was nicht verboten ist,
    das ist erlaubt.

    (05.03.2008) © E W Grundmann

     

    Evolution

    Wennemann hat seinen Laden
    gut geführt und ausgestaltet
    mit Qualität in hohen Graden,
    hochmodern und nicht veraltet.

    Dann verkaufte er an einen
    jüngeren und hoffnungsfrohen
    Mann vom Fach, so wollt’ es scheinen.
    Die Erwartung ist entflohen,

    als der Neue alle Werte
    konterte und demontierte
    und mit ungerechter Härte
    die Angestellten schikanierte.

    Alles, was an gutem Standard
    Wennemann hat eingerichtet,
    hat der Neue voller Hoffart
    abgeschafft und glatt vernichtet.

    Wennemann gerät ins Grübeln,
    ob abgesehn vom Einzelfalle
    sich die Menschheit je von Übeln
    aufschwingt hin zur Ruhmeshalle,

    oder ob, was wir Entwicklung
    nennen, nicht ein Kreisgang sei,
    der in ewiger Verstrickung
    angepflockt im Einerlei.

    Aberach versucht zu trösten:
    Fortschritt bei den Qualitäten
    stosse immer auf die grössten
    Hindernisse und da täten

    Vor- und Rückschritt alternieren
    so, dass man erst nach Äonen
    kann die Frage ventilieren
    nach den Evolutionen.

    Wennemann seufzt hörbar auf:
    Wie soll ich da noch hoffen,
    denn mein kurzer Lebenslauf
    lässt ja alle Fragen offen.

    (30.03.2013)© E W Grundmann

     

    Republikflucht

    Im Namen des Volkes
    ergeht folgendes Urteil.
    Der Republikflucht wird
    für schuldig befunden
    die Deutsche Demokratische Republik
    (im Folgenden „DDR“).

    Urteilsbegründung

    Die DDR hat sich am 3. Oktober 1990 verflüchtigt.
    Sie erfüllt den Straftatbestand
    der Republikflucht (§213 StGB) in Tateinheit
    mit Landesverräterischer Nachrichtenübermittlung (§99),
    Ungesetzlicher Verbindungsaufnahme (§219)
    Zusammenschluss zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele (§218)
    Zusammenrottung (§217),
    Wahlbehinderung (§210),
    Wahlfälschung (§211)
    Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses (§202),
    Nachrichtenunterdrückung (§203),
    Verbrecherischer Beschädigung sozialistischen Eigentums (§164)
    Unterlassung der Anzeige (§225).

    Straferschwerend ist zu würdigen
    die planvolle Absicht bei der Straftat,
    das Zurücklassen Schutzbefohlener,
    Kollaboration mit dem Klassenfeind.

    Im Strafmass wird auf lebenslänglich erkannt.

    Bewährung ist ausgeschlossen.
    Es ist sicherzustellen, dass von deutschem Boden
    nie wieder Sozialismus ausgeht,
    ob braun, ob rot oder sonstiger Couleur.
    Die Kosten des Verfahrens tragen die üblichen Dummen.

    (1.5.2010) © E W Grundmann

     

    Der Ort des Seins

    ist
    HIER und JETZT und SO.

    Ein Gefängnis
    wäre er,
    stünde er nicht
    in der Spannung
    zu
    GESTERN und MORGEN,
    ANDERSWIE und ANDERSWO.

    Das Haus des
    Wirklichen
    ist unbewohnbar
    ohne den Garten
    des Möglichen.

    (09.05.2004)© E W Grundmann

     

    Die fünf Leben der Zwiebel

    Aus Samen zieht der Gärtner Giebel
    zunächst die kleine Steckezwiebel.

    Bald drauf wird Hausfrau Helga Ranzen
    die Zwiebel in den Garten pflanzen,

    und schon nach ein paar kurzen Wochen
    nascht von dem Schlot ihr Stiefsohn Jochen.

    Die ganze Zwiebel isst dann später
    ihr zweiter Sohn, der kleine Peter.

    Zuletzt nach Durchgang beider Söhne
    gibts von der Zwiebel Duft und Töne.

    ( ~20.08.1995)© E W Grundmann

     

    Garten

    Ein schöner Garten schwebt dir vor
    mit edlen Pflanzen hinterm Tor,
    wobei alleine solches zählt,
    was du dir selber auserwählt.

    Du ackerst und du sähst und eggst
    und sorgst, dass alles prächtig wächst,
    du freust dich, wenn die Triebe sprossen,
    denn fleissig hast du sie begossen.

    Doch schon nach ein paar Tagen siehst
    du, dass viel Ungebetnes spriesst –
    selbst, wenn du rodest, wenn du jätest,
    und wenn du Tag und Nacht es tätest,

    und wenn du zupfst mit Stiel und Stumpf:
    das Unkraut feiert den Triumph –
    nur deine Kandidaten kranken,
    statt, wie gewünscht, empor zu ranken.

    Das Elend kann man nur beenden,
    wenn sich die Perspektiven wenden,
    wenn Unkraut du zu Kraut erhebst
    und dann im Gegenzug erlebst,

    dass nun die Kräuter dich auch adeln,
    und statt als Unmensch dich zu tadeln,
    sie dich zum Menschen nun erheben
    und fortan friedlich mit dir leben.

    Sei schlau und greif zu dieser List:
    Lass die Natur so wie sie ist,
    sonst wird sie wieder, wie sie war.
    Ist das jetzt endlich allen klar?

    (05.02.2010) © E W Grundmann

     

    Frischluft

    Aberach, ein Feind von allen Düften,
    ist in seinem Hause stets am Lüften,
    Fenster hält er offen auch bei Frosten,
    ebenso bei Schneesturm aus dem Osten,
    selbst die Gartentüre lässt er offen,
    um sich bessre Lüftung zu erhoffen.

    Wennemann, der zu Besuch gekommen,
    hat die Scheiben heimlich rausgenommen
    und verkauft, um Aberach zu testen.
    Dieser findet jetzt die Luft am besten.

    (23.01.2013) © E W Grundmann

     

    Heckenschnitt

    Wennemann benimmt sich wie die tote
    sagenhafte Kunstfigur Quijote.
    Einst vor Jahren liess er um den ganzen
    Rand des Gartens eine Hecke pflanzen.

    Leider, was er damals nicht bedachte,
    hat der Gartenbauer, der es machte,
    überwiegend Stacheln und auch Dornen
    angepflanzt zur Rache für die Nornen,

    die den Wennemann nun stachen, schnitten,
    ritzten. Viel hat Wennemann erlitten,
    bis er sich zum Kampf entschloss und Waffen
    für den Krieg begann sich anzuschaffen.

    Seither sieht man ihn in Schweiss und Blut
    gebadet und mit Inbrunst, Glut und Wut,
    mit Motorsäge, Häcksler, Beil und Schere
    kämpfen, so als gelte es die Ehre.

    (18.04.2013)© E W Grundmann

     

    wetter

    er bedaure
    sagte der kommentator
    das schlechte wetter

    der garten
    frohlockte
    über den milden regen

    das wetter ist immer schlecht
    irgendwo
    und immer gut
    irgendwo
    für irgendwen
    und auch hier
    irgendwann

    (11.05.2013)© E W Grundmann

     

    New Blue

    Eine Woche Sturm und Grau –
    heute wieder himmlisch blau,
    alle Wolken sind gewichen
    und der Himmel frisch gestrichen.

