Schlagwort: Medizin

  • Bekenntnis

    (7.10.2020)

    Wenn du mich fragst
    in diesen bedrückenden
    und gleichzeitig hoffnungsträchtigen Tagen
    in einer Zeit
    in der die Mächtigen alles unternehmen
    um menschliche Nähe und Berührung
    mit schlechtem Gewissen zu beladen
    und dass nicht nur bei unseren Kindern
    ja, wenn du mich fragst
    was das Leben ist
    sage ich dir voller Inbrunst
    Das Leben ist die Wärme
    miteinander verbundener Herzen

    ֎֎֎

  • Der Rhythmus des Virus

    Du Virus der schwarzen Nächte,
    du kreist um die Finsternis der Erde,
    und niemand sieht dich, niemand fühlt dich.
    Wir atmen und tanzen und schnappen nach Luft
    die Tage zuvor, die Nächte danach.

    Der Forscher erfindet die Thesen,
    damit nicht ein Lichtstrahl den Andern beleuchte.
    Du Lichtstrahl des Ruhms, du tanzest den Tango
    im finsteren Saal jener schwärzenden Nächte.
    Die Forscher verzögern den Ruhm.

    Am Morgen, am Mittag, am Abend und nachts:
    Wir atmen und tanzen und schnappen nach Luft.
    Die Forscher bewachen verschlüsselte Texte:
    Sie reden vom Virus, berechnen die Zukunft,
    Die Texte verdrehen das Tempo der Festplatte.

    Wir tanzen den Tango im Rhythmus des Schicksals.
    Die Forscher verstopfen die Zeilen im Display
    vom Rand bis zum anderen Rand.
    Die Buchstaben leuchten bei Nacht
    und nehmen bei Ausschalten das Schicksal mit.

    Du finstere Schrift, du verschwindest …
    wir lesen dich nicht, denn wir tanzen nur Tango,
    den dunklen im Saal ohne Schatten.
    Wir atmen und tanzen und schnappen nach Licht.
    Das Virus ist Meister der Abwehr von Ruhm.

    Le rythme du virus

    Le virus des nuits noires,
    tu tournes autour des ténèbres de la terre,
    personne ne te voit, personne ne te sent.
    On respire, on danse et on happe l‘air
    les jours précédents et les nuits qui suivantes.

    Le chercheur invente les thèses,
    afin qu’un rayon de lumière n’éclaire pas l’autre.
    Rayon de lumière de la gloire, danse le tango
    Dans la salle obscure de ces nuits sombres.
    Les chercheurs retardent la gloire.

    Le matin, le midi, le soir et la nuit:
    On respire, on danse et on happe.
    Les chercheurs surveillent les textes cryptés:
    On parle du virus, on calcule l’avenir,
    Les textes déforment le rythme du disque dur.

    Nous dansons le tango au rythme du destin.
    À l’écran, les chercheurs obstruent les lignes
    du bord à l’autre bord.
    Les lettres brillent pendant la nuit,
    en cas d’extinction, ils emportent le destin.

    La sombre écriture, tu disparais …
    nous ne te lisons pas en dansant le tango,
    le sombre dans la salle sans ombre.
    On respire, on danse et on happe la lumière.
    Le virus est le maître de défense de la gloire.

    The rhythm of the virus

    You, the virus of black nights,
    you are circling around the darkness of the earth,
    and no one sees you, no one feels you.
    We breathe and dance and gasp for air
    the days before, the nights after.

    The researchers invent the theses,
    so that a beam of light doesn‘t illuminate the other.
    You, the ray of fame, you dance the tango
    in the dark hall of those blackening nights.
    The researchers delay fame.

    In the morning, at noon, in the evening and at night:
    We breathe and dance and gasp for air.
    The researchers guard encrypted texts:
    They talk about the virus, they calculate the future,
    The texts twist the tempo of the hard drive.

    We dance the tango in the rhythm of fate.
    Researchers clog the lines in the display
    from the edge to the other edge.
    The letters glow at night
    and switching off, they take fate with them.

    You, the dark font, you disappear …
    we don’t read you, we‘re only dancing tango,
    the dark one in the hall without shadows.
    We breathe and dance and gasp for light.
    The virus is master of defense of glory.

  •     Aristodemos führt im zweiten Buch seiner spaßigen Erinnerungen aus: Dem Musiker Dorion, der einen Klumpfuß hatte, kam bei einem Symposion der Schuh des behinderten Fußes abhanden. Da sagte er, Ich will dem Dieb nichts Schlimmeres wünschen, als dass ihm der Schuh passt.
    Athenaios, Gelehrtenmahl 8, 338 a. ( 2./3. Jh. n. Chr.)

    Der angeborene Klumpfuß manifestiert sich in ein- bis drei Fällen auf 1000 Geburten, in ca. 50 % doppelseitig. Jungen sind mehr als zweimal so häufig betroffen wie Mädchen. Die Fehlbildung setzt sich aus den Komponenten Pes equinovarus et adductus, supinatus et excavatus zusammen, d. h. aus Spitzfuß, Innendrehung und-Kippung, Sichel- und Hohlfuß. Eine familiäre Häufung war frühzeitig aufgefallen, doch konnte ein klarer Erbgang bis heute nicht nachgewiesen werden. Wie oft bei ungewisser Ätiologie weicht man auf die  sog. multifaktoriellen Ursachen mit exogenen und endogenen Faktoren aus[1]. Die fehlerhafte Entwicklung beginnt anscheinend in den ersten sechs Embryonalwochen[2]. Knöcherne Deformierungen und pathologische Gelenk-und Weichteilveränderungen sind die Folge. Im Rahmen der muskulären Imbalance kommt vermutlich dem Musculus tibialis posterior eine besondere Rolle zu[3].  

    Die Theorie des Verharrens der embryonalen Skelettanlage auf einer frühen Entwicklungsstufe, also einer Hemmungsmissbildung, wurde im Kern bereits 1592 formuliert[4]. Um 1652 hielt man ein „Versehen“ der Mutter, französisch envie[5], bzw. eine starke „Einbildung“ für ursächlich. Gegen 1782 dominierte die Vorstellung von einem Platzmangel im Mutterleib[6].

    Für die Therapie gelten heute ähnliche Richtlinien wie zur Zeit des Hippokrates: sie soll möglichst rasch nach der Geburt einsetzen. Mit dem Schlagwort „zuerst behandeln, dann abnabeln“ wurde diese Forderung auf die Spitze getrieben.

        Bei denjenigen, welche von Geburt an einen  krummen Fuß haben, ist dieser Zustand in den meisten Fällen zu heilen, es müsste denn die Verbiegung eine sehr bedeutende sein. Am besten ist es demgemäß, wenn man derartige Zustände möglichst rasch ärztlich behandelt…Die Gänge des Verbandes lege man in derselben Richtung, in welcher auch die Einrichtung des Fußes durch die Hände stattgefunden hat, damit der Fuß eher etwas auswärts gekehrt erscheint [d. h. in Überkorrektur]. Man muss, um es mit einem Worte zu sagen, wie ein Wachsbildner die in widernatürlicher Weise verbogenen und verzerrten Teile in ihre richtige natürliche Lage zurückzuführen suchen, indem man einerseits mit den Händen, andererseits mit dem Verbande, und zwar in ähnlicher Art, die Einrichtung bewirkt. Man darf dabei aber nicht gewaltsam zu Werke gehen, sondern muss es behutsam machen.

    (Hippokratische Schriften, Band 3, Abschnitt 4 De articulis/περὶ Ἂρθρων[7])

                            

    Abb. 1:  Klumpfuß und Behandlung um 1768 . Nach Valentin 1961, 75 Abb. 57
                                   

    Vorsichtig redressierend nutzt man die noch vorhandene biologische Plastizität des Gewebes, um eine Korrektur zu erzielen, die man anschließend bei gebeugtem Knie in einem Oberschenkel-Gips fixiert[8]. Der Wechsel des Gipsverbandes erfolgt anfangs ein- bis zweimal wöchentlich. Nach fünf bis achtmaligem Redressement und Umgipsen wird eine Schiene angelegt, die in den ersten drei Monaten ganztägig, bis zum 4. Lebensjahr nur noch nachts zu tragen ist. Die Spitzfußkomponente bleibt zunächst bestehen, soll jedoch möglichst noch vor dem Erlernen des Laufens durch eine Achillotenotomie korrigiert werden.

    Die Zeitspanne zwischen Hippokrates von Kos und dem Beginn des 16. Jahrhunderts ist weitgehend dunkel. Um 1500 entstehen die ersten korrigierenden Schienen, zunächst aus Holz, dann aus Eisen. Den Rat zum behutsamen Vorgehen hat man nicht immer befolgt. So weist Franciscus Arcaeus (ca. 1493-1573) das Hilfspersonal an, den Knaben von einem kräftigen Kerl auf die Knie nehmen zu lassen, die Hände und Beine hinter sich gebunden. Danach gehe der Wund-Artzt hinzu und ziehe den Fuß mit großer Gewalt aus und bemühe sich denselben wieder einzurichten[9]. Doch der starke Druck des blockierten Talus, des Sprungbeins, auf die Knöchelrolle verursacht schwere Knorpelschäden[10]. Gewaltsame Repositions-Manöver mit anschließender brutaler Apparate-Versorgung des rechten Beines musste auch der 1788 geborene Lord Byron über sich ergehen lassen. Der Knabe litt Qualen, ohne dass Besserung erfolgte[11]. Die später von seinem Reisegefährten Trelawny beschriebene Deformität beider Füße und eine postmortale Untersuchung der Beine sind nicht bestätigt[12]. Byron hat die Vorteile der seit 1837 zunächst in London praktizierten Achillotenotomie um 13 Jahre verpasst[13].

    Wie hilflos man noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vielerorts dem Klumpfuß  gegenüber stand, schildert der orthopädische Chirurg  L. Strohmeyer, der 1830 an einer Tagung der Naturforscher in Hamburg teilnahm. Unter allgemeiner Zustimmung der vorzüglichsten deutschen Chirurgen wurde ein mit Klumpfuß behaftetes Mädchen von 20 Jahren trotz Strohmeyers Vorschlag, es doch erst mit weniger radikalen Eingriffen zu versuchen, amputiert[14].    

    Strohmeyer übernahm die zuerst in Frankreich praktizierte subcutane Form der Achillotenotomie und publizierte sie in deutschen und erneut in französischen Zeitschriften. Nach 1835 konzentrierte sich V. Duval ganz auf die erfolgreiche operative Therapie der Spitzfußkomponente. Sein 1839 erschienenes Buch, „Traité pratique du pied bot“, Praktische Behandlung des Klumpfußes, veranlasste den Arzt Dr. Charles Bovary in Flauberts berühmtem Roman „Madame Bovary“ zur Achillotenotomie an einem behinderten Knecht. „Charles stach in die Haut; man hörte ein kurzes Knacken. Die Sehne war durchtrennt, die Operation war beendet.“[15] Wie die Leser des Romans wissen blieb leider der gewünschte Erfolg aus. Es kam zur Gangrän und der Hausknecht musste amputiert werden.

    Während meiner operativen Ausbildungszeit erlebte ich einen vergleichbaren besonders unseligen Fall. Eine Tänzerin litt berufsbedingt an einer ausgeprägten Paratenonitis achillea, einer schmerzhaften Entzündung der Weichteile in der Umgebung der Achillessehne. Nach wiederholten konservativen Therapieversuchen, zu denen damals noch die Infiltration mit Cortico-Steroiden gehörte, und ebenso zahlreichen Rezidiven entschloss sich der behandelnde Oberarzt, das entzündete, verquollene Gewebe um die Achillessehne herum operativ anzugehen. Eine schwere Eiterung war die Folge. Stück für Stück ging die gesamte Achillessehne der Tänzerin verloren. Am Ende blieb nur eine Unterschenkelamputation. „Da musste dann schon das ganze   Wiedergutmachungs-Repertoire aufgefahren werden“, war der gemütvolle Kommentar der lieben Kollegen. Ich konnte froh sein, meine eigenen Finger nicht in der Wunde gehabt zu haben.      

    Zurück zum Klumpfuß und in den Olymp. wo der klumpfüßige Künstler-Gott Hephaistos dringend erwartet wird, um den Bann zu lösen, der seine Mutter Hera auf dem von ihm geschmiedeten Thronsessel fixiert[16].

        Mein Sohn freilich, Hephaistos, den selbst ich gebar, ist ein Schwächling
    …mit krummen Füßen[17].
    Einst packt ich ihn grad an den Händen und warf ihn ins weite Meer;
    doch Thetis, die silberfüßige Tochter des Nereus,
    Fing ihn auf und versorgt ihn im Kreis ihrer Schwestern.
    (Homerischer Hymnos an Apollon, 316-320)

    Verständlich, dass Hephaistos sich für die Lieblosigkeit seiner Mutter ein wenig rächt.

                    

    Abb. 2: Rückführung des Hephaistos, 600-580 v. Chr..  Nach: Simon 31985, 219 Abb. 204

    Man erkennt die nach hinten gekrümmten Füße, die ihm den Beinamen κυλλοποδίων, der Krummfüßige, eingetragen haben[18].

    Nach dem Ende der hocharchaischen Zeit stellt man die Behinderung des Hephaistos weniger drastisch dar. Sie wird allenfalls angedeutet, beispielsweise durch einen unter die Achsel gestützten Stab (Abb. 3[19]) oder sie bleibt ganz außer Acht. 

                      

    Abb. 3: Athena und Hephaistos, Ostfries des Parthenon.   Nach Simon 31985, 228 Abb. 217

                                      

    Abgekürzt zitierte Literatur und Bildnachweis:

    Brommer 1978: F. Brommer, Hephaistos. Der Schmiedegott in der antiken Kunst (Mainz 1978)

    Goebel – Gille – Löhr 2005: E. Goebel – J. Gille – J. F. Löhr, Lord Byrons Klumpfuß. Historische Vignette, Der Orthopäde 34/ 2005, 75 f. 

    Laser 1983: S. Laser, Medizin und Körperpflege, ArchHom S (Göttingen 1983)

    Loeschcke 1894: G. Loeschcke, Korinthische Vase mit der Rückführung des Hephaistos, AM 19, 1894, 510-525 Taf. 8

    Michler 1963: M. Michler, Die Klumpfußlehre der Hippokratiker. Eine Untersuchung von De Articulis Cap. 62. Mit Übersetzung des Textes und des Galenischen Kommentars (Wiesbaden 1963) 

    Rössler – Rüther 2007: H. Rössler – W. Rüther, Orthopädie und Unfallchirurgie (München 2007)

    Simon 31985: E. Simon, Die Götter der Griechen (München 31985)       Abb. 2. 3

    Trelawny 1986: E. J. Trelawny, Letzte Sommer. Mit Shelley und Byron an den Küsten des Mittelmeeres (Berlin 1986)

    Valentin 1961: B. Valentin, Geschichte der Orthopädie (Stuttgart 1961) 6. 67-106      Abb. 1

    Wamser-Krasznai 2012/2013: W. Wamser-Krasznai, Hephaistos – ein hinkender Künstler und Gott, in: dies., Auf schmalem Pfad. Grenzgänge zwischen Medizin, Literatur und den schönen Künsten (Budapest 22012/2013) 72-82

    Wright 1986: D. Wright, Einleitung zu Edward John Trelawny, Letzte Sommer. Mit Shelley und Byron an den Küsten des Mittelmeeres (Berlin 1986)


    [1] Für entsprechende Informationen danke ich den Humangenitiker*innen  Prof. Dr. Ursel Theile, Mainz, und Prof. Dr. Ulrich Zechner, Frankfurt am Main.

    [2] E. Wrage-Brors, Ergebnisse chirurgischer Klumpfußversorgung…Diss. Hannover 10.10.2006.

    [3] Rösler – Rüther 2007, 322-324; Valentin 1961, 79; T. Chr. Grünewald, Mittel-bis langfristige Ergebnisse bei Pat. mit Klumpfußrezidiv…Diss. Köln 29.7.2009;  L. M. J. von Pfister, Der Klumpfuß, Diss. München 9.7.2014.

    [4] Hieronymus Fabricius ab Aquapendente, Valentin 1961, 71.

    [5] Valentin 1961, 74. 77.

    [6] P. Camper, Abhandlung über den besten Schuh, Valentin 1961, 81.

    [7] Hippokrates (ca. 460-370 v. Chr.) Hippokratische Schriften, Band 3, Abschnitt 4 „De articulis“,  München 1900, 152; Valentin 1961, 5 f.; Michler 1963, 5-16.

    [8] Besser: Gipsverband des ganzen Beines. Rösler – Rüther 2007, 324; erste Erwähnung der Gipsbehandlung im 10. Jahrhundert durch arabische Ärzte, Valentin 1961, 8.

    [9] Valentin 1961, 67 f.

    [10] Rössler – Rüther 2007, 324.

    [11] George Gordon Noel Lord Byron. Goebel – Gille – Löhr 2005, 75 f.

    [12] Wright 1998, 14. 25. 32; Trelawny 1998, 190-192.

    [13] Goebel – Gille – Löhr 2005, 76.

    [14] Valentin 1961, 94.

    [15] Gustave Flaubert (1821-1880), Madame Bovary.

    [16] Apul. Amphora, 330/320 v. Chr., LIMC (1988) 639 Nr.126 Taf. 392.

    [17] ῥικνὸς πόδας, Laser 1983, S 18 und Anm. 34.

    [18] Loeschcke 1894, 512 Taf. 8; Laser 1983, S 18 Anm. 34. Mit der Bezeichnung ist die Varusstellung des Fußes gemeint.

    [19] Parthenon-Fries, ca. 440 v. Chr., s. Brommer 1978, 242 Taf. 50,2; Wamser-Krasznai 2012/13, 73 Abb. 3.

  • Azaleen

    Sie blühen eben im Verborgenen,                                                       

    unzugänglich:

    Die Gewächshäuser sind derzeit geschlossen

    wie Museen, vielbesuchte, engräumige.

    So entfalten sie sich üppig ungesehen,

    dem hiesigen Vorfrühling exotisch voraus,

    umsonst umgepflanzt aus dem Osten

    und gezüchtet in Abendlandböden –

    zu wessen Freude denn nun?

    Dabei bräuchten wir genau jetzt

    ihre Spur von Rosa im Dunkel,

    ihre Blütenkränze in der Begrenzung.

    Sind sie  auch schön ohne Betrachter?

    Urbi et orbi

    Mehr kann er nicht tun.

    Ein Äußerstes an Segen und Gebet –

    für den Erdkreis, den heimgesuchten.

    Es ist eine blaue Stunde,

    der Regen fällt,

    der weitläufige Platz ist menschenleer,

    der Baldachin ist weiß wie sein Gewand.

    Er sitzt allein, versunken, gebeugt

    und bringt die Angst, den Tod, die Not

    vor Gott.

    Man nimmt ihm die Verbundenheit ab.

    Wird die Last abgenommen –

    vor dem Pestkreuz des Mittelalters,

    zu dem so viel Gepeinigte schon aufsahen,

    vor der Ikonen-Mutter in Gold,

    zu der sie namenlos flehten?

    Er nimmt uns mit

    ins Innerste möglichen Glaubens,

    in die gesuchte Heimat.

    Schwarzer Tod

    Dem Sterbenden nahe zu sein,

    die Nahestehenden zu umarmen,

    gemeinsam Abschied zu nehmen –

    geht nicht.

    Nehmt Abstand

    von natürlichen Reflexen,

    von Bedürfnissen nach Trost,

    von Ritualen!

    Der Sterbende geht ohnehin allein hinüber,

    begleitet und getragen

    von Gedanken, Gefühlen, Gebeten und Geborgenheit –

    so Gott will.

    Aber wie damals zu archaischen Seuchenzeiten

    geht es nicht,

    das entgleitende Kind nicht zu umarmen,

    dem Bruder nicht von den Lippen zu lesen,

    der uralten Mutter nicht die Augen zuzudrücken.

    Und es muss doch gehen – um des Lebens willen.

    Dann nimm sie hin, Tod!

    Uns bleibt der Stachel –

    bis zum lichten Ostertag.

     Wie damals

    So viele Richtlinien und Empfehlungen,

    so viele Verbote.

    Es gibt wieder Denunzianten, besonders brave,

    und solche, die zu hinterfragen wagen,

    dass die Welt gleichsam stillsteht.

    Es gibt wieder die gleiche Ratlosigkeit,

    die nach starken Worten und klarer Führung verlangt,

    eine Unsicherheit wie sich zu verhalten,

    das unbehagliche Gefühl, beobachtet zu werden

    und massig Informationen,

    ganze Schaltbäume an Verhaltensmaßregeln,

    die wie immer keiner liest.

    Man versucht, der Angst Herr zu werden.

    Jetzt ist die Zeit der Pragmatiker und der Bürokraten,

    die die Ungewissheit in Regeln bannen.

    Widerstand aber ist kaum möglich,

    denn die Macht, gegen die es zu kämpfen gilt,

    ist keine menschliche.

    Broken wings

    Eingesperrt – so empfand er sich,

    isoliert – fühlte sich das Leben an.

    Energie vibrierte,

    die virtuellen Welten genügten nicht.

    Immer nur verzerrte Gesichter auf Bildschirmen.

    Reden, Nachrichten schreiben – das war nicht Seines.

    Mit der Gruppe um die Häuser ziehen,

    in Parks zusammensitzen bei Musik,

    per Handschlag sich verständigen von Jugend zu Jugend:

    das wäre es, das ist es.

    So schlug er mit der flachen Hand aus Wut an die Wand –

    und brach sich den Arm.

    Die Welt räumt auf

    Die Welt räumt auf

    in ihrer Unordnung

    Die Welt steht still

    in ihrer Hetze

    Die Welt ist ratlos

    in ihrer Autonomie.

    Aber zu all dem gab Gott die Sonne

    nahezu jeden Tag in der Krise.

    Und es war gut.

    Gefährliche Hilfe

    Aus dem Haus wagt er sich kaum noch,

    aber so viele Male wird er das Blühen nicht mehr erleben und

    so macht er sich auf in die Sonne,

    um die Blüte festzuhalten im Bild

    für sein Wohnzimmer, das er kaum noch verlassen soll.

    Dabei stolpert er und fällt.

    Ein junger Mann stürzt herbei und hilft ihm auf –

    ganz nah kommt im dankbaren Lächeln

    Gesicht zu Gesicht.

    Quarantäne

    Vierzig Tage in der Wüste,

    Fastenzeit, Osterzeit –

    vierzig Tage hält der Mensch Ausnahmezustände aus,

    dann geht es nicht mehr,

    dann verwüstet die Wüste,

    dann mergelt der Hunger aus,

    dann würden sogar Feiern zu viel.

    Die Alten hatten  Augenmaß.

    Sie bemaßen die Zeit weise

    und ließen Rückkehr zu

    zum Altgewohnten

    mit neuen Augen.

    Welttheater

    Nun sind das Erste und das Letzte,

    was sie sehen auf dieser Welt

    Masken,

    über denen Augen schauen,

    glänzend, verschwimmend und forschend.

    Augen nur.

    Der Lebensatem der Welt

    Ist getrennt, verhüllt und je eigen.

    So einsam sind Kinder und Sterbende heute

    mit ihrem Selbst

    und der eigenen Rolle

    bei Auftritt und Abgang

    auf der Bühne des Lebens.

  • Berechtigte Frage

    (23.8.2020)

    Ullrich Mies gewidmet*

    Hoffentlich werden meine Enkelkinder
    wenn sie älter sind
    mir die berechtigte Frage stellen
    was ich im Jahre 2020 gemacht habe

    Ich werde sie liebevoll umarmen und erzählen
    Das Leben ist der beste Lehrmeister
    Deshalb habe ich stets versucht
    aus der Geschichte zu lernen
    die entscheidenden Eigentumsverhältnisse zu erfassen
    und deren Wirkung auf die laufenden Geschehnisse
    Aufrichtig und sorgfältig habe ich hingeschaut
    wie die Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft
    sich bei den früheren Ereignissen verhalten haben
    bei der BSE, Schweinegrippe oder Vogelgrippe
    bei Agende 2010 oder Hartz IV
    beim Umgang mit der Allmende
    bei der Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge
    bei den illegalen Kriegen gegen Jugoslawien
    Afghanistan, Irak, Libyen oder Syrien
    bei der Aufarbeitung der Vorfälle vom 11.9.2001
    bei dem sogenannten Krieg gegen den Terror
    bei Rüstungshaushalten und Waffenexporten
    bei Staatsstreichen in der Ukraine, Bolivien oder Venezuela
    bei den verheerenden weltweiten Wirtschaftssanktionen

    Diese Erkenntnisse und Erfahrungen
    habe ich versucht folgerichtig umzusetzen
    um die tiefgreifenden Umwälzungen im Jahre 2020
    zu begreifen und behandeln

    Dabei habe ich mich stets
    von der Überzeugung leiten lassen
    dass tief in den meisten Menschen
    die Sehnsucht nach Wärme und Nähe lodert
    und dass das umfassende Lieben der Erde
    die Grundlage unseres Lebens ist

    ֎֎֎

  •     Der Anblick eines vorgewölbten Augapfels/Bulbus bei antiken Figuren (Abb. 1) lässt engagierte Mediziner*innen  an das Symptom des Exophthalmus denken. Da den vielen in gleicher Weise gestalteten Augen bei archaischen Statuen gewiss keine krankhafte Bedeutung zukommt, wollen wir in entsprechenden Fällen die pathologisch stigmatisierte Bezeichnung Exophthalmus lieber in Gänsefüßchen setzen. Unter einer Ptosis verstehen wir bekanntlich ein auffallend weit herunter gezogenes Oberlid, das als Merkmal bei antiken Statuen[1] ebenfalls keinen Krankheitswert besitzt und daher mit  Anführungszeichen versehen werden soll.   

                

     Abb. 1: Der Kuros vom Heiligen Tor, Athen, ca. 620-600 v. Chr.,      
                                          Aufnahme der Verfasserin

        Ein Glanzlicht der Ausgrabungen des Deutschen Archäologischen Instituts   auf dem Athener Kerameikos war 2002 der „Kuros vom Heiligen Tor“ (Abb. 1)[2], der wegen seiner engen Vergleichbarkeit mit dem 1916 aufgefundenen Dipylon-Kopf[3] dem sog. Dipylon-Meister zugeschrieben worden ist. Beide Köpfe zeichnen sich durch eine gleichartige Haar-Teilung  über der hohen Stirn sowie durch große vorgewölbte, von schmalen scharfkantigen Lidern eingefasste Augäpfel aus. Während sich das Oberlid über eine sanfte Mulde mit der Augenbraue verbindet, setzt sich das Unterlid deutlich von der Wangenpartie ab.

        Der ‚Exophthalmus‘ ist in archaischer Zeit ein Merkmal beider Geschlechter. Fragt man sich, warum die Künstler dieser Epoche die Augenpartie ihrer Statuen derart von der Natur abweichen ließen, so denkt man an das sog. archaische Lächeln (Abb. 2), das ähnliche Fragen aufwirft. Wir sehen darin ein Mittel zur Belebung der Gesichter bei Personen, die im Begriff sind, den Dialog mit dem Betrachter aufzunehmen[4].

     Abb. 2: Attische Kore, Altes Museum Berlin, gegen 600 v. Chr.,  
                                              Aufnahme der Verfasserin

        Möglicherweise ist diese Annahme auch auf die riesigen vorgewölbten Augen zu übertragen.

        Spätestens in der Frühklassik verliert sich das Merkmal des vorgewölbten  Bulbus, der nun allmählich in die Augenhöhle zurücktritt[5].

    Am Übergang von der römischen Republik in die Kaiserzeit begegnet bei einzelnen Porträts des Octavian/Augustus[6] sowie bei denen der Livia und deren Sohn Tiberius ein mäßiger ‚Exophthalmus‘. Die Bildnisse von Mutter und Sohn sind darüber hinaus durch eine große Distanz zwischen den Augen und eine breite Stirn miteinander verbunden[7].   

        Der Blick aus den Augen antoninischer und severischer Zeit wird bald als melancholisch verschleiert, bald als besonders intensiv beschrieben[8]; eine Fundgrube für die Ikono-Diagnostik!

        Die Bildnisse der Faustina maior, Gattin des Antoninus Pius, sind meist durch große, etwas hervorquellende Augen gekennzeichnet, die von schweren Oberlidern beinahe zur Hälfte bedeckt werden [9].

                  Abb. 3: Porträt aus der Zeit der Faustina maior, 140-150 n. Chr.

                                           Nach: Fless 2006, 175 Abb. 471

        Private Porträts nähern sich den kaiserlichen Bildnissen an (Abb. 3), sowohl in der Haartracht als auch in der Physiognomie[10]. ‚Exophthalmus‘  und ‚Ptosis‘ der  älteren Faustina werden noch übertroffen von denen ihrer Tochter, Faustina minor [11].

                         Abb. 4: Faustina minor. Nach Hafner 1993, 118 Abb. b.

        Eines von den 12 Kindern der jüngeren Faustina ist der spätere Kaiser Commodus, dem sie die vorquellenden Augen vererbt habe[12]. Es wurde auch vermutet, dass Mutter und Sohn an der Basedow’schen Krankheit gelitten hätten. Wegen dessen „Halsleidens“ nämlich[13] habe Faustina den berühmten kaiserlichen Leibarzt Galen konsultiert. Dieser schreibt dazu: Von meiner Behandlung des Commodus wird erzählt, sie sei äußerst bemerkenswert, aber sie ist alles andere als das. Der Knabe hatte eine schwere Mandelentzündung und wurde nach konsequenter Applikation einer Mischung aus Honig und Rosenwasser wieder gesund[14]. Im Übrigen sollten wir uns vor einer diesbezüglichen retrospektiven Pathographie hüten, denn die Ptosis gehört nicht zu den Symptomen der Merseburger Trias[15]; vielmehr ist der Basedow-Exophthalmus mit einer weiten Lidspalte und einer Retraktion des Oberlids[16] vergesellschaftet.

        Schon die Jugendbildnisse des Commodus sind durch vorquellende Augäpfel und weit herabhängende Oberlider bestimmt (Abb. 5).                                        

                  Abb. 5: Der junge Commodus (Regierungszeit 180-191 n. Chr.) 

                          Nach: Bianchi Bandinelli 1970, 282. 293 Abb. 329

    Die ungewöhnliche Augenpartie war offenbar so charakteristisch, dass sie für die Gestaltung aller fünf  Bildnistypen einschließlich der berühmten Halbfigur des Kaisers als Hercules[17] übernommen wurde.  

       Die vier Porträts seines Vorgängers und Vaters geben den Kaiser Marc Aurel (Regierungszeit von 161-180 n. Chr.) ebenfalls mit stark hervortretenden Augen wieder; die besonders enge Lidspalte dagegen scheint auf die beiden späteren Bildnistypen beschränkt zu sein[18].

                            Abb. 6: Marc Aurel, Rom, Kapitolinische Museen

                                        Nach Bergmann 21988, 17 Abb. B.

        Damit weisen vier Mitglieder einer Familie einen vorquellenden Bulbus, ‚Exophthalmus‘ und ein mehr oder weniger hängendes Oberlid[19], ‚Ptosis‘, auf (Abb. 3-6): Faustina maior (=die Ältere, Gattin des Kaisers Antoninus Pius), Faustina minor (=die Jüngere, beider Tochter, Gattin Marc Aurels), Kaiser Marc Aurel (Adoptivsohn des Antoninus Pius), Kaiser Commodus (Sohn der Faustina minor und – wahrscheinlich – des Marc Aurel). Der Vorbehalt basiert auf Gerüchten vom ausschweifenden Lebenswandel der jüngeren Faustina[20]. Allerdings ähnelt die Augenpartie des Commodus – bei aller sonstigen physiognomischen Verschiedenheit – der Augendarstellung des jugendlichen  Marc Aurel[21].  

    Nach der Ermordung des Commodus und einem turbulenten Mehr-Kaiser-Jahr  führen die Severer formal und inhaltlich die antoninische Tradition fort[22]. Julia Domna, die Gattin des Kaisers Septimius Severus (Regierungszeit 193-211 n. Chr.) stammt aus Syrien und wurde als Tochter einer angesehenen Familie mit erblichem Priesteramt geboren. Ihre Porträts weisen einen ausgeprägten ‚Exophthalmus‘ und dickliche Lider[23] auf (Abb. 7), doch sind ihre Augen im Gegensatz zur ‚Ptosis‘ des Marc Aurel z. b. im 4. Bildnistypus (Liebieghaus – Capitol[24]) weit geöffnet.

                          Abb. 7: Julia Domna (160-217 n. Chr.) Athen, Agora

                                             Nach Harrison 1960, Abb. 23

        Ihre  Perückenfrisur ist unverkennbar, doch lässt das Nackenhaar vermuten, dass die Umarbeitung von einem Damen-Porträt antoninischer Zeit in eines der  severischen keine allzu großen Probleme aufwarf[25].

        Was nun die häufige Darstellung des ‚Exophthalmus‘ und der ‚Ptosis‘ in der antoninisch-severischen Epoche betrifft, so können wir einerseits von einem verbreiteten zeitspezifischen ‚Schönheitsideal‘ ausgehen – dafür spricht schon die Übernahme von Merkmalen kaiserlicher Bildnisse in das Privatporträt[26] – andererseits von einem „gewissen realistischen Hintergrund in der Physiognomie“[27](Faustina minor – Commodus, Marc Aurel – Commodus, Abb. 4-6 und Bergmann 21988, 23 Abb. 26. Dazu in augustäischer Zeit: Livia – Tiberius, s. o. Anm. 7)

        Exkurs zum „Annette von Droste-Hülshoff-Syndrom“:

    Diese Bezeichnung ist bei aller Plastizität wenig gebräuchlich. Der Essener  Ophthalmologe Prof. Dr. G. R. E. Meyer-Schwickerath hat sie Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts geprägt. Er erkannte bei der Dichterin ein „echtes psycho-physisches Syndrom…in dessen Mittelpunkt die Frühgeburt, der Augenschaden und die ungewöhnliche Intelligenz gehören“. Der „Augenschaden“ habe in einer hochgradigen Myopie von 10-15 Dioptrien mit dem zugehörigen myopischen Schein- Exophthalmus und einem Pseudostrabismus divergens bestanden[28].    

    Als eigentliche Bedrohung und Limitierung ihres Lebens galt die Tuberkulose[29], auch wenn diese Diagnose nicht ausdrücklich gestellt wurde. Von ihrem jüngeren Bruder Ferdinand dagegen heißt es, er sei an der Schwindsucht gestorben. Während seiner letzten Lebensmonate hatte die Droste ihn hingebungsvoll gepflegt und war nach seinem Tod selbst so schwer erkrankt, dass ihre Schwester Jenny um ihr Leben fürchtete. In Briefen erwähnt die Dichterin häufig Krankheiten und Empfindlichkeiten, sehr heftige Kopfschmerzen…dass ich meine Geisteskräfte der Zerrüttung nahe glaubte[30]Die kalte Kellerluft der Kirchen ist etwas Entsetzliches für Gesichtsschmerzenmein bekannter Äquinoktialhusten, …Fieber und Beklemmung und dabei halbtot husten…  Fieber… mutterseelen allein…fiebernd und würgend, …wenn ich gerade im Fieberschweiß lag…als ich so elend aus dem Wagen stieg und..ohnmächtig wurde…die inneren Krämpfe…ich fühlte mich sehr krank, glaubte nicht an Besserung und wollte bei den Meinigen sterben…meine Nerven in einem Zustande der Überreizung…ungeheuer schwach…meine Phantasie arbeitet nur zu sehr…Gott, dürfte ich jetzt schreiben, d. h. diktieren, wie leicht würde es mir werden[31].

    Den Ärzten bringt die Droste weniger Vertrauen entgegen als ihrem homöopathisch orientierten Therapeuten. Dieser hält Symptome penibel in einem Krankenblatt fest: Sehr bedeutende Abmagerung mit Hinschwinden der Kräfte; verdächtige Röte auf den eingefallenen Wangen; beständige Stiche in der linken Seite, fortwährende Brustbeklemmung wie von

    zusammengeschnürtem Brustkasten, dabei große Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit hinsichtlich der Genesung[32].

    All das ist wenig spezifisch, keine Rede von Blutsturz oder Bluthusten. Selbst wenn sie bisweilen davon überzeugt gewesen sein sollte, „sich bei der Pflege

    ihres Bruders an der Schwindsucht angesteckt zu haben“[33], so zögert sie nicht, sich von Geschichten zu distanzieren, deren Heldin eine solche zarte, überspannte Zehrungsperson ist… Ich wollte neulich eine Novelle schreiben und hatte den Plan schon ganz fertig. Meine Heldin trug schon zu Anfang der Geschichte den Tod und die Schwindsucht in sich und löschte so nach und nach aus. Dies ist eine gute Art, die Leute tot zu kriegen, ohne dass sie brauchen den Hals zu brechen oder an unglücklicher Liebe umzukommen.

    Sie gibt den Plan auf, nachdem sie vier gleichartig tragische Geschichten aus der Leihbibliothek hat lesen müssen[34]. Nun schließen derartige Betrachtungen der Droste eine entsprechende Krankheit nicht aus, sind aber geeignet, alle  retrospektiven Diagnostiker zu einer gewissen Vorsicht anzuhalten. Exophthalmus und Pseudo-Strabismus divergens hingegen lassen sich an wenigstens sieben Annette-Porträts erkennen[35]

                            Abb. 8: Nach einem Porträt von J. J. Sprick, 1838

                                          Gemeinfreie Datei Wikimedia

    Abgekürzt zitierte Literatur und Abbildungsnachweis:

    Andreae 1989: B. Andreae, Die Kunst des alten Rom (Freiburg – Basel – Wien 1989)

    Alexandridis 2004: A. Alexandridis, Die Frauen des römischen Kaiserhauses (Mainz 2004)   

    Bergmann 21988: M. Bergmann, Marc Aurel, Liebieghaus Monographie 2 (Frankfurt am Main 21988)     Abb. 6

    B. Beuys, Blamieren mag ich mich nicht. Das Leben der Annette von Droste-Hülshoff  (München 2002)

     Bianchi Bandinelli 1970: R. Bianchi Bandinelli, Rom. Das Zentrum der Macht (München 1970)     Abb. 5

    Fittschen – Zanker 1983: K. Fittschen – P. Zanker, Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom III  (Mainz 1983)

    Fittschen – Zanker 1985: K. Fittschen – P. Zanker, Katalog der römischen Porträts in den Capitolinischen Museen und den anderen kommunalen Sammlungen der Stadt Rom I (Mainz 1985)

    Fless 2006: F. Fless – K. Moede – K. Stemmer (Hrsg), Schau mir in die Augen…Das antike Porträt. Abguss-Sammlung (Berlin 2006)     Abb. 3

    Hafner 1993: G. Hafner, Bildlexikon antiker Personen (Zürich 1993)    Abb. 4

    Harrison 1960: E. B. Harrison, Ancient Portraits from the Athenian Agora (Princeton 1960)     Abb. 7

    Johansen 1994: F. Johansen, Greece in the Archaic Period. Ny Carlsberg Glyptotek (Copenhagen 1994)

    Johansen 1995: F. Johansen, Roman Portraits II (Copenhagen 1995)

    Martini 1990: W. Martini, Die archaische Plastik der Griechen (Darmstadt 1990)

    Meyer-Schwickerath 1984: G. Meyer-Schwickerath, Das Annette von Droste-Hülshoff-Syndrom, Klin. Mbl. Augenheilk. 184, 1984, 574-577

    Niemeier 2002: W.-D. Niemeier, Der Kuros vom heiligen Tor (Mainz 2002)

    Pasinli 21992: A. Pasinli, Archäologische Museen Istanbuls (Istanbul 21992)

    Richter 1988: G. M. A. Richter, Kouroi (New York 1988 Reprint 31970)

    Wamser-Krasznai 2012/13: W. Wamser-Krasznai, „Wär ich ein Mann doch mindestens nur…“ Aus Leben und Dichtung der Annette von Droste.Hülshoff, in: Auf schmalem Pfad (Budapest 2012/13) 39- 54 

    Zschietzschmann 1968: W. Zschietzschmann (Hrsg. H. Busch – G. Edelmann), Römische Kunst (Frankfurt am Main 1968)


    [1] Männliche Exemplare: Kopf Rayet, Kopenhagen; Kuros aus Anavyssos, beide Martini 1990, 80 f. 84 Abb. 21. 24; Kuros von Volomandra, Kopf Istanbul, Richter 1988 Kouroi, 80 f. 110 Abb. 208. 369 f.; Weibliche Exemplare: Kopf Milet, Berlin, Richter 1988 Korai 59 Abb. 293-295; Kore vom Siphnier-Schatzhaus ebenda 66 f. Abb. 320; Peploskore, ebenda 72 f. Abb. 351 f. und Abb. 355-357; Nike von Delos, LIMC VI, 853 Nr. 16 Taf. 559

    [2] Niemeier 2002, 5. 40-44 Abb. 51 f.

    [3] Niemeier 2002, 46 Abb. 57-59; Richter 1988, 46 f. Abb. 50-53.

    [4] Martini 1990, 85.

    [5] z. B. Die griechische Klassik. Idee oder Wirklichkeit (Berlin – Bonn 2002) 212. 219 . 223. 235-239 jeweils mit Abb.

    [6] Fless 2006, 116 Abb. 293. 121 Abb. 310.

    [7] Livia z. B. Alexandridis 2004, 115 Nr. 1. 2 Taf. 3. 123 f. Nr. 21 Taf. 7, 1; Tiberius z. B. Fless 2006, 123 f. Abb. 316-318.  

    [8] Hafner 1993, 180 f. Bergmann 21988, 3.

    [9] Fittschen – Zanker 1983, 13-20 Taf. 17-23.

    [10] Alexandridis 2004, 113.

    [11] Vor allem beim 7. und 8. Bildnistyp, Fittschen – Zanker 1983, 21-23 Taf. 27-31; Johansen, Porträt II, 207 Abb. 84.

    [12] Fittschen – Zanker 1985, 82.

    [13] Hafner 1993, 118.

    [14] V. Nutton, Galeni De Praecognitione  (Berlin 1979) 131. Hinweise dazu verdanke ich dem Medizinhistoriker Prof. Dr. K. D. Fischer, Mainz.

    [15] Merseburger Trias: Struma, Tachykardie und Exophthalmus mit Retraktion des Oberlides. Dagegen ist die Ptosis mit einer verengten Pupille, Miosis, und einem in die Augenhöhle gesunkenen Bulbus, Enophthalmus, verbunden. Horner-Syndrom, Symptom einer Stellatum-Blockade.

    [16] Hoch gezogenes Oberlid.

    [17] Bildnis im 5. (letzten) Typus, Fittschen – Zanker 1985, 85-90 Taf. 91. 92, 78; Zschietzschmann 1968, 132 f.

    [18] Fittschen – Zanker 1985, 74; Bergmann 21988, 24-27 Abb. 26. 28. 32. 34-38; „schmale Augen“ eines   überlebensgroßen Porträtkopfes aus Kalkstein, Kaiserzeitliche Porträts in Aquincum (Budapest 1999) 16 f.   

    [19] Hängender Blick, Alexandridis 2004, 71.

    [20] Hafner 1993, 118.

    [21] Bergmann 21988, 23 f. Abb. 26. 28; A. Demandt, Marc Aurel: der Kaiser und seine Welt (München 2019) 64 Abb. 2 Typ 1. 2; Fittschen – Zanker 1985, 74 Nr. 61. 62. Taf. 72 f. Eine „deutliche Familienphysiognomie“, Alexandridis 2004, 71; ihre [der Faustina minor] „vorquellende Augen, die sie…auch dem Commodus vererbte“ Hafner 1993, 118; „Typenmerkmale…stark vorquellende Augen, die durch die weit herabhängenden Oberlider den auch für Faustina minor so charakteristischen verschleierten Blick erhalten haben“, Fittschen – Zanker 1985, 82; „das vorquellende Auge, das schwere Lid und die runde Braue identifizieren ihn [Commodus] als Sohn des Marc Aurel“, Fless 2006, 139 Abb. 362.

    [22] Alexandridis 2004, 71.

    [23] Weitere Beispiele: Alexandridis 2004, 199. 201 Nr. 217. 222 Taf. 49 f. Fless 2006, 181 Abb. 489.

    [24] Anders Bergmann 21988, 26: „die Augen groß, weit geöffnet“ Abb. 34. 37.

    [25] Alexandridis 2004, 205 f. Nr. 233 Taf. 60, 3.

    [26] Vgl. z. B. ein Jünglingsporträt nach Marc Aurel, Fless 2006, 163 Abb. 434 oder Nachahmungen der Faustina minor-Bildnisse, Fittschen – Zanker 1983, 79 Nr. 104 Taf. 131; 82 Nr. 111 Taf. 138 f.

    [27] Bergmann 21988, 22.

    [28] Im Klinischen Mitteilungsblatt für Augenheilkunde fälschlich „divergenz“ an Stelle des korrekten Adjektivs „divergens“, Meyer-Schwickerath 1984, 574-577.   

    [29] H. Eggart, Um die Krankheit der Annette von Droste-Hülshoff, Fortschr. Med. 30, 1933, 679; W. K. Fränkel, War die Krankheit der Annette von Droste-Hülshoff eine Tuberkulose? Med. Welt 25, 1933, 285-287; M. Terhechte, Das Krankheitsschicksal der Annette von Droste-Hülshoff, Droste-Jahrbuch 1959, 129-136; Wamser-Krasznai 2012/13, 44 f.

    [30] An Anna von Haxthausen, um 1820/21, in: H. Scheer (Hrsg.), Annette von Droste-Hülshoff. Spiegelbild und Doppellicht (Darmstadt 1983) 80. 

    [31] R. Schneider (Hrsg.), Annette von Droste- Hülshoff, Gesammelte Werke (Vaduz 1948) Briefe 328-333.  

    [32] Beys 2002, 232.

    [33] Beys 2002, 230.

    [34] An Anna von Haxthausen, Hülshoff, den 4ten Febr. 1819, in: H. Scheer (Hrsg.), Annette von Droste-Hülshoff. Spiegelbild und Doppellicht (Darmstadt 1983) 70.

    [35] Droste, Bilder aus ihrem Leben (Stuttgart 71974)  Bild auf dem Umschlag sowie Nr.  10. 17.24. 40. 50.

  • König Corona, du fremdes, so seltsames Wesen,
    wir Kranken, wir haben es schwer, recht bald zu genesen.
    Vom fernen Osten, da kamst du ganz flott angeritten,
    bist mächtig und stark, zum Fürchten ganz unbestritten.
    Und wir sind hilflos, können dich einfach nicht fassen;
    und können die Arbeit doch niemals ganz lassen.

    Du winziges Wesen, so kugelrund,
    voll Stacheln, du treibst uns in den Todesschlund.
    Hast dich versteckt wie eine Krimi-Bande,
    jetzt brichst du aus und ziehst durch die Lande.
    Du fragst nicht, ob ein jeder dich auch mag,
    du greifst uns an bei Nacht und auch bei Tag.

    Wir sind hilflos, fahnden nach ´ner Pille,
    die Institute forschen, groß der Wille.
    Corona, ach den Partisanen gleichst,
    und unerkannt du um die Menschen schleichst.

    Die Forscher hoffen alle, dein Versteck zu finden,
    damit sie endlich können dich einbinden.


  • Schon als Schüler erlebte ich regelmäßig in der Kinderarztpraxis meines Vaters Grundlagen der Behandlung. Die Höhensonne sollte die Aufnahme von Vitamin D fördern, das die Kinder – auch meine Schwester und ich!- als scheußlichen Lebertran essen mussten. Wunden nähte mein Vater mit sterilen Fäden, die er in kleinen Fläschchen aufbewahrte. Ich durfte sogar manchmal den Faden abschneiden. Jeder Faden musste einzeln in die Klemmhaltung der Nadel eingefädelt werden. – Die Nadeln bewahrte Vater in einer Dose auf, die mit dem Nadelhalter zusammen sterilisiert wurde. Erst Jahre später kamen die einzeln verpackten atraumatischen Nadeln mit dem angehängten Faden auf. Noch viele Jahre wurde das Besteck sterilisiert. Inzwischen verwenden wir in der Notfallpraxis Skalpelle, Pinzetten, Scheren, Injektionsnadeln, Spritzen und andere Instrumente als Einmalware und produzieren einen gigantischen Müllberg.

    Als junger Student habe ich im Katharinenhospital Frankfurt ein Praktikum gemacht. Dort bestand eine meiner Aufgaben darin, den Nonnen bei der Wiederaufbereitung des Verbandsmaterials zu helfen: Die Binden wurden gewaschen, zum Trocknen aufgehängt, dann gebügelt und neu aufgerollt. Heute schneiden wir selbstverständlich einen Verband auf, werfen das Material weg und holen neue Ware aus dem Regal. Sogar die Pinzetten, Scheren und Skalpelle sind Einmalmaterial und dementsprechend minderwertig. Das Einmalbesteck soll den Aufwand des Sterilisierens mit den sehr aufwändigen Hygienevorschriften ersparen.

    Es war in meiner Kindheit etwas Besonders, bei einer Entzündung ein Antibiotikum zu erhalten. Mein Vater erklärte mir das, als ich mit neun Jahren eine Osteomyelitis am Bein hatte, die operiert werden musste. Es gab damals, wenn ich mich recht erinnere, Penicillin und ein Sulfonamid. Sie wurden als große Neuerung gefeiert, und ich nahm meine Tabletten mit großem Respekt. Von den Resistenzen, die uns heute Sorgen machen, war damals nur wenig bekannt. In Europa sterben heute jährlich 33.000 Menschen an resistenten Keimen. Die Wahrscheinlichkeit, beim Krankhausaufenthalt einen solchen Keim einzufangen, ist relativ hoch.

    Tetanus schilderte mein Vater noch als große Gefahr. Damals gab es noch Impfstoffe aus Tierseren, die schwere allergische Reaktionen hervorrufen konnten. Deshalb musste man immer genau dokumentierten, von welchem Tier die letzte Impfung war. –
    Vater erzählte diese Geschichte: Als er im Studium eine Famulatur bei einem Landarzt machte, wurde dessen Sohn verletzt und sollte nach der Wundversorgung eine Tetanusschutzimpfung erhalten. Um auch wirklich alles richtig  zu machen, bat der erfahrene Landarzt einen befreundeten Chirurgie-Chefarzt um Rat: „Welches Serum soll ich spritzen?“ – Die Antwort: „Mach es genauso, wie du es bei irgend einem Patienten machen würdest.“ – Der Arzt spritzte das Serum. Wenige Minuten später erlitt der Junge einen anaphylaktischen Schock und starb unter den Händen seines Vaters. – Diese Geschichte fällt mir oft ein, wenn ich heute eine Tetanusimpfung verabreiche. Ich habe aber in meiner Tätigkeit als Arzt in 48 Jahren nie einen Fall von Wundstarrkrampf erlebt.

    Ich erinnere mich auch an eine Chloroform-Maskennarkose, als der HNO-Arzt meine Nasen-scheidewand gerade stellte, nachdem ein Klassenkamerad sie mir versehentlich bei einem Sportunfall gebrochen hatte. – Inzwischen ist es selbstverständlich, dass ein Notarzt einen schwer verletzten noch am Unfallort zum Schutz intubiert und narkotisiert.

    Als Schüler las ich, dass es ganz neu Kortison gibt als vorübergehendes Linderungsmittel bei Leukämie. Dinu Lipatti, einer der ganz großen Pianisten, dessen wunderbare Aufnahmen ich damals kennen lernte, konnte eine Zeitlang mit Kortison am Leben gehalten werden. Kollegen wie Yehudi Menuhin bezahlten die extrem teure Therapie. Das war schon eine Erfolgsnachricht. Erst im Studium lernte ich die neuesten Chemotherapien mit den oft heftigen Nebenwirkungen und häufigen Rückfällen. Und zu Beginn meiner Praxiszeit kamen die ersten Stammzelltransplantationen auf, die den Umbau ganzer Stationen in den Krankenhäusern nötig machten. Ich erinnere mich gut an einen Patienten am Anfang meiner Niederlassung 1982, den ich zu einer Schul- und Studienkameradin nach Stuttgart schickte, die dort als Chefärztin gerade eine Hämatologisch-Onkologische Abteilung aufbaute und in Stuttgart die Stammzelltransplantation einführte. Heute werden sogar noch bei über Siebzigjährigen Stammzelltransplantationen erfolgreich vorgenommen. Das war damals undenkbar.

    Als ich von 1974-1979 meine Kinderfacharzt-Weiterbildung absolvierte, kam eines Tages mein zuständiger Oberarzt von dem Besuch des Internationalen Kinderärztekongresse aus Rochester / USA zurück und berichtete ganz begeistert: „Stellen Sie sich vor, die haben da ein Röntgengerät entwickelt, das legt den Kopf oder andere Organe in Bildscheiben, man kann sie einzeln anschauen und so im ganzen Körper Tumore, Blutungen, Frakturen und Missbildungen erkennen. Durch eine digitale Dichtemessung können Sie genau erkennen, welches Material (Blut oder Knochen oder Liquor) das ist. Solch ein Gerät müssen wir unbedingt nach Stuttgart bekommen – ein einziges Gerät für ganz Stuttgart! Das wäre fantastisch!“  – Heute hat jede Röntgenpraxis und jede Klinik Computertomografen und Kernspintomografen, und große Kliniken verwenden Positronenemissionstomografen zur Diagnostik und ein Gamma-Knife, das auf den Millimeter genau scharf abgegrenzte Tumore zerstört.

    Noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts galt es als Kunstfehler, am Gehirn zu operieren. Inzwischen ist die Neurochirurgie eine international etablierte und weit fortgeschrittene operative Disziplin. Während meiner Jahre in der Neurologie habe ich wahre Kunsteingriffe gesehen mit verblüffenden und segensreichen Erfolgen. Und ich kenne viele Menschen, die am Leben gehalten wurden durch moderne medizinische Methoden, aber jetzt im Wachkoma liegen und schwerst pflegebedürftig sind. Früher wären sie gestorben, als es noch keine Therapie gab.

    Die neuen Disziplinen der invasiven Radiologie und der minimalinvasiven Chirurgie ermöglichen inzwischen die zielgenaue Ausschaltung kleinster Aneurysmen von Hirngefäßen oder Entfernung von Hirngefäßthrombosen und die millimetergenaue Zerstörung eines Tumors. Die „Knopflochchirurgie“ und Arthroskopie sind ein selbstverständlicher Bestandteile der modernen Chirurgie.

    Als Allgemeinarzt erlebte ich in der Hausarztpraxis die Vielzahl der Erkrankungen, die psychosomatischen Auswirkungen sozialer Konflikte und die Freude, wenn meine Therapievorschläge geholfen haben. Nachdem ich meine Praxis verkauft hatte, um eine Privatpraxis zu führen, war ich ein Jahr später als Urlaubsvertreter gerade eine Woche in meiner früheren Praxis tätig, als mein Nachfolger plötzlich schwer krank wurde und ein neues Herz brauchte. Ich führte auf Bitten seiner Frau dann zwei Jahre lang seine Praxis neben meiner eigenen Praxis, bis er wieder zurückkam. Anschließend arbeitete ich zehn Jahre lang als Geschäftsführer einer Firma für Sozialimmobilien und entwarf unter anderem Deutschlands größte Mutter-Kind-Klinik. Ich begleitete den Bau und leitete die Klinik anschließend. Bis zum Beginn meiner Rente war ich dann zehn Jahre in der neurologischen Akutmedizin und Rehaklinik tätig.

    Obwohl es seit Menschengedenken eine vornehme Pflicht der Ärzte ist, Schwerstkranken und Sterbenden beizustehen, wurde erst 1969 von der englischen Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin Cicely Saunders das erste Hospiz im St. Christopher´s Hospital in London eröffnet. Sie begründete die moderne Palliativmedizin und den weltweiten Bau von Hospizen. Das ist eine der herausragenden Errungenschaften der Menschlichkeit. Dankenswerterweise haben sich auch die deutschen Krankenkassen inzwischen entschlossen, diese Form der Medizin und Pflege finanziell zu unterstützen.

    Die Palliativmedizin ist mir seit meiner Assistentenzeit auf der Kinderkrebsstation ein Hauptanliegen in meiner ärztlichen Arbeit. Deshalb habe ich auch rasch die Gelegenheit ergriffen, die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin zu erwerben, als diese in die Weiterbildungsordnung eingeführt wurde. Und es war mir wichtig, ein Buch[1] über meine Erfahrungen im Umgang mit schwerst kranken, sterbenden und genesenden Menschen zu schreiben. Glücklicherweise trug Birgit viele gute Gedanken und das Titelbild bei.

    Da ich seit meinem 65. Geburtstag regelmäßig in den Notfallpraxen Leonberg und Stuttgart arbeite, schließt sich der Kreis für mich. Ich bin wieder in meinem ursprünglichen Gebiet als Hausarzt tätig und freue mich, wenn ich Patienten treffe, die ich schon in der Kinderklinik oder in meiner Praxis behandelt habe. Wir werden miteinander alt. Und ich finde meinen Beruf immer noch spannend und sehr befriedigend.

    Jetzt verfolge ich die Fortschritte der Technik in der Medizin eher aus einer Beobachterrolle, wenn auch sehr interessiert.

    Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat natürlich auch in der Medizin Einzug gehalten. Früher habe ich das EKG selbst beurteilt, heute nimmt der PC mir diese Leistung ab. – Aber ich bin dankbar, dass ich gelernt habe, ein EKG zu lesen, denn der PC macht auch immer wieder Fehler! – Diese Technik verführt zu Abhängigkeit und geringer persönlicher Untersuchung. Ich diagnostiziere meist eine Pneumonie immer noch mit Anamnese und Auskultationsbefund, um dann eher selten ein Röntgenbild anzuschießen. Einige jüngere Kollegen verordnen schon bei Husten gleich ein Thorax-CT.

    Seit 2019 kann Google mit künstlicher Intelligenz, die mit genetischen Daten gefüttert ist, die Struktur von Proteinen deutlich besser modellieren als alle Wissenschaftler.[2] Gentherapie kann eine Form der Erblindung aufhalten. Im Labor gezüchtete Immunzellen bekämpfen Tumoren. Von künstlicher Intelligenz unterstützte Systeme diagnostizieren Hautkrebs, prognostizieren Nierenversagen und entdecken Herzprobleme früher als Ärzte. Im Blut lässt sich der Fortschritt von Krebs früher feststellen als durch andere körperliche Anzeichen. Entdecken die neuen Verfahren nur 20 Prozent aller Tumoren so früh, dass sie behandelt werden können, hätte dies einen größeren Effekt als viele Therapien, die später zum Einsatz kommen. Besonders wichtig sei es, sagen die Onkologen, falsch positive Krebsdiagnosen zu vermeiden: Wir sollten keinen Krebs diagnostizieren, der gar keiner ist.

    Biologie und digitale Technik wachsen zusammen. Es entsteht eine Datenmedizin, die von künstlicher Intelligenz angetrieben wird und die Nutznießer von Daten auf den Plan ruft.

    Die Gesundheitskarte, die unser derzeitiger Gesundheitsminister anstrebt, soll alle relevanten Daten eines Menschen enthalten, damit sie von den behandelnden Ärzten gelesen werden kann. Das Problem: Die Karte wird auch von Hackern gelesen. Das gilt besonders bei Arztpraxen, deren EDV-System nicht abgesichert ist gegen Eindringlinge. Absolut sicher wirkt auch hier das Murphy´sche Gesetz: Wenn etwas Schlimmes geschehen kann, wird es auch geschehen. Der Gesundheitskarten-Patient ist nicht nur für wohlmeinende Ärzte gläsern. Auch die Wirtschaft, die PR-Strategen, die Versicherungen, die Arbeitgeber werden ihre Vorteile aus dem Wissen ziehen, das sie sich auf mehr oder weniger verborgenen Wegen besorgen. Und die Folgen werden ganz sicher nicht nur gut sein für die betroffenen Patienten.

    Wenn wir schon bei der Bürokratie sind: Ich erinnere mich daran, dass ich als Schüler immer wieder mit meinem Vater zur Kassenärztlichen Vereinigung fahren durfte, wenn er einen Schuhkarton mit Kassenscheinen am Quartalende abgeben wollte. Inzwischen ist die Abrechnung mit dem PC zur Pflicht geworden. Das hat so manchen Arzt dazu veranlasst oder ihm zumindest die Entscheidung erleichtert, seine Praxis zu verkaufen oder zu schließen, da er dieses „neue Zeug“ nicht mitmachen wollte. Als ich ein paar Jahre lang schon meine Praxis hatte, entschloss ich mich, neben den Karteikarten auch einen PC für die Abrechnung zu benützen. Das war ein richtiges Problem, denn obwohl ich professionelle Hilfe hatte, klappte es mit dem ersten System nicht. Erst das zweite funktionierte. Jetzt rechnen wir bequem im PC ab und schicken die Daten online an die KV. Das Geld bekommen wir auch nicht schneller als früher, aber wir werden viel gründlicher kontrolliert, ob wir irgendwelche Durchschnitte überschreiten, die einen Regress rechtfertigen.

    Im Krankenhaus werden die Fallpauschalen nachgerechnet und optimiert, die bei der Behandlung der Krankheiten von den Kassen vergütet oder mit Abzug oder Zuschlag belegt werden. Immer mehr entscheiden Verwaltungsleute über die Umstände, die zur Entlassung führen. Die Fallpauschale ist ein verheerendes Mittel, um die Menschen, die in der Medizin für die kranken Menschen arbeiten, vom Patienten weg zu führen und sich auf den materiellen Gewinn zu konzentrieren. Für die Verwaltungsleute ist nur der ein guter Arzt, der den Gewinn des Krankenhauses steigert. Die Zuwendung zu einem Patienten wird systematisch verringert, weil die Ärzte, das Pflege- und Therapiepersonal sonst mit der vorgeschriebenen Dokumentation nicht zurechtkommen. Der Begriff der „blutigen Entlassung“ und die zunehmende Zahl der Überlastungen beim Personal sind schlimme Zeichen für unmenschliche und fehlgeleitete Verwaltungsmedizin. Die Fallpauschalen sollten unbedingt zugunsten einer patientenzentrierten und zuwendungsorientierten Versorgung abgeschafft werden. Es ärgert mich heute noch, wie viele ellenlange Briefe ich in der Rehaklinik diktieren musste, weil die Rentenversicherung verlangte, viele Einzelheiten mehrfach an verschiedenen Stellen im Brief zu wiederholen. Ich empfinde das als erzwungene Verschwendung von wertvoller Zeit, die wir besser dem Patienten zugutekommen lassen sollten. Ich warte jetzt darauf, dass wir bald einen „Facharzt für Verwaltung“ bekommen.

    Die Technik ist fabelhaft fortgeschritten. Aber die menschliche Seite, die Zuwendung, das qualifizierte und professionelle Gespräch kommen immer mehr zu kurz. Die Zahl der Psychiater und Psychotherapeuten ist konstant viel zu klein. Das sieht man auch an der Tatsache, dass es extrem schwierig wenn nicht unmöglich ist, für Kriseninterventionen rasch einen Therapieplatz zu bekommen. Und chronisch kranke Psychiatriepatienten könnten viel besser geführt und behandelt werden, wenn mehr Ärzte mehr Zeit hätten, um Therapiegespräche in kürzeren Abständen anzubieten, um eine bessere Beziehung entwickeln und aufrecht erhalten zu können.

    Die moderne Medizin hat genau so große Schattenseiten, wie sie Licht verströmt. Das sollten wir uns sehr bewusst machen.


    [1] Wenn das Licht naht- Der würdige Umgang mit schwerkranken, genesenden und sterbenden Menschen, Verlag Weinmann, Filderstadt.
    [2] SPIEGEL Nr. 1 vom 28.12.2019, S. 57

  • Schon als Schüler erlebte ich regelmäßig in der Kinderarztpraxis meines Vaters Grundlagen der Behandlung. Die Höhensonne sollte die Aufnahme von Vitamin D fördern, das die Kinder – auch meine Schwester und ich!- als scheußlichen Lebertran essen mussten. Wunden nähte mein Vater mit sterilen Fäden, die er in kleinen Fläschchen aufbewahrte. Ich durfte sogar manchmal den Faden abschneiden. Jeder Faden musste einzeln in die Klemmhaltung der Nadel eingefädelt werden. – Die Nadeln bewahrte Vater in einer Dose auf, die mit dem Nadelhalter zusammen sterilisiert wurde. Erst Jahre später kamen die einzeln verpackten atraumatischen Nadeln mit dem angehängten Faden auf. Noch viele Jahre wurde das Besteck sterilisiert. Inzwischen verwenden wir in der Notfallpraxis Skalpelle, Pinzetten, Scheren, Injektionsnadeln, Spritzen und andere Instrumente als Einmalware und produzieren einen gigantischen Müllberg.

    Als junger Student habe ich im Katharinenhospital Frankfurt ein Praktikum gemacht. Dort bestand eine meiner Aufgaben darin, den Nonnen bei der Wiederaufbereitung des Verbandsmaterials zu helfen: Die Binden wurden gewaschen, zum Trocknen aufgehängt, dann gebügelt und neu aufgerollt. Heute schneiden wir selbstverständlich einen Verband auf, werfen das Material weg und holen neue Ware aus dem Regal. Sogar die Pinzetten, Scheren und Skalpelle sind Einmalmaterial und dementsprechend minderwertig. Das Einmalbesteck soll den Aufwand des Sterilisierens mit den sehr aufwändigen Hygienevorschriften ersparen.

    Es war in meiner Kindheit etwas Besonders, bei einer Entzündung ein Antibiotikum zu erhalten. Mein Vater erklärte mir das, als ich mit neun Jahren eine Osteomyelitis am Bein hatte, die operiert werden musste. Es gab damals, wenn ich mich recht erinnere, Penicillin und ein Sulfonamid. Sie wurden als große Neuerung gefeiert, und ich nahm meine Tabletten mit großem Respekt. Von den Resistenzen, die uns heute Sorgen machen, war damals nur wenig bekannt. In Europa sterben heute jährlich 33.000 Menschen an resistenten Keimen. Die Wahrscheinlichkeit, beim Krankhausaufenthalt einen solchen Keim einzufangen, ist relativ hoch.

    Tetanus schilderte mein Vater noch als große Gefahr. Damals gab es noch Impfstoffe aus Tierseren, die schwere allergische Reaktionen hervorrufen konnten. Deshalb musste man immer genau dokumentierten, von welchem Tier die letzte Impfung war. – Vater erzählte diese Geschichte: Als er im Studium eine Famulatur bei einem Landarzt machte, wurde dessen Sohn verletzt und sollte nach der Wundversorgung eine Tetanusschutzimpfung erhalten. Um auch wirklich alles richtig  zu machen, bat der erfahrene Landarzt einen befreundeten Chirurgie-Chefarzt um Rat: „Welches Serum soll ich spritzen?“ – Die Antwort: „Mach es genauso, wie du es bei irgend einem Patienten machen würdest.“ – Der Arzt spritzte das Serum. Wenige Minuten später erlitt der Junge einen anaphylaktischen Schock und starb unter den Händen seines Vaters. – Diese Geschichte fällt mir oft ein, wenn ich heute eine Tetanusimpfung verabreiche. Ich habe aber in meiner Tätigkeit als Arzt in 48 Jahren nie einen Fall von Wundstarrkrampf erlebt.

    Ich erinnere mich auch an eine Chloroform-Maskennarkose, als der HNO-Arzt meine Nasen-scheidewand gerade stellte, nachdem ein Klassenkamerad sie mir versehentlich bei einem Sportunfall gebrochen hatte. – Inzwischen ist es selbstverständlich, dass ein Notarzt einen schwer verletzten noch am Unfallort zum Schutz intubiert und narkotisiert.

    Als Schüler las ich, dass es ganz neu Kortison gibt als vorübergehendes Linderungsmittel bei Leukämie. Dinu Lipatti, einer der ganz großen Pianisten, dessen wunderbare Aufnahmen ich damals kennen lernte, konnte eine Zeitlang mit Kortison am Leben gehalten werden. Kollegen wie Yehudi Menuhin bezahlten die extrem teure Therapie. Das war schon eine Erfolgsnachricht. Erst im Studium lernte ich die neuesten Chemotherapien mit den oft heftigen Nebenwirkungen und häufigen Rückfällen. Und zu Beginn meiner Praxiszeit kamen die ersten Stammzelltransplantationen auf, die den Umbau ganzer Stationen in den Krankenhäusern nötig machten. Ich erinnere mich gut an einen Patienten am Anfang meiner Niederlassung 1982, den ich zu einer Schul- und Studienkameradin nach Stuttgart schickte, die dort als Chefärztin gerade eine Hämatologisch-Onkologische Abteilung aufbaute und in Stuttgart die Stammzelltransplantation einführte. Heute werden sogar noch bei über Siebzigjährigen Stammzelltransplantationen erfolgreich vorgenommen. Das war damals undenkbar.

    Als ich von 1974-1979 meine Kinderfacharzt-Weiterbildung absolvierte, kam eines Tages mein zuständiger Oberarzt von dem Besuch des Internationalen Kinderärztekongresse aus Rochester / USA zurück und berichtete ganz begeistert: „Stellen Sie sich vor, die haben da ein Röntgengerät entwickelt, das legt den Kopf oder andere Organe in Bildscheiben, man kann sie einzeln anschauen und so im ganzen Körper Tumore, Blutungen, Frakturen und Missbildungen erkennen. Durch eine digitale Dichtemessung können Sie genau erkennen, welches Material (Blut oder Knochen oder Liquor) das ist. Solch ein Gerät müssen wir unbedingt nach Stuttgart bekommen – ein einziges Gerät für ganz Stuttgart! Das wäre fantastisch!“  – Heute hat jede Röntgenpraxis und jede Klinik Computertomografen und Kernspintomografen, und große Kliniken verwenden Positronenemissionstomografen zur Diagnostik und ein Gamma-Knife, das auf den Millimeter genau scharf abgegrenzte Tumore zerstört.

    Noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts galt es als Kunstfehler, am Gehirn zu operieren. Inzwischen ist die Neurochirurgie eine international etablierte und weit fortgeschrittene operative Disziplin. Während meiner Jahre in der Neurologie habe ich wahre Kunsteingriffe gesehen mit verblüffenden und segensreichen Erfolgen. Und ich kenne viele Menschen, die am Leben gehalten wurden durch moderne medizinische Methoden, aber jetzt im Wachkoma liegen und schwerst pflegebedürftig sind. Früher wären sie gestorben, als es noch keine Therapie gab.

    Die neuen Disziplinen der invasiven Radiologie und der minimalinvasiven Chirurgie ermöglichen inzwischen die zielgenaue Ausschaltung kleinster Aneurysmen von Hirngefäßen oder Entfernung von Hirngefäßthrombosen und die millimetergenaue Zerstörung eines Tumors. Die „Knopflochchirurgie“ und Arthroskopie sind ein selbstverständlicher Bestandteile der modernen Chirurgie.

    Als Allgemeinarzt erlebte ich in der Hausarztpraxis die Vielzahl der Erkrankungen, die psychosomatischen Auswirkungen sozialer Konflikte und die Freude, wenn meine Therapievorschläge geholfen haben. Nachdem ich meine Praxis verkauft hatte, um eine Privatpraxis zu führen, war ich ein Jahr später als Urlaubsvertreter gerade eine Woche in meiner früheren Praxis tätig, als mein Nachfolger plötzlich schwer krank wurde und ein neues Herz brauchte. Ich führte auf Bitten seiner Frau dann zwei Jahre lang seine Praxis neben meiner eigenen Praxis, bis er wieder zurückkam. Anschließend arbeitete ich zehn Jahre lang als Geschäftsführer einer Firma für Sozialimmobilien und entwarf unter anderem Deutschlands größte Mutter-Kind-Klinik. Ich begleitete den Bau und leitete die Klinik anschließend. Bis zum Beginn meiner Rente war ich dann zehn Jahre in der neurologischen Akutmedizin und Rehaklinik tätig.

    Obwohl es seit Menschengedenken eine vornehme Pflicht der Ärzte ist, Schwerstkranken und Sterbenden beizustehen, wurde erst 1969 von der englischen Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin Cicely Saunders das erste Hospiz im St. Christopher´s Hospital in London eröffnet. Sie begründete die moderne Palliativmedizin und den weltweiten Bau von Hospizen. Das ist eine der herausragenden Errungenschaften der Menschlichkeit. Dankenswerterweise haben sich auch die deutschen Krankenkassen inzwischen entschlossen, diese Form der Medizin und Pflege finanziell zu unterstützen.

    Die Palliativmedizin ist mir seit meiner Assistentenzeit auf der Kinderkrebsstation ein Hauptanliegen in meiner ärztlichen Arbeit. Deshalb habe ich auch rasch die Gelegenheit ergriffen, die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin zu erwerben, als diese in die Weiterbildungsordnung eingeführt wurde. Und es war mir wichtig, ein Buch[1] über meine Erfahrungen im Umgang mit schwerst kranken, sterbenden und genesenden Menschen zu schreiben. Glücklicherweise trug Birgit viele gute Gedanken und das Titelbild bei.

    Da ich seit meinem 65. Geburtstag regelmäßig in den Notfallpraxen Leonberg und Stuttgart arbeite, schließt sich der Kreis für mich. Ich bin wieder in meinem ursprünglichen Gebiet als Hausarzt tätig und freue mich, wenn ich Patienten treffe, die ich schon in der Kinderklinik oder in meiner Praxis behandelt habe. Wir werden miteinander alt. Und ich finde meinen Beruf immer noch spannend und sehr befriedigend.

    Jetzt verfolge ich die Fortschritte der Technik in der Medizin eher aus einer Beobachterrolle, wenn auch sehr interessiert.

    Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat natürlich auch in der Medizin Einzug gehalten. Früher habe ich das EKG selbst beurteilt, heute nimmt der PC mir diese Leistung ab. – Aber ich bin dankbar, dass ich gelernt habe, ein EKG zu lesen, denn der PC macht auch immer wieder Fehler! – Diese Technik verführt zu Abhängigkeit und geringer persönlicher Untersuchung. Ich diagnostiziere meist eine Pneumonie immer noch mit Anamnese und Auskultationsbefund, um dann eher selten ein Röntgenbild anzuschießen. Einige jüngere Kollegen verordnen schon bei Husten gleich ein Thorax-CT.

    Seit 2019 kann Google mit künstlicher Intelligenz, die mit genetischen Daten gefüttert ist, die Struktur von Proteinen deutlich besser modellieren als alle Wissenschaftler.[2] Gentherapie kann eine Form der Erblindung aufhalten. Im Labor gezüchtete Immunzellen bekämpfen Tumoren. Von künstlicher Intelligenz unterstützte Systeme diagnostizieren Hautkrebs, prognostizieren Nierenversagen und entdecken Herzprobleme früher als Ärzte. Im Blut lässt sich der Fortschritt von Krebs früher feststellen als durch andere körperliche Anzeichen. Entdecken die neuen Verfahren nur 20 Prozent aller Tumoren so früh, dass sie behandelt werden können, hätte dies einen größeren Effekt als viele Therapien, die später zum Einsatz kommen. Besonders wichtig sei es, sagen die Onkologen, falsch positive Krebsdiagnosen zu vermeiden: Wir sollten keinen Krebs diagnostizieren, der gar keiner ist.

    Biologie und digitale Technik wachsen zusammen. Es entsteht eine Datenmedizin, die von künstlicher Intelligenz angetrieben wird und die Nutznießer von Daten auf den Plan ruft.

    Die Gesundheitskarte, die unser derzeitiger Gesundheitsminister anstrebt, soll alle relevanten Daten eines Menschen enthalten, damit sie von den behandelnden Ärzten gelesen werden kann. Das Problem: Die Karte wird auch von Hackern gelesen. Das gilt besonders bei Arztpraxen, deren EDV-System nicht abgesichert ist gegen Eindringlinge. Absolut sicher wirkt auch hier das Murphy´sche Gesetz: Wenn etwas Schlimmes geschehen kann, wird es auch geschehen. Der Gesundheitskarten-Patient ist nicht nur für wohlmeinende Ärzte gläsern. Auch die Wirtschaft, die PR-Strategen, die Versicherungen, die Arbeitgeber werden ihre Vorteile aus dem Wissen ziehen, das sie sich auf mehr oder weniger verborgenen Wegen besorgen. Und die Folgen werden ganz sicher nicht nur gut sein für die betroffenen Patienten.

    Wenn wir schon bei der Bürokratie sind: Ich erinnere mich daran, dass ich als Schüler immer wieder mit meinem Vater zur Kassenärztlichen Vereinigung fahren durfte, wenn er einen Schuhkarton mit Kassenscheinen am Quartalende abgeben wollte. Inzwischen ist die Abrechnung mit dem PC zur Pflicht geworden. Das hat so manchen Arzt dazu veranlasst oder ihm zumindest die Entscheidung erleichtert, seine Praxis zu verkaufen oder zu schließen, da er dieses „neue Zeug“ nicht mitmachen wollte. Als ich ein paar Jahre lang schon meine Praxis hatte, entschloss ich mich, neben den Karteikarten auch einen PC für die Abrechnung zu benützen. Das war ein richtiges Problem, denn obwohl ich professionelle Hilfe hatte, klappte es mit dem ersten System nicht. Erst das zweite funktionierte. Jetzt rechnen wir bequem im PC ab und schicken die Daten online an die KV. Das Geld bekommen wir auch nicht schneller als früher, aber wir werden viel gründlicher kontrolliert, ob wir irgendwelche Durchschnitte überschreiten, die einen Regress rechtfertigen.

    Im Krankenhaus werden die Fallpauschalen nachgerechnet und optimiert, die bei der Behandlung der Krankheiten von den Kassen vergütet oder mit Abzug oder Zuschlag belegt werden. Immer mehr entscheiden Verwaltungsleute über die Umstände, die zur Entlassung führen. Die Fallpauschale ist ein verheerendes Mittel, um die Menschen, die in der Medizin für die kranken Menschen arbeiten, vom Patienten weg zu führen und sich auf den materiellen Gewinn zu konzentrieren. Für die Verwaltungsleute ist nur der ein guter Arzt, der den Gewinn des Krankenhauses steigert. Die Zuwendung zu einem Patienten wird systematisch verringert, weil die Ärzte, das Pflege- und Therapiepersonal sonst mit der vorgeschriebenen Dokumentation nicht zurechtkommen. Der Begriff der „blutigen Entlassung“ und die zunehmende Zahl der Überlastungen beim Personal sind schlimme Zeichen für unmenschliche und fehlgeleitete Verwaltungsmedizin. Die Fallpauschalen sollten unbedingt zugunsten einer patientenzentrierten und zuwendungsorientierten Versorgung abgeschafft werden. Es ärgert mich heute noch, wie viele ellenlange Briefe ich in der Rehaklinik diktieren musste, weil die Rentenversicherung verlangte, viele Einzelheiten mehrfach an verschiedenen Stellen im Brief zu wiederholen. Ich empfinde das als erzwungene Verschwendung von wertvoller Zeit, die wir besser dem Patienten zugutekommen lassen sollten. Ich warte jetzt darauf, dass wir bald einen „Facharzt für Verwaltung“ bekommen.

    Die Technik ist fabelhaft fortgeschritten. Aber die menschliche Seite, die Zuwendung, das qualifizierte und professionelle Gespräch kommen immer mehr zu kurz. Die Zahl der Psychiater und Psychotherapeuten ist konstant viel zu klein. Das sieht man auch an der Tatsache, dass es extrem schwierig wenn nicht unmöglich ist, für Kriseninterventionen rasch einen Therapieplatz zu bekommen. Und chronisch kranke Psychiatriepatienten könnten viel besser geführt und behandelt werden, wenn mehr Ärzte mehr Zeit hätten, um Therapiegespräche in kürzeren Abständen anzubieten, um eine bessere Beziehung entwickeln und aufrecht erhalten zu können.

    Die moderne Medizin hat genau so große Schattenseiten, wie sie Licht verströmt. Das sollten wir uns sehr bewusst machen.


    [1] Wenn das Licht naht- Der würdige Umgang mit schwerkranken, genesenden und sterbenden Menschen,
       Verlag Weinmann, Filderstadt.

    [2] SPIEGEL Nr. 1 vom 28.12.2019, S. 57

  • Viele Menschen versuchen, ihr eigenes mangelndes Selbstwertgefühl zu verbessern, indem sie ihre Mitmenschen hetzen, demütigen, beleidigen, als minderwertig darstellen oder in irgendeiner anderen Weise herabsetzen. Es ist ja sehr einfach, am Anderen Fehler zu entdecken und zu kritisieren. Dass wir diese nur entdecken können, weil wir sie in der Anlage selbst auch besitzen, wird meist großzügig übersehen. Die Logik dahinter ist einfach: Wenn der Andere meiner Meinung nach weniger wert ist als ich, bin ich „sozial mehr wert“. Der scheinbare Vorteil dieser Verhaltensweise besteht darin, dass ich nicht an mir arbeiten muss, um meinen gesellschaftlichen Wert und mein soziales Ansehen zu verbessern. Der Andere muss etwas tun und besser werden! Und wenn er etwas verbessert, werde ich ihn kleinhalten und weiter niedermachen, um den Abstand zwischen uns nicht kleiner werden zu lassen. Deshalb werden Friedensaktivisten auch so oft Opfer von hoch aggressiven Mitmenschen.

    Die gegensätzliche Sichtweise besteht darin, an sich selbst zu arbeiten und sich zu verbessern. Dann kann ich den Anderen als Hilfe sehen, in dessen Spiegel ich meine Unzulänglichkeiten sehe. Das ist eine therapeutische Begegnung, die mir helfen kann, meine eigene Entwicklung zu verbessern.

    Die erste Lebenseinstellung ist die einfachere und vordergründig und besonders in der Menschenmasse wirkungsvoller. Sie beflügelt die Populisten und sichert ihnen ein zahlreiches Publikum und Wahlvolk, das jemanden gefunden hat, der so ist wie sie selbst (sein wollen) und „es den Andern mal richtig zeigt“![1]

    Die zweite Lebenseinstellung ist schwieriger, bringt aber zuverlässig charakterliches Wachstum und echtes Ansehen in der Gemeinschaft.

    Wenn wir die politische Landschaft von der Familienebene bis zur Weltpolitik überschauen, finden wir überall Beispiele für beide Lebensweisen. Die Abwertung, Verfolgung, Bestrafung, Ablehnung Andersdenkender zählt zum täglichen Geschäft der Populisten, die dem breiten Volk das Blaue vom Himmel herunter versprechen und die einfachsten menschlichen Instinkte bedienen, um unterstützt und wiedergewählt zu werden. Angeblich wollen sie dem Volk dienen, in Wirklichkeit dienen sie ihrem eigenen Ego und Geldbeutel. Dazu sind ihnen (fast?) alle Mittel erlaubt, die sie selbstverständlich dem Gegner mit Macht verwehren und bei ihm anprangern, wenn er sie auch nützt.

    Ein besonders fieses und nicht sofort im Detail durchschaubares Beispiel dieses scheinbar seriösen politischen Denkens habe ich neulich kennengelernt.

    Ich wurde auf dieses Video aufmerksam gemacht:

    https://www.youtube.com/watch?v=8eO_HNs_BwQ&feature=share

    Hier hält Stefan Magnet einen kurzen Vortrag darüber, dass ein italienisches Gericht einem Mörder mit dem sogenannten Killergen geringere Strafen auferlegt hat als Mördern, die dieses Gen nicht in sich tragen. Magnet bringt einige drastische Beispiele von grausamen Verbrechen und vergleichsweise abgemilderten Strafen, weil bei den Tätern dieses Killergen nachgewiesen werden konnte. 2009 zum Beispiel erhielt ein verurteilter Mörder im Berufungsverfahren eine um ein Jahr reduzierte Haftstrafe, weil bei ihm die weniger aktive Variante dieses Killergens nachgewiesen wurde.

    Der Zuhörer wird automatisch emotional aufgeladen, und die Forderung „Gleiche Strafen für gleiche Taten!“ springt sofort im Zuschauer an. Magnet spielt virtuos und beredt mit diesem Gefühl, das –wenn der kritische Kopf nicht eingeschaltet wird-, genauso rasch harte Strafen für die gengeschädigten Menschen fordert wie für einen „normalen“ Mörder. Die Darstellung von Magnet legt nahe, dass die Träger dieses Gens gemeingefährlich sind. Wie das Wort sagt, scheinen alle Träger dieses veränderten Gens Mörder zu sein oder zu werden.

    Aber: War da nicht mal etwas in der deutschen Vergangenheit mit sogenanntem lebensunwertem Leben? Mit Menschen, die Erbkrankheiten hatten, vermindert intelligent oder missgebildet waren oder gar zu einer fremden Religion gehörten? Was hat der größte Populist aller Zeiten und Führer der „Herrenrasse“ mit diesen gemacht? – Ersparen Sie mir Details. Jetzt merken Sie, worauf ich raus will.

    Deshalb habe ich über dieses Killergen recherchiert. Dabei war meine erste Entdeckung, dass es in der wissenschaftlichen Literatur Warrior-Gen, also Kriegergenheißt. Aber Killergen klingt schlimmer, absolut verdammenswert und ist deshalb in einer Rede mit Magnets Ziel viel wirkungsvoller! Populisten bedienen sich typischerweise einer einfachen und suggestiven Sprache!

    Tatsächlich gibt es ein Enzym, das Monoaminooyxidase A (abgekürzt MAOA) heißt und den Abbau der wichtigen Botenstoffe Dopamin und Serotonin im Nervensystem steuert.[2] Das Gen, das die Bildung von MAOA kodiert, ist auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms lokalisiert. Wenn der Körper eine weniger aktive Variante des Gens hat, kann die gesteigerte Menge von Dopamin die Aktivität einiger Hirnareale und damit auch Aggression fördern. Dies geschieht aber nicht zwangsläufig, sondern nur, wenn Umweltfaktoren wie Traumatisierung, Frustration oder Provokation die Verhaltensveränderung begünstigen.[3] Missbrauch im Kindesalter, eine der schwersten Traumatisierungen, ist in den meisten Fällen von MAOA-Mangel mit kriminellem oder besonders aggressivem Verhalten nachgewiesen worden und wird als stark begünstigender Faktor für spätere Agressionen gesehen.

    Auch in Ruhe konnte bei Menschen mit inaktiver MAOA-Genvariante in MRT-Serienuntersuchungen eine geringere Aktivität in verschiedenen Arealen nachgewiesen werden, die für kognitive Kontrolle, Aufmerksamkeit und Steuerungsfunktionen wie Planen, Denken und Problemlösen verantwortlich sind. Das zeigt, dass die Wirkung des geschädigten Gens schon in Ruhe und ohne äußere Einflüsse nachweisbar ist. Ob daraus eine spezifische Therapie der Betroffenen abgeleitet und entwickelt werden kann, ist zurzeit noch Gegenstand der Forschung.

    Magnet sagt, dass nur 0,1-0,5 % der Deutschen die verminderte Genvariante von MAOA tragen, die Araber aber mit 15,6 % der Bevölkerung betroffen sind. Was schließt der unkritische deutsche Zuhörer daraus?  Er denkt: „Wir sind die Guten, und die Araber sind die Bösen!“ Ist das nicht eine Steilvorlage für einen angeblich wissenschaftlich begründeten Ausländerhass und eine fremdenfeindliche Politik? Und schon steht an der nächsten Wand eines Migrantenwohnheims: „Ausländer raus!“

    Wenn man aber die wissenschaftlichen Zahlen liest, sieht es ganz anders aus: Dr. Benjamin Clemens von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Aachen schreibt[4], dass etwa 40 %(!) der westeuropäischen Bevölkerung diese vermindert aktive MAOA-Genvariante in sich tragen. Jetzt möchte ich Herrn Magnet fragen, ob wir mit diesem Wissen und seiner Logik die Araber und Türken, die zu uns kommen wollen, vor den Europäern warnen(!) müssen, weil nach Magnets Darstellung (fast) alle Träger dieses Gens aggressiv und potenzielle Mörder sind oder werden.

    Der niederländische Genetiker Han Brunner von der Universität Nijmwegen entdeckte 1993 eine besonders schwerwiegende Variante des MAOA-Gens bei einer Familie, deren männliche Mitglieder alle durch ihr aggressives Verhalten und ihren Hang zur Kriminalität auffielen. Es wurde von ihnen kein MAOA mehr produziert. Diese Erbkrankheit heißt heute Brunner-Syndrom. Die Betroffenen sind alle Männer, zeigen oft verminderte Intelligenz und einen starken Hang zur Impulsivität, gesteigertes sexuelles Verlangen, extreme Stimmungsschwankungen und den Hang zu Gewalttätigkeit. Es gibt aber auch noch weitere Mutationsformen dieses Gens, die weniger eindeutige Auswirkungen haben.

    Nehmen wir drei einfache Beispiele aus dem Alltag zur Anschaulichkeit: Ein Schizophrenie-Kranker denkt in einem psychotischen Schub mit Verfolgungswahn, dass sein Arzt ihn umbringen will und ersticht ihn „in Notwehr!“ –  Ein anderer Mann hat einen Hass auf den Liebhaber seiner Frau, plant minutiös dessen Mord und tötet ihn kaltblütig. – Der nächste Täter hat das Brunner-Syndrom und rastet aus, als ein Stammtischbruder ihm widerspricht und ermordet diesen im Affekt. – Nach Magnets Logik verdienen alle die gleich hohe Strafe!

    Mal zynisch weitergedacht: Tot ist tot, egal wie der Mensch zu Tode kam. Dann brauchen wir auch keine Unterschiede zu machen zwischen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung mit Todesfolge, kaltblütig kalkuliertem und verübtem Mord oder Tötung durch einen geisteskranken oder gengeschädigten Menschen. Dann erhalten alle Täter dieselbe Strafe, weil alle „über einen Kamm geschoren“ werden. Das wäre eine radikale Vereinfachung unserer Justiz und würde viel Geld sparen.

    Ich denke, sie verdienen individuelle Gerichtsprozesse mit Überprüfung der jeweiligen Sachlagen, Motivationen, Hintergründe und Schuldfähigkeit und ein individuelles Urteil im Rahmen unserer Strafgesetzgebung. Das ist mühsam, zeitaufwändig, teