Kategorie: Gedichte

  • Beiträge zur Lesung „Gärten“, BDSÄ-Kongress Mai 2016

     

    Im Gras vor der alten
    kleinen Kirche
    blühen Schneeglöckchen
    Kokitche werden sie
    in Bulgarien genannt

    Sie sind weiß wie
    die Lilie die
    der Engel
    der Jungfrau reichte

    Weiß
    wie Schnee
    wie die Milch
    der Mutter

    Drei Blütenblätter
    umfassen den Becher
    der sich zur Erde neigt

    Drei
    wie Vater Mutter und Kind
    wie die Frau
    die gleichzeitig auch
    Mutter und Tochter ist

    Eine Dreiheit
    wie Vater Sohn
    und Heiliger Geist

    Wo sind deine drei
    anderen Blütenblätter
    verborgen?

    Wohin sind sie verschwunden?
    Oder wem
    hast du sie geschenkt?

    Helga Thomas

    20.2.2016

     

    Nachtrag vom 2.3.16:

    Ich schenkte sie dem Künstler
    der sie zum Becher schuf
    zum Abbild des
    Heiligen Gral
    versteckt
    in der Mitte der Drei

    Das Schneeglöckchen dankt
    der Wärme
    dem Licht
    indem es sich öffnend
    sich nieder zur Erde neigt

    Vielleicht
    sagt es dem Schnee
    dass er das Tauen
    nicht fürchten muss
    Freude wird ihn erfüllen
    wenn Tropfen um Tropfen
    er sich löst

    Freude wird auch die Erde erfüllen
    denn das Schneeglöckchen versprach:
    ich werde dir schenken
    was jetzt in mir wächst

    13.2.2016

     

     

    Als Kind sprach ich
    als ich noch nicht sprechen konnte
    mit den Blättern im Wind
    mit dem im Baum verborgenen Gesicht
    das dem Gesicht der Mutter glich
    und in manchen Nächten
    zum Mond heimgekehrt war

    Als Kind ging ich
    spazieren im Garten
    mit Wunderbäumen
    und Zauberblumen
    die ich mir selbst erschaffen habe

    Als Kind liebkoste ich
    mein kleines Tier im Arm
    das meinen Schlaf beschützte
    und am Tage nur ein Bettzipfel schien

    Als Kind war das mein Alltag
    und heute fühle ich mict glücklich
    und meine es ei ein besonderer Tag
    wenn es mir wieder gelingt

     

    Copyright Dr. Helga Thomas

     

     

     

  •  

    Wenn in herbstlichem Schweigen jedes Lachen stirbt
    Und kein Schnee als gnädiges Leichentuch das Namenlose verdeckt –
    Wird Passion zum Advent.
    Dann wandeln sich gefrorene Rosen in Christusblüten.
    Der Sturm trägt mit den toten Blättern
    Die letzten Zweifel fort
    Und gibt die neuen Knospen frei.
    Bleierne Wolken künden den Märzschnee
    Und im Feuer der steigenden Wasser
    Glüht österliches Weiß.

  • Diese Texte trug Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vor in der Lesung über Bremer Stadtmusikanten“ (Moderation Helga Thomas)

    Tagfreier Tag

    Herr Wennemann klappt den Kalender auf
    und sieht, dass in des ganzen Jahres Lauf
    sich ein Gedenktag an den andern drängt,
    auf manche Tage eine Vielzahl zwängt.
    Just siebenhundertfünfundvierzig Tage
    fand Wennemann, und das sind schliesslich sage
    und schreibe reichlich zwei pro Tag im Schnitt.
    Zählt man jedoch nur die globalen mit,
    so findet man zweihundertfünfzehn Treffer –
    für eine Jahressuppe reichlich Pfeffer.
    Es finden sich dabei ein Tag des Lachens
    sowie ein Tag des Musik-selber-Machens,
    ein Tag des Kusses und ein Tag der Huren
    wie gleichfalls der Versöhnung mit den Buren,
    die Deutschen retten einmal die Kastanien,
    am zweiten Mai denkt an Madrid ganz Spanien,
    die Toiletten ehrt man im November,
    die Anti-Korruption dann im Dezember,
    dann wieder widmet man sich dem Tourismus
    beziehungsweise schließlich dem Autismus.
    Gesundheit allgemein sowie der Zähne
    entdeckt man alsbald neben Handhygiene,
    am siebten März Gesundernährung steht,
    am sechsten Mai dagegen Anti-Diät.
    Psoriasis und Leber, Niere, Herzen,
    sowie auch Rheuma, Lepra, Krebs, Kopfschmerzen
    erhalten einen eignen Tag als Bonus,
    desgleichen Brailleschrift und Hypertonus.
    Knapp fünfzig aller Denktermine hangen
    allein an medizinischen Belangen.
    Doch dann fand Wennemann noch unbenutzte
    zweiundsechzig Tage, und er stutzte.
    Er rief den Aberach, das Glück zu teilen.
    Sie proklamierten ohne zu verweilen
    den Tagefreien Welttag und fixierten
    als Jahresdatum Monat März, den vierten.
    (26.02.2013)