    Die wir verloren längst geglaubt,
    von bösen Mächten schnöd geraubt,
    sie spiegelt sich, die Sonne,
    in der vollen Regentonne.

    (02.06.2010 Neuendorf / Hiddensee)© E W Gr

  • Ein Gutmensch

    Moritz Grünling war, wie seine Freunde gern behaupteten, bereits als Gutmensch auf die Welt gekommen. Und diese ihm zugeschriebene Eigentümlichkeit, angeboren oder im frühen Kindesalter erworben, hatte sich mit den Jahren zugespitzt.

    Auch als Erwachsener verstand er es, seinen Beruf, er hatte Politologie studiert, mit seinen humanitären Absichten in Einklang zu bringen. Manchmal beklagte er sogar seine späte Geburt, wäre er doch zu gern viel eher gegen rassistische Vorurteile ins Feld gezogen. Aber der Amerikaner wie auch der Mohrenkopf waren schon vor seiner Zeit aus den Bäckereien verschwunden, Zigeunerschnitzel durch Ungarisches Schnitzel ersetzt worden, und am Zigeunerbaron hatten sich bereits Hartnäckigere als er die Zähne ausgebissen.

    Jedoch wie nach Überschwemmungen noch Pfützen zurückbleiben, so hatten auch diese akribischen Feldzüge für ihn noch Überbleibsel hinterlassen, denen er sich widmen konnte. Er war ein Kämpfer im Kleinen geworden und verbot seinen Kindern Drei Chinesen mit dem Kontrabass oder Drei Zigeuner fand ich einmal… zu singen.

    Nachdem er sein Sendungsbewusstsein nur unvollkommen ausleben konnte, ergab sich durch einen Wechsel der Arbeitsstelle verbunden mit einer Versetzung an einen anderen Ort noch einmal Gelegenheit, seine hehren Ideale zu praktizieren.

    Man könnte annehmen, Moritz Grünling habe in einem kleinen vergessenen Winkel noch etwas rassistisch Anmutendes aufgetan, aber so war es nicht. Grünling war in eine Großstadt versetzt worden, und sogar hier entdeckte er Unkraut, das es auszumerzen galt.

    Er war in der Mittagspause durch die ihm noch fremde Stadt gestreift und fand sich zu seinem Erstaunen vor einer Apotheke wieder, die den frevelhaften Namen Mohrenapotheke trug. Im Handumdrehen erfand er ein körperliches Übel und betrat den Verkaufsraum.

    „Ich brauche etwas gegen Sodbrennen?“, sagte er zu dem jungen Mann hinter dem Ladentisch, der nach seinen Wünschen fragte. Der junge Mann empfahl Bullrichsalz. Grünling zückte umständlich sein Portemonnaie und warf, während er das Geld herausfingerte, einen Blick auf den über den Regalen angebrachten, prachtvollen Mohrenkopf, der sich, vorteilhaft mit einer Halskette geschmückt, im Profil präsentierte.

    „Wohl der Firmengründer?“, fragte Grünling launig auf den Kopf des Schwarzafrikaners weisend.

    „Mein Urgroßvater“, erwiderte der blonde, junge Mann völlig ernsthaft, der sich damit als Inhaber zu erkennen gab und die geistreiche Bemerkung des Kunden nicht recht würdigen konnte. Trotzdem wünschte er diesem einen schönen Tag.

    Etwa eine Woche später wurde der Apotheker zu einem Gespräch in die Rechtsabteilung der Stadt gebeten. Eine Ahnung sagte ihm, dass er diese Einladung dem an Sodbrennen leidenden Kunden verdankte. Und so war es: In höflicher Form wurde er gebeten, seiner Apotheke einen weniger Ärgernis erregenden Namen zu geben. Der Pharmazeut, in vierter Generation in diesem Geschäft, weigerte sich rundheraus.

    Abends, als er im Kreise seiner Kollegen am Stammtisch saß,  was einmal wöchentlich geschah, erzählte er ihnen von dem merkwürdigen Ansinnen. Einhellig waren die dort versammelten Pharmazeuten, der Adlerapotheker, der Schwanenapotheker, der Rosenapotheker und der Einhornapotheker der Ansicht, dass er, der Mohrenapotheker, sich richtig verhalten habe. Umso merkwürdiger berührte ihn daher die Meinung seiner Frau, der er vor dem Zubettgehen von den Ereignissen des Tages berichtete und dabei seine standhafte Haltung hervorhob.

    „Bist du sicher, dass das vernünftig ist?“, fragte die Gattin. Natürlich war sich der Mohrenapotheker sicher, aber wie ein steter Tropfen den Stein höhlt, ließ er sich nach und nach von der Skepsis seiner Frau anstecken.

    Und so kam es eine Woche später zu einer geringfügigen Änderung des ethnisch anfechtbaren Namens: Über dem schönen runden O des Mohren hatten sich einfach zwei Strichlein eingefunden.

    Copyright Dr. Lieselotte Riedel

     

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  • Langer Weg

    Ich bin vor die Haustür getreten, habe sie sorgsam zugezogen und, nur um ganz sicher zu sein, mehrfach am Knauf gerüttelt. Habe den Schlüsselbund tief in die Hosentasche geschoben und mit der flachen Hand nochmal und nochmal nach ihm getastet. Im Losgehen dann wie jedes Mal zum Küchenfenster hinauf gesehen, obwohl doch dort niemand mehr stehen kann. Als ich über meinen Rollator gebeugt um die Hausecke biege, springt der Aprilwind mich an. Gerade, dass ich meinen Hut noch halten kann.

    An der kleinen Busstation weiche ich den hingestreckten Beinen eines jungen Mannes aus, der nur Augen für eine kleine Kiste hat, auf der er herumdrückt, in jedem Ohr einen Knopf mit Kabel dran. Für ihn scheine ich gar nicht zu existieren. Wie aus dem Nichts jagt von hinten ein Radfahrer an mir vorbei, streift mich am Ärmel. Ich erstarre vor Schreck. Mein Herz rast, mich schwindelt. Auf meinen Rollator gestützt bleibe ich stehen, bis es wieder geht nach einer ganzen Weile. Ich atme auf, ohne erleichtert zu sein. Im Rinnstein neben mir rupfen zwei Raben an einem dreckigen Brotrest. Weiter jetzt. Nur noch an der ehemaligen Kaserne vorbei, die Apotheke und den Bestatter mit seiner farbenfrohen Urnen-Sammlung in der Auslage hinter mir lassen. Und schon bin ich fast da. Habe den Supermarkt mit den großen blau-gelben Leuchtbuchstaben vor mir. Fast werden die alten Füße mir so leicht, dass ich das letzte Stück laufen möchte. Doch selbst wenn das noch ginge, wie wäre ich dann außer Atem, wenn ich mich in die Reihe der Wartenden stelle und nicht aufhören kann, meinen Wunsch an die Bäckereiverkäuferin wieder und wieder vor mich hin zu flüstern.

