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Beitrag zum BDSÄ-Kongress in Wismar 2018
Auszug aus dem Buch von Jürgen Wacker „Johannas Schwester – Djamila auf den Spuren von Jeanne d´Arc“
Kapitel
3
Hinter dem Zaun um das Asylbewerberheim befand sich eine
Bachniederung, die voller Abfall war. Djamila und Isabelle mussten
sich durch einen Berg von umgestürzten Einkaufswagen,
Gestängen von Wäschtrocknern, Fahrradrädern, blauen Säcken,
Matratzen und vielen anderen Abfallgegenständen, die
zwischen den verwilderten Büschen und Bäumen herumlagen,
kämpfen. Als sie die Böschung zu dem ca. 2,50 Meter hohen,
festen Drahtzaun erklommen, erkannten sie in der Morgendämmerung
die einzelnen Häuser des Asylbewerberheimes.
Die feste, unüberwindlich wirkende Einzäunung wurde an ihrer
Oberkante von zwei straff gespannten Stacheldrähten begrenzt.
Zu diesem Zeitpunkt waren noch keine Sozialarbeiter oder andere
Mitarbeiter der Einrichtung zu sehen. Isabelle wusste, dass
die offizielle Besuchszeit erst um acht Uhr begann und bis 22
Uhr dauerte.
Djamila sah drei einstöckige, endlos lang wirkende Häuser,
deren Fenster alle geschlossen waren. Die Häuser waren weiß
angestrichen und standen auf einem etwa 50 Zentimeter hohen,
braun gestrichenen Sockel. Die Fensterrahmen waren
ebenfalls weiß gestrichen und vor den meisten Fenstern waren
die weißen Vorhänge zugezogen. Zwischen den einzelnen
Häusern hingen zahlreiche elektrische Kabel, die Djamila an das
Kabelgewirr zwischen den Häusern in der alten Innenstadt von
Ouagadougou erinnerten. Der Rasen zwischen den einzelnen
Häusern war ungepflegt. Auch zwischen den Häusern sah Djamila
zahlreiche Einkaufswagen, die vermutlich zu einem nahe
gelegenen Laden einer Discounterkette gehörten. An den Wäscheleinen
zwischen den Häusern hingen auffallend farbige,
exotisch wirkende Kleidungsstücke, die Djamila ebenfalls an
ihre burkinische Heimat erinnerten. Sie glaubte sogar an einer
Wäscheleine ein schwarzgelbes Kleid zu erkennen, das sie
selbst einmal in Dori und Bonfara getragen hatte. Jetzt trug sie
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eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt des Catering-Services
von Isabelle mit dem Logo von Heidelberg. Einen Moment lang
überlegte Djamila über den Zaun zu klettern, um das gelbschwarze
Kleid von der Leine zu nehmen und anzuziehen.
Plötzlich pfiff Isabelle ganz laut. Kurze Zeit später öffente sich
die Tür eines seitlich der Häuser abgestellten, braun gestrichenen
Wagens, der Djamila an die Kerwewagen in Edingen erinnerte.
Eine schwarze Frau huschte gebückt zu einer Stelle des
Zaunes, an der die Frau offensichtlich das Gelände des Asylbewerberheimes
verlassen konnte. Als sie bei Isabelle und Djamila
angekommen war, konnte Djamila erkennen, das sie das gleiche
T-Shirt des Heidelberger Catering-Services trug.
„Das ist Salome. Sie ist hier, weil sie in ihrer Heimat in Nigeria
wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt wurde. Sie wurde im
Gefängnis in Nigeria gefoltert, die Wärter brachen ihre Beckenknochen
und sie musste mit ansehen, wie ihr Mann von Muslimen
grausam getötet wurde. Im neuen Testament wird Salome
als erste Jüngerin Jesu bezeichnet, die bei seiner Kreuzigung auf
der Hinrichtungsstätte Golgatha dabei war. Wörtlich übersetzt
heißt Salome: die Friedliche. Im Markus-Evangelium (Kapitel 15,
Vers 40) heißt es unter ,Kreuzigung und Tod‘: Und es waren
auch Frauen da, die von ferne zuschauten, unter welchen war
Maria Magdalena, Maria und Salome, die ihm nachgefolgt waren,
da er in Galiläa war, und ihm gedient hatten. Außerdem war
Salome nach dem Evangelium von Markus (Kapitel 16) Zeugin
der Auferstehung: Und da der Sabbat vergangen war, kauften
Maria Magdalena und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und
salbten ihn. Und sie sahen auf und wurden gewahr, dass der
Stein abgewälzt war. Sie fanden einen Jüngling in einem weißen
Gewand, der sprach: ,Ihr suchet Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten.
Er ist auferstanden, er ist nicht hier.’ (Markus 16).
Somit war Salome eine der ersten Adressatinnen der Auferstehungsbotschaft
unseres Herrn Jesus Christus.“
Isabelle stellte Djamila ihre Freundin mit diesen pathetischen
Worten aus dem Neuen Testament vor. Anschließend umarmten
sich beide herzlich und Salome schenkte Djamila ihr gewinnendes
Lächeln. Sie mussten langsam gehen, weil Salome
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aufgrund ihrer im nigerianischen Gefängnis erlittenen Beckenbrüche
hinkte. Hinter einem großen Gebüsch hatten sie ein
Fahrrad für Salome versteckt. Die Sonne war über den Bergen
des Odenwaldes und den Hügeln des Kraichgaues aufgegangen
und Salome begann zu beten und einen Gospelsong zu singen.
Jetzt erst nahm Djamila das fein geschnittene und freundliche
Gesicht von Salome wahr.
Isabelle bat Salome weitere Gospels und Gebete aus dem
Gefängnis in Nigeria vorzutragen. Ein Missionar hatte Salome
gelehrt Texte und Gebete auswendig zu lernen, als Trost für die
Stunden der Verfolgung.
Salome stimmte den Gospelsong Amazing Grace an.
Amazing grace, how sweet the sound,
That saved a wretch like me!
I once was lost, but now I’m found,
Was blind, but now I see.
‘Twas grace that taught my heart to fear,
And grace my fears relieved;
How precious did that grace appear,
The hour I first believed!
Through many dangers, toils and snares,
I have already come;
‘Tis grace has brought me safe thus far,
And grace will lead me home.
The Lord has promised good to me,
His word my hope secures;
He will my shield and portion be,
As long as life endures.
Djamila war von der Intensität des Gesanges von Salome
beeindruckt. Deren Augen waren zur aufgehenden Sonne gerichtet
und sie schien nichts außer dem Sonnenaufgang wahrzunehmen.
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Zu dritt fuhren sie auf einem Feldweg am Rande des Waldes
eines der Bergzüge, die den Übergang zwischen Kraichgau und
Kleinem Odenwald bildeten, zur Zentrale des Catering-Services.
Dort angekommen stellte Isabelle Djamila und Salome dem
verantwortlichen Mitarbeiter kurz vor.
„Das trifft sich gut, dass wir heute zwei weitere Mitarbeiter
haben, denn eine unserer Mitarbeiterinnen ist nicht erschienen
und wir haben heute einen großen Event im Schlosshof des Heidelberger
Schlosses zu organisieren.“, antwortete der Mitarbeiter
des Catering-Services.
Sie waren acht Frauen aus verschiedenen Ländern in dem
Kleinbus des Unternehmens. Isabelle forderte Salome und Djamila
auf, sich neben sie in die letzte Sitzreihe zu setzen. Sie hatte
immer noch Sorge in eine Polizeikontrolle zu geraten, falls Djamila
immer noch gesucht wurde. Wenn sie angehalten würden,
könnte sich Djamila hinten leichter vor den Blicken der Polizisten
verbergen. Sie selbst fühlte sich auf der letzten Sitzbank
auch sicherer.
Djamila gewann den Eindruck, dass Isabelle von allen anderen
Frauen anerkannt und akzeptiert war, obwohl sie die einzige
schwarze Frau war, die bei dem Catering-Service fest angestellt
war. Isabelle erklärte Djamila auf Französisch, dass die
anderen Frauen aus Russland und dem Balkan stammten und
weder Französisch noch Englisch verstünden, und selbst in der
deutschen Sprache sei es schwer, sich mit ihnen zu unterhalten.
Sie fuhren von Pfaffengrund über eine Brücke über die Eisenbahn
zu einer großen Kreuzung. Djamila verfolgte alles sehr
aufmerksam, ständig auf der Hut vor einer Polizeistreife. Die
Kreuzung kam ihr bekannt vor, wie im Traum erkannte sie die
Bergheimer Straße, die zum Bismarckplatz führte und in deren
Nähe die Kathedrale, ihr Gymnasium, stand. Bevor ihre Adoptiveltern
entschieden, sie in das Internat der Bergstraßenschule
in Heppenheim zu geben, von wo sie geflüchtet war, war sie hier
zur Schule gegangen. Ihr kamen die Buben auf dem Bismarckplatz
in den Sinn, die sie wegen ihrer Hautfarbe gehänselt, und
die Klassenkameraden, die sie wegen ihres Kurpfälzerdialektes
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ausgelacht hatten. Djamila war als Flüchtling in ihre Lieblingsstadt
Heidelberg zurückgekehrt.
Der Kleinbus des Catering-Services bog an der Kreuzung am
Bismarckplatz nicht zur Kathedrale sondern zum Gaisbergtunnel
ab. Der Kleinbus bog hinter dem Gaisbergtunnel bergauf
nach rechts zum Heidelberger Schloss ab. Aufgrund einer Sondererlaubnis
durfte er direkt in den Schlosshof fahren, um Tische,
Kochgeräte und das Personal dort abzuladen.
Der Fahrer des Kleinbusses forderte die Frauen auf, die
Kochgeräte zwischen dem Brunnen und dem dahinterliegenden
Gebäude abzustellen. Salome und Djamila führten die Anweisungen
gemeinsam mit den anderen aus und in kurzer Zeit
waren die Wärmepfannen und Schüsseln für den Empfang des
Universitäts-Institutes aufgestellt.
Der Inhaber des Catering-Services wies seine Mitarbeiterinnen
auf ihre jeweiligen Aufgaben hin. Isabelle war wie gewohnt
für das Büfett zuständig. Sie sollte das Essen immer wieder
nachlegen, sodass Schüsseln und Wärmebehälter immer gut
gefüllt waren. Auch Eis sollte immer ausreichend vorhanden
sein. Djamila und Salome sollten die Getränke bereitstellen und
Sekt- und Weingläser immer wieder nachfüllen.
Die Gäste des wissenschaftlichen Meetings kamen aus der
ganzen Welt. Die Damen und Herren trugen offizielle Kongresskleidung,
die Herren Krawatten und die Damen kurze, schwarze
Kleider.
