Schlagwort: Medizin

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    Ich fühle mich gesund, und ich kann alles tun, was ich immer gemacht habe.

    Naja, ich bekomme schon mal eher etwas Luftnot, wenn ich zu schnell laufe. Und früher habe ich die Zähne gezählt, die mir so nach und nach ausfielen, heute zähle ich die, die noch meine eigenen sind.

    Aber Pillen jeden Tag, nein, die muss ich nicht nehmen. Habe ich gedacht, bis mir eines Tages meine Krankenkasse schrieb, die gar keine Krankenkasse ist, sondern eine Gesundheitskasse.

    Sie wollten wissen, ob ich denn schon zum Gesundheit-Check gewesen wäre. Na, ich kannte nur den Check von der Sparkasse. Dass das einen Check für die Gesundheit gab, wusste ich gar nicht. Ich habe dann angerufen bei der Gesundheitskasse und sie sagten, dass das alles in Ordnung wäre. Ich solle mir keine Gedanken machen, checken soll heißen, ich soll mich beim Arzt untersuchen lassen. Das hab ich dann meiner Edith zu erklären versucht und dass die Kasse und die Bank noch nicht fusioniert hätten, von wegen Check und so.

    Nun ja, ich bin also hin zum Doktor. Er sagte gleich, dass er 15 Minuten Zeit für die Untersuchung hätte. Ich solle mich oben herum ausziehen und mich dann hinlegen.

    Als ich fragte, ob ich die Schuhe ausziehen soll, rief er mit einem Grauen in der Stimme: „Nur das nicht!“

    Beim Ausziehen stellte er mir Fragen.

    Ob ich rauche. Nein, nur eine Zigarre in der Woche und mal eine Pfeife. Und wie viel ich trinke. So zwei Flaschen Bier am Abend, auch mal drei, wenn meine Edith eingeschlafen ist auf der Couch.

    Ob ich genug Wasser trinke. Nein, das ist ja wohl für Pferde und Rinder. Ob ich mich nur mit meiner eigenen Frau befasse oder auch mit anderen? Ich fragte: „Die letzten zehn Jahre oder überhaupt?“ Der Doktor kratzte sich am Kopf: „Sagen wir mal die letzten zehn Jahre“. Da nickte ich.

    Und er wollte wissen, ob ich genug Bewegung hätte und ob ich etwas für mein Denken täte. Da nickte ich auch.

    Und ob ich beim Wasserlassen mehr als eine Minute brauchte, von wegen der Prostata. Ich nickte wieder.

    Inzwischen hatte ich mich hingelegt. Der Doktor nahm die Taschenlampe und hielt sie mir vor das Gesicht. Ich machte den Mund auf und er sagte zu mir: „Komisch, ich will zuerst in die Augen leuchten, aber jeder reißt gleich den Mund auf“.

    Dann wollte er wissen, wann ich das letzte Mal beim Augenarzt war, von wegen des Augendrucks. Ich war noch nie in meinem Leben beim Augenarzt. Aber einmal im Jahr soll man doch den Augendruck messen lassen. Na, er würde mir eine Überweisung geben. Das Messen müsste ich aber selbst bezahlen.

    Dann guckte mir der Doktor in die Ohren. Das Trommelfell war nicht zu sehen vor lauter Schmalz. Das sollte ich mir beim HNO-Doktor raus machen lassen, dann könne ich auch wieder besser hören.

    Nun war der Blutdruck an der Reihe und dann wurden Lunge und Herz abgehört. Beim Herzen guckte er so, fühlte meinen Puls, schrieb etwas auf, sagte aber nichts.

    Danach griff er mir auf den Bauch und auf die Leber. „Die Leber ist etwas zu groß, wahrscheinlich zu fett. Ist ja auch kein Wunder bei dem Bier und dem Übergewicht. Ihr BMI ist 27.“

    „Mein was?“

    „Ach so, BMI, Body-Maß-Index, heißt soviel wie: Für ihr Gewicht sind Sie zu klein.“

    Im Sitzen schlug er mir auf einmal mit der Faust in die Nieren. „Na, das hat wohl wehgetan, tja, das sind die Nieren. Das kriegt der Nephrologe raus,  vielleicht auch der Urologe. Da müssen Sie sowieso hin, wegen der Prostata. Ich gebe Ihnen für jeden eine Überweisung, auch gleich für den Orthopäden.“

    Dann konnte ich mich wieder anziehen und hinsetzen. So gründlich in so kurzer Zeit, dachte ich, hat mich ja noch nie im Leben jemand untersucht. Aber das wird daran liegen, dass ich nicht krank bin.

    Der Doktor guckte mich an: „Das mit dem Übergewicht kriegen wir rasch in den Griff. Sie essen keinen Kuchen mehr, trinken ein Bier weniger und machen ein wenig Sport.“

    Ich nickte und dachte, dass ich mich auf den Kuchen doch schon freue, wenn ich mich zum Mittagsschlaf hinlege.

    Der Doktor: „Was mir Sorgen macht, ist der Herzschlag. Der Puls ist mit 90 in einer Minute zu hoch. Jeder Mensch hat nur eine bestimmte Anzahl Pulsschläge für sein Leben mitbekommen. Wenn die Schläge verbraucht sind, ist der Mensch tot. Wenn wir nun den Pulsschlag auf, sagen wir mal 80, herunterbekommen, können Sie vielleicht fünf Jahre länger leben als jetzt. Sie müssten also eine Pille nehmen, damit das Herz langsamer schlägt, aber vorher schicke ich sie noch zu einem Spezialisten, zum Kardiologen.“

    Hm, dies war ja nun was. Ich soll eine Pille nehmen.

    „Hat die denn auch Nebenwirkungen?“

    „Meistens nicht. Aber es kann sein, dass Sie müde werden, jedenfalls mehr als sonst.“

    „Das heißt, ich schlafe dann mehr?“

    „Ja.“

    „Dann lebe ich also länger, aber schlafe mehr? Dann habe ich ja gar nichts von dem längeren Leben?“

    „Doch, Sie erleben doch länger etwas, wenn auch für kürzere Zeit. Denken Sie doch einmal darüber nach. Hier sind erstmal sechs Überweisungsscheine. Wenn Sie bei allen Ärzten gewesen sind, kommen Sie wieder her.“

    Clever ist der Doktor, dachte ich. Schickt mich zu seinen Kollegen, damit ich überall die Extras bezahlen kann, und die schicken wieder Patienten zu ihm, damit sie die Akupunktur, die er macht, bei ihm bezahlen.

    Ich stand auf und fragte: „Abgesehen von der Müdigkeit, haben die Pillen noch andere Nebenwirkungen?“

    „Na ja, es kommt schon mal vor, dass die Potenz beeinträchtigt ist?“ „Und was mache ich dann?“

    „Dann nehmen Sie ein Potenzmittel. Viagra oder etwas anderes.“ „Dreimal eine?“

    „Um Gottes Willen. Nur eine Einzige und auch nur bei Bedarf.“

    „Warum muss man denn damit so vorsichtig sein?“

    „Weil man die überhaupt nur nehmen darf, wenn das Herz in Ordnung ist und der Pulsschlag nicht zu hoch!“

    Als ich an diesem Tag nach Hause kam, fühlte ich mich irgendwie ein wenig krank. Ich ging in die Küche und trank erst einmal ein Bier. Dann aß ich das Stück Kuchen von nachmittags auf, steckte mir eine Pfeife an und holte den Eierlikör, den meine Frau so gerne trinkt, aus der Kammer. Danach goss ich mir einen Kognak ein und sagte zu meiner Edith: „Heute machen wir uns einen richtig schönen Abend.“ Und das haben wir auch getan.