    Wenn die Reihe schließlich an mir ist, möchte ich ihr gerne sagen können, dass ich von weit herkomme, eine elendig lange Reise durch viele Jahrzehnte hinter mir habe, nur um in diese Bäckerei zu gelangen. Dass meine Mutter mich dazu vor mehr als achtzig Jahren in einer Arbeitspause bei der Kartoffelernte zur Welt gebracht hat. Dass ich dafür diesen großen Krieg überlebt habe, den Hunger und die Ruhr, die Tieffliegerangriffe und das Strafexerzieren im belgischen Novemberregen. Den Granatsplitterhagel, der mir mein linkes Ohr abriss, habe ich genauso wie die abgefrorenen Zehen über mich ergehen lassen. Mehr als einmal hatten sie mich bereits aufgegeben. Vom Sudetenland wurde ich später dann hierher, in den Westen verschlagen. Habe geholfen, eure von unseren Befreiern zerstörte Heimat wieder aufzubauen und als ein Vertriebener, der ich war, noch einmal ganz von vorn angefangen. Ich will nicht unbescheiden sein, aber in diesem Bäckerladen ankommen zu dürfen, habe ich mir mehr als verdient. Und jetzt stehe ich hier, über meinen Rollator gebeugt und erbitte nichts mehr als ein Stück frischen Mohnkuchens. So etwa möchte ich zu ihr sprechen.

    Dann ist es soweit. Ihr gebräuntes Jugendgesicht streckt mir ein routiniertes Jabitte entgegen.

    „Ein Stückchen von dem Mohnkuchen“, bringe ich hervor und sehe wie sich unter ihren flinken Bewegungen schon alles zum Besten wenden will, als sie plötzlich innehält und mich prüfend anschaut. „Hier essen?“ – Ich nicke.

    Copyright Franz Jostberg

  • Das Meer hat keine Ufer

    Ich saß schon eine ganze Weile auf einer der Bänke am Ufer des Flusses. Je länger ich der gleichförmigen Strömung zusah, umso müder wurde ich. Und obwohl die Holzbank nicht sonderlich bequem war, fielen mir schließlich die Augen zu und ich schlief ein.

    Es war schon dunkel, als ich wieder aufsah. Der Fluss führte Hochwasser inzwischen. Merkwürdigerweise überraschte mich das kaum. Die Uferwiese hatte der Fluss sich schon einverleibt, den schmalen Radweg bereits überschritten, nur wenig später bedeckte das Wasser meine Knöchel, kroch an meinen Beinen hoch. Ich ließ den Fluss gewähren, rührte mich nicht. Ergab mich ihm wie einer Riesenschlange, deren Umarmung unausweichlich war. Schließlich nahm er mich mit. Die Strömung war stark und trug mich rasch davon. Wie leicht ich mich fühlte, neugierig drehte ich mich in alle Richtungen. Gerade trieb ich an der klotzigen Fassade des neuen Krankenhauses vorüber, als ich im fahlen Licht der Uferlaternen etwas gewahr wurde, das auf mich zutrieb. Fast konnte ich schon den Arm danach ausstrecken, da erkannte ich einen kleinen blanken Kopf, durchscheinend wie ein Lampion. Zwei dunkle Knopfaugen unter einem großen Stirnwulst musterten mich.

    „Guten Abend, was machst du denn hier?“, fragte das Köpfchen.

    „Ich schwimme hier im Fluss“, gab ich zur Antwort.

    „Wie gut, dass du da bist. Denn ich brauche deine Hilfe. Ich bin zu müde, um selber weiter zu schwimmen. Könntest du mich ein Stück mitnehmen?“

    Auch wenn die Bitte mich etwas erstaunte, wie hätte ich neinsagen können. „Ja, aber wo willst du denn hin?“

    „Eigentlich nur ans andere Ufer, aber auch das schaffe ich nicht alleine.“ Das Stimmchen klang erbärmlich matt und trostlos. „Denn gegen die Strömung hier komme ich einfach nicht an.“

    Ich drehte meinen Rücken schon einladend entgegen.

    „Weißt du, dieser Fluss hier ist nicht wie andere Flüsse“, die zarte Stimme war nah an meinem Ohr. Etwas Weiches berührte mich am Nacken.

    „Bist du schon lange unterwegs?“ erkundigte ich mich.

    „Sehr sehr lange schon“, seufzte es.

    „Entschuldige bitte, aber du bist ziemlich merkwürdig, so jemand wie du ist mir noch nie begegnet.“ Kaum hatte ich das ausgesprochen, schämte ich mich schon über meine taktlose Bemerkung.

    „Du bist nicht oft nachts hier am Fluss, nicht wahr? Sonst wärst du uns schon begegnet. Es gibt nämlich viele von uns. Wir sind die Mizu-Ko, die Wasserkinder.“

    Mizu-Ko? Tut mir leid, aber ich habe noch nie von euch gehört.“

    Das Köpfchen des kleinen Wesens berührte meine Schulter. Schwebeleicht wie eine Luftblase.

    „Wir sind die Zurückgeschickten. Die von den Empfängern nicht Gewollten. Sendungen, bei denen die Abnahme verweigert wird, weil es den Adressaten gerade nicht passt.“

    „Entschuldige, aber ich verstehe nicht ganz …“

    „Ich weiß. Das geht vielen so. Die meisten wollen auch gar nicht.“

    „Und was macht ihr dann hier am Fluss?“

    „Wie ich schon sagte, Nacht für Nacht versuchen wir ans andere Ufer zu gelangen. Nur wenige schaffen es aus eigener Kraft. Deshalb müssen wir warten, bis uns jemand hilft, so wie du jetzt. Andernfalls sind wir verloren. Für immer.“

    Eine ganze Weile trieben wir wortlos weiter. Ich glaubte schon fast das erste Aufhellen am Nachthimmel zu erkennen, da meldete sich das kleine Wesen auf meinem Rücken wieder.

    „Hast du die vielen Steintürmchen überall am rechten Ufer gesehen? Die stammen von den Wasserkindern. Während wir auf unsere Helfer warten, stapeln wir sie. Bei Tage siehst du das alles natürlich nicht. Wir und unsere Türmchen dürfen in der Welt des Lichtes nicht vorkommen.“

    Hauchzarten Händchen berührten meine Wangen und ich hoffte, meine Tränen darauf könnten weiter unbemerkt bleiben. Als wenn das möglich wäre, hier, mitten im Fluss, einzelne Tränen zu erspüren.

    „Weißt du, warum Eisbärinnen in Gefangenschaft ihren Nachwuchs töten?“

    „Wie kommst du denn jetzt darauf?“

    „Weil die Gefangenschaft sie krank macht. Sie sehen keine Chance für ihre Jungen und töten sie lieber als ihr Leiden mit ansehen zu müssen.“

    Wieder schwiegen wir und ich stellte mir eine Eisbärenmutter vor, die mit ihrem Nachwuchs am Ufer des Polarmeers herumtollte.

    „Aber egal. Zum Glück bist du ja hergekommen und hast mich mitgenommen. Mit deiner Hilfe komme ich überall hin. Selbst bis ans Meer. Dort gibt es keine Grenzflüsse und auch keine Ufer. Das Meer ist bestimmt wunderbar.“

    Ich konnte nicht aufhören, an Eisbärenmütter zu denken. Das kleine Wesen hatte sein Köpfchen wieder auf meine Schulter gelegt und schien eingeschlafen. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, ihm zu sagen, das dies nur ein kleiner Fluss war, der in einen nächsten und der in einen weiteren Nebenfluss mündete. Bis zum Meer würden wir noch eine halbe Ewigkeit brauchen. Dennoch erfüllte mich eine Art Heiterkeit.