Djamila hatte insgeheim gehofft, dass einer der schwarzen
Kongressteilnehmer sie ansprechen und sie in seine Obhut
nehmen würde. Stattdessen versuchte ein deutscher Student
mit Djamila zu flirten, in dem er ihr die Geschichte der Zerstörung
des Heidelberger Schlosses im Jahre 1689 erzählte.
„Ist es das erste Mal, dass du auf dem Heidelberger Schloss
bist?“, fragte der Student in Burschenschaftsuniform Djamila.
„Nein, ich habe hier das Gymnasium besucht und einen Klassenausflug
zum Schloss gemacht.“, antwortete Djamila selbstbewusst.
Der Student wandte sich wieder anderen zu, war
aber wohl aufgrund seines Auftretens und seiner Burschenschaftsuniform
nicht der geeignete Gesprächspartner für die
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Kongressteilnehmer. Eine ältere Dame hatte das Gespräch gehört
und kam auf Djamila zu. „Darf ich dir die Geschichte der
Frau erzählen, die unter der Zerstörung Heidelbergs durch die
Franzosen am meisten gelitten hat? Kennst du Liselotte von
der Pfalz?“, fragte die freundliche ältere Dame weiter. Djamila
schüttelte den Kopf und die ältere Dame begann zu erzählen:
„Liselotte von der Pfalz, die spätere Herzogin von Orléans,
wurde am 27. Mai 1652 als Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig
von der Pfalz und seiner Frau Charlotte von Hessen als Elisabeth
Charlotte in Heidelberg geboren. Kurz nach ihrer Geburt zerstritten
sich ihre Eltern, aber Liselotte wohnte zunächst weiter
in Heidelberg. Im Alter von sieben Jahren kam Liselotte zu ihrer
Tante Sophie, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg. Dort
erhielt sie eine fundierte Bildung und lernte die Weltoffenheit
und Toleranz ihrer Tante zu schätzen. Ihr Vater holte sie nach
fünf Jahren wieder zurück nach Heidelberg, um sie nach seinen
Vorstellungen zu erziehen. Trotz der strengen Erziehung durch
den Vater berichtete Liselotte später von einer unbeschwerten
Jugend zusammen mit ihrem Bruder Karl und ihren Halbgeschwistern.
Mit 19 Jahren verheiratete ihr Vater Karl Ludwig sie
mit dem Herzog von Orléans Philip I., dem Bruder von Ludwig
XIV., dem Sonnenkönig von Frankreich. Die Vermählung mit
dem verwitweten Herzog von Orléans wurde durch eine Pariser
Tante vermittelt und war das Ergebnis politischer Kalkulationen
beider Seiten. Die französische Seite versprach sich von dieser
Eheschließung mögliche Erbaussichten auf die Kurpfalz, denn
Ludwig XIV. wollte Frankreich nach Osten erweitern. Liselotte
schrieb darüber in einem ihrer zahlreichen Briefe: ,Aber was
will man tun? Wo die Raison will, dass eine Sache sein muss,
muss man nur schweigen und nichts mehr davon sagen.‘ Infolgedessen
musste Liselotte vom Calvinismus zum Katholizismus
übertreten, was ihr nicht leicht fiel. Sie ließ sich aber nicht vom
Lesen der Bibel abbringen und hielt am Prädestinationsglauben
der Calvinisten fest. Weiterhin vertrat sie offen ihre Kritik am
päpstlichen Primat und am Heiligenkult der katholischen Kirche.
Ihr Mann war und blieb ihr fremd! Sie hasste die Intrigen
am Hof und besonders die des Ministers ihres Mannes, der zum
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maître de plaisir, zum Spieler und Trinker verkommen war. Als
1685 ihr Bruder Karl, der letzte Spross aus dem protestantischen
Haus Pfalz-Simmern kinderlos starb, sah Ludwig XIV. die
Gelegenheit gekommen, für seine Schwägerin Besitzansprüche
geltend zu machen. Es folgte der Pfälzisch-Orléanische Erbfolgekrieg
in dessen Verlauf die Städte und Dörfer der Kurpfalz
von den französischen Truppen zerstört wurden. Im Jahre 1689
wurden von den Truppen Ludwig XIV. Mannheim und Heidelberg
zerstört. In ihren Briefen berichtete Liselotte, wie die Zerstörung
ihrer Heimat selbst im fernen Paris und Orléans ihr das
Herz brach: ,Ich kann mich noch nicht getrösten über was in der
armen Pfalz vorgegangen; darf nicht danach denken, sonsten
bin ich den ganzen Tag traurig.‘ An ihre Tante Sophie schrieb
sie: ,So kann ich doch nicht lassen zu bedauern und zu beweinen,
dass ich sozusagen meines Vaterlandes Untergang bin.‘
Die Franzosen zogen ab und die Heidelberger Bürger konnten
einige der Gebäude dieses Schlosses und der Stadt vor den
Flammen retten. Liselotte hatte ihr Heidelberg nie wieder gesehen
und starb einsam und verlassen 1722 in Saint-Cloud bei
Paris.“
Djamila würde ihrer Heimat so etwas nie antun, beschloss
sie für sich, sie würde für ihre Heimat immer eintreten oder
sterben. Sie hatte in der Schule gelernt: ‚La patrie òu la mort –
nous vaincrons!’
„Da tust du Liselotte aber Unrecht! Sie heiratete aus Staatsräson
einen Mann, den sie weder kannte noch liebte, lebte an
einem Königshof, den sie verabscheute und verließ ihre Heimat
für immer. Alles nur aus Staatsräson, weil ihr Vater durch ihre
Heirat mit dem französischen Herzog Frieden für seine Kurpfalz
erreichen wollte. Liselotte war eine intelligente, selbstbewusste
Frau, musste aber früh erkennen, dass sie zur Marionette in
einem Drama wurden, dessen Ausgang sie nicht beeinflussen
konnte. Ihre Wut und ihre Wünsche beschrieb sie in unzähligen
Briefen an ihre Freunde und Verwandten in Deutschland. Du
musst diese Briefe lesen.“
Die ältere Dame verabschiedete sich höflich von Djamila und
wünschte ihr alles Gute.
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Djamila hatte in dem Gymnasium, das sie als Kathedrale der
Bildung in Erinnerung behielt, Latein vor der englischen Sprache
gelernt, mit dem Erfolg, dass Englisch für sie die Sprache
der Emporkömmlinge und Wichtigtuer war. Als sich ein afrikanischer
Wissenschaftler mit der Frage „Can I have a Whiskey“ an
sie wandte, antwortete Djamila: „Nous avons seulement l’eau
minérale, pas de l’eau de Vichy!“ Der distinguierte afrikanische
Wissenschaftler wandte sich prompt einer Kollegin des Party-
Services zu, die aus Weißrussland stammte, die ihm anstelle von
Whiskey Wodka einschenkte. Offensichtlich war es dem Präsidenten
des Kongresses wichtig, die afrikanischen Gäste allen
deutschen Ehrengästen vorzustellen. Ständig war er bemüht,
irgendeinen schwarzen Wissenschaftler den gelangweilt herumstehenden
Ehrengästen vorzustellen. Die Gäste aus Frankreich,
England und den USA schienen lediglich Zaungäste zu
sein.
Plötzlich ergriff der Kongresspräsident das Wort, in dem er
ein drahtloses Mikrofon in die Hand nahm:
„Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Referenten unserer Tagung, werte Ehrengäste,
das Schwerpunktthema unserer internationalen Tagung lautet:
Ursachen und Folgen von Global Warming. Wie die Mehrzahl
der Referenten ausführte, müssen wir feststellen, dass von
1906 bis 2005 die jährliche Durchschnittstemperatur unserer
Erde ständig angestiegen ist. So waren die Oberflächentemperaturen
im Jahr 1998 ungewöhnlich warm, weil die globalen
Temperaturen durch die El Niño-Southern Oscillation (ENSO)
mehr als wir bisher vermuteten, beeinflusst werden. Wir hatten
im vergangenen Jahrhundert die stärkste El Niño-Strömung
in diesem Jahr. Globale Temperaturen unterliegen kurzfristigen
Schwankungen, die langfristige Trends vorübergehend
überlagern und maskieren können. Die relative Stabilität der
Oberflächentemperatur von 2002 bis 2009, die eine globale Erwärmungspause
darstellt, ist mit diesem Phänomen zu erklären.
Aber wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen,
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dass die Erderwärmung ständig zunimmt, und wir Menschen,
besonders diejenigen in den reichen Ländern, für diese Entwicklung
mitverantwortlich sind. Es ist unstrittig, dass von den
Menschen der nördlichen Hemisphäre mehr Treibhausgase als
von denen der südlichen Hemisphäre emittiert werden. Als Folgen
der weiteren Erwärmung der Erde werden die Eiskappen
an den beiden Polen schmelzen, ebenso die Gletscher in den
Hochgebirgen und auf Grönland. Als Folge wird der Spiegel der
Weltmeere ansteigen, und häufige Überschwemmungen und
Fluten bedrohen die Küstenstaaten dieser Erde. Die Anzahl der
Unwetter und extremen Wetterverhältnisse wird zunehmen
und Dürren und Wassermangel werden zukünftige Konflikte
mit sich bringen.
Aber noch haben wir Zeit, aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen
zu lernen, und den schädlichen Einfluss des Menschen
auf das Klima zu reduzieren. Deshalb haben wir uns hier
in Heidelberg getroffen, um die nächste Klimakonferenz wissenschaftlich
zu begleiten.“
Die Zuhörer dankten dem Kongresspräsidenten für dessen
aufmunternde Rede und den gastlichen Empfang im Schlosshof
mit lautem und lang anhaltendem Beifall.
Nach der Rede und dem Imbiss im Keller des großen Fasses,
versammelten sich die Gäste der Tagung erneut im Schlosshof,
um Zeuge eines Feuerwerkes zu werden. Die Startrampe der
Raketen und Feuerwerkskörper war etwa 30 Meter vor dem
Eingang zum Apothekermuseum aufgestellt. Es war dunkel
und Djamila sah nur einige wenige Sterne am schwarzen Himmel
über dem Schlosshof. Djamila sah die anwesende Kongressgesellschaft
nur schemenhaft, da vor Beginn des Feuerwerks
sämtliche Laternen der Innenbeleuchtung des Schlosshofes
gelöscht worden waren. Plötzlich rauschte ein Feuerwerkskörper
in den schwarzen Himmel, glühte auf und produzierte einen
lauten Knall. Danach folgten rote, gelbe und blaue Funken
streuende Raketen. Djamila erlebte zum ersten Mal ein Feuerwerk
und erschrak bei jedem Zischen und bei jedem Knall. Auf
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einmal strahlte der Eingang vor dem Apothekermuseum in hellem,
loderndem Licht. Die alte Krüppelkiefer vor dem Eingang
stand in Flammen, offensichtlich von den Funken eines Feuerwerkskörpers
in Brand gesetzt. Isabelle erschien es wie ein Zeichen
Gottes. Sie rannte zu Djamila. Es ist fast wie in der Bibel,
als plötzlich der Busch brannte, als gerade Abraham Gott seinen
erstgeborenen Sohn Isaak opfern wollte und Gott Abraham einen
Hammel zeigte, den er an Stelle von Isaak opfern konnte.