    Nachts habe ich dann geträumt, dass der Doktor mir mit den Akupunkturnadeln in die Prostata gestochen hat. Und meine Edith hielt dabei die Taschenlampe, während die Frau von der Gesundheitskasse einen Check für den Augenarzt ausschrieb, der meinen Kuchen aß.

    Und ich habe die dreieckige Pille, ganz blau war sie, in den Eierlikör geworfen, der dann grün geworden ist. Mein Puls war auf sechzig Schläge pro Minute herunter, und ich war so müde, dass ich länger schlief als ich gelebt habe.

     

     

  • BDSÄ-Kongress in Bad Herrenalb,

    Mein Beitrag zur Lesung Nach 50 Jahren,

    1. Juni 2019, Moderator Klaus Kayser

     

    Vor 50 Jahren

    … im Sommersemester 1969 war ich nach bestandenem Physikum mit meinen drei Freunden aus unserer Prüfungsgruppe in Wien. Das hatten wir uns vorgenommen als Belohnung für den Erfolg. Natürlich immatrikulierten wir uns zum Medizinstudium und nützen die günstigen Bedingungen aus: In vielen Instituten und Kliniken musste man sogar zweimal erscheinen: das erste Mal zum Einschreiben in einen Kurs und das zweite Mal zum Abholen des Scheins, der unsere erfolgreiche Teilnahme bestätigte. Auf diese Weise habe ich neun Scheine erworben. Ich war sogar in einigen Vorlesungen, wenn es in der Nacht vorher nicht zu spät geworden war.

    Dabei sind mir ein paar beeindruckende Stunden mit dem berühmten Prof. Asperger in Erinnerung, diesem weltberühmten Kinderarzt, der besonders den Insel-Begabungen unter den Kindern seinen Namen gegeben hat: das Asperger-Syndrom. Ein großer, sehr schlanker Mann, dessen äußere Erscheinung sofort an ein Marfan-Syndrom erinnert. Seine feine Art, mit Kindern umzugehen, und seine eindringliche Vortragsweise sind mir immer noch gegenwärtig.

    Ich weiß auch noch, wie der Gerichtsmediziner detaillierte Fotos eines geschlachteten Kindes zeigte – ja, geschlachtet! Das ist kein Wortfehler! Ein Metzgergeselle hatte ein Kind getötet und dann sorgfältig alle Glieder in den Gelenken voneinander getrennt. Zynischer Kommentar des Dozenten: „Also das muss man ihm lassen: Sein Handwerk hat er verstanden!“

    Mein eigentliches Studienziel habe ich erst in Wien richtig erkannt, nachdem mir klar wurde, dass in diesem Sommersemester 1969 die Wiener Festwochen und 100-jähriges Ballettjubiläum gefeiert wurden. Ich beschloss, den ganz großen Konzert- und Opern-Schein zu machen. Da war ich sehr fleißig und konsequent. Mein Tagebuch zeigte mir am Semesterende, dass ich jeden Abend in einem anderen Konzert oder einer anderen Opernvorstellung war, manchmal auch im Theater. Oft auf den Stehplätzen. Aber ich war dabei.

    Von fast allen Mozart-Opern, die ich hörte, blieb mir die eine Szene in lebhafter Erinnerung: Cesare Siepi als Don Giovanni schmetterte eine laszive und von Testosteron strotzende Champagner-Arie.

    Ich erlebte alle Strauß-Opern. Besonderer Moment: Die Elektra von Birgit Nilsson mit ihrer voluminösen und dramatischen Stimme! Sie riss das Publikum so in ihren Bann, dass sogar die feinen High-Society-Damen nach der Vorstellung so frenetisch im Takt klatschten und „Nilsson, Nilsson!“ schrien und ihnen dabei die Nerzstolen (im Hochsommer!) von den Schultern fielen!

    Bei einem vollständigen Zyklus aller 32 Beethoven-Klaviersonaten an acht Abenden, gespielt von Friedrich Gulda, der in diesem Sommer den Beethoven–Ring bekommen sollte und ihn ablehnte, war ich fasziniert von der feingliedrigen und doch zupackenden Virtuosität und Vielseitigkeit des Spiels. Ich hatte mir die Noten als Taschenpartitur gekauft und las über lange Strecken mit. Gulda kombinierte an jedem Abend frühe, mittlere und späte Sonaten. Das machte die Entwicklung der Werke deutlich. Bei den Dreingaben teilte sich manchmal das Publikum in die Konservativen und die Progressiven. Denn Gulda wagte es, als Dreingaben auch Jazz zu spielen. So auch an einem Abend, als nach der letzten späten, geradezu heiligen Sonate noch einen seiner Boogie-Woogies in den Flügel hämmerte. Das war der fetzigste und mitreißendste Boogie-Woogie, den ich bis heute gehört habe. Das Publikum reagierte gespalten. Die eine Gruppe, zu der ich gehörte, jubelte und applaudierte, und das umso lauter, je mehr die anderen Zuhörern buhten, weil sie diesen Stilbruch als unentschuldbaren Affront empfanden. Auch die Presse am nächsten Tag war geteilter Meinung.

    Eines der größten Erlebnisse war für mich, am Ostermontag in einer Matinee im Wiener Musikvereinssaal die Missa solemnis von Beethoven zu hören. Leonard Bernstein dirigierte die Wiener Philharmoniker, das Gesangsquartett bestand aus Gundula Janowitz, Christa Ludwig, Walter Berry und Waldemar Kmentt. Die Wucht der Musik, die grandiose Interpretation und Bernsteins elastisch-begeisterten Sprünge auf dem Podium waren mitreißend und werden mir für immer wie ein Film im Gedächtnis bleiben.

    Die Namen, die ich mit diesem Wien-Aufenthalt verbinde, lesen sich wie ein Lexikon der Musikgrößen: Horst Stein, der neue Generalmusikdirektor des Hauses, und Josef Krips dirigierten in der Oper. Karl Böhm eröffnete mir die Gurre-Lieder und Verklärte Nacht von Arnold Schönberg. Otto Klemperer versank in seinem Dirigentenstuhl und gab nur spärliche Gesten an das Orchester. Obwohl er teilweise gelähmt war von einer früheren Hirnoperation und beeinträchtigt von den Verbrennungen, die er sich zugezogen hatte, weil er im Bett rauchend eingeschlafen war, entwickelten die Wiener Philharmoniker aus den minimalen Zeichen eine wunderbare Musik, tief empfunden, besinnlich.