    Copyright Franz Jostberg

  • Am Zug

    Gespenstisch leise glitt der letzte Nachtzug aus der Halle. Der Bahnsteig war leer, bis auf einen einzelnen Mann. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und starrte dem Zug hinterher, dessen rote Schlusslichter kaum noch zu erkennen waren. Klack! – Der Zeiger der Bahnhofsuhr sprang auf die volle Stunde. Der kalte Laut einer hoch über den Köpfen hängenden Guillotine.

    Ich hatte mit Frank ein wie immer viel zu kurzes Wochenende verbracht. Aber zum Glück würde ich ihm in drei Tagen nach Berlin nachreisen können. Fast bis zum Gleisende war ich neben dem abfahrenden Zug hergelaufen, ausgelassen wie schon lange nicht mehr. Als ich mich  umdrehte, um zurück zu gehen, sah ich diesen Mann dort stehen. Er und ich, zu meinem Erstaunen waren wir die einzigen Menschen hier am Gleis. Nur er und ich hier in diesem verlassenen Bahnhof mitten in der Nacht. Alle möglichen Bilder schossen mir durch den Kopf. Aber was blieb mir anderes, mit schnellen Schritten wollte ich an ihm vorbei, eine Getriebene meiner albernen Fantasien. Der Mann hatte sich nicht bewegt. Eine Hand in der Hosentasche paffte er gedankenverloren, das Hemd unter einem ausgebeulten Jackett trotz der Kälte nachlässig offen wie jemand, der gerade erst aus einem überhitzten Raum getreten war. Sein unerwartet jugendliches Gesicht mit den geröteten Augen wirkte fahl und kränklich im Halbdunkel des Bahnhofs.

    „Guten Abend.“

    Ich zuckte zusammen wie eine Ertappte.

    „Oh Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Der Mann sprach mit sanfter Stimme ohne mich dabei anzusehen. „Haben Sie vielleicht Lust auf einen Kaffee aus dem Automaten?“ Erst jetzt drehte er sich ganz zu mir herum. In seinem Blick nicht die geringste Verwunderung über mein mädchenhaftes Gestammel. „Nein, danke …, ich muss …“

    Der Mann sah wieder nach unten, tippte mit dem Fuß sacht auf den Zigarettenstummel am Boden.

    „Ich habe eben meinen Sohn hier zum Zug gebracht“, mit Daumen und Zeigefinger fuhr er die Linie seiner schmalen Lippen nach. „Er hat ein Stipendium nach Montreal bekommen. Höchste Zeit, ich freu mich sehr für ihn. Auch wenn wir uns frühestens im nächsten Jahr wiedersehen werden. Aber wenn er jetzt nicht weggeht, dann vielleicht nie. Und dann geht’s ihm am Ende so wie mir.“ Mit einer ungeahnt schwungvollen Bewegung holte er eine Handvoll Münzen aus seiner Hosentasche hervor. „Ich glaube, dieses Land hat seine geistige Jugend nicht mehr verdient“, wie aus weiter Ferne musterte er das Kleingeld auf seiner flachen Hand, um sie mit einem Ruck zu schließen und die Arme vor der Brust zu verschränken. Ich schaute den Mann an, wie ein Kind, das einen Zaubertrick nicht kapiert.

    „Jetzt ist er jedenfalls weg.“

    „Das tut mir leid“, war alles, was mir dazu einfiel.

    „Damals, da hat mein Vater das auch gemacht, mich zum Zug gebracht. Als ich nach dem Abitur nach Tübingen ging. Klingt vielleicht komisch, aber ich hab‘ ihn nie gefragt, was er getan hat, nachdem der Zug abgefahren war.“ Die Augen des Mannes wanderten an den leeren Gleislinien entlang. „Wozu auch, wer wegfährt, stellt solche Fragen nicht.“ Wieder blieb sein Blick wieder an dem Zigarettenstummel neben seinem Fuß hängen. Der Ansatz eines Lächelns huschte um seinen Mund. „Und jetzt habe ich nicht die geringste Ahnung, was ein Vater tut, nachdem er seinen Sohn zum Zug gebracht hat.“ Sein Gesicht schien vor Ratlosigkeit leer zu laufen. Wie um Zeit für etwas zu gewinnen, räusperte ich mich, während mir die Kälte dieser Oktobernacht über den Rücken kroch. Eine Weile standen wir uns schweigend gegenüber, dieser Mann, der den Eindruck machte, sich nicht mehr lange auf den Beinen halten zu können, und ich, die ich es aufgegeben hatte, mein Zittern verbergen zu wollen.

    „Darf ich Ihnen jetzt vielleicht doch einen Kaffee anbieten?“ Er flüsterte fast, als wollte er sich entschuldigen für diese erneute Frage, deren Antwort schließlich schon fest stand.

    „Gerne, vielen Dank. Es ist ja so schrecklich kalt hier.“

    Copyright Franz Jostberg

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    Tabubruch am Bosporus

     

    Hans Adamski wusste, dass ihn niemand mochte: „Nun ja, ich bin schnell eingeschnappt, schnell aufgebracht, ich gehe allen auf die Nerven.“ Er hatte als Einzelkämpfer des Jahrgangs das Abitur erreicht; der Notenschnitt genügte für das Studium der politischen Wissenschaft. „Der Kapitalismus raubt uns aus. Der Westen vertritt falsche Werte, er hat keine Kraft“, waren seine Sprüche, „nur Alkohol, Drogen und Sex. Niemand macht etwas dagegen, der Untergang ist nahe!“

    Seine Ansichten verscheuchten die letzten Freunde. Mädchen mieden ihn, weil er auf nackte Schultern, kurze Röcke und Busenausschnitt mit missbilligenden Blicken reagierte. Die Kommilitonen im Politischen Seminar nahmen von Hans entfernte Plätze ein. Auf den Studentenfesten wuchs der Frohmut, seit Hans fernblieb.

    Ein Kommilitone aus dem Libanon, der zwei Auslandssemester an der Universität verbrachte, lud ihn ein: „Hans, ich sehe, du fühlst dich unter den Kollegen nicht wohl. Mir geht es genauso. Darf ich dich in unseren Kultur-Verein einladen?“

    „Was ist das, euer Kulturverein?“

    „Deutsch-Arabischer Kulturverein, Hans“, sagte Sad al Assad freundlich, „ganz unverbindlich. Ich stelle dich als Studienkollegen der internationalen Politik vor. Wir freuen uns über jeden, der uns kennenlernen will.“

    Sad al Assad stellte ihn dem Imam vor und bat, dass Hans mit ihm den Kulturverein besuchen dürfe. Die arabischen Freunde empfingen ihn freundlich, baten, sich nicht zu fürchten, denn man wolle Freundschaft pflegen und sich keinesfalls aufdrängen. Bei Festen gehe es, wenn die Frauen dabei seien, recht familiär zu. Doch er werde sicher nicht heiraten müssen.

    Nach dem ersten Gemeindefest fragte Sad al Assad, ob es ihm gefallen habe. Hans strahlte: „Ihr seid alle herzlich, eure Mädchen schauen mich an, zwar von weiter weg, aber mit Respekt.“

    „Ja“, bestätigte Sad al Assad, „sie interessieren sich für Deutsche und sind glücklich, wenn ihre Eltern den Umgang erlauben.“

    Hans gefiel es, als Mann im Mittelpunkt verstohlener Mädchenblicke zu stehen, noch mehr, von Männern ernst genommen zu werden. Der Bruder seines Freundes, Mahmed al Assad, ging jedes Mal auf ihn zu, teilte Hans Adamskis Ansicht vom gottlosen Sittenverfall des Westens.