„Müssen erst die Bäume brennen, bis wir begreifen, was Global
Warming für uns bedeutet und wie es uns bedroht.“, philosophierte
der Kongresspräsident.
Die Mitarbeiterinnen des Party-Services packten schnell ihre
Utensilien zusammen und verließen den brennenden Schlosshof,
während Isabelle Djamila und Salome an die Hand nahm,
um in den Park des Schlosses auf die Scheffelterrasse zu flüchten.
Djamila war außer Atem und stützte sich auf Isabelle und Salome.
Sie setzten sich auf eine Bank hinter der Ballustrade der
Scheffelterrasse, außer Atem und mit Schweiß auf der Stirn. Sie
sahen von fern, wie allmählich die flackernde Helligkeit im gegenüberliegenden
Schlosshof erlosch. Es wurde ruhig. Sie nahmen
die Stille des ehemaligen Hortus palatinus eher wahr, als
sie die Geräusche der unter ihnen liegenden Altstadt von Heidelberg
hörten. Djamila und Isabelle sahen auf der dem Neckar
gegenüberliegenden Seite den Heiligenberg mit der Bismarcksäule
und dem Aussichtsturm vor dem ehemaligen Stephanskloster.
Djamila hatte einen weiteren Tag auf ihrer Flucht von
der Bergstraßenschule unbemerkt überlebt.
Salome fror, zitterte und bat Isabelle ihr die Decke um ihre
Schultern zu legen. Salome hatte bei der Vorbereitung des
Essens im Keller des Schlosses, neben dem großen Weinfass,
einen dunklen Kerker mit vergitterter, kleiner Fensteröffnung
gesehen. Sie ließ vor Schreck den Stoß Teller fallen, den sie mit
beiden Händen getragen hatte. Dieser Kerker im Heidelberger
Schloss erinnerte sie an ihre schlimme Zeit, an die verdrängten
Erlebnisse der Jahre im Gefängnis von Kano in Nigeria.
Isabelle bemerkte das veränderte Verhalten ihrer Freundin
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und sah die pure Angst in deren Augen. „Salome, erzähle was
dich bedrückt, erleichtere deine Seele, was treibt dich um?“,
sagte Isabelle zu Salome.
„Wir waren im Sonntagsgottesdienst in unserer kleinen Kirchengemeinde
in Kano, als die vermummten Gotteskrieger mit
Kalaschnikows um sich schossen, die Kirchentüre eintraten. Sie
erschossen zuerst unseren Priester, dann zerstörten sie den
Altar und zündeten die kleine Kirche an. Sie schossen wahllos
in die Menge, wir rannten um unser Leben und nahmen nicht
wahr, was sie sonst noch alles zerstörten.
Mein Mann nahm unsere Tochter auf die Schulter und ich
hielt unseren kleinen Sohn an meine Brust gepresst. Draußen
vor der Kirchentür erwarteten uns schon andere Gotteskrieger,
die sofort das Feuer auf uns eröffneten, als wir das Kirchenschiff
verließen. Mein Mann und ich schlugen uns mit den
Kindern durch und erreichten einen Buchladen, dessen Besitzer
wir gut kannten. Wir versteckten uns in dessen Lagerraum, bis
wir erneut Schüsse und laute Schreie hörten.
Irgendjemand muss uns verraten haben. Die Eindringlinge
zerstörten mit ihren Gewehrkolben die Eingangstür des Buchladens,
zündeten die Bücherregale an und hielten dem Buchhändler
ein Messer an die Kehle, als sie fragten, wo die Flüchtlinge
aus der brennenden Kirche seien. Der Buchhändler antwortete
ihnen nicht und sie durchschnitten ihm die Kehle. Sie traten die
Tür zum Lagerraum ein und entdeckten uns, als wir hinter einem
großen Stapel Bücher knieten und zu Gott beteten.
Meinen Mann, unseren Vater, enthaupteten sie vor unseren
Augen, und mich und die Kinder zogen sie an Händen und Haaren
aus dem brennenden Laden zum Marktplatz. Dort hielten
andere Gotteskrieger mit ihren Kalaschnikows eine Gruppe
schreiender Kinder und weinender Frauen gefangen. Überall
war der Boden mit Blut verschmiert und überall lagen leblose
Leiber herum.“
Salome stockte und weinte. Sie sahen in die Dunkelheit,
die sich über dem Heiligenberg ausbreitete. Das Leuchten des
brennenden Baumes im Schlosshof war erloschen.
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„Wie ging es mit euch weiter?“, wollte Djamila von Salome
wissen.
„Wir harrten in der sengenden Sonne ohne Wasser aus. Die
Kinder waren erschöpft und dem Schreien aus ihren Angst erfüllten
Gesichtern war ein trauriges Wimmern und Weinen gefolgt.
Auch die Gotteskrieger mit ihren Turbanen schienen zu
ermüden. Sie tranken vor unserer Augen Tee und musterten
mit lüsternen und geilen Blicken besonders die jüngeren der gefangenen
Frauen, und ganz besonders diejenigen ohne Kinder.
Viele von diesen jungen hübschen Frauen bemerkten die geilen
Blicke der Gotteskrieger und versuchten sich abzuwenden und
ihre Gesichter zu verbergen. Am späten Nachmittag trieb eine
Gruppe Gotteskrieger, mit Kalaschnikows im Anschlag, unseren
Bürgermeister vor sich auf den Marktplatz. Sie gaben dem
Bürgermeister ein Blatt Papier, das dieser vorlesen musste:
,Im Namen Allahs fordern wir alle Anwesenden auf, sofort
dem Christentum abzuschwören und zum Islam überzutreten.
Wer dieser Aufforderung nicht nachkommt, muss aufgrund
seines Widerstands gegen den Gottesstaat in das Gefängnis.
Die Vernünftigen unter euch, die dem Christentum abschwören,
können in Begleitung der Gotteskrieger in ihre Häuser und
Wohnungen zurückkehren. Sie sind verpflichtet, die Gotteskrieger
in ihrem Haus aufzunehmen. Die Häuser der Unvernünftigen,
die weiter am Christentum festhalten, werden niedergebrannt!‘
Der Bürgermeister las mit zitternder Stimme den schriftlichen
Befehl der Gotteskrieger vor. Kaum hatte er geendet, trat
ein Gotteskrieger hinter ihn und enthauptete ihn mit seinem
Säbel vor aller Augen. Der Mörder erklärte sich selbst zum
neuen Bürgermeister und befehligte ab sofort die Polizei der
Stadt. Die Gotteskrieger nahmen die jungen Frauen, ohne deren
Antworten abzuwarten, und zerrten diese in die Häuser, die
dem Marktplatz am nächsten gelegen waren. Bald drangen die
Schreie der Vergewaltigten aus den Häusern, unterbrochen von
Schlägen und Schüssen.
Wir, die wir auf dem Marktplatz alles mitansehen und mitanhören
mussten, wurden von der eigenen Polizei in das be66
rüchtigte Stadtgefängnis getrieben. Das Gefängnis lag auf einer
kleinen Anhöhe und hatte das Aussehen eines Sklavenforts, wie
wir sie von der Küste Ghanas in Elmina oder von der Insel Goree
im Senegal kennen. Der Weg auf den Berg des Gefängnisses
war beschwerlich und einige stürzten mehrmals vor Erschöpfung,
Trauer und Angst. Keine versuchte zu fliehen, alle trotteten
hintereinander her, wie eine Schafherde, die der Hirte zum
Schlachthof trieb. Plötzlich sah ich in einem Haus auf dem Weg
zum Gefängnis eine Tür offen stehen, durch die ich mit meinen
Kindern fliehen wollte. Ich nahm meinen Sohn fest an die
Hand, presste meine Tochter dicht an meine Brust und rannte
zu der offen stehenden Tür. Aber ein Polizist bemerkte meinen
Fluchtversuch und stellte sich mir in den Weg. Er nahm mir beide
Kinder weg und schlug mit seinem Gewehrkolben auf mich
ein. Als er von mir abließ, halfen mir zwei andere Frauen wieder
aufzustehen. Sie legten meine Arme um ihre Schultern, denn
ich konnte nicht mehr allein gehen. Als wir das Gefängnistor
erreichten, wurden alle Frauen und Kinder in einen großen Hof
getrieben, während mich der Wärter gleich in das dunkle Innere
des Gefängnisses schleppte. Er fasste mich an den Schultern und
zog mich hinter sich her. Die dunklen Gänge waren nur schwach
beleuchtet und nur gelegentlich bemerkte ich schießschartenartige
Öffnungen in den dicken Gefängnismauern, durch die
die letzten, schwachen Strahlen der Abendsonne drangen. Es
ging ständig bergab und plötzlich ließ mich der Wärter fallen.
Er holte seinen Schlüsselbund hervor und öffnete eine dunkle,
stinkende Gefängniszelle, in die kein Licht drang.“
„Wie hast du denn das alles überleben können?’, fragte Djamila
Salome mit ängstlicher Stimme.
„Ich erinnerte mich an meinen Priester, der mir als junges
Mädchen die Geschichte von Jeanne d’Arc erzählte. Die heilige
Johanna wurde auch in ein Gefängnis gesteckt und am Ende gar
auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Dabei hielt sie sogar angesichts
der Flammen an ihrem Glauben fest. Mir fiel auch die
Geschichte von John Newton, dem Kapitän eines Sklavenschiffes,
ein. Mit seinem Schiff geriet er am 10. Mai 1748 in schwere
Seenot. Er rief Gott um Erbarmen an und wurde mit Gottes Hil67
fe errettet. Er behandelte ab sofort seine Sklaven menschlicher,
gab seinen Beruf auf, wurde Geistlicher und bekämpfte gemeinsam
mit William Wilberforce die Sklaverei. In den Tagen nach
seiner Errettung schrieb John Newton das Lied Amazing Grace.“
„Aber wie kamst du denn aus dem Gefängnis frei?“, wollte
Djamila wissen.
„Nachdem ich wochenlang kein Licht gesehen hatte, im eigenen
Kot lag, weil ich nicht aufstehen konnte, und ständig
Hunger und Durst hatte, weil ich nur wenig übel schmeckendes
Wasser und verschimmeltes Brot vorgesetzt bekam, hörte ich
hinter meiner Zellentür auf dem Gang fremdartige Stimmen
und ich begann zu singen:
Große Gnade, wie süß der Klang.