    Schweinerei

    Verwunderlich, verwunderlich,
    wie Menschen oft beschimpfen sich
    mit den Namen ihrer besten und nützlichsten
    Freunde aus dem Tierreich:
    Schwein, Hund, Esel, Ochs.
    Weit schlüssiger würde es sein,
    beschimpfte ein Schwein ein anderes Schwein –
    ein ganz besonders bösartiges Schwein:
    Du Mensch!
    Doch davon kenn ich keinen Bericht,
    denn solche bösen Schweine gibt’s nicht.
    (02.11.2014)

    Bremer Stadtmusikanten

    Die Stadtmusikanten von Bremen,
    getrieben von argen Problemen,
    sie fassten den Plan und sie gingen
    gen Bremen, um dorten zu singen.
    Doch schon auf dem Wege nach Stunden
    war ihre Misere verschwunden,
    auch ohne die Stadt zu erreichen.
    Was lehrt uns nun das und dergleichen?
    Erlangen wir oft auch im Leben
    nicht das, was wir eifrig erstreben
    und lässt sich nicht alles erklimmen,
    so gilt doch: die Richtung muss stimmen!

  • Diese Texte hat Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress in Bremen 2015 vorgetragen in der Lesung „Schiff-Fisch“ (Moderation Jürgen Rogge)

    Memorandum eines Wassertropfens

    Halt!
    Bevor du mich trinkst
    oder wegspülst
    sieh mich an
    mich
    den kleinen wassertropfen
    Von weit komme ich her
    aus einem fernen ozean
    stieg ich empor
    flog hoch über meere und inseln
    und kontinente
    regnete nieder auf berge
    sickerte durch gestein
    wusch höhlen
    und trug das mineral
    für tropfstein und sinterbecken
    so schön dass maler nicht
    aufhören sie zu bejubeln
    auch üble gifte
    lud man mir auf
    die ich mühsam in
    sandschichten ablegte
    manches rad drehte ich
    für dich auf meinem weg
    manches schiff trug ich zu dir
    brot liess ich dir wachsen
    ich reinigte dich und dein haus
    in adern floss ich und tränen
    ich habe deinen zorn befriedet
    im rauschen des baches und des meeres
    im sommer gab ich dir kühlung am fluss
    Sieh mich an
    bevor du mich
    trinkst oder wegschüttest!
    (27.06.2010 Ždiar SK)

    phylogenese rückwärts

    früher war es besser
    sagte der primat
    und stieg vom baum der erkenntnis
    streckte sich wohlig in die waagerechte
    auf der besten matratze der saison
    und sprach
    es ist fast wie früher
    als ich ein fisch war
    im warmen meer
    (30.10.2012)

    Allein

    Ein Haus hat Ritzen und Ratzen,
    und oben, da flitzen die Spatzen,
    unter jedem Silbertischchen
    wohnt auch gleich ein Silberfischchen,
    von Fliegen und Mücken zu schweigen,
    die sirren und tanzen den Reigen.
    Da klagt doch so mancher, wie kann es nur sein,
    er wäre allein.
    (25.07.2013)