    Er sagte: „Hans, du solltest unseren Prediger hören, der uns für einige Wochen besucht. Er ver-steht es, wach zu rütteln. Wenn du magst, nehme ich dich mit.“

    Der Prediger riss Hans mit. Hans gefiel es, Gleichgesinnte zu finden. Sie waren ein kleiner Kreis, außer den Assad-Brüdern noch Hans und ein junger Mann, der gerade die Arbeitsstelle verloren hatte. Der Prediger fasste die Situation der Zeit knapp und mit eindeutiger Perspektive zusammen. Er wies auf Schwachstellen der westlichen Demokratien hin, auf lasch eingreifende Ordnungskräfte, Mängel der Kirchen und ihrer Priester, deren Rufe nicht gehört würden. Die Zügellosigkeit der Jugend, der Verfall von Familie und Respekt würden gleichgültig hingenommen.

    Hans Adamski beschlichen Bedenken. Er nahm sich vor, die Freundschaft einschlafen zu lassen. Aber er fühlte sich verstanden. Die Assad-Brüder nahmen die Bedenken ernst, und der Prediger be-stärkte Hans‘ Überzeugung vom Bösen in den Herzen seiner deutschen Freunde. Der im Koran festgelegte Gehorsam der orientalischen Frau gegenüber dem Mann fesselte ihn. Er träumte von einem treuen Mädchen mit Kopftuch und langen Kleidern, unter die nur er schauen dürfe.

    Als die Assad-Brüder ihm anboten, einige Zeit in den Libanon mitzufahren, fühlte er sich auser-wählt, nahezu glücklich. Wie lange war es her, dass er sich stark fühlte, Mädchenblicke auf sich zog, Erkenntnisse und Erlebnisse mit Freunden besprechen konnte!

    Mahmed al Assad ergänzte: „Wir stellen Kontakt mit führenden Persönlichkeiten her, vielleicht hilft der eine oder andere Kontakt, einen Plan zu erfüllen. Wir haben Beziehungen zu Europa, du könntest bei uns Arbeit finden, geschult werden und in Europa eingesetzt werden.“

    Hans schlug ein. Triumphierende Gedanken jagten durch den Kopf: Arbeit, Aufstieg, als Macher zurückkommen, kein dekadenter Performer, sondern gottesfürchtiger Entscheidungsträger, verant-wortlich für das Schicksal jener, die seinen Weisungen zu folgen haben. Er werde Rache nicht zeigen, nur spüren lassen. Selbstgefällige Gedanken verscheuchten kritische.

    Mahmed al Assad versicherte, Hans zu begleiten, so oft er nur könne, bis Hans Firma und Be-ziehungen kennengelernt und sich eingebracht habe. Hans war es, als ob er an einem Punkt ange-langt sei, ab dem jeder Plan gelingt.

    „Erschrick nicht, Hans“, beruhigte Mahmed al Assad, „am Anfang geht es etwas rau zu, aber ich bin immer zu erreichen.“

    Im Libanon vermisste Hans die Assad-Brüder gar nicht. Der Kursleiter half, die Gegenwart in kla-ren Perspektiven zu erfassen, böse Imperialisten einerseits und gute Muslime andererseits, Atheis-ten und Gottesfürchtige, Gläubige und Ungläubige, Gutmenschen hier und Ungeziefer dort. Um gegen Überfälle Ungläubiger gewappnet zu sein, kamen Aufenthalte im Trainingslager hinzu. Die Fertigkeiten, Waffen zu benützen, sich zu wehren oder verbergen, Ungläubige in Angst zu versetzen, machten größten Spaß. Die Strapazen des Trainings nahm er nicht wahr.

    Denn jede vierte Wochen gab es Urlaub. Hans bewunderte die perfekte Organisation, den gewonnenen Durchblick. Frauen mit Schleier und langen Kleidern verwöhnten die Männer aus dem Camp. Sie verehrten den Mut der Männer, weckten Phantasien, erfüllten auch intime Wünsche. Sad al Assad fragte Hans, ob sich Suleika genügend um ihn kümmere.

    Hans schwärmte: „Sie ist sehr lieb, zärtlich, liest die Wünsche von den Augen ab. Sie bietet mir Drogen an, sagt genau, wie Stoff und Dosis wirken. Ihre Drogen steigern die Lust und Manneskraft, wie ich es bei unseren Emanzen nie erleben würde.“

    Mahmed al Assad fragte nicht weiter, freute sich mit Hans, der nichts von den Rachegefühlen preisgab, die er gegen alles Westliche hegte. Mahmed al Assad wusste, dass in Hans Gelüste auf-kamen, sich zu rächen, an wem auch immer. Er schlug Hans vor, sich einen arabischen Namen zuzulegen, Hassan al Acham, das helfe, sich zu tarnen. Es würde Suleika gefallen. Hans nahm an, denn er hatte in ihren Armen selbst daran gedacht.

    Hassan al Acham trainierte nun Taktik und Vorbereitung von Anschlägen auf Gebäude und Ansammlungen. Sein erster Auftrag führte ihn nach Nigeria. Dort übe man den Islam nachlässig aus.  Deshalb müssten die Respektlosen gestraft werden. Man versprach Hassan eine Jungfrau nur für ihn allein, wenn es ihm gelänge, Schülerinnen zu entführen, so viele wie möglich.

    Es gelang ihm, mit seiner Truppe zweihundert Mädchen zu fangen und ins Camp zu bringen. Suleika führte ein hübsches Mädchen in Liebeskunst und Drogenlehre ein. Es hieß Aische und erfüllte Hassan al Acham jeden Wunsch. Er gewöhnte sich an Aische, Kokain und Amphetamine. Hassan fühlte Riesenkräfte wachsen, auch die Wut auf Ungerechtigkeit wuchs. Er suchte nach Rache-Opfern.

    Mahmed al Assad erkannte den günstigen Moment. Er sagte beim Frühstück: „Hassan, du bekommst neue Mädchen, du wirst sie testen und beurteilen, denn das Mädchen hat von dir alles gelernt, du hast das Talent, unseren Dschihad-Kämpfern und den Mädchen Mut zu machen.“

    „Du hast einen Auftrag für mich“, fiel Hassan ins Wort, „ich nehme an, ich will Rache!“

    „Du bekommst mehrere Jungfrauen, um sie auszubilden.“

    „Gerne, aber zuerst muss ich ein Blutbad anrichten, ein Blutbad unter Ungläubigen. Allah fordert Gerechtigkeit, und nichts ist gerechter als Allah.“

    „Ich begleite dich“, sagte Mahmed al Assad leise, „den Umgang mit dem Sprenggürtel hast du gelernt. Aber in der realen Situation darf man nicht allein sein.“

    „Endlich, Mahmed!“ Hassan sprang auf. „Endlich kann ich mich bewähren. Zur Belohnung möge mir Allah Jungfrauen zuteilen.“

    Mahmed schlug für die Reise nach Istambul vor: „Sad und ich fahren mit und geleiten dich durch die Sicherheitskontrollen.“ Er wusste, das der kritische Punkt der Selbstmordtaktik noch nicht bewältigt war.

    Sie fuhren nach Antalya, stiegen in einen andern Wagen mit türkischem Kennzeichen, über-nachteten in kleinen Hotels. Mahmed beruhigte, indoktrinierte, motivierte, Sad schaffte in jedem Hotel Drogen und eine Frau an. Hassan nahm und fühlte sich wie Gott. Denn der Prediger des Camps hatte ein Mail geschickt: „Ich rechtfertige die Erfüllung des Auftrags. Du bist auf dem rechten Weg. Suche dir vor der blauen Moschee eine Gruppe aus! Das Ungeziefer ist ungläubig und gottlos, opfere böse Engländer oder besser, opfere Deutsche. Die Vernichtung westlicher Schweine steigert den Wert deiner Tat. Sie trifft auf das Wohlgefallen Allahs, er wird dich belohnen.“

    Aische, das Mädchen aus Nigeria, begrüßte ihn in Istambul. Die Drogen, die sie nach dem Liebes-dienst empfahl, dürften Hassans Aggressivität genügend steigern. Hassan genoss Nacht, Drogen und Aussicht auf gestillte Rache, vor allem das Gefühl der Allmacht. Er allein werde entscheiden, wer sterben wird, wer nicht sterben wird, die hier links oder die dort rechts. Die andern würden später an die Reihe kommen.

    „Wie grandios das ist“, sprach Hassan zu sich selbst, morgen bin ich Gott, mich bremsen keine  dekadenten Werte aus, niemand hindert mich, das Ungeziefer in den Boden zu treten! Blut wird spritzen, Schweine werden jammern, und ich – ich bringe das Blut der Gerechtigkeit Allahs dar.“

    Aische holte ihn aus der Traumwelt, steckte ihm Kokain zu und zog sich zurück, als Mahmed und Achmed al Assan ins Zimmer traten, um den Sprenggürtel anzulegen. Die Schnallen befestigten sie auf dem Rücken, die Zündleine vorne. Hassan konnte den Gürtel weder öffnen noch verschieben.

    „Du bist heute der Größte, Hassan“, sagte Mahmed, „du hilfst, Moral und Sitte herzustellen! Schau auf das Mail, der Prediger hat die Legitimation geschickt. Nun zeige, dass du furchtlos vor Allah trittst. Allah wird dich belohnen.“

    Hassan schlug Mahmed das Mobiltelefon aus der Hand. Er hastete auf die Straße, die Assad-Brüder holten ihn ein und mahnten, langsamer zu gehen, es seien nur ein paar hundert Meter zum Sultan-Achmed-Platz. Mahmed nahm Abstand, beobachtete aber jeden Schritt. Hassan mischte sich unter Touristen, fand eine deutsch sprechende Gruppe. Alle lachten, weil Hassan sich Hans nannte.

    Mahmed gefiel es nicht. Der hasserfüllte Blick Hassans traf ihn. Hassan schüttelte den Kopf. Mahmed tat, als ob er am Faden eines Westenknopfs ziehen wolle, schob seinen Bruder zum Deutschen Brunnen hin. Sie suchten den Blick des andern. Hassan schüttelte den Kopf. Die Brüder  traten in den Sichtschatten des Deutschen Brunnens, der Sprengsatz explodierte mitten in der Gruppe, Hassan war nicht mehr zu sehen. Die Brüder traten aus dem Schatten, entfernten sich gelassen vom Platz des absoluten Tabubruchs, niemand nahm sie wahr. In der Tomurcuk-Straße gingen sie in ein Haustor, und Mahmed schaltete das Funkfernzündgerät ab.

    *

    Bei dem Terroranschlag am 12. Januar 2016 in Istanbul wurden gegen 10:20 Uhr auf dem Sultan-Ahmed-Platz mindestens elf Menschen getötet und fünfzehn verletzt. Bereits ein Jahr zuvor war dort ein Sprengstoffanschlag durch eine tschetschenische Selbstmordattentäterin verübt worden.

    Copyright Dr. Harald Rauchfuß

  • Auf Kosten des Hauses

     

    Der Aischgründer Gastronom respektiert die Notwendigkeit von Ausgaben sorgfältiger als das Finanzamt. Er hütet seine Finanzen. Auf Kosten des Hauses bietet er allenfalls an, von Laune zu Laune zu springen.

    Im Tor des Biergartens in Gutenstetten stand ein Mannsbild in blauer Schürze, offensichtlich der Wirt. Ein Gast ging auf ihn zu; er wollte wissen, ob es ein Bier gäbe.

    »Schon«, sagte der Wirt, »aberso, wie Sie daher kommen, gibt’s für Sie keines.« Der Mann versprach, die Kleider zu wechseln. Er kehre sofort zurück.

    »Da muss ich erst sehen, ob Sie anders ausschauen als jetzt. Sie wohnen nicht hier. Wo wollen Sie ein Gewand herbringen?«

    Der Sommerwind strich über die Kastanien. Der Besucher suchte den Garten ab, winkte der Serviererin zu. Sie wedelte lächelnd. Der Wirt mahnte: »Bevor meine Tochter Ihnen zuwinkt, versuchen Sie erst einmal, an mir vorbeizukommen.«

    »Sie wirken nicht, als ob Sie zuschlagen wollten«, sagte der Gast.

    »Schlagen?« Der Torsteher wunderte sich: »Warum sollte ich? Sie sehen kaum nach einem Gauner aus. Bedenken Sie trotzdem: Ich bin draußen der Aufseher, drinnen der Maßgebende. Die Wirtschaft ist die fünfte Generation im Familienbesitz. Wissen Sie, mit wem Sie reden?«

    »Sie dürfen stolzsein«, antwortete der Besucher, »aber sie wirken mir eher selbstbewusst.«

    »Ich bin am Eingang der Aufpasser, im Biergarten der Aufseher, im Haus der Wirt, im Grundbuch der Eigentümer«, erklärte der Wirt. »Schritt für Schritt, den Sie hineingehen, hört man mehrundmehr auf mein Wort, besondersmeineTochter.«

    »Behüten Sie sie genug?«, fragte der Gast.

    »Jeden Tag kommt ein anderer Verehrer«, antwortete der Gastronom, »ich ertrage schon den Anblick nicht. Sie springt mit zudringlichen Leuten um, wie es sich gehört.«

    »In zwanzig Minuten«, teilte der künftige Kunde mit, »bin ich wieder da. Welche Art von Anzug wünscht der Aufpasser, der Aufseher, der Wirt, zu guter Letzt der Besitzer?«

    »Wenn Sie mit meiner Tochter anbandeln wollen, kommen Sie im besten Aufzug. Falls Sie ein Bier trinken, langenHemd, Hose undJacke.«

    Nach zwanzigMinuten ging der Herr des Hauses zum Tor; er blickte die Straße hinauf und hinab. »Na also«, brummte er zufrieden, »die Hungergestalt ist nicht zu sehen.«

    »Meinen Sie mich?« Die Hungergestalt stand mit Jacke, blauem Hemd, gebügelten Hosenfalten und Sommerschuhen hinter ihm. »Ja, werter Aufpasser, ich bin durch Hauseingang, Wirtshaus, Gartenausgang gegangen: Attacke von der Kehrseite. Die Tochterhält es für die beste Strategie.«

    Solch eine Frechheit hatte der Wirt nicht erwartet: „Der Garten ist jedem zugänglich, aber keines Falls meineTochter!«

    »Gerade das«, grinste der Gast, »bringt der Tochter meine Sympathien ein. Jetzt nehme ich Platz. Bitte ein Bier. Was zapfen Sie für ein Bier? Muss ich es mir selbst holen?«

    »Werden Sie nicht frech, setzen Sie sich hin, und ich«, der Wirt legt die flache Hand auf die Brust, »ich bediene Sie! Es kommt ein Gebräu auf den Tisch, das zu Ihnen passt.«

    »Welcher Gerstensaft passt zu mir?«

    »Ein Dunkles aus dem Aischgrund kriegen Sie, von der Brauerei gegenüber.«

    »Hervorragend! Den Tisch suche ich mir selbst aus.«

    »DieserTisch im Schatten, Senior«, rief die Tochter, »er ist für den Herrn reserviert!«

    »Was nimmst du dir heraus«, schimpfte der Vater, »seit wann machst du Kunden-Akquise?«

    »Das habe ich ihr beigebracht«, fiel der junge Mann ins Zwiegespräch, »Sie müssten es an der Zahl der Gäste merken.«

    »Woher wissen Sie das? Seit vier Monaten geht es aufwärts.«

    Der Blick des Aufsehers, Gastwirtsund Besitzers in einer Person verfolgte die Szene: Der Aufdringliche ließ sich nieder, als ob er Stammgast sei.

    Der gastronomischen Dreieinigkeit ging ein Licht auf. Die Ideen der Tochter fielen ihm ein, ihre anhaltend fröhliche Laune, die Lebensfreude. »Herrgott, es ist bei mir haltlänger her«, dachte er.

    »Ich dank´ dir schön, Barbara«, säuselte der Gast, als sie das Dunkle servierte.

    »Wieso ist das Bier gezapft, bevor ich es anordne?«, klopfte der Senior auf die Tischplatte.

    »Weil HerrFeuerlein gern dunkles Aischgründer trinkt.«

    »Jetzt haut es dem Aischgründer Fass den Boden aus!«

    »Beruhige dich, Vater, vor einem Kunden benimmt man sich nicht wie daheim.«

    Dem Papa verschlägt es die Sprache.

    Herr Feuerlein lächelt: »Darf ich Sie mit Namen ansprechen, Herr Lechner?«

    »Was reden Sie da? Wenn Sie mir was von Ihnen verraten, dürfen Sie mich beim Rufnamen nennen.«

    »Steinachwirt, wir alle streben nach Gewinn, da stimmen Sie mir zu?«

    »Man kann es übertreiben, indem man mit dem Rufnamen beginnt.«

    »Untertreiben gefährdet die Existenz, Steinachwirt.“

    Lechners Verdacht verdichtete sich: »Schleichen wir nichtwie die Katz um den heißen Brei! Was für einen Beruf haben Sie, Herr Feuerleger?«

    »Feuerlein mein Name, reden wir vom Biergarten«, schlug der Verehrer der Steinachwirtstochter vor: »Schattig, angenehm kühl, Kastanien ohne Miniermotten, frisch gestreuter Kies, standfeste Gartenmöbel … neue Tische und Stühle, nicht wahr?«

    »Sie wissen eine Menge«, wurde Lechner ungeduldig, »viel zu viel für einen Kunden. Erzählt Ihnen Barbara alles?«

    »Nein.«

    »Nein? Von wem alleweil? Von meiner Frau erfahren Sie nichts, die plaudert mit keinem Fremden. Also woher?«

    »Barbara erfuhr es von mir.«

    »Jetzt hören Sie auf! Sie bringt mich auf Ideen, und sie spricht mit niemandem darüber?«

    »Das gefällt mir an Barbara, dass sie alles für sich behält, sogar dass Vorschläge von mir kommen.«

    »So, so, von Ihnen … was? Von Ihnen? Keinen Ton sagt sie. Um dickere Überraschungen zu ersparen: Was für einen Beruf haben Sie?«

    »Steuerberater, spezialisiert auf Gastronomie.«

    »Da stammt die Idee mit den Investitionen von Ihnen?«

    »Wenn Sie erlauben.«

    »Meine Frau hat Zustände gekriegt, so ein Haufen Geld. Barbara hatte alle Mühe, sie zu beruhigen. Inzwischen gefällt es ihr, dass wir Steuern sparen.«

    »Vielen Dank. Ich bin beruhigt.«

    Der Steinachwirt ist als Geschäftsmann beunruhigt: »Kriegen wir jetzt eine Rechnung … am Ende in Höhe der Steuerersparnis?«

    »Von mir nicht, wenn ja, dann von Barbara … in Höhe einer Aussteuer …«

    »Das fehlt noch! Beim Geld wird sie frech. In Freundschaften bleibt sie zaghaft. Stimmt es?«

    »Schüchtern ist sie nimmer; ich bin vernarrt in sie.«

    Im Wirt Lechner keimt Gefallen an dem Steuerberater für Gastronomie auf. Er ruft der Tochter zu: »Barbara, zwei Obstler undzwei dunkle Aischgründer auf unsere Kosten!«

    Das letzte Mal hatte er vor zweiundzwanzig Jahren spendiert, als Barbara auf die Welt kam. Er nimmt sich zielbewusst vor: »Feuerleger, geht das als Betriebsausgabe, den nächsten Enkel auf Kosten des Hauses zu begrüßen?«

    Copyright Dr. Harald Rauchfuß

  • Betrag zur Lesung „Werte und Wertewandel) beim BDSÄ-Kongress 2916

     

    Ganz verschiedene Werte und Wertungen

     

    Anstatt eine theoretische philosophische Abhandlung zu diesem wichtigen Thema zu schreiben, will ich an einigen knapp skizzierten Beispielen aus meinem Alltag zeigen, wie unterschiedlich Werte erlebt und geäußert werden.

     

    Der Patient in der Notfallpraxis sagt: „Gestern habe ich mir den Zeigefinger in der Tür geprellt. Da bin ich heute Nacht wegen der Schmerzen durch die Hölle gegangen.“

     

    Die fünfundzwanzigjährige Frau fährt im Elektrorollstuhl in das Behandlungszimmer. Ich frage, warum sie im Rollstuhl sitzt.

    Sie antwortet lachend: „Ich habe eine angeborene Zerebralparese und kann seit ein paar Monaten nicht einmal mehr stehen. Außerdem habe ich regelmäßig epileptische Anfälle. Jetzt komme ich wegen meiner fieberhaften Grippe. Aber mir geht´s gut.“

     

    Der dreijährige bis jetzt gesunde Junge sagt zu seiner Mutter: „Jetzt ist alles dunkel. Warum hast Du das Licht ausgemacht? Mach es wieder an!“ –

    Der Junge war plötzlich auf beiden Augen blind geworden. Wenige Stunden später sahen die Ärzte im Schädel-Comptertomogramm Metastasen im Kleinhirn und an der Kreuzung der Sehnerven.

     

    Eine Frau mit metastasierendem Bronchialkarzinom im Endstadium, die im Pflegeheim liegt, sagt zu mir: „Wenn Sie mich noch einmal besuchen wollen, müssen Sie es bald tun. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Das schönste Erlebnis heute war, als die Schwester mir ein Glas warme Milch gebracht hat. Die Liebe, die ich hier empfange, ist ein großes Geschenk, für das ich unendlich dankbar bin.“

     

    Als Arzt in der Neurologischen Reha-Klinik nahm ich einen Patienten nach Schlaganfall auf meiner Station auf. Nach dem ausführlichen Gespräch mit Untersuchung fragte die Ehefrau: „Was kann ich noch für meinen Mann tun?“

    Ich legte mein Buch „Wenn das Licht naht – der würdige Umgang mit schwer kranken, sterbenden und genesenden Menschen“ auf den Tisch.