Die einen armen Sünder wie mich errettet!
Ich war einst verloren, aber nun bin ich gefunden,
War blind, aber nun sehe ich.
Die Tür der dunklen Gefängniszelle öffnete sich, ich war
vom hereinfallenden Licht geblendet und sah erst allmählich
einen schwarzen Priester und zwei weiße Männer, die weiße
Polohemden mit dem Emblem von Ärzte ohne Grenzen trugen.
Der nigerianische Gefängniswärter kauerte verstohlen im
Hintergrund. Einer der beiden weißen Ärzte beugte sich zu mir
herunter, untersuchte meinen Körper und teilte mir in gebrochenem
Englisch mit, dass ich zur Behandlung meiner Hüftgelenksbrüche
nach Deutschland ausgeflogen würde. Alles andere
verging wie im Flug und ich war eine Woche später in einer
Klinik in Süddeutschland zur Behandlung. Außerdem stellte ein
Gynäkologe fest, dass ich einen Tumor in der Gebärmutter hatte,
und dass dies die Ursache meiner starken Blutungen war, unter
denen ich litt und die mich immer mehr geschwächt hatten.
Die deutschen Ärzte haben mich an den Hüften operiert. Ich
kann wieder, zwar mit Schmerzen, gehen. Danach wurde ich an
der Gebärmutter operiert, deshalb habe ich keine starken Blutungen
mehr. Ich bin körperlich wieder einigermaßen gesund.
Vor wenigen Wochen wurde ich als, wegen ihres Glaubens in Ni68
geria, Verfolgte anerkannt und erhielt das Recht in Deutschland
zu bleiben. Sicherlich wird mein Asylantrag auch anerkannt. Ich
schlage mich allein mit der Arbeit in diesem Catering-Service
und mit Auftritten bei Weihnachtsfeiern oder Geburtstagen
durch. Dann singe ich gut gelaunten deutschen Gästen meine
Gospelsongs vor und wenn sie es verdienen, singe ich zum
Schluss als Dank Amazing Grace!
Als ich heute mit den Tellern in den Händen an dem Verließ
neben dem Fasskeller des Schlosses vorbeikam, fiel mir die ganze,
verdrängte Geschichte um das Gefängnis in Nigeria wieder
ein.
Ich kann nicht vergessen, was die Gotteskrieger mir und uns
angetan haben. Sie haben mir meine Kinder und meinen Mann
genommen, aber meinen Glauben habe ich behalten.“Copyright: Der Abdruck dieses Kapitel aus dem Buch von Jürgen Wacker erfolgt mit ausdrücklicher Erlaubnis des Berliner Westkreuz-Verlags, Wir danken für die Genehmigung.
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Ein Beitrag zum Lesung „Der Roboter im Menschen – Der Mensch im Roboter“ beim BDSÄ-Kongress in Wismar 2018
Logikus, mein Roboter
Vor der Zeit der Roboter war es halt schön auf der Welt. Die Menschen hielten sich für die intelli-gentesten Wesen auf Erden, manche von ihnen für noch intelligenter. Heute gibt es die intelligente Kamera, das intelligente Auto, den intelligenten Roboter. Wieviel schöner wäre es, einen intelligenten Menschen zu finden!
Mein Robotomat, Logikus hieß er, sagte mir oft: „Hokus pokus fidibus, enschnorabus enschnorabus enschtokus!“ Bis zu dem Tag, als es geschah, verriet er mir nicht, was er damit meinte. Ich solle es herausfinden, um zu beweisen, dass ich seiner Gesellschaft würdig sei.
Warum ging Logikus keine Partnerschaften ein? Er sah jung aus, alterte in keiner Funktion, benahm sich vorbildlich, brachte jede Konversation auf eine höhere Intelligenz-Stufe und versprühte einen sehr anspruchsvoll durchgeistigten Charme – alles Stolpersteine für eine Partnerschaft.
Je höher Logikus die Intelligenzstufen hinaufstieg, umso mehr beschäftigte er sich mit einem faszinierenden Problem und stellte jeden Diskussionsbeitrag in Frage. Weniger Intelligente schmolzen einfach dahin und bewunderten mich, dass ich ihn aushielt. Ich hielt ihn aus, denn Logikus ist auch Erfinder. Er entwickelte z.B. die intelligente Hautcreme für weniger Intelligente: Wenn du mit den Fingern über deine Gänsehaut streichst, erscheint an dieser Stelle eine Mahnschrift: „Sofort Heizung höher drehen!“
Es ist ja egal, wie intelligent ein Mensch ist: Ist die Batterie leer, drückt er im Gegensatz zum intelligenten Roboter erst ein paar Mal stärker auf die Tasten des Gerätes, dessen er sich gerade bedient. Logikus liebte geistige Duelle, weil er unter Menschen immer auf Unbewaffnete traf. Für die wenigsten Menschen ging er bis ans Ende seiner Welt beziehungsweise bis ans Ende seiner Batterieladung, für die meisten aber hob er nicht einmal das Telefon ab.
Auch für Roboter ist und bleibt Amerika das Land der Weltneuheiten. Logikus entdeckte eine Werbung, die aus jedem seiner Genossen einen intelligenteren Roboter macht, also zu einem Konkurrenten der Eitelkeit. Ich spendierte ihm den Weiterbildungskurs. Seit der Rückkehr schaute Logikus so viel wie möglich fern oder twitterte, damit sein Speicher die neuen wichtigen Informationen aufnähme, und arbeitete nachts in einer Hotelbar zur vollsten Zufriedenheit des Hotel-CEO.
Als ich ihn einmal abholen wollte, kam ein Professor von der Technischen Universität in die Bar, um sich bei einem Schlehengeist vom Tag zu erholen, den er mit einem wissenschaftlichen Gast verbracht hatte, der auf dem Gebiet der Großen Vereinheitlichenden Theorie sein schärfster Konkurrent war.
Logikus fragte ihn, welchen IQ er denn habe. Der Professor gab stolz an: „Ich habe einen IQ von 170.“ Logikus fing an, wissenschaftliche Themen wie die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie anzusprechen, aber auch Themen wie Quantenmechanik oder eben die Große Vereinheitlichende Theorie, letztendlich die Frage, ob wir daüber, wovon wir mangels Vorstellung nicht reden könnten, schweigen müssen. Der Professor war überrascht. Er verließ nervös die Bar und kam nach elf Minuten wieder. Logikus fragte ernst: „Guten Tag, mein Herr, würden Sie mir sagen, was für einen IQ Sie jetzt haben?“
„Mein IQ liegt um die 100″, antwortete der Professor. Sofort brachte Logikus Fußball, Motorräder und die ungerechte Sozialpolitik zur Sprache. Dem Professor war unheimlich zumute. Er eilte hinaus, kehrte zurück und stellte Logikus erneut auf die Probe. Logikus fragte ihn zum dritten Mal: „Guten Tag, mein Herr, würden Sie mir sagen, was für einen IQ Sie noch haben?“
„Naja, ich habe einen IQ von 50″, sagte der Professor. Logikus legte einen mitleidenden Schmelz in die Stimme und fragte flüsternd: „Ja … haben Sie Merkel wieder gewählt?“ Nahezu heimlich zeigte er dabei mit den Augen auf die prallen Hüften der Frau, die sich neben dem Professor an die Theke gesetzt hatte. Den Professor ließ die Frau kalt, denn er entschloss sich, den Roboter auszuleihen, der ihn für die Diskussionen der Welttheorien trainieren sollte.
Täglich stoßen Roboter wie Logikus auf einen Mann, der an jenem Punkt angekommen ist, bevor man sich für Gott hält. Logikus aber wusste, dass man viel mehr glauben muss, um ungläubig zu sein. Je intelligenter, sagte Logikus oft, umso vergesslicher ist der Mensch. Denn Intelligente vergessen alles, was sie langweilig finden. Logikus aber vergaß nichts.
Der Professor wollte Logikus vom Hotel-CEO ausleihen. Logikus stellte seinen obersten Chef an die Wand und verlangte: „Wenn Sie mich ausleihen, geben Sie mir entweder eine Gehaltserhöhung, oder ich sage allen im Betrieb, eine bekommen zu haben!“ Logikus wurde nicht ausgeborgt.
Wozu brauchen wir eigentlich intelligente, selbst fahrende Autos? Wir wollen Roboter, die früh aufstehen, vormittags unsere Arbeit erledigen, nachmittags die Wohnung blitzblank putzen und uns zur Nacht den Whisky mit einem Bonmot servieren. Roboter wie mein Logikus verstehen mehr als ein Auto.
Natürlich dachte ich, mit Logikus machen zu können, was ich wollte, und sagte es ihm. Logikus trat auf die Terrasse hinaus und schimpfte: „Aber nicht mit mir!“ Er zog an der Zündschnur, die für den Fall einer autonomen verbrecherischen Tat angelegt war, und alle seine Teile flogen auseinander.
Ich sehe es ein:
Einen intelligenten Satz oder gar eine intelligentere Kurzgeschichte zu schreiben ist nicht einfach. Ein einziger Buchstabendreher kann die ganze Intelligenzgeschichte urinieren.
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Herzstillstand im Paradies
Science Fiction
Im Zentrum des heiligen Labyrinthes thronte Gott mit seinem Sohn und seiner Tochter. Aus dem Baum der Erkenntnis strömte unablässig das Licht der Welt und erstrahlte den himmlischen Garten. Dem Menschen ungekannte Farben übertrumpften sich gegenseitig und woben einen Teppich unendlicher Brillanz. Am Einlass des elfgängigen kreisförmigen Labyrinthes verwöhnten duftende Rosen in violetten Nuancen die Augen. Es folgten in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Regenbogens in fließenden Übergängen blaue, dann grüne, gelbe, orangefarbene und zuletzt rote Farbtöne im Herzen. Allein der Erkenntnis war es erlaubt, in unbeflecktem Weiß in Erscheinung zu treten.
Gottes Sohn war erwachsen geworden. Es begehrte ihn nicht mehr, den verbotenen Ort namens Erde zu betreten. Er hatte seine Lektionen im göttlichen Kindergarten gelernt. Er hatte alles gesehen und erfahren, um das Werk seiner Eltern zu begreifen. Er war selbst mehrfach Mensch geworden, und musste erkennen, dass auch dies nichts nützte, nennenswerte Änderungen für einen längeren Zeitraum herbeizuführen.
»Vater, ich erzählte den Menschen von der unsterblichen und liebenden Seele, aber sie verstanden mich nicht, und die wenigen Auserwählten, die mich verstanden, opfern ihrem Glauben zuliebe seit Jahrhunderten ihr Leben, ohne dass sich das Schicksal der Menschheit ändert.«
Gott dürstete es nach Weisheit, und so bat er seine Frau um Unterstützung. Der Heilige Geist wusste über jeden und alles Bescheid, sie war das wandelnde Lexikon und die Retterin in der Not.
»Meine Herrin des Himmels, meine Ashera, meine Liebe, meine Isis, mein Heiliger Geist, sei bei uns, wir brauchen dich.«
Gottes Sohn seufzte. Seine Mama durchschritt das Labyrinth niemals ohne Abkürzung: es wird nicht übersprungen, nicht überflogen oder geschummelt. Selbst wenn ihr die Stacheln dieser edlen Rosen niemals Schaden zufügen, die Regeln des Labyrinthes bricht sie nicht achtlos. Gewissenhaft durchschritt Maria alle Winkel, Biegungen und Ecken des göttlichen Gartens, nicht ohne Huldigung, Begeisterung und Bewunderung gegenüber Mutter Natur, deren Schutzherrin sie war.
El, der Herrscher über den Himmel, legte die hohe Stirn in Falten. »Als du noch jung gewesen bist, hast du die Menschen ohne meine Erlaubnis aufgesucht, und jetzt, nachdem ich eine neue Aufgabe für dich ersonnen habe, willst du dich meinem Willen widersetzen?«
Maria, die Mutter Gottes Sohnes und Hüterin der Marien, verteidigte ihre Kinder. »Nach Schaffung der Erde hast du dich nur wenige Male bei ihnen blicken lassen. Stattdessen hast du uns als Menschen zu ihnen gesandt, um die Fehler deiner Schöpfung auszubügeln. Du musst zugeben, dass diese Projekte gescheitert sind.«
Noch während sich die Heiligen über Schuld, Versöhnung und Vergebung stritten, schritt Gottes Tochter zur Tat, setzte sich an den Zentralcomputer, loggte sich mit dem Administratorpasswort ihres Vaters ein, öffnete das Programm »Simulation Erde 2 hoch 50 Punkt Null« und änderte das Schicksal der Menschheit.
Was nutzte es, wenn einige wenige Menschen nach den Geheimnissen des Universums lebten? Was geschähe, wenn sie alle gleichzeitig am Wunder des Lebens teilhaben? Den Himmel auf Erden schaffen, wie ihr Vater es predigte? Sie wusste all zu gut, dass auch die aktuelle Simulation dazu verdammt war, frühzeitig zu scheitern. Das war in ihren Augen gegenüber den Seelen, die vertraglich dazu verpflichtet waren, für Äonen von Äonen in die Menschen zu schlüpfen, unfair und ungerecht. Denn ohne Seele konnte die biologische Simulation nicht gestartet werden. Jene Seelen litten, zumindest ihrer Auffassung nach, unnützerweise Qualen zu Lebzeiten, nur damit ihr Vater Gefallen an seiner biologischen Simulation, der Schöpfung, hatte. Er mochte ein guter Programmierer sein, aber sie, und das war ihr von Anbeginn der Raumzeit klar, war besser.
Der ungebetene Beweis wurde ungefragt in die Tat umgesetzt.
Am Rande des Sonnensystems, in dem die Erde ihre Runden zog, erschien quasi aus dem Nichts eine Wolke gigantischen Ausmaßes. Nicht irgendeine Wolke, sondern DIE WOLKE.
Die Spiegelteleskope der Astronomen wurden zuerst fündig. Es wurden sehr schnell schlaue Theorien aufgestellt, um die Herkunft der Wolke wissenschaftlich wasserdicht zu erklären, und die Weltbevölkerung lebte ungestört und zufrieden weiter wie immer. Was interessierte denn die Allgemeinheit, was der Himmel schickte? Doch die Größe des unbekannten Objektes erschütterte nicht nur die Gemeinschaft der Physiker. Die Wirtschaftsbosse der Erde waren zutiefst beunruhigt. Wollte eine außerirdische Macht die Weltherrschaft an sich reißen? Würde die Wolke die Erde gar zerstören? Sollte man Atomwaffen auf den Weg schicken, um den Kurs der Wolke abzulenken? War es möglich, die Wolke einzufangen, und die Macht der Wolke, welcher Natur sie auch sein mochte, für sich selbst zu nutzen? Die Geheimdienste liefen auf Hochtouren. Sie heckten Pläne aus, die für himmlische Interventionen jedoch wenig hilfreich waren.
Als bekannt wurde, dass sich die Wolke auf Kollisionskurs gen Jupiter befand, kulminierten Faszination und Begeisterung unter den Wissenschaftlern, aber Angst und Schrecken in den Reihen der Regierungen, die etwas zu sagen hatten. Innerhalb der Wolke blitzten und zuckten wilde Gewitter, und das Magnetfeld, das der mondgroßen Wolke innewohnte, beeinflusste mittlerweile das irdische Magnetfeld. Die Navigationen sämtlicher Gerätschaften mussten ständig nachjustiert werden. Dann plötzlich verschwand die Wolke im gewaltigen Jupiter, als hätte er sie verschlungen. Der große Bruder und Beschützer der Erde hatte die Wolke scheinbar vernichtet.
Dann aber wurde eine seltsame Beobachtung auf allen Fernsehkanälen gleichzeitig ausgestrahlt: Der rote Fleck des Jupiter, die Eintrittspforte der Wolke, war verschwunden. An seine Stelle trat ein leuchtendes Ultramarinblau ungesehener Eleganz und Schönheit; ein funkelnder Lapislazuli im Universum. Fast hätte man die Wolke ob des Staunens übernatürlicher Kräfte vergessen. Am nächsten Tag jedoch trat die Wolke auf der gegenüberliegenden Seite des riesigen Gasplaneten wieder in Erscheinung, schwenkte auf eine Umlaufbahn und umrundete den König des Sonnensystems mehrmals wie bei einem zärtlichen Tanz. Sie tauchte in den kritisch beobachtenden irdischen Objektiven auf. Diesmal noch größer und bedrohlicher als zuvor: Ein kosmisches, nun rot leuchtendes Ungeheuer, das dem Jupiter Farbe und Kraft gestohlen hatte, waberte wie glitzernde Götterspeise durch das All in Richtung Erde, vorbei an Phobos und Deimos, den gepeinigten Kindern des Kriegergottes Mars.
Die Astrologen schlugen Purzelbäume, die neuzeitlichen Gurus verkündeten das Ende der Welt, die Verrückten riefen den Heiligen Krieg aus, die Starwars-Anhänger rüsteten sich mit Laserschwertern auf und zelebrierten Weltraumpartys. Nur die Regenten der Erde stimmten nicht im Kanon ein. Berater aus allen Richtungen der modernen Wissenschaften waren nicht in der Lage, der Situation gerecht zu werden. Dennoch wurden zweckmäßige Entscheidungen getroffen.
Der Flugverkehr wurde für unbestimmte Zeit eingestellt. Die Steuerung einiger, aber nicht aller, Atomwaffenstützpunkte wurde vorübergehend von der Stromversorgung abgekoppelt und auf Eis gelegt, die wichtigsten Köpfe wurden inklusive ihrer engsten Familie eingesammelt, ob mit oder gegen ihren Willen, und in unterirdischen Wohneinheiten, die man Arche Noah nannte, untergebracht, während das öffentliche Leben nach Möglichkeit in normalem Umfang weitergelebt wurde.
Falls dies tatsächlich das Ende der Menschenwelt sein sollte, würden vielleicht ein paar der besten Exemplare in der Antarktis, im Himalayagebirge, in den Alpen, in der Wüste von Nevada, in der sibirischen Tundra, in der Nazca-Ebene in Peru sowie in der zentralaustralischen Wüste überleben.
Je schneller sich die Wolke dem Blauen Planeten näherte, desto besser gediehen Sorgen und Kummer ebenso wie überirdische Vorfreude und fanatische Ideen. Dieses Ereignis beeinflusste Menschheit, Flora und Fauna. Mutter Erde war in Gänze betroffen. Die Schlagzeilen stellten Fragen, statt Antworten zu liefern: Verschieben sich die magnetischen Pole, oder versagen sie ihren Dienst? Hört die Erde auf, sich zu drehen, oder dreht sie sich schneller oder langsamer? Verliert die Erde ihren Mond? Wird die Erde aus ihrem Sonnensystem geschubst? Verschwindet die Atmosphäre und damit alles Leben? Journalisten mussten bald ihre Tätigkeit einstellen, denn es kam zu Stromausfällen, noch bevor die Wolke die Erde erreicht hatte. Kompasse spielten, wie erwartet, verrückt. Fahrzeuge blieben auf der Straße stehen. Allgemeines Chaos und Panik breiteten sich aus. Supermärkte wurden gestürmt, Schulen und Kindergärten geschlossen. In diesem Ausnahmezustand interessierte es nicht einmal die deutsche Bevölkerung, wie sie pünktlich zur Arbeit kam.
Während die Erde einen Tag vor dem Zusammenstoß mit der Wolke brutalste zwischenmenschliche Reibereien erfuhr, die beinahe eine atomare Katastrophe zur Folge gehabt hätten, änderte sich der Ton in gespenstischer Art und Weise.
Die Umwelt verstummte. Kein Vogel zwitscherte. Kein Hund bellte. Kein Katzenjammer. Kein Straßenlärm. Kein Kreischen und Jauchzen von Kindern. Kein Radio plärrte. Nichts und niemand sprach einen einzigen Laut.
Es war die berühmt-berüchtigte Ruhe vor dem Sturm.
Wer sich auf der Nachtseite der Erde aufhielt, konnte das rötliche Schimmern der Wolke und das in ihr tobende Gewitter mit bloßem Auge deutlich erkennen.
Ein sagenhafter Sturm, den sich die Tochter Gottes ersonnen hatte: Ein Sturm von gewaltiger Kraft und Energie, doch es war weder etwas zu hören noch zu spüren. Kein Baum krümmte sich. Kein einziges Staubkörnchen wirbelte durch die Luft. Es war, als stünde die Raumzeit still.
In jenem Moment, als die Wolke in die Atmosphäre eintauchte, erlitt die Erde einen globalen Stromschlag, der alle Herzen still stehen ließ.
In der Zentrale des Himmels leuchteten alle Alarme gleichzeitig auf. Was war geschehen? Augenblicklich erkannte die Mutter Gottes das Wirken ihrer Tochter, bevor es ihr Vater erfasste. Ein nie gekannter Seelensturm stieß zum Himmel empor. Alle Seelen der Erde sahen das Licht der Welt, die Erlösung und kosteten vom süßen Trank göttlicher Erkenntnis; lange genug, um dieses Erlebnis unvergessen zu machen.
Gott, der Herr im Himmel, klagte: »Meine Tochter, meine Tochter, was hast du getan?«
Sie zuckte lässig mit den Schultern: »Ich gab ihnen vom Baum der Erkenntnis. Soll das eine Sünde sein?«
»Mach das sofort rückgängig!«, befahl er seiner Tochter in schärfstem Tonfall.