    Unbedingt erzählen muss ich, dass wir meist nach der Oper im Café Hawelka saßen, dem berühmten Künstlercafé hinter der Oper. Das war der Treffpunkt der Begeisterten, die inmitten der vielen vergilbten Fotos von weltbekannten Musikern und verrauchten Polstersesseln noch einen kleinen Platz an den Tischen suchten, um dort die köstlichsten Buchteln in ganz Wien zu genießen, die jeden Abend immer wieder frisch gebacken wurden. Wir mussten sie vorbestellen, damit wenigstens ein paar davon unseren Tisch erreichten.

    Eine Alternative nach der Oper waren die guten und gemütlichen Keller, in denen wir für ein paar Schilling genügend Veltliner und Gorgonzola mit Butter und Brot bekamen, um satt und bettschwer zu werden.

    Eines Abends waren wir zu viert unterwegs und etwas ziellos, da wir nicht wussten, was wir heute Abend hören und sehen könnten. Da kamen wir am Theater der Josefstadt vorbei, wo ein Plakat unsere Aufmerksamkeit anzog. Michael las es zuerst: „Das ist ja heute!“, rief er, „Beginnt in ein paar Minuten! Da müssen wir sofort rein!“ Wir bekamen zu unserer Verblüffung tatsächlich noch Karten für diese Ein-Mann-Vorstellung und erlebten einen tief beeindruckenden Schauspieler mit sonorer Stimme, imponierender körperlicher Größe und überwältigender Schauspielkraft und Bühnenpräsenz, der als Richter sich Gedanken über sein eigenes Leben und eine Gerichtsverhandlung macht, die er am nächsten Tag leiten muss. Ein Schreibtisch mit Lampe, ein Stuhl – das war das ganze Bühnenbild. Und Curd Jürgens allein auf der Bühne – ein Kleinod in meiner Schatzkiste der herausragenden Kunsterlebnisse!

    Während des Semesters hatte mein Vater 50. Geburtstag. Er wollte mit Mutter und meiner Oma den verpflichtenden Einladungen zuhause entfliehen und ein paar Tage bei mir in Wien verbringen. Ich reservierte Hotelzimmer und bereitete ein vielseitiges Programm vor, aus dem die Eltern auswählen konnten. Im Nationalmuseum hatte ich vorher zweimal eine Führung in den Räumen der alten Niederländer besucht, um meinen Eltern die Kunstwerke präsentieren zu können, denn das ganze Museum ist ja nicht zu schaffen bei solch einem kurzen Aufenthalt. Wir waren beim Heurigen in Grinzing, machten einen Besuch in der staatlichen Grafiksammlung, erlebten am Geburtstagsabend Monteverdis Krönung der Poppea in der Oper, und die Eltern luden mich anschließend zum Essen ins Hotel Imperial ein. Die Hofreitschule mit einer festlichen Vorführung der Lippizaner war Pflicht, und Schloss Schönbrunn zeigte sich bei herrlichem Wetter. Nach dem Besuch im Stefansdom zelebrierten wir im Café des Hotel Sacher Café Creme und Sacher-Torte.

    Von so vielen „Kunstverpflichtungen“ mussten wir Studenten uns natürlich erholen. Deshalb beschlossen wir, eine Woche an den Neusiedlersee und an den Plattensee zu fahren. Wir genossen das prächtige Wetter, ein paar heitere Segelstunden, mehrere Weinproben in Rust und in einem kleinen Gartenlokal inmitten eines Weinbergs am Plattensee in der warmen Abendsonne den weltbesten Zander in Paprikasauce.

    Die nächsten beiden Semester studierte ich in Mannheim, weil ich die in Wien ohne Lernen eingeheimsten Scheine noch einmal richtig erarbeiten wollte. Außerdem schrieb ich dort meine Doktorarbeit und machte nebenbei Nachtschichten in der damals größten Spezialabteilung für Schwerverbrannte in der BG-Klinik Ludwigshafen. Ich erlebte erschütternde Schicksale und glückliche Heilungen. Seither bekomme ich sofort Herzklopfen und schweißnasse Hände, wenn ich jemand mit Feuer zündeln sehe.

    Beglückend war für mich, dass wir vier Freunde uns nach diesen zwei Semestern wieder in Tübingen trafen, gemeinsam auf das Staatsexamen lernten und es wie beim Physikum als Prüfungsgruppe Nr. 13 auch sehr gut bestanden.

  • Beitrag Dietrich Weller zum BDSÄ-Kongress 2019 in Bad Herrenalb

    Moderation Helga Thomas, Samstag, 22. Juni 2018, 11 h 

    Was wäre, wenn wir alle immer ehrlich wären?

    In der Bibel steht: „Deine Rede sei ´ja, ja`, oder ´nein, nein`.- Alles andere ist vom Übel.“

    Das wird bestätigt durch den Satz eines Autors, dessen Namen ich nicht mehr erinnern kann:

    „’Ja‘ ist richtig. ‚Nein‘ ist richtig. ‚Ja aber‘ ist immer falsch.“

    Wenn doch alles so einfach wäre!

    Wikipedia definiert Ehrlichkeit als

    Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, auch als Zuverlässigkeit, besonders in Hinblick auf Geld- und Sachwerte.

    Um aufrichtig und der Wahrheit verhaftet zu uns selbst stehen zu können, müssten wir zuerst einmal wissen, was wir selber wirklich, also authentisch und nicht angelernt – sind und wollen!

    Damit meine ich, dass es nicht darum geht, umzusetzen, was uns anerzogen wurde. Sondern es geht darum zu erkennen, was in uns wirkt, wenn wir auf unsere „innere Stimme“  hören und nicht auf die Menschen, die uns prägen mit Schuldgefühlen und Gewalt aller Art und sogenannten gesellschaftlichen Regeln. Diese sind ohnehin von Gesellschaft zu Gesellschaft von Land zu Land und von Kultur zu Kultur verschieden.

    Grob gesagt gibt es zwei Gruppen von Menschen: Die eine Gruppe weiß, was sie will; die andere weiß, was sie nicht will. Wenn man die zweite Gruppe fragt, was sie will, hat sie darauf keine Antwort. Ihre Welt ist dominiert von Ablehnung.

    Wenn wir dazu berücksichtigen, dass wir immer am Anderen das am schnellsten erkennen und ablehnen können, was wir an uns selbst nicht wahrhaben wollen, wird die Sache schon komplizierter.

    Um ehrliche Kinder erziehen zu können, müssen die Eltern ehrliche Leute sein. Aber wer erzieht die Eltern?

    Die Vermittlung von Schuldgefühlen ist eine der wirksamsten Formen der Gewaltausübung, denn sie scheint die Selbstgerechten zu berechtigen, ihre Mitmenschen auf den angeblich rechten Weg zu führen. Und das meine ich im weitesten Sinn – vom Elternhaus, im Freundes- und Arbeitsbereich und nicht zuletzt in der Schule und Kirche. Und Schuldgefühle verführen oder zwingen sogar manchmal zu Unehrlichkeit.