    Sie war verblüfft und lachte mich an. „Oh, Sie haben das geschrieben! – Dieses Buch hat mich auf der Intensivstation in München in den letzten Wochen am Bett meines Mannes am Leben gehalten. Eine Schwester hat es mir ausgeliehen.“

     

    Die zwanzigjährige Frau ägyptischer Abstammung sagt in der Sprechstunde: „Gottseidank bin ich nicht schwanger. Wenn mein Vater wüsste, dass ich einen Freund habe und mit ihm schlafe, würde er zuerst meinen Freund und dann mich umbringen.“

     

    Bei einem Hausbesuch in einer sehr wertvoll eingerichteten Villa werde ich in das ehemalige Arbeitszimmer des Hausherrn geführt. Jetzt ist es sein Schlafzimmer – mit Blick in den wunderbar gepflegten Garten. Der Mann liegt seit zwei Jahren nach Schlaganfall im Wachkoma und atmet spontan durch eine Kanüle in der Luftröhre, seine Augen sind geschlossen. Er reagiert nicht auf meinen Gruß.

    Seine Frau sagt: „Jeder Tag, den ich ihn hier pflegen darf, ist ein Geschenk für mich, für das ich jeden Tag dankbar bin. Und trotzdem hoffe ich, dass er bald friedlich einschlafen darf. Jeden Tag begrüße ich meinen Mann – und nehme ein bisschen Abschied.“

     

    In der Praxis habe ich eine Woche lang einen ägyptischen Mann behandelt, der seine in Leonberg verheiratete Tochter besuchte, nicht viel Geld hatte und schon die überstürzte Heimreise plante. Ich habe ihn dann kostenlos behandelt.

    Bei seinem letzten Besuch in der Praxis kniete seine Frau beim Abschied vor mir nieder, nahm meine beiden Hände und sagte etwas, was die Tochter übersetzte: „Ich bitte Gott, dass er mir zehn Lebensjahre nimmt und sie Ihnen schenkt.“

    Eine Frau mittleren Alters kam nach langem Krankenhausaufenthalt in die Sprechstunde, legte einen langen Arztbrief auf den Tisch und fragte, ob ich sie als neue Patientin annehme. Ich überflog den Brief und sah eine lebensbedrohliche Diagnose mit einigen Komplikationen und zwei Reanimationen.

    Ich sagte anerkennend: „Da haben Sie aber viel durchgemacht. Und die Ärzte haben Ihnen wirklich geholfen.“

    Die Frau antwortete wütend: „Das ist ein Scheiß-Krankenhaus!“

    „Wieso das denn?“

    „Da hat doch tatsächlich die Schwester an einem Morgen vergessen, mir einen Löffel zum Joghurt zu bringen!“

     

    Die Frau im Endstadium einer bösartigen Erkrankung wird von einem mir bekannten Hausarzt gefragt: „Was ist Ihnen denn noch wichtig? Gibt es etwas, was Sie unbedingt noch erleben wollen?“

    Die Frau sagt nach einiger Überlegung: „Der Haushalt muss aufgeräumt sein!“

     

    Mein Freund Nabil stammt aus Syrien. Nach dem Medizinstudium kam er mit seiner jungen Frau nach Deutschland und wurde Internist und Radiologe. Er hatte seit 1984 über viele Jahre seine Praxis im Haus neben meiner Praxis. Jetzt ist er wie ich Rentner, arbeitet in der Notfallpraxis weiter und leitet noch das Nuklearmedizinische Zentrum im Krankenhaus Sindelfingen. Häufig wird er als Übersetzer gebraucht, wenn Flüchtlinge aus den arabischen Ländern behandelt werden sollen. Nabil hat mir die beiden folgenden Geschichten erzählt.

    Ein 24-jähriger schlanker und gut aussehender Mann kommt mit nachhängendem rechtem Bein, spastischer Arm- und Handlähmung und Sprachstörung in die Klinik. Nach der Ursache seiner Lähmung gefragt berichtet er, ein ungarischer Grenzsoldat habe ihn bei der Flucht mit einem Elektroschockgerät mehrfach heftig auf die linke Schädel-seite geschlagen, dann habe es im Kopf geblutet. –

    Nabil fragt nach: „Wäre es nicht besser gewesen, wenn Sie in Syrien geblieben wären?“ –

    „Nein, ganz sicher nicht, die Regierungstruppen und die Rebellentruppen wollten mich zum Wehrdienst einziehen. Ich wollte nicht kämpfen. Wenn ich geblieben wäre, hätten Sie mich erschossen. Es ist alles gut. Ich bin hier und lebe!“

     

    Nabil machte von der Notfallpraxis aus einen Hausbesuch in einer Flüchtlingsunterkunft in Leonberg und traf dort eine junge Familie aus Syrien.

    Der Ehemann erzählte: „Wir wurden täglich mit Bomben beschossen, in unserer Straße stand kein Haus mehr. Wir hatten nichts mehr, wir konnten nichts anders tun, als zu Fuß zur türkischen Grenze zu wandern. Meine Frau war im neunten Monat schwanger, unser eineinhalbjähriger Sohn war bei uns. In der Türkei wurde unser zweites Kind im Lager geboren, es ist jetzt vier Wochen alt. Aber wir sind hier, und wir sind gesund und dankbar.“

    Neulich machte ich mitten in der Nacht von der Notfallpraxis aus einen Hausbesuch in Weissach in der Stadthalle, die als Flüchtlingsunterkunft umgebaut war. Nachdem ich den Patienten untersucht hatte, sagte die Angestellte vom Sicherheitsdienst: „Jetzt können Sie auch gleich noch mit dem Bürgermeister sprechen.“

    Ich war verblüfft: „Jetzt morgens um zwei Uhr ist der Bürgermeister hier?“

    Tatsächlich stand vor der Halle eine Gruppe junger Männer und unterhielt sich lebhaft. Ich stellte mich vor, und einer der Männer sagte: „Ich bin Daniel Töpfer, der Bürgermeister.“

    Ich lachte ihn an: „Das ist ja ungewöhnlich, nachts um die Zeit den Bürgermeister bei Flüchtlingen zu treffen? Was machen Sie hier?“

    Er lachte zurück: „Wir haben vier Partien Schach gespielt!“

    Da mischte sich einer der Flüchtlinge mit gutem Englisch ein und erzählte begeistert, dass sie oft Schach miteinander spielen, und das sei großartig, „but Daniel always wins, he is a champion!“

    In welcher Stadt in Deutschland nimmt sich ein Bürgermeister Zeit, um mitten in der Naht vier Partien Schach mit Flüchtlingen zu spielen?

    Meine Hochachtung, Herr Töpfer, für ihre meisterliche Bürger-Nähe!

     

    (Für die nicht Ortskundigen: Weissach ist eine Gemeinde mit etwa 7500 Einwohnern im Kreis Böblingen. Hier hat Porsche sein Entwicklungszentrum. Daniel Töpfer wurde 2014 im Alter von 25 Jahren mit 58% zum Bürgermeister gewählt.)