    Wennemanns neue Himmelsmechanik

    Wennemann erwacht
    mitten in der Nacht.
    Ein Gedankenblitz
    reisst ihn aus dem Sitz.
    Die Väter stritten grob,
    ob die Erde, ob
    sie eine Scheibe sei
    oder Kugel oder Ei.
    Alles eitler Tand,
    wie Wennemann jetzt fand.
    Vom Traum her mit dem Tubus
    erkennt er sie als Kubus
    mit Gebirgen an den Kanten
    vom Ural bis zu den Anden
    und mit Ebenen dazwischen
    und mit Seen drin zum Fischen,
    und mit Mooren und mit Torfen
    wird er täglich neu geworfen
    von des Schicksals Übermächten,
    von den guten wie den schlechten.
    Wennemann erklärt penibel,
    so erst würden uns plausibel
    die Wechselfälle der Geschicke,
    welche statt als Bahn als Knicke
    imponieren und im Leben
    wie auch sonst als Erdenbeben,
    wenn wieder mal und über Nacht
    der Würfel auf die Kante kracht.
    Aberach ist hochentzückt,
    endlich wird zurechtgerückt,
    was ihm bisher als ein Rätsel
    verschlungen schien wie eine Brezel.

  • Diese Texte trug Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vor in der Lesung über Bremer Stadtmusikanten“ (Moderation Helga Thomas)

    Tagfreier Tag

    Herr Wennemann klappt den Kalender auf
    und sieht, dass in des ganzen Jahres Lauf
    sich ein Gedenktag an den andern drängt,
    auf manche Tage eine Vielzahl zwängt.
    Just siebenhundertfünfundvierzig Tage
    fand Wennemann, und das sind schliesslich sage
    und schreibe reichlich zwei pro Tag im Schnitt.
    Zählt man jedoch nur die globalen mit,
    so findet man zweihundertfünfzehn Treffer –
    für eine Jahressuppe reichlich Pfeffer.
    Es finden sich dabei ein Tag des Lachens
    sowie ein Tag des Musik-selber-Machens,
    ein Tag des Kusses und ein Tag der Huren
    wie gleichfalls der Versöhnung mit den Buren,
    die Deutschen retten einmal die Kastanien,
    am zweiten Mai denkt an Madrid ganz Spanien,
    die Toiletten ehrt man im November,
    die Anti-Korruption dann im Dezember,
    dann wieder widmet man sich dem Tourismus
    beziehungsweise schließlich dem Autismus.
    Gesundheit allgemein sowie der Zähne
    entdeckt man alsbald neben Handhygiene,
    am siebten März Gesundernährung steht,
    am sechsten Mai dagegen Anti-Diät.
    Psoriasis und Leber, Niere, Herzen,
    sowie auch Rheuma, Lepra, Krebs, Kopfschmerzen
    erhalten einen eignen Tag als Bonus,
    desgleichen Brailleschrift und Hypertonus.
    Knapp fünfzig aller Denktermine hangen
    allein an medizinischen Belangen.
    Doch dann fand Wennemann noch unbenutzte
    zweiundsechzig Tage, und er stutzte.
    Er rief den Aberach, das Glück zu teilen.
    Sie proklamierten ohne zu verweilen
    den Tagefreien Welttag und fixierten
    als Jahresdatum Monat März, den vierten.
    (26.02.2013)

    Schweinerei

    Verwunderlich, verwunderlich,
    wie Menschen oft beschimpfen sich
    mit den Namen ihrer besten und nützlichsten
    Freunde aus dem Tierreich:
    Schwein, Hund, Esel, Ochs.
    Weit schlüssiger würde es sein,
    beschimpfte ein Schwein ein anderes Schwein –
    ein ganz besonders bösartiges Schwein:
    Du Mensch!
    Doch davon kenn ich keinen Bericht,
    denn solche bösen Schweine gibt’s nicht.
    (02.11.2014)

    Bremer Stadtmusikanten

    Die Stadtmusikanten von Bremen,
    getrieben von argen Problemen,
    sie fassten den Plan und sie gingen
    gen Bremen, um dorten zu singen.
    Doch schon auf dem Wege nach Stunden
    war ihre Misere verschwunden,
    auch ohne die Stadt zu erreichen.
    Was lehrt uns nun das und dergleichen?
    Erlangen wir oft auch im Leben
    nicht das, was wir eifrig erstreben
    und lässt sich nicht alles erklimmen,
    so gilt doch: die Richtung muss stimmen!

  • Diese Texte trug Eberhard Grundmann beim BDSÄ-Kongress 2015 in Bremen vor in der Lesung über „Fehler“ (Moderation Dietrich Weller)

    Das Böse

    ist nicht nur in der Welt,
    weil Menschen das Gute
    mit falschen Methoden und fehlerhaft
    anstreben
    oder
    ihren Trieben unterliegen.
    NEIN.
    Das Böse ist auch ganz wesenhaft
    in der Welt
    und besetzt gleich einem Dämon
    einzelne Seelen,
    die dann das Böse
    gern tun,
    planvoll,
    mit Freude
    und mit Lust.
    (22.03.2008)

    Fahrradreparatur oder der wiedergefundene Glaube an die Menschheit

    Wennemann hat einen Fahrradschaden.
    Damit geht er in den Fahrradladen.
    Dort wird er auf’s freundlichste empfangen
    und der Fehler sofort angegangen
    sowie weit’re drei gleich mit behoben.
    Wennemann kann nur den Meister loben.
    Auch die Rechnung fällt sehr milde aus,
    und der Kunde zieht den Schluss daraus,
    dass die Menschheit noch nicht aufgegeben,
    wenn so gute Menschen in ihr leben.
    Aberach jedoch, der will erst hoffen,
    wenn er diese guten Leut’ getroffen
    unter Direktoren und Regenten,
    unter Bänkern und sonst Hochpotenten –
    zwar gäb’s unten Menschen ohne Tadel,
    oben aber fehle es am Adel.
    (23.01.2013)

    trug

    nichts ist wie es scheint
    keiner sagt was er meint
    falsch flagge gehisst
    nichts scheint wie es ist
    kaum einer wagt
    zu meinen was er sagt
    man redet gern klug
    doch vieles ist trug
    es gibt sich gern gross
    was eigentlich bloss
    ganz klein und gemein –
    wird’s immer so sein?
    (12.08.2013)

    Andere Welt

    Wir hätten oft besser getan, was wir liessen
    und hätten gelassen das, was wir getan.
    Wir wären in manchen persönlichen Krisen
    viel lieber der Nachbar von nebenan.
    Wir lebten, wenn die Probleme sich breiten
    und wenn schon wieder alles verfällt
    doch lieber in gänzlich anderen Zeiten,
    am besten in einer anderen Welt.
    (10.10.2012 0400 Maillat F)

    Das Glück aller Völker

    Gewaltsame Völkerbeglückung
    heißt hinten immer –ismus.
    Vorn heißt sie unterschiedlich
    und belanglos.
    Sie funktioniert stets zuverlässig
    und auf die selbe Weise.
    Sie erreicht immer
    ihr Gegenteil.
    (22.04.2007)

    Jein

    Für die binäre Welt
    des Null oder Eins,
    Ja oder Nein,
    Ent oder Weder
    ist der Mensch nicht gemacht.
    Er will
    Sowohl als Auch,
    Wäsche ohne Nässe,
    Monogamie aber mit mehreren,
    Wohlstand ohne Mühe,
    alles essen und schlank bleiben,
    langes Leben ohne Alter,
    Überraschung, aber nur
    durch das, was er schon kennt.
    (25.06.2007)

    Koordinaten

    Ein Netz von Koordinaten
    werfen wir über die Welt,
    den Weg zu finden.
    Doch Netze sind Netze
    und nicht der Inhalt.
    Es gibt den ehrenhaften Ganoven
    und den kriminellen Edelbürger,
    den törichten Intellektuellen
    und den Klugen ohne Bildung.
    Den traurigen Clown gibt es
    und den zufriedenen Hypochonder,
    den Sieger, der alles verliert
    und den Besiegten im Glück.
    Nur ein kaltes Herz, das liebt, gibt es nicht.
    (11.01.2008)

    Farbenblind

    Manche sehn, und sei’s ein lichter Quarz,
    alle Dinge auf der Welt nur schwarz.
    Andre sehn, und dieses exklusiv,
    nur schwarz / weiss ein jegliches Motiv,
    wieder andere behaupten schlau,
    letzten Endes sei doch alles grau.
    Dieses können jene nicht verstehn,
    die nur durch die rosa Brille sehn,
    und auch der hat seine liebe Not,
    der voll Zorn bekennt: Ich sehe ROT!
    All den Vorgenannten hilft es nicht,
    gibt mal einer ihnen grünes Licht,
    selbst die blaue Blume bleibet fremd
    so wie Veilchen und ein gelbes Hemd
    oder alles, was orange erscheint
    wird von ihnen einfach nur verneint.
    (06.11.2009)

  • Diese Texte wurden beim BDSÄ-Kongress in Bremen 2015 in der Lesung  über Erotik (Moderation Horst Ganz) vorgetragen

    Wölländischer Spruch 3.1

    Jeder will etwas anderes:
    Der Mann die Frau.
    Die Frau das Kind.
    Das Kind das Leben.                                                  

    XY

    Anfangs war das Leben prall und rund,
    rund und prall und drall und ganz gesund,
    bis es eines Abends sich besann:
    „Scheinbar komme ich nicht recht voran.

    Ich will mich morgen dividieren
    und besser so getrennt marschieren,
    um endlich dann nach ein paar Tagen
    mit mehr Fortüne zuzuschlagen.“

    Es tat sich nun, um Streit zu meiden,
    zwei Lose aus den Rippen schneiden:
    Das X, das bleibt daheim beim Feuer,
    und Ypsilon sucht Abenteuer.

    Hin und wieder aber müssen
    sie sich wiederseh’n und küssen.
    Folgerecht im Lauf der Jahre
    steigt die Zahl der Exemplare.

    Teilung hat jedoch auch ihren Preis,
    mancher Rosenkrieg ist der Beweis.
    So gesehen lebt sich’s auch zu zweit
    zwischen Einigkeit und Widerstreit.

    (15.03.2008)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.9.

    Jeder ist so stark wie sein schwächstes Glied.            

    Adam

    Ach, wie hatte es doch Adam leicht!
    Nur ein einzig Weib stand ihm zur Wahl,
    und das hat ihm völlig ausgereicht.
    Heut’ dagegen wird die Wahl zur Qual.

    Ja, die Auswahl ist fürwahr erdrückend,
    dicke gibt es, dünne, kleine, grosse,
    alle sind sie irgendwie entzückend –
    wem jedoch gebührt am End die Rose?

    Gar kein Wunder, dass die Männer schwanken,
    und wenn sie der einen sich verbunden,
    nach der andern suchen in Gedanken:
    Jäger können nur durch Jagd gesunden.

    Weh, doch wehe, wenn der Frauen eine
    von dem Wahlrecht selber macht Gebrauch:
    au, die Herren werfen sofort Steine
    ganz wie manche von den Damen auch.

    (10.08.2001)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.10.1

    Nicht jede Bluse verspricht, was sie hält.                          

    Wer kennt Ernst?

    Frauen
    kennen ihn.
    Nur Frauen.
    Sie haben ihn
    sich nicht
    ausgesucht.
    Er kommt über sie.
    Der Ernst
    des Lebens.
    Männer
    spielen.

    (08.03.2003 Wippra)                                                

    Wölländischer Spruch 3.10.2

    Nicht jede Bluse hält, was sie verspricht.                          

    Überbau und Unterbau

    Dein Geist soll bis zu hohen Jahren
    sein Licht und seine Kraft bewahren,
    wie andrerseits dein Unterleib
    auch immer froh und munter bleib!

    (21.12.2007)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.76.

    Ich bin immer wieder erstaunt, wie hübsch die Evolution Eizellen verpacken kann – und manchmal auch Spermien. (14.12.2014)                                                                                     

    Biochemie

    Zwar gibt es Lieb auch ohne
    das Zutun der Hormone
    – zum Beispiel die platone –
    doch die Natur-Matrone
    verlässt sich nicht die Bohne
    auf diese Art Ikone.
    Bei ihrem Drang zum Sohne,
    zur Tochter gleicher Weise,
    benutzt sie still und leise
    Chemie zur sichren Reise,
    fährt gut auf diesem Gleise –
    fahr mit, dann bist du weise.

    (17.02.2007)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.51.

    Nicht alles
    hängt am Phalles.
    Doch steht und fällt
    mit ihm die Welt.

    (03.02.2007)                                                                                            

    Dem Trieb

    Dem Trieb
    geht’s einzig um’s Prinzip.
    Wisse drum, mein Sohn,
    er acht‘ nicht der Person.
    Bei Bedarf ist er zur Stell
    und also universell.
    Drum widme ihm dein Denken,
    um manierlich ihn zu lenken.

    (16.03.2008)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.58.

    Männer können Frauen nicht verstehen. Aber begreifen. (27.5.2007)                    

    Im Nacktbad

    Den Säugling in Manne begrüsste
    die Vielzahl verschiedener Brüste.
    Ich bekenne ganz ohne Geziere:
    Männer sind Säugegetiere.