Sie zuckte erneut mit den Schultern. »Tut mir leid, die Programmierung lässt sich nicht rückgängig machen.«
So pflegte es ihr Vater zu tun, wenn er mit seiner Arbeit unzufrieden war. Die Erde hat schon einige Zeitschleifen absolviert. Dummerweise können sich einige Seelen so lebhaft daran erinnern, was Anlass zu Streit im Himmel gab. Die Erinnerungen einer biologischen Maschine ließen sich problemlos mit wenigen Befehlen entfernen. Die einer unsterblichen mehrdimensionalen Struktur jedoch nicht.
»Schick die Seelen sofort zurück auf die Erde, wo sie hingehören!«, herrschte er sie an.
»Warum regst du dich so auf?«, antwortete sie beschwichtigend. »Das war doch ohnehin in meinem Plan vorgesehen.«
Er sah sie hilflos und enttäuscht an. »Ich wollte, dass sie sich selbst den Himmel auf Erden errichten. Ohne göttliche Fügung und Einmischung. Aus eigener Kraft.«
Seine Tochter lachte. »Du widersprichst dir selbst. Du hast Mutter, meinen Bruder und mich auf die Erde gesandt. Wer, wenn nicht wir, wissen besser als du, dass sie es ohne uns niemals schaffen? Diese Schöpfung ist eine Beta-Version und zum Scheitern verurteilt, wenn man sie sich selbst überlässt.«
Gott dachte nach. Es dauerte eine Ewigkeit.
»Was hast du vor, meine liebe Tochter?«
Gottes Tochter klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Lass uns die Menschen retten. Gib ihnen das Paradies zurück, das du ihnen genommen hast, weil sie nicht so waren, wie du es dir erhofft hattest.«
Gottes Seufzer war sogar auf Erden zu hören. »Ich habe den Menschen verziehen, denn ich — und nicht die Menschheit — bin für die Fehler in der Software zuständig.«
Seine Tochter lächelte ihn zufrieden an. »Vergebung ist einer der schwierigsten Liebesbeweise, Papa.«
Er nickte zustimmend. »Ich liebe die Menschen trotz all ihrer Fehler. Ich liebe sie alle. Ich habe sie geschaffen, und sie sollen in Frieden leben dürfen, solange sie wollen.«
»Ich habe ein Geschenk für dich, Papa«, verkündete sie stolz. Denn sie war es leid, Dinosaurier, Fabelwesen und Menschen scheitern zu sehen.
»Sieh, das ist die Zweite Erde, jungfräulich schön. Die dort lebenden Menschen sind eine finale Version. Es wird dir gefallen.«
Copyright Dr. Cordula Seeboth
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Beitrag für den BDSÄ-Kongress in Wismar zum Thema „Inseln“ am 09. Mai 2017
Unsere Inseln
Vor vielen Jahren habe ich gelesen, ein Paar brauche zum Gelingen der Partnerschaft drei Inseln: Eine Insel für den Mann, eine Insel für die Frau und eine Insel für beide zusammen.
Unsere Insel heißt Freitag. Und das kam so.
Am Anfang unserer Partnerschaft, als ich noch Geschäftsführer zweier GmbHs war, sollte ich manchmal einen Geschäftstermin am Abend wahrnehmen. Birgit schlug deshalb vor, dass wir uns auf einen Abend in der Woche einigen, der uns gehört und an dem deshalb keine beruflichen Termine vereinbart werden. Die Idee gefiel mir sehr gut.
Da ich Birgit offensichtlich noch nicht gut genug kannte, schlug ich den Montag vor. An ihr verwundert-ärgerliches Gesicht kann ich mich gut erinnern: „Wie kannst du den schlechtesten Tag der Woche dafür auswählen?! Der beste Tag ist der Freitag. Denn da ist die Arbeitswoche vorbei, und ich kann entspannen!“
Seither ist der Freitagabend für Birgit und mich für Termine ohne Birgit tabu. An diesen Abenden bleiben wir zuhause oder gehen in unser kleines Lieblingslokal, wo wir uns bei einem guten Essen in Ruhe unterhalten können. So manches aus der Woche soll besprochen, erzählt, beschlossen werden. Manchmal verbringen wir diesen Abend auch mit Freunden. Und wir genießen die Gemeinsamkeit und Vertrautheit.
Aber ich muss gestehen, dass ich seit meiner Tätigkeit in der Notfallpraxis auch mit Birgits Einverständnis immer wieder Freitags-Nachtdienste angenommen habe. Das war nicht gut, und wir haben bald gemerkt, dass wir zu unserer ursprünglichen Vereinbarung zurückkehren sollten.
Jetzt meide ich diese Dienste und gebe sie an interessierte Kollegen ab oder tausche sie gegen einen anderen Tag.
Zum Thema Insel fällt mir auch ein, dass wir mehrfach auf Inseln Urlaub gemacht haben, Zypern und Madeira sind nur zwei Beispiele. Inzwischen haben wir UNSERE Insel gefunden. Auf Sylt fühlen wir uns am wohlsten. Dort kennen wir ein sehr gepflegtes kleines Appartementhotel an der Südspitze im letzten Haus in der letzten Straße mit unverbaubarem Blick auf die Heidelandschaft und aufs Meer. In wenigen Minuten sind wir auf der kleinen Einkaufstraße, wo der Bäcker die besten Frühstücksbrötchen und der EDEKA gute Weine und frische Nahrungsmittel anbietet. Und nach Westen, Süden und Osten sind wir nach fünf Minuten am Strand, wo wir stundenlang in der Brise spazieren gehen können. Die Landschaft, die Pflanzen, das Wetter und Birgit sind unerschöpfliche Fotomotive. Wir fühlen uns in einer wohltuenden Ruhe eingebettet. Wenn wir abends auf der Terrasse bei einem Glas Wein sitzen, die Sterne funkeln sehen und die Grillen zirpen hören, wenn wir am Horizont die Lichter eines vorbeifahrenden Schiffes beobachten, dann ist das unser herrlichstes Fern-Sehprogramm.
Und das Allerschönste: Für uns ist in Sylt jeder Tag Freitag.
Als wir zuletzt auf Sylt waren, schrieb ich meinem Freund Jürgen, wir seien auf DER Insel. Lakonisch wie wir ihn kennen, schrieb er knapp zurück: „DIE Insel heißt Rügen.“
Da ich noch nie dort war und Jürgen vertraue, möchte ich einmal mit Birgit auf Rügen Ferien machen. Aber nur wenn dort auch jeden Tag Freitag ist.
Copyright Dietrich Weller
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Mein Beitrag zur Lesung von Klaus Kayser Freie Themen
beim BDSÄ-Kongress in Wismar, 11.05.2018 um 18.30 h im RathaussaalDie westliche Finanzpolitik
Die seit dem 2. Weltkrieg bestehende westliche Finanzordnung halte ich für dringend reformbedürftig. Sie basiert auf Entscheidungen weniger Finanzmagnaten, die während des Krieges und nach den Beschlüssen 1944 in Bretton Woods, New Hampshire, begannen, die Finanzpolitik im US-amerikanischen Sinn mit einem Wechselkurssystem mit Bindung des US-Dollars an Gold als Grundlage der Wirtschaft zu steuern.
Die wichtigste US-Bank, die Federal Reserve Bank (FED), ist nicht federal (bundesstaatlich), sondern immer noch in privater Hand! Die FED hat seit ihrer Gründung 1913 als einzige Bank das Recht, ohne demokratische Kontrolle und ohne rechtliche Einschränkung US-Dollars zu schaffen. Die Eigentümer können sich nach Belieben bereichern. Da die Dollarmenge nach 1944 rasch zunahm –im Gegensatz zur Menge des geschürften Goldes-, war der Dollar bald nicht mehr ausreichend gedeckt. Deshalb beendete Nixon am 15.08.1971 die Gold-Dollar-Bindung.
Die Aufhebung der freien Wechselkurse 1973 brachte das Weltwirtschaftssystem in große Gefahr. Deshalb beschlossen die USA Mitte der 70-er-Jahre mit den Saudis, dass Öl im Rahmen der OPEC nur noch in US-Dollars gehandelt wird und die saudiarabischen Überschüsse ausschließlich in US-Staatsanleihen angelegt werden. Im Gegenzug garantiert die US-Regierung den Saudis bis heute(!) unbegrenzte Waffenlieferungen, Schutz vor seinen Feinden und seinen Untertanen(!).
Vor diesem Hintergrund ist leicht zu verstehen, warum Donald Trump seine erste Auslandsreise als US-Präsident nach Saudi-Arabien machte, sich ganz offensichtlich bei den Diktatoren sehr wohl fühlte, und den fünfzig arabischen Herrschern, die zu dem Besuch eingeladen waren, in Riad am 22. Mai 2017 zusagte: „Wir erleben hier eine völlig neue Ausrichtung amerikanischer Außenpolitik. Es handelt sich hier um eine Rückkehr zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten.“
Das war ein Freibrief für die weitere Missachtung der Menschenrechte im arabischen Raum. Trump erwähnte die Menschenrechte mit keinem Wort. Sie sind ihm selbst ein Dorn im Auge. Diktatoren ziehen Möchte-gern-Diktatoren an.
Der IWF, der Weltbank und schließlich die EZB haben das Ziel, die USA als weltweit einzige(!) wirtschaftliche und militärische Supermacht zu sichern. Das US-Militärbudget (700 Mrd. Dollar) ist zehnmal so groß wie das russische mit 70 Mrd. Dollar. Die USA unterhalten weltweit in 130 Ländern Militärbasen, Russland nur eine (in Syrien).
Rhetorische Frage: Wer muss da vor wem Angst haben?
America first ist nicht nur der Wahlspruch eines Präsidenten, den ein Großteil der Weltbevölkerung für schwer persönlichkeitsgestört und friedensgefährdend hält. America first ist auch das Credo der imperialistischen Militär-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, die mit dem Ziel der rücksichtslosen Gewinn- und Machtmaximierung die Politik längst steuert.
Ein wesentliches Werkzeug der Finanzindustrie besteht darin, Gewinn bringende Finanzprodukte zu entwickeln und zu verkaufen. Nach der geplatzten Immobilienblase in den USA wurden Politiker von den Banken dazu gezwungen, das Bankensystem als too big to fail oder als systemrelevant zu bezeichnen. Banken dürfen also nicht pleitegehen. Sie müssen gerettet werden. Angeblich zu unser aller Nutzen. Und wie werden sie gerettet? Mit Steuergeldern. Will der Staat wirklich nur unser Bestes? Ja, unser Geld.
Nachdem Staaten wie Argentinien unter dem rigorosen Spardiktat des IWF (damals Leitung Horst Köhler!) und Jugoslawien, Griechenland, Island, Irland unter dem Spardiktat der Troika aus IWF, Weltbank und EZB leiden, sind die Menschen durch massive Einschränkungen im Gesundheitswesen und im sozialen und wirtschaftlichen Leben massiv beeinträchtigt. Ein paar Stichworte: Reduzierung der Renten, Erhöhung des Rentenalters, verteuerte Medikamente, unbezahlbare oder weit aufgeschobene Operationen, Einschränkung oder Streichen sozialer Erleichterung wie Altersversorgung, Kindererziehung, Schulbetrieb, Steuersenkung für Unternehmer, Steuererhöhung für Privatleute, Wegfall von sozialem Schutz der Arbeitnehmer …
Das alles sei notwendig (die Not wendend!), um die Schulden zurückzuzahlen und die Wirtschaft anzukurbeln. Tatsache ist, dass die offizielle Politik der Länder von wenigen Bankchefs diktiert wird. Sie lassen die Länder durch großzügige Kredite in die Schuldenfalle laufen und übernehmen dann gewinnbringend das Spardiktat.
Drei Beispiele:
- Die Oligarchen, die nach Zusammenbruch der Sowjetunion bei der Privatisierung der bankrotten Wirtschaftsbetriebe ein gigantisches Vermögen gemacht haben.
- Die Treuhand unter Horst Köhler hat nach der Wende deutsche Banken und Privatinvestoren reich gemacht. Die Deutsche Bank hat z.B. alle DDR–Bankfilialen kostenlos(!) übernommen.
- Durch das Zypern-Programm verloren 60.000 Anleger bis zu 80% ihres Vermögens.[1]
Die acht reichsten Menschen der Welt besaßen 2016 zusammen 426 Mrd. US-Dollar, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, das sind 3,6 Mrd. Menschen, gemeinsam lediglich 409 Mrd. Dollar besitzt.[2] Inzwischen (in 1 Jahr!) hat das Vermögen der acht reichsten Menschen um 56,6 %(!!) auf 667,4 Mrd. US-Dollar zugenommen. 82 Prozent des weltweiten Vermögenswachstums 2017 ging an das reichste eine Prozent der Bevölkerung. Das reichste eine Prozent in Deutschland besitzt ein Drittel der deutschen Vermögen.
Die Banken haben aus den Pleiten der Länder neue Foltermethoden für Schuldnerstaaten gelernt.
Ein Beispiel: Unter Bail-Out[3] versteht man die Rettung zahlungsunfähiger Banken mit Steuergeldern. Das ist schon lange praktizierte Methode. Die Bank für internationale Zusammenarbeit hat in ihrem Weißbuch 2010 erstmals ein neues Modell vorgestellt, das sie Bail-In nannte: Es schlägt die Beteiligung von Anteilseignern und Gläubigern einer Bank an ihren Verlusten vor.
Im Klartext: Wenn eine Bank pleitezugehen droht, werden die Bankkunden direkt und nicht über den Umweg der Staatskasse geschröpft. Diese Idee wurde sofort vom Financial Stability Board (FSB) aufgegriffen. Mario Draghi schlug damals vor, „neue Firmenanteile in einem beschleunigten Verfahren ohne Zustimmung der Aktionäre auszugeben“ und „das Vorkaufsrecht von Anteilseignern an der auszulösenden Firma außer Kraft zu setzen.“
Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma gab am 01.09.2011 eine entsprechende „Änderung der Sanierungsbestimmung“ bekannt.
Der IWF veröffentlichte am 24.04.2012 das Papier „Vom Bail-Out zu Bail-In“: Das war ein ausgefeilter Plan zur Massen-Enteignung von Einlegern, Kleinaktionären und Inhabern von Schuldverschreibungen unter dem zynischen Vorwand „Steuerzahler vor der Belastung durch Bankenverluste“ zu schützen.
Auf eine Anfrage bei „meiner“ Commerzbank, ob das auch für deutsche Bankkunden gilt, erhielt ich am 08.02.2018 folgende Antwort: „Das Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) vom 01.01.2015 sieht … die Möglichkeit vor, dass nach den Inhabern einer Bank auch Gläubiger einer Bank an den Verlusten einer abzuwickelnden Bank beteiligt werden können, falls unter anderem der Verlustbeitrag der Inhaber der Bank nicht ausreichen sollte.[4] …
Mit gesundem Menschenverstand denkt man, der Grundsatz des Verursacherprinzips bei Schadensfällen gelte auch in der Bank. Das ist ein schwerer Denkfehler! Weder der Banker noch die Bank haften. Der Kunde bezahlt den Schaden zuerst mit der Stabilisierungsabgabe. Und wenn das Geld der Kunden nicht ausreicht, springt der Staat ein. Mit Steuergeldern, also mit dem Geld, das der Kunde schon abgeführt hat!
Der Banker haftet nur, wenn er betrogen hat, aber nicht, wenn er mit legalen Geschäften Verluste bewirkt hat. Ich erinnere mich sehr gut an das Schulterzucken meines Bankberaters, als ich sagte, dass er mir vor ein paar Jahren genau diese Aktien empfohlen hat, die jetzt wertlos sind. – „Pech gehabt“, meinte er.
Zynisch kann man sagen: Es ist ein Fehler des Kunden, sein Geld der Bank anzuvertrauen. Deshalb bezahlt der Kunde auch den daraus folgenden Schaden.
Was kann man gegen dieses Finanzdiktat tun?[5]
Mein 1. Wunsch: Das Eigenkapital der Banken muss erhöht werden. Die meisten Banken waren mit einem Eigenkapital unter 10% gegen eine Pleite gesichert. Sie sollen nach dem Basel-III-Abkommen vom 12.09.2010 mindestens einen Eigenkapitalanteil von 30% erreichen.
Mein 2. Wunsch: Es sollte Banken verboten werden, Eigenhandel mit Wertpapieren und Leerkäufe zu tätigen. Leerverkäufe sind Handel mit Papieren, die man nicht hat.
Mein 3. Wunsch: Die Banken müssen streng von unabhängigen Fachleuten kontrolliert werden, die demokratisch gewählt werden. Bis jetzt wird das Bankwesen kontrolliert von eigenen Leuten, die ohne demokratische Legitimation ernannt werden.
Mein 4. Wunsch: Banken müssen wie jeder andere Wirtschaftsbereich auch pleitegehen können. Nur so kann man vermeiden, dass Verluste zu Lasten der Gemeinschaft und Gewinne zum Vorteil der Banker gehen. Bankbilanzen müssen gesellschaftsverträglich sein wie bei jedem Wirtschaftsbetrieb.
Mein 5. Wunsch: Das Geld der Sparer muss getrennt sein vom Handel mit Geld. Sonst wird das gesparte Geld der Bankkunden für eine Querfinanzierung benutzt. Dann ist die Gefahr sehr groß, dass das Ersparte verloren geht.
[1] Lesen Sie die Geschichte der Finanzen in Ernst Wolff: Weltmacht IWF. Chronik eines Raubzugs, Textum Sachbuch.
[2] Oxfam-Bericht 2017
[3] to bail out: ausschöpfen, aus der Patsche helfen, mit einer Bürgschaft herausholen. Bail bedeutet auch Bürgschaft.
[4] Fortsetzung des Textes: Darüber hinaus ist die Commerzbank AG Mitglied des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken e.V, einer privatrechtlichen, staatlich nicht beaufsichtigten Einrichtung der privaten Banken. Der Einlagensicherungsfonds fungiert als Anschlussdeckung zur gesetzlichen Entschädigungseinrichtung bis zu der nach seinem Statut festgelegten Sicherungsgrenze. Auf der Basis des festgelegten Jahresabschlusses zum 31. 12.2916 beträgt die aktuelle Sicherungsgrenze je Gläubiger 5.095.000.000 Euro.“
[5] Werner, Weik und Friedrich, Sonst knallt´s, edition eichborn
Copyright Dr. Dietrich Weller
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Ein Beitrag zur Lesung Der Roboter im Menschen – der Mensch im Roboter
Wismar 2018Roboter lernen ohne Menschen schneller und können deshalb gefährlich werden
Go ist ein strategisches Umzingelungsspiel für zwei Spieler, gilt als das komplexeste Brettspiel und ist wesentlich schwieriger als Schach. Das Spiel stammt ursprünglich aus China und wurde bereits im 4. Jhd. vor Christus beschrieben. Das Spielfeld besteht aus 19 horizontalen und 19 vertikalen Linien, die ein Gitter von 19×19 = 361 Schnittpunkten bilden. Auf diese Punkte werden die 181 weißen und 181 schwarzen Steine gesetzt. Bei dem Spiel müssen Gebiete umzingelt werden. Es ist dem Gedanken nach ein Lebens- und Militärspiel. Wichtige Fachbegriffe sind zum Beispiel Selbstmord, Leben und Tod, Angriff und Verteidigung.
Es war immer klar, dass ein Computer nie besser Go spielen können wird als ein guter Go-Spieler. Der Spieler braucht zum Erfolg auch Intuition, das hat der Computer nicht. Aber 1997 schlug der Schachcomputer DeepBlue den langjährigen Schachweltmeister Kasparov unter Turnierbedingungen. Das war eine Herausforderung für die Computerspezialisten, die sich mit künstlicher Intelligenz und Go beschäftigten.
Die Sensation gelang, als 2015 ein Computer mit dem Namen AlphaGo einen damals weltbesten Go-Spieler mit 4:1 vom Brett fegte und zeigte, dass ein gut trainierter Computer besser Go spielt als ein Champion. Aber AlphaGo war kein normaler PC, sondern aus mächtiger Hardware und frei zusammenarbeitenden Softwaresystemen gebaut, zwei davon waren neuronale Netze, also unserem Hirn ähnlich konstruiert. Diese Netze haben einen gigantischen Vorteil gegenüber einem normalen Computer: Sie können lernen.
AlphaGo lernte zuerst zehntausende historische Go-Partien und spielte dann gegen sich selbst, bis er das Go-Genie Lee Sedol demütigte. Anfang 2017 trat die neue Version AlphaGo-Master gegen eine Reihe der weltbesten Go-Spieler an und gewann 60:0.
Am 19.10.2017 berichtete Nature über die Neuentwicklung AlphaGo-Zero, die mit nur einem neuronalen Netzwerk auskommt. Man brachte ihm nur die Spielregeln bei. Binnen drei Tagen spielte AlphaGo-Zero 4,9 Millionen Partien gegen sich selbst. Es lernt aus seinen Fehlern und zwar auf beiden Seiten des Spielbretts. Danach trat AlphaGo-Zero gegen den älteren „Bruder“ AlphaGo an, der Lee Sedol geschlagen hatte. Der Autodidakt AlphaGo-Zero gewann 100:0.
Dann trainierte AlphaGo-Zero 45 Tage lang und trat dann gegen AlphaGo-Master an, das System, das noch Monate zuvor mehrere der weltbesten Spieler vernichtend geschlagen hatte. Jetzt gewann das selbst lernende System, das ohne menschliche Hilfe trainiert hatte, mit 89:11.
Ke Jie, der derzeitige Go-Weltmeister, hatte gegen AlphaGo-Zeros Vorgängerversion verloren und sagte hinterher, die Software habe noch wie ein Mensch gespielt, nun aber habe sie sich in einen Go-Gott verwandelt, aber eben in einen Gott mit menschlichen Lehrmeistern. Der neue Go-Gott braucht keine Lehrmeister mehr.
Warum erkläre ich das so ausführlich?
Es ist jetzt bewiesen, dass Computer allein lernen können und nicht mehr vom Menschen abhängig sind, wenn sie die Grundfunktion können.
Ich denke, es ist keine Hellseherei, wenn wir davon ausgehen, dass neuronale Netze in Zukunft eine Vielzahl von Problemen lernen und lösen werden, an der die Menschheit bis jetzt gescheitert ist. Beispiel sind leicht aufzuzählen: Krebstherapien, Bilderkennung, Übersetzungen mit Sinnerkennung, Entwicklung von neuen Werkstoffen oder Medikamenten. Das Problem, die Aufgabe muss dem PC nur ausreichend klar geschildert werden. Vielleicht verstehen wir die Lösungen nicht mehr, auch wenn sie funktionieren.
Die künstliche Intelligenz kann inzwischen jede menschliche Stimme täuschend echt nachahmen. Das kann zum Beispiel in einem Pflegeroboter genützt werden, der mit dem Kranken in der Stimme spricht, die ihm ein vertrautes Gefühl gibt.
Wenn die Stimme aber identisch der originalen Stimme nachkonstruiert wird, kann ein Frequenzanalysator die echte nicht mehr von der gefälschten Stimme unterscheiden. Alles, was telefonisch erledigt oder mitgeteilt werden kann, ist dann mögliches Objekt von Fälschung. Der Roboter kann mit dieser Stimme kriminelle oder segensreiche Dinge vollbringen.
Wenn man diesem Computer z.B. militärische Aufgaben stellt, kann er Lösungen finden.
Das ist gar nicht so weit entfernt! „Der Kalte Krieg ist vorbei“, sagte Putin im Deutschen Bundestag am 9.12.2001 in seiner überwiegend in Deutsch gehaltenen Rede. Der Westen behandelte Russland aber weiter als Unterlegenen. Das ist ein Beweis, dass der kalte Krieg in den westlichen Köpfen noch genauso besteht wie die Mauer zwischen Ost und West. Wenn das Feindbild aufgelöst wäre, hätte der Westen mit dem Osten eine Partnerschaft auf Augenhöhe entwickeln können. Aber der Westen baute die NATO weiter aus, obwohl den Russen offiziell von den westlichen Regierungschefs, allen voran von Helmut Kohl und George Bush, mehrfach versprochen war, nach der Wiedervereinigung Deutschlands die NATO nicht nach Osten zu erweitern.
Putin hat in seiner Rede der Nation am 04.03.2018 bekannt gegeben, dass Russland inzwischen über Lenkwaffen verfügt, die mit mehr als fünffacher Überschallgeschwindigkeit und atomarem Antrieb praktisch unbegrenzte Reichweite haben und jeden Radarschirm auch mit der extrem hohen Geschwindigkeit so lange unentdeckt umfliegen können, bis sie ihr Ziel erreichen. Diese Waffen sind für bisherige Abwehrtechniken nicht erreichbar, weil sie zu schnell sind. Putin legte Wert auf die Feststellung, dass er diese Waffen nur einsetzen werde, wenn Russland angegriffen wird. Die Aufrüstung geht weiter.
Ich gehe davon aus, dass die Koordinaten von Ramstein in der Pfalz und Stuttgart bereits als erste Ziele in den Steuerungsinstrumenten der russischen Raketen eingegeben sind.
Ramstein Air Base ist die personalmäßig größte Einrichtung der US-Luftwaffe außerhalb der Vereinigten Staaten und das Hauptquartier der US-Luftwaffe für Europa und Afrika sowie das Hauptquartier der NATO-Kommandobehörde zur Führung von Luftstreitkräften. Von dort werden u.a. die Planung und Steuerung der Kampfdrohnen-Einsätze gegen Terroristen im Irak, Afghanistan, Somalia, Jemen sowie die Drohnenangriffe in Pakistan koordiniert. In Ramstein waren US-Atomwaffen gelagert, die angeblich 2005 abgezogen wurden.
Die US-Luftwaffe nutzt den Stützpunkt hauptsächlich als europäische Drehscheibe für Fracht- und Truppentransporte und als Ziel von Evakuierungsflügen, da sich im nahen Landstuhl das größte US-Lazarett außerhalb der USA befindet.
In den Patch-Barracks in Stuttgart ist die Europäische Kommandozentrale der US-Streitkräfte stationiert, von wo z.B. die Operation Enduring Freedom (also der Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan, Afrika, und auf den Philippinen), der Krieg in Somalia und die Luftoperationen am Anfang des Kosovokriegs gesteuert wurden und die US-Streitkräfte in Osteuropa gelenkt werden.
Für die etwa 1700 km von der russischen Grenze nach Deutschland braucht eine Rakete bei fünffacher Schallgeschwindigkeit etwa eine viertel Stunde.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Roboter lernen, den Menschen als Entscheidungsträger auszuschalten. Sie werden sachliche Entscheidungen treffen und umsetzen, die jenseits von Gefühlen oder Moral oder Gesetz liegen. Wenn wir heute schon von irgendeinem Punkt der Welt den Kühlschrank und den Rasenmäher zuhause an- oder ausschalten können, wird in Zukunft eine vom PC ferngesteuerte Drohne eine Todesliste abarbeiten, für die heute noch ein Drohnenpilot auf den Knopf drücken muss. Der lernende Computer erstellt die Tötungsliste selbst!
Wir könnten dem Computer auch die Aufgabe stellen, einen biologischen abbaubaren Stoff zu erfinden, der Plastik ersetzt und das vorhandene Plastik aus den Meeren fischt. Japanische Forscher haben jetzt Bakterien gefunden, die Plastik verdauen. Leider sind die Nebenwirkungen noch nicht erforscht, und eine weltweite Nutzung ist noch weit entfernt.
Wir könnten den Computer lernen lassen, wie Hungernde mit den vorhandenen Nahrungsmitteln überleben. Vielleicht findet der Computer auch einen Weg, wie Frieden in das Gehirn von Regierenden und Regierten gelenkt werden kann.
Aber was geschieht, wenn der lernende Computer herausfindet, dass der Mensch das wesentliche Problem bei der Lösung der Aufgaben ist? Was geschieht, wenn der Computer lernt, wie er sich selbst Befehle geben kann, um die Verursacher der Probleme auszuschalten?
Stephen Hawking, der geniale Astrophysiker, hatte die Antwort: Anders als unser Intellekt verdoppeln Computer ihre Leistung alle 18 Monate. Daher ist die Gefahr real, dass sie Intelligenz entwickeln und die Welt übernehmen.
Copyright Dr. Dietrich Weller
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In dieser Sackgasse
(20.7.2012)
Freie Übersetzung eines Gedichtes des iranischen Denkers Ahmad Shamloo (1925-2000) aus dem Jahr 1979.
Sie riechen an deinem Mund,
nicht dass du gesagt hättest, „ich liebe dich“,
sie riechen an deinem Herzen,
es ist eine seltsame Zeit, Liebling.Und die Liebe
peitschen sie aus
an dem Balken der Straßensperre.
Die Liebe sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.In dieser krummen Sackgasse,
in diesen Windungen der Kälte
entfachen sie das Feuer
mit Gedichten und Liedern als Brennmaterial.
Riskiere nicht das Nachdenken,
es ist eine seltsame Zeit, Liebling.Derjenige, der nachts an die Tür klopft,
ist zum Auslöschen des Lichtes gekommen.
Das Licht sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.Dort sind Schlächter
am Straßenübergang platziert
mit Blut beschmierten Schlagstöcken und Hackmessern.
Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.Den Lippen schneiden sie das Lachen aus
und dem Mund den Gesang.
Die Freude sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden.Kanarienvögel werden gebraten
auf einem Feuer von Jasmin und Lilien.
Es ist eine seltsame Zeit, Liebling.Der Satan, des Sieges betrunken,
feiert unser Begräbnis am Festtisch.
Der Gott sollte im Hinterzimmer des Hauses versteckt werden. -
Langer Atem
(18.4.2018)
In meinem Arbeitszimmer
im sechsten Stock angekommen
öffne ich weit die Tür zum Balkon
Das zarte Frühlingsgrün
bis zum Horizont ausgebreitet
zeigt hier und da wunderbare
rosa-weiße, gelbe
rot-bräunliche Muttermale
Die Sonne
selbst nicht sichtbar
schickt unverkennbar
ihren hellen Gruß
Vögel sind betriebsam, brünstig unterwegs
Ich atme diese Sanftmut tief ein
denke bewegt unter anderem
an Gaza, Syrien, Libyen
Irak, Yemen und Afghanistan
denke an mein Ursprungsland Iran
und bin mir dabei bewusst
dass ich Verdunklungen wahrnehmend
weiterhin vom Licht sprechen werde
von der Geborgenheit in Gerechtigkeit
von der Verbundenheit mit der Schönheit
von langem Atem fürs Leben֎֎֎
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Elba
(15.4.2018)
Zu wesentlichen Bestandteilen des Kampfes gegen die mächtigen Verbrecher unserer Zeit gehören die Wahrnehmung der Schönheit und der Erhalt der Lebensfreude.
Wenn ich die Augen schließe
spüre ich die Morgenröte auf meinen Lidern
schmecke das Salzige in der Brise
lausche dem Gespräch der Möwen
berühre die Wellen des Mittelmeeres
liebkose die aufgehende Blumenlandschaft
denn du bist bei mir֎֎֎
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Frühling sei Dank
(12.4.2018)
mit herzlichem Dank Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam gewidmet
Nicht selten stelle ich fest
dass mit wissenschaftlichen Vorgehensweisen gut vertraute Menschen
sich wie geistige Analphabeten verhalten
wenn es sich um gesellschaftliche Fragestellungen handelt
Das ruft bei mir abhängig von dem jeweiligen Zusammenhang
Bedauern, Wut, Angst, Ekel
tiefe Trauer und Verzweiflung hervor
Glücklicherweise besteht noch die Möglichkeit
zum Erhalt meines Gleichgewichts
von meiner Mutter Erde tröstende Wärme
und aufbauende Unterstützung zu empfangen֎֎֎