    Natürlich wird normalerweise Gewalt nicht als solche deklariert. Sie kommt durch die Hintertür: „Du solltest das tun, was ich für richtig halte. Wenn du das nicht tust, geht es mir schlecht.“ Noch hinterhältiger: „Du solltest immer gehorchen, denn dann kommst du besser zurecht im Leben.“- Oder mit dem Versprechen: „Wenn du gottgefällig lebst, kommst du in den Himmel, sonst erwartet dich die Hölle! Und ich sage dir, was Gott will!“ Ketzerische Frage: Woher wissen wir, was er gesagt hat, wenn ihn noch keiner gesehen oder gar gehört hat?

    Wenn die Anpassung lang genug gefordert wird, verstummen in uns die Empfindungen, was wir „eigentlich“ fühlen und tun würden. Statt primärer Gefühle von Ablehnung und Protest entstehen in uns Ersatzgefühle, die helfen, den Druck in eine andere Richtung lenken und besser zu ertragen: Statt des Gefühls der Unterordnung macht sich zum Beispiel das Pflichtgefühl zum Helfen breit. Dort erhalten wir soziale Anerkennung, die wir brauchen und wollen, und das verstärkt unsere angepasste Meinung als angeblich richtig.

    Ein anderes Ersatzgefühl ist Müdigkeit, die sich bis zur Trauer und Depression steigern kann. Der Druck von außen entfacht Gegendruck in uns, der aber nicht nach außen geäußert werden darf. Also bleibt die Energie in uns und wendet sich gegen uns selbst. Wir glauben schließlich sogar, dass wir selbst nicht gut genug sind. Wer lange genug Druck – also Aggression! – anstaut, ohne Erleichterung  zu erfahren, verhält sich wie ein Dampfkessel, der platzt, wenn der Druck zu hoch ist. Überspitzt gesagt: Wenn jemand sich selbst tötet, muss man fragen, wem die Aggression wirklich galt.

    Fremdbestimmung sorgt typischerweise auch dafür, dass wir unsere eigene Überzeugung und unsere eigenen Gefühle zunehmend infrage stellen und nicht mehr wahrnehmen oder gar als störend empfinden. Deshalb brauchen wir auch so viele Psychiater und Psychologen, die uns bei der Erkennung und Bewältigung unsere Konflikte helfen.

    Wenn wir wirklich immer ehrlich sein wollen, müssen wir zuerst erkennen, welche Gefühle und Glaubenssätze in uns echt und welche aufgesetzt, anerzogen, fremdbestimmt sind.

    Selbst wenn wir diese Grundbedingung weglassen und überlegen, was wir in dem Zustand, in dem wir gerade jetzt sind, denken, fühlen und tun wollen, werden die Meinungen ungedämpft aufeinander prallen. Ich sehe da schwarz: Bei totaler Ehrlichkeit kommt der totale (Über-) Lebenswille sofort hinterher. Hauen und Stechen um Macht bricht offen aus – und zwar schlimmer als ohnehin schon.

    Ehrlichkeit ist nicht immer befreiend, gut und erstrebenswert. Ehrliche Aussagen können entmutigend, beleidigend, zerstörerisch, rechthaberisch und gemein sein.

    Wenn wir alle immer ehrlich wären, müsste ich manchen Patienten sagen, dass ich sie fett, unästhetisch, ungezogen, ungepflegt, ungerechtfertigt anspruchsvoll finde. Und ich müsste damit rechnen, dass sie mich als arrogant, hochnäsig, egoistisch und eingebildet bezeichnen.

    In den vergangenen Jahrtausenden hat es sich als lebenserhaltend erwiesen, dass Menschen nach außen freundlich und hinter den Kulissen heimlich und oft hinterhältig sind. Dadurch entstanden einerseits die Diplomatie und offizielle Politik und anderersetis die Geheimdiplomatie und Geheimdienste, die meist das Gegenteil beabsichtigen. Skrupellosigkeit, Hass, Menschenverachtung werden kaschiert und schöngeredet. Erst wenn Verrat und Betrug nicht mehr zu verbergen sind, werden sie zögernd zugegeben und durch das Verhalten des Gegners begründet und gerechtfertigt.

    Mit Ehrlichkeit würde die Kommunikation einfacher, direkter und schonungsloser. Eigentlich ist es ja gut, wenn Aussage und Verhalten des Gegenübers unmissverständlich sind. Dann wissen wir, woran wir sind und können, ehrlich, wie wir sind, unmissverständlich reagieren.

    Ich vermute, das wird noch lebensgefährlicher als ohnehin schon. Es sei denn, der Drang zur Ehrlichkeit ist größer als der Überlebenswille.

    Wenn alle ehrlich wären, könnten viele Priester und andere Männer offen zu ihrer Pädophilie stehen. Die Katholische Kirche müsste auch das Verhalten einiger Priester nicht decken, die – wie eine sorgfältig recherchierte Dokumentation von ARTE nachgewiesen hat[1]– ihre Macht missbrauchend weltweit Nonnen zum regelmäßigen Sex zwingen unter dem Vorwand, ihnen Jesu Liebe zuteilwerden zu lassen. Doris Wagner ist eine der Frauen, die als Nonne regelmäßig von ihrem vorgesetzten Mönch und später von dessen Bruder, ebenfalls Mönch(!), missbraucht wurde und inzwischen mit ihrem Schicksal an die Öffentlichkeit ging und zwei Bücher[2] schrieb. Sie ist eine der wichtigen Stimmen, um den Vatikan zur Aufarbeitung der Skandale zu bringen.[3]

    Es gibt laut ARTE nachgewiesene Fälle, wo Priester den Oberinnen eines Ordens Geld gegeben haben und diese dafür den Priestern die Nonnen lieferten. Nonnen, die schwanger werden, müssen oft auf Geheiß ihres Ordens abtreiben und werden dann mittellos aus dem Orden verstoßen. Das alles wurde vom Vatikan verschwiegen, der sich damit selbst der Vertuschung und Unterstützung krimineller Handlungen schuldig gemacht hat. –  Man müsste mal juristisch klären, ob dieses Verhalten der Katholischen Kirche die Merkmale des organisierten Verbrechens erfüllt.

    Jetzt beginnt erst die Aufklärung, nachdem die Medien zunehmenden Druck gemacht haben und der Papst den „Missbrauchsgipfel“ im Februar 2019 einberufen hat. Allerdings muss der Verdacht oder die Tatsache des Missbrauchs nur an kirchliche Stellen gemeldet werden. Die Organisation, zu der die Übeltäter gehören, kontrolliert sich selbst. Damit bleibt von vornherein und wie bisher die Transparenz ausgeschlossen.

    Wer diese Missstände nicht wahrhaben will, sie ableugnet, ihnen aus dem Weg geht, trägt seinen Teil dazu bei, dass sie weiter so bestehen. wie sie schon immer waren. Quis tacet, consentire videtur. Wer schweigt, scheint zuzustimmen.

    Wenn wir alle ehrlich wären, würde Herr Trump sagen: „Ich bin einer der größten Lügner, die jemals US-Präsident waren.“

    Konkretes Beispiel: Die Washington Post veröffentlicht täglich nach sorgfältiger Faktenüberprüfung die Lügen und irreführenden Behauptungen von Donald Trump seit seinem Amtsantritt. Am 07. Juni 2019, also 869 Tage nach Amtsantritt, war Trump bei 10.796 Lügen und irreführenden Behauptung angekommen. Interessant ist, dass er im ersten Jahr als Präsident durchschnittlich täglich etwa 5,9 falsche oder irreführende Behauptungen aufgestellt hat, während es im zweiten Jahr 16,5 pro Tag waren, also fast dreimal so viele!

    Und viele Republikaner könnten offen zugeben, dass sie Trump nur unterstützen, weil sie um ihren eigenen politischen Posten bei der nächsten Wahl fürchten.

    Was mich wirklich besorgt, ist die Tatsache, dass immer noch so viele Amerikaner Trumps Verhalten und Politik sehr gut finden. Es ist also keineswegs nur Trumps Verantwortung, dass er so rücksichtslos und kriegstreiberisch handelt. Die Überzeugung, das naturgegebene Herrschervolk der Welt zu sein, ist offen erkennbar seit vielen Jahrzehnten tief in der amerikanischen Bevölkerung verwurzelt. Die US-Politik der Neuzeit war und ist eine hegemoniale Politik, die nach Verwirklichung des einzigen weltweiten Imperiums strebt. Und dafür sind den Vertretern dieser Politik alle Mittel recht. Die meisten Kriege, in die die USA verwickelt waren und sind, stellen klare Brüche des Völkerrechts dar: Es sind Angriffe auf fremde Länder, die die USA nicht angegriffen haben. Und die UNO hat diese Angriffe nicht genehmigt!

    Wenn wir alle ehrlich wären, würden viele Eheleute sofort auseinander gehen, statt auf Dauer vergiftet und entmutigt nebeneinander her zu leben. Viele gedemütigte Frauen würden die Kraft finden, zu ihrem Wissen um die Freundin des Ehemanns zu stehen und die Ehe mit erhobenem Haupt verlassen, statt weiterhin deprimiert und verzagt die brave Ehefrau zu spielen. Viele Ehemänner würden ehrlich sagen, dass sie fremdgehen, und sie würden die Konsequenzen ziehen.

    Diplomaten würden keine Politik der vielen Gesichter machen, sondern in den Verhandlungen und dem Volk gegenüber(!) Klartext reden.

    Viele Ärzte würden häufiger ihre Unwissenheit zugeben, statt die Überlegenen zu spielen.

    Wenn der Drang zur Macht größer bleibt als die Macht der Ehrlichkeit, wird sich nichts ändern am derzeitigen Zustand der Menschheit.

    Wenn wir alle ehrlich wären, würden wir die Lüge gar nicht kennen. Die Ehrlichkeit lebt ihren hohen ethischen Wert nur im Kontrast zur Lüge. Licht erkennen wir auch nur, weil wir das Dunkel kennen.

    Wenn wir alle ehrlich wären, könnten wir trotzdem versuchen, Kompromisse zu schließen, aber dann keine faulen, sondern ehrliche.

    Jetzt leben viele Berufsgruppen von der Unehrlichkeit. Die Werbeindustrie zum Beispiel hat als Maxime, den Umsatz ihrer Auftraggeber zu steigern und nicht etwa, die Wahrheit zu verbreiten. Das macht sie, indem sie gute Gefühle in den Menschen weckt, die wiederum glauben, mit dem Kauf des beworbenen Produktes eben diese Gefühle zu erwerben. Es geht nicht darum, ehrlich mit dem Kunden umzugehen, sondern ihm seine Wunschwelt vorzuspielen, ihm sein Geld aus der Tasche zu ziehen und Einfluss auf ihn auszuüben. Wenn die Werbeindustrie immer ehrlich wäre, dürfte sie viele Aufträge gar nicht annehmen, weil diese nichts anders bezwecken, als die Vorspiegelung falscher Tatsachen so alltäglich zu machen, dass sie als Wahrheit akzeptiert werden. Das Motto lautet: Eine Lüge wird umso mehr zur Wahrheit, je häufiger sie überall wiederholt wird.

    Ebenso ist es mit der PR-Industrie, die eine Imagekampagne nach der anderen zu enorm hohen Preisen führt, um bestimmte Menschen und ihre Ideen zu preisen und andere zu diffamieren. Das ist der übliche Propagandarummel vor den Wahlen, vor Kriegen, vor wichtigen politischen Entscheidungen. Das erste, was schon vor dem Krieg stirbt, ist die Wahrheit. Zuerst muss eine Ideologie entwickelt und propagiert werden, der das Volk folgt. Denn nur damit lassen sich Lug und Trug, Mord und andere Grausamkeiten scheinbar rechtfertigen. Nur drei solche historische Propagandasätze als Beispiele: „Die Polen haben unsere Grenzsoldaten angegriffen!“ – „Der Irak besitzt Massenvernichtungswaffen!“ – „Die Juden sind eine minderwertige Rasse!“

    Die PR-Firmen müssten komplett ihre Strategie umstellen, wenn sie immer ehrliche Aussagen veröffentlichen wollten. Stellen wir uns mal vor, wie die Zeitungen, Fernsehsendungen und sozialen Medien langweilig werden, wenn alle dieselben Tatsachen bringen! Dann gibt es keine Verleumdung, keine Hassbotschaft, keine Lügen mehr! Dann sind die Beschuldigungen und Angriffe ehrlich und offen auf dem Markt und werden mit Namen und nicht mehr anonym veröffentlicht.

    Die Verteidigung der Wahrheit und des Rechts obliegt den Juristen. Es ist bekannt, dass im Allgemeinen nicht der Recht bekommt, der Recht hat, sondern der den besseren Anwalt hat. Das weiß ich aus meiner Lebenserfahrung und aus mehreren Gesprächen mit Anwälten und Richtern. Zeitung und Fernsehen liefern täglich Beweismaterial zu dieser These. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, aber manche sind eben doch ein bisschen gleicher.

    Wenn wir alle ehrlich wären, würde nur noch offen um das gestritten, was jetzt hinter vorgehaltener Hand umkämpft wird. Man kann dann ehrlich sagen, dass der Neid die Welt antreibt und nicht das Geld und schon gar nicht die Ehrlichkeit. Denn hinter jedem angestrebten Wertgegenstand oder Zustand steht der Wunsch, ein Gefühl zu verwirklichen. Dann brauchen wir Anwälte, die unsere tiefsten menschlichen Bedürfnisse nach Geltung, Ansehen und Macht offensiv vertreten. Welches Gericht wird das be- und verurteilen, wenn es sich doch um ehrliche und authentische Anliegen handelt?

    Wir können auch den „halben Weg“ der Wahrheit gehen: „Alles, was du sagst, muss wahr sein, aber nicht alles, was wahr ist, musst du sagen!“

    Dieses Prinzip kann uns zum Beispiel in schwierigen Lagen bei einem Schwerkranken helfen, von dem wir glauben, dass er die ganze Wahrheit mit allen Konsequenzen jetzt nicht auf einmal erträgt. Die Grenze dessen, was ich sage, prüfe ich nach meiner Darstellung der Diagnose mit der Frage „Möchten Sie noch etwas wissen?“ und dem Satz „Wenn Sie mehr wissen wollen, sagen Sie es mir bitte.“

    Jeder Patient hat das Recht auf Information und auf Nicht-Information. Ich denke, wir dürfen ihn nicht überfrachten mit Wissen, das er möglicherweise nicht ertragen kann. Aber wichtig ist, dass – wo immer das noch möglich ist – der Patient das Ausmaß der Information entscheidet und nicht der Arzt oder Pfarrer oder Ehepartner. Die Zeit der patriarchalischen Haltung ist vorüber, in der wir glaubten, es besser wissen und über den Patienten erhaben zu sein und über ihn bestimmen zu dürfen.

    Eine richtige und für mich lebens- und berufsprägende Antwort bekam ich von einem früheren Oberarzt, der eine Sprechstunde für Brustkrebspatientinnen leitete. Ich fragte ihn, ob er allen Frauen die Wahrheit sage. – Er sagte: „Ja, ich sage allen Frauen die Wahrheit. Denn erstens bin ich Christ und glaube, dass ich nicht lügen darf. Und zweitens habe ich so ein schlechtes Gedächtnis, dass ich morgen nicht mehr wüsste, wen ich angelogen und wem ich die Wahrheit gesagt habe. Ich nehme mir immer Zeit, auf die Reaktionen und Gefühle der Frauen einzugehen.“

    Auch in der Beziehung unter Partnern ist das Vertrauen auf Ehrlichkeit eine Voraussetzung für das Gelingen. Trotzdem muss man nicht alles wissen, nicht alles fragen, nicht alles erzählen. Wichtig sind Verständnis für den Partner, Rücksicht auf seine Gefühle, Verletzlichkeit und Eigenständigkeit. Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist die Voraussetzung, dem Partner gegenüber ehrlich sein zu können.

    Der Begriff der Notlüge ist allgegenwärtig. Wir meinen damit Situationen, in der wir uns selbst oder jemand anderen schützen wollen, indem wir bewusst etwas Falsches sagen.

    Lüge ist eine Form von Gewalt, weil sie das Vertrauen, mit dem wir leben wollen, erheblich stört.“ Dieser Gedanke steht im Katholischen Jugendkatechismus. Ausgerechnet die Katholische Kirche sagt so etwas!

    Aber im DUDEN steht nicht das Wort Not-Ehrlichkeit! Trotzdem kenne ich Situationen, in denen es wichtig ist, jemanden mit Tatsachen zu konfrontieren, die ihn von Entscheidungen abhalten, die er nicht trifft, wenn er diese Tatsachen kennt. Beispiel: Jemand will unbedingt dieses Haus kaufen, und seine ganze Seligkeit hängt von diesem Kauf ab, aber ich weiß, dass er schwer krank ist und die Schulden nie abzahlen kann, sondern sie seiner Frau hinterlässt, die damit in die Armut stürzt. Dann denke ich, sollte ich taktvolle und ehrliche Wege finden, um ihn von dem Kauf abzuhalten.

    Ich bin mir nicht sicher, ob das Leben leichter und besser wäre, wenn wir alle ehrlich wären. Wir wären uns aber sicher über unsere echten und ehrlichen Gefühle und Gedanken, und wir könnten dazu immer stehen. Wir müssten wenigstens nicht fürchten, betrogen und belogen zu werden. Stattdessen werden wir ehrlich und offen angegriffen. Dann werden wir aber auch ehrlich und offen geliebt.

    [1] In ARTE am 04.03.2019 um 20.15 h gesendet.

    [2] Nicht mehr ich, Taschenbuch und Spiritueller Missbrauch, Herder-Verlag

    [3] Siehe auch Interview mit Doris Wagner und Kardinal Schönborn, Wien: www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-und-manuskripte/missbrauch-kirche100.html

  • Timo Fischer, Die Stufe höchster Dringlichkeit, Kriminalroman

    ISBN 9781097342921

     

    Üblicherweise geschieht in einem Kriminalroman der Mord auf den ersten Seiten. Damit wird der Leser rasch auf Hochspannung gebracht und zum Weiterlesen verführt. Der Leser will ja wissen, wer der Mörder war und warum er so gehandelt hat. Der Autor dieses Buchs verfolgt eine andere Strategie: Im Vorwort steht gleich am Anfang, dass Kommissar Lenski in der Mordkommission arbeitet und verzweifelt ist. Wir wissen also, dass etwas Schlimmes geschehen ist, und der erfahrene Polizist auch (noch) nicht weiter weiß. Das bindet den Leser emotional an den Fahnder, und dadurch wird die Spannung aufgebaut. Diese hält an, weil in den folgenden Seiten die Hauptpersonen mit ihren Geschichten nacheinander vorgestellt werden, eher langsam im Tempo der Erzählung, scheinbar unabhängig voneinander. Und doch – plötzlich erkennen wir, wie die Lebensfäden zusammengehören und ineinander vom Schicksal verwoben sind.

    Wir werden konfrontiert mit einem jungen Liebespaar, einer Frau, leberkranken Suchtpatienten und einigen Ärzte mit unterschiedlichen Interessen und sozialen und gesundheitlichen Konflikten. Das klingt noch harmlos. Aber der Autor versteht es brillant, diese Menschen mit ihren Krankheiten und Nöten einerseits und ihren kriminellen Veranlagungen andererseits so gegeneinander zu verstricken, dass die Katastrophe unausweichlich im Kopfkino des Lesers heraufzieht.

    Das Buch führt uns in eine Universitätsklinik und schildert die Bestechlichkeit und Begehrlichkeit einiger hier arbeitenden Ärzte in Konfrontation mit lebensbedrohlich kranken Menschen, die dringend eine Organtransplantation benötigen. Wie kann der Arzt einem Patienten ein Organ vermitteln, der nicht an der Reihe ist, weil ein anderer Patient schlechter dran ist und nach der Definition der Transplantationsmedizin auf der Stufe der höchsten Dringlichkeit ganz oben steht? Welche Umstände verführen den Arzt zu seinem betrügerischen Verhalten, und welche Folgen hat das? Und welche Gewissenskonflikte muss ein Arzt aushalten und lösen, der ethisch korrekt handeln will?

    Der Leser wird in die Niederungen menschlicher Abgründe und in die Tiefen existenzieller Verzweiflung geführt. Und er erlebt, was in einer Klinik im Angesicht des Todes geschehen kann. Dies wird umso drängender und bedrückender gezeigt, weil der Autor selbst ein erfahrener Arzt ist und detailgenau tägliche Abläufe beschreibt. Die Handlung ist kein Tatsachenbericht. Aber es ist beklemmend zu wissen, dass das Geschilderte genau wie erzählt passieren könnte oder vielleicht so ähnlich geschehen ist. Darüber hinaus ist das Buch ein flammender Appell an die Menschlichkeit, an die Umsetzung geltender Ethikmaßstäbe und an jeden einzelnen Leser, sich mit den Gedanken über (s)eine Organspende auseinander zu setzen. Jedes Jahr sterben auch in Deutschland viele Menschen, weil es zu wenige Organspender gibt.

    Dieses Buch ist umso wichtiger, weil zurzeit die Diskussion geführt wird, wie lebensbedrohlich Kranke mehr Organe zu Transplantation erhalten können. Die geplante Widerspruchslösung sieht vor, dass automatisch jeder Mensch nach seinem Tod als Organspender angesehen wird, wenn er zu Lebzeiten nicht ausdrücklich z.B. in seiner Patientenverfügung oder seinem Testament widersprochen hat. Dieser Roman rüttelt auf, macht nachdenklich und regt zur Diskussion und Entscheidung an. Es ist ein wichtiger Beitrag zur dunklen Seite der menschlichen Eigenschaften in der Transplantationsmedizin. Wir sehen auch, dass jedes ehrliche soziale Angebot eine Tür zum Missbrauch und zur kriminellen Handlung öffnet.

    Dieses Buch halte ich für sehr lesenswert.

     

     

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    Hall. George Hall. Protagonist in Mark Haddons Roman „Der wunde Punkt“, Oberhaupt einer typisch amerikanischen Familie. Ehefrau, zwei erwachsene Kinder. Sohn homosexuell, Tochter geschieden. Jeder hat seinen wunden Punkt. Bei George war

    es die Stelle gewesen, die ihn umgehauen hatte. Er hatte seine Hose ausgezogen, als er ein kleines Oval hochgewölbter Haut sah, das dunkler als die Haut drum herum war und leicht schuppte.

    So sieht er aus, der schwarze Hautkrebs. Auf den ersten Blick ein Mal wie andere Male auch, beim zweiten Blick die Ahnung, dass dieses Mal bösartig sein könnte, ein schwarzes Schaf.

    Der Magen drehte sich ihm um.

    Dieser Verdacht wirft ihn fast um, Hoffnungslosigkeit und schreckliche Vorstellungen vom nahen Ende machen sich breit.

    Er würde sich umbringen müssen.

    Aber wie? Etwa wie Hemingway, der sich das Hirn in den Orangensaft geballert hatte, wie das Charles Bukowski auf seine brutal-ehrliche Weise formuliert hatte? Oder wie Sylvia Plath, den Kopf im Backofen, den Gashahn geöffnet? Doch warum sich umbringen, der Tod kommt doch heutzutage sanft, begleitet von schmerzstillenden Medikamenten, nicht wie bei Rilke und Benn mit heillosen Schmerzen.

    Ist Krebs nicht eine Erkrankung wie jede andere auch, wie Diabetes oder Bluthochdruck? Oder wie Tuberkulose, an der so viele Berühmtheiten vergangener Jahrhunderte gestorben sind? Diese ästhetisierende Krankheit, die Thomas Mann in seinem Zauberberg so romantisiert hat. Oder hat Susan Sontag in ihrem klugen Essay über Krankheit als Metapher Recht, dass Krebs eine andere metaphysische Dimension hat als Tuberkulose, Syphilis und Lepra? Krebs nicht als Krankheit, sondern als dämonischer Feind, als anti-soziales, nicht zu akzeptierendes Ereignis, das mit allen Mitteln vom Patienten selbst zu bekämpfen ist, gemeinsam mit einem Heer von Onkologen, die sich dem Kreuzzug gegen den Krebs verschrieben haben?

    Dann ging er nach oben und klebte ein großes Pflaster über das Wundmal an der Hüfte, damit er es nicht mehr zu sehen brauchte. Das Aus-dem-Auge-aus-dem Sinn funktioniert meistens nicht, und schon gar nicht, wenn es sich um Krebs handelt.

    Ein kleines Problem ergab sich, als George seine Arbeitskleidung auszog. Er wollte gerade Hemd und Hose ausziehen, als ihm wieder einfiel, was sich darunter verbarg.

    Das Mal, durch das Pflaster dem Blick entzogen, macht sich auf andere Art und Weise bemerkbar.

    Sie waren gerade beim Brombeerstreuselkuchen, da fing die Stelle an zu jucken wie ein Fußpilz. Das Wort „Tumor“ drängte sich in seinen Kopf, und es war ein hässliches Wort, das er nicht hören wollte, aber auch nicht loswerden konnte.

    Die von der Krebsdiagnose überreizten Sinne spielen verrückt, die fatale Diagnose geht nicht mehr aus dem Kopf.

    Während er am Tisch saß, konnte er spüren, wie er wuchs, … genau wie der Schimmel auf der Brotkante.

    Wie zum Hohn kommt George auch noch an Plakaten vorbei, auf denen die sogenannte gesunde Bräune in direkte Verbindung mit Hautkrebs gebracht wird! Die Zeiten, in denen ein Hemingway völlig hemmungslos tief gebräunte Haut und von der Sonne gebleichte Haare fetischisieren konnte, sind längst vorbei. Für George bedeuten Bräune nur mehr Hautkrebs, Siechtum und Gedanken an den drohenden Tod.

    Er würde umrundet von Medizinstudenten und Gastprofessoren der Dermatologie an Krebs sterben.

    Doch halt: Die Diagnose ist ja nicht gesichert. Handelt es sich wirklich um Krebs oder nicht doch um etwas so Harmloses wie ein Ekzem? Aber selbst wenn es sich um Krebs handelte – wäre das so schlimm, schließlich muss doch jeder sterben?

    Die Vorstellung, wirklich Krebs zu haben, erschien ihm allmählich fast wie eine Erleichterung.

    Langsam nimmt die Idee Gestalt an, den oberflächlichen Hautkrebs durch einen schnellen Schnitt selbst zu eliminieren. Es wird zwar bluten, aber bestimmt nicht allzu sehr. Es gibt blutigere Eingriffe, etwa die Selbstkastration der Skopzen, ausgeführt, um eine höhere Stufe des Daseins zu erreichen. Oder um sich von der Fleischeslust zu befreien, wie der junge Mann in Hemingways Erzählung „Gott hab euch selig, ihr Herren“, oder der „Hofmeister“ in der Komödie von J. M. R. Lenz?

    Er nahm die Schere in die rechte Hand und fuhr auf der Suche nach dem wunden Punkt mit den Fingern der linken Hand über seine Hüfte.

    George täuscht sich über das Ausmaß der Blutung.

    Eine solch große Menge Blut hatte er nicht erwartet. … Es war dicker und dunkler, als er gedacht hatte, fast ölig und erstaunlich warm.

    Als Laie kann George nicht wissen, dass man schon einige Liter Blut verlieren muss, bevor es bedrohlich wird, eine derartige Schnittwunde reicht da nicht.

    Die Badewanne sah aus, als hätte man darin ein Schwein abgestochen.

    George landet im Krankenhaus. Aus Scham über die stümperhafte Selbstbehandlung erfindet er eine Verletzung, hervorgerufen durch einen unsachgemäß gehandhabten Meisel. Doch Lügen haben bekanntlich kurze Beine, die Verwandtschaft findet schnell die Wahrheit heraus.

    Er wollte sich den Tumor offensichtlich rausschneiden.

    Der Tumor ist zwar weg, nicht aber die Todesfurcht, die untrennbar mit dem Schwarzen Krebs verbunden ist, diesem „Schwarzen Tod“ der Neuzeit, der heutzutage angeblich Zigtausende jedes Jahr tötet, so wie im Mittelalter die Pest, von der die Menschen reihenweise dahingerafft wurden. Nicht nur Laien, auch viele Ärzte und selbst Hautärzte sind der anachronistischen Überzeugung, dass der Schwarze Krebs ein Todesurteil ist, obwohl wir doch seit mindestens zwei Jahrzehnten wissen, dass 9 von 10 Betroffenen überleben. Da verwundert es nicht, dass auch George sich fürchtet.

    Ich habe Angst, Jamie. Solche Angst. Vor dem Sterben. Vor dem Krebs. Eigentlich fast ständig. Viele Ärzte taugen wirklich gar nichts. Man braucht nur drei Jahre mit Medizinstudenten zu verbringen, um den Glauben an diesen Berufsstand ein für alle Mal zu verlieren.

    Auch George projiziert seine Ängste auf die Ärzte, von denen er annimmt, dass diese ihr Handwerk nicht verstehen oder zu wenig empathisch sind. Wo gibt es noch Ärzte, die wie Bulgakow, tief im Innern eines rückständigen Landes, in einem Jahr Tausende von Patienten behandeln, bis hin zur Selbstaufgabe und um den Preis der Morphiumsucht? George tröstet sich mit dem Wissen, dass alles Leben mit dem Tod endet, allen ärztlichen Bemühungen zum Trotz.

    Was sollte denn eigentlich so schlimm am Tod sein? Früher oder später musste jeder dran glauben. Es war Teil des Lebens. Als schliefe man ein.

    Schmerzen, für viele Menschen ein Grund, sich vor dem Krebstod zu fürchten, spielen in Georges Überlegungen keine Rolle. Er weiß, dass die moderne Medizin nicht nur Krebs, sondern auch Schmerzen mit allen Mitteln bekämpft. Es ist nicht wie bei Rilke, der in einem Gedicht den Herrn darum bittet, jedem seinen eignen Tod zu geben, ein Sterben, das aus jenem Leben geht, darin Liebe, Sinn und Not waren. Rilke hat seine eigene Not, seine furchtbaren Schmerzen, bewusst bis zum Ende durchlitten.

    Haddons George hat seinen Krebstod nicht so ganz akzeptiert, immer wieder tröstet er sich mit dem Gedanken, an einer harmlosen Entzündung zu leiden.

    Er litt an einem Ekzem. Jetzt konnte er das einsehen.

    Also eine Entzündung, die vor der Zeit des aufgeklärten Patienten und des shared decision making übliche, verharmlosende Diagnose selbst in fortgeschrittenen Stadien der Krebskrankheit. Der Arzt damals als notorischer Überbringer guter Nachrichten? Wie im Fall von Theodor Storm, dessen Arzt die Diagnose Magenkrebs auf Wunsch des Patienten korrigierte. Doch ob mit oder ohne ehrliche Information des Patienten: die meisten leben vom Prinzip Hoffnung, von der Vorstellung, zu denen zu gehören, die ihren Krebs überleben. Für manche Patienten mit fortgeschrittenem Schwarzen Krebs ist diese Vorstellung heute kein Wunschdenken mehr. Als Haddon seine Geschichte schrieb, war noch nicht abzusehen, dass die fulminanten Fortschritte in der Therapie des Schwarzen Krebses dieses Wunschdenken langsam Realität werden lassen. Haddon lässt, unabhängig vom medizinischen Fortschritt, Georges Schicksal offen, der davon träumen kann, dass er seinem Krebs nicht vor der Zeit zum Opfer fallen wird.

     

    Mark Haddon: Der wunde Punkt. Heyne Verlag, München 2006 [Zitate kursiv]

     

  • zum Weltkrebstag 2019

    Theodor Storm und der Magenkrebs

     

    Theodor Storm war –wie viele von uns – bekennender Norddeutscher:

    „hin gen Norden zieht die Möwe,
    hin gen Norden zieht mein Herz;
    fliegen beide aus mitsammen,
    fliegen beide heimatwärts.

    Ruhig, Herz! Du bist zur Stelle;
    flogst gar rasch die weite Bahn-
    und die Möwe schwebt noch rudernd
    überm weiten Ozean.“

    1817 wurde Theodor Storm in Husum geboren. Also in die Zeit der Aufklärung, Goethe war da schon 20 Jahre alt.

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  • Fliegen möchte ich
    wie die Vögel fliegen
    von Winden getragen
    Schwimmen möchte ich
    wie die Fische schwimmen
    von sanften Wellen geschaukelt

    Doch ich gehe
    mühsam
    Schritt für Schritt
    mein Gehen
    gleicht dem einer Schnecke
    Schnecke
    Nahrung für Vogel und Fisch
    wem soll ich wohl
    als Nahrung dienen?

     

     

  • Meine Träume…

     

    Nicht fassbar
    wie das Stück Seife in der Badewanne
    sie entschwinden
    wie der Tautropfen im Morgenlicht
    der letzte Schnee
    in der Frühlingssonne
    die bunten Blätter im Herbststurm…

    Oder…
    -– pass auf!
    schrillt der Schrei der großen Möwe –
    verschwinden sie
    wie Bienen und Schmetterlinge
    vernichtet von unserer Technik!

    Achte
    auf den versteckten Schmerz
    in deinem Körper
    lausch auf die klagende Stimme
    deines hungrigen Vogelkükens
    in deinem Innern
    vielleicht
    kannst du den Vogel draußen
    retten
    wenn du zuvor
    ihn in dir gerettet hast

     

  • Wandlung des Schmerzes

    Vorgestern
    warf der Schmerz
    der Schmerz in meinem Kreuz
    mich aus meiner Bahn
    fast

    Ich nahm ihn an die Hand
    und ließ mich führen
    von ihm
    auf meinem selbstgewählten Weg

    Gestern
    war er das Zentrum
    meines Lebens
    Ich wollte ihn vertreiben
    doch meistens
    siegte er
    in diesem Kampf

    Er ist stur
    wie ein trotzendes Kind
    hört nicht auf mich
    beantwortet meine Fragen nicht

    Heute…
    es gibt Wichtigeres als ihn
    er ist ein Hindernis
    dessen Sinn mir
    sich noch nicht offenbart
    Hat er sich wirklich verwandelt?
    Ich hoffe und warte auf
    sein Verschwinden
    dass er sich auflöst
    wie das Eis im Sonnenaufgangslicht

    Doch
    wo ist er dann?
    Ist er ein Feind?

    Dann ist es besser
    wenn ich ihn im Aug behalte

    Ist er ein helfender Freund
    dann sollte ich mich
    mit ihm versöhnen

     

  • Für alle Fälle

    (30.11.2018)

     

    Sollte ich eines Tages
    nicht mehr wissen
    ob es die, der oder das Blume heißt
    oder was zwei plus vier ergibt
    so erzähle mir von der Farbentracht
    unserer Erlebnisse auf Wanderwegen
    vom befreienden Lachen
     unserer Kinder und Enkelkinder
    von den gemeinsam genossenen Sonnenuntergängen
    und sing mir ein altes Lied vor
    Gewiss werden dann manche Vernetzungen
    in meinem Gehirn beschwingt glänzen

    ֎֎֎