    (2009)                                                                      

    Wölländischer Spruch 3.66.

    Den Hafen der Liebe findet man selten durch Liebe im Hafen. (01.02.2011)          

    Verführung

    Einst vor vierzig Jahren,
    als wir jung und lustig waren,
    in jener milden Sommernacht,
    haben heimlich wir gedacht,
    was vielleicht jetzt noch passiert,
    wenn eins das andere verführt.

    Nach einer Runde um das All
    stellt sich heut ein andrer Fall.
    Im Stillen denkt die Frau, der Mann,
    was sie, was er nun nicht mehr kann,
    doch dass sie richtig einst wie jetzt
    die Tat durch die Option ersetzt.

    (04.10.2009)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.21.

    Wo kämen all die schönen Homos her,
    wenn jeder Mensch ein Homo wär. (20.05.1998)         

    Fernkuss

    Eben noch auf deinem Mund,
    flog sie, und das, weil sie muss,
    flog die Fliege hierher und
    brachte zu mir deinen Kuss.

    (02.07.2010)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.54.

    Gehn die Dinge gar zu glatt,
    hat man sie recht bald schon satt.
    Es gilt ohne Übertreibung:
    Selbst Liebe braucht die Reibung. (17.02.2007)            7

    Antrag

    Er halte, sagte er,
    um ihre Hand an.
    Dabei hatte er diese
    am wenigsten im Sinn.

    (08.08.2011)                                                            

    Wölländischer Spruch 3.42.

    Verachte nicht die Früchte des Unterleibes. Du bist selber eine. (07.02.2007)        

    Wölländischer Spruch 3.40.                                     Zugabe

    Männer und Frauen werden zu Männern und Frauen erst durch Frauen und Männer. (10.06.2002)

  • Diese Gedichte wurden vorgetragen bei der BDSÄ-Jahrestagung 2015 in Bremen in der Lesung mit dem Thema „Fehler“

     

    Hymne an den Stacheldraht 

    Stacheltier, du ausgerolltes
    Borstenvieh, du ungewolltes,
    von Tyrannen festgenagelt,
    dir sei jetzt ein Lied spektakelt!

    Von dem Volk, das du umfasst,
    von dem Volke, das dich hasst,
    von dem Land, das du umringst
    und in deinen Kerker zwingst.

    Wer kann deine Stachel zählen,
    die Millionen Menschen quälen,
    die Millionen tiefe Wunden
    in das Menschenherz geschunden?

    Magst du wie ein Tiger beißen
    und die Welt in Stücke reißen.
    Magst du deine Zähne wetzen
    und uns das Gedärm zerfetzen.

    Wie bestialisch du auch bist!
    Wie der Rost dein Eisen frisst,
    frisst der Freiheitshunger auch
    dich in seinen großen Bauch.

    Blumen um die Stirn der Braut,
    Schellen um die Hand, die klaut,
    und um den Tyrannenstaat
    Stacheldraht, Stacheldraht. –

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother,  1970

     

    Heinrich Heine Herbst 1989 in Leipzig

    1. Der 9. Oktober

    Im traurigen Monat Oktober war’s,
    die Tage wurden trüber,
    Paris hört’ grad mit Feiern auf,
    da fuhr ich nach Leipzig hinüber.

    Was dort zweihundert Jahr’ vorbei,
    hier war es aktueller.
    Der eingelullte Weltenlauf
    ging plötzlich wieder schneller.

    Zwar Tyrannei, vergreist und stur,
    sprach noch mit schriller Stimme
    von 40 Jahren DDR
    voll Stolz, und auch im Grimme

    Über ein zweites deutsches Land,
    durch das ich grad gereiset,
    und wo ich mich sehr wohl befand
    und auch recht gut gespeiset.

    Da spielten Siebzigtausend dann
    am Abend Ringelreihn
    und schlossen, wie im Kinderspiel,
    die alte Staatsmacht ein.

    Viel schöne Sprüche hört’ ich sie
    im Chore laut zitieren.
    Auch auf Bettlaken standen sie.
    Ich werde sie notieren

    Und wenn ich wieder in Paris,
    daraus ein Epos machen,
    worüber hoffentlich sodann
    allhier die Leute lachen.

     

    1. Stasi

    Ja, sie sind unverkennbar froh,
    auch wenn sie noch im Drecke,
    doch ihre Fröhlichkeit verfliegt
    an jener „runden Ecke“,

    An Leipzigs Reichskanzlei, in der
    sich jene tief verschanzten,
    die als Staatssicherheit  frech auf
    des Volkes Nase tanzten.

    Hier, schwer bewaffnet, lagen sie
    der Freiheit auf der Lauer,
    rund vierzig Jahre war ihr Bau
    ein Monument der Trauer.

    Dann kam das Wunder: Tausendfach
    Kerzen in bloßen Händen
    räucherten  die Tschekisten aus,
    konnten den Spuk beenden.

     

    1. Die Elster

    Die Weiße Elster ist ein Fluss,
    einst Leipzigs Wasserstraße.
    Ihr Wasser ist jedoch ganz schwarz
    und fährt mir in die Nase.

    Hätte sie 1813 schon
    so mörderisch gestunken,
    Napoleons Heer wär’ schnell gefloh’n
    und nicht in ihr ertrunken.

    Aus Schaum war Venus einst gebor’n,
    die Muse meiner Lieder.
    In diesem Chemikalienflaum,
    ich glaub, da stirbt sie wieder.

    Im Munde knirscht’s, ich spucke aus,
    die Spucke schwimmt zur Elbe
    und schwimmt durch Ost- und Westdeutschland,
    als wär’ es schon dasselbe.

    Ja, sicher wird es das, sie zanken
    nicht mehr um eine Grenze
    im Elbelauf  bei Magdeburg,
    nein, sie wird deutsch zur Gänze.

     

    4. St. Nikolai

    Den Spott über den Kölner Dom,
    den muss ich schnell vergessen,
    seit ich am Montagabend in
    Sankt Nikolai gesessen.

    Was mir zu Köln noch Zwingburg schien,
    des Geists Bastille und Kerker –
    hier macht die Kirche Menschen frei,
    gewitzt, furchtlos und stärker.

    Nach dem Gebet begann sie hier,
    die große Prozession,
    und nahm von hier den Siegeslauf,
    die Revolution.

    Dank unsern Glaubensbrüdern, die
    Sowjetbürger beglückten,
    indem sie Bibeln tonnenweis’
    ins Erbreich Stalins schickten!

    Ihr ließet euern Opfermut
    im Westen nie erkalten
    und habet auch den Menschen hier
    manch Kirchenbau erhalten.

    Erschreckt nicht vor der neuen Pflicht,
    sie noch zu unterstützen.
    Die Leute hier bedanken sich
    mit Kommunistenwitzen.

     

    Copyright Prof. Dr. Paul Rother

     

     

     

  •  

    Wach auf und habe schlecht geträumt.
    Steh auf und denk doch positiv.
    Der Tag ist trüb. Ich werde schneller,
    doch besser wird die Laune nicht.
    Trotz Kaffeeduft und einer Dusche,
    die Lebensgeister bleiben schwach.
    Ich werde so nicht richtig wach.
    Das Telefon, ich ahn es schon,
    im Briefkasten ist Ärger drin.
    Der Pegel ist jetzt besser.
    Zum Kampf bereit,
    mal wieder Streit.
    Ich möchte heute einfach Frieden,
    nur auf dem Sofa liegen.
    Mein Selbstmitleid, es fließt dahin.
    Ich frage nach des  Lebens Sinn.
    Wie war das Leben schlecht zu mir.
    Heut weiß ich es genau.
    Bin auch nur eine Frau.
    Ich fühl und heul so vor mich hin.
    Wo komm ich her, wo geh ich hin?
    Steh einfach auf dem Kopf.

     

    Copyright Dr. Uta-Christine Breitenstein

    aus dem Buch Alles hat seine Zeit, deutscher lyrik verlag

  •  

    Ich möchte gern ein Engel sein,
    aus hellem, reinem  Licht,
    der leicht und klug
    und duftend zart
    alle Körperlichkeit durchbricht
    und schweben kann durch Raum
    und Zeit.

    Des Menschen Schmerz, die Scham,
    das Leid, des Alters wahre Grausamkeit,
    das hat er überwunden
    und weint mit uns,
    denn wir lernen nicht,
    uns besser bei zu stehen.

     

    Copyright Dr. Uta-Christine Breitenstein

    aus dem Buch Alles hat seine Zeit, deutscher lyrik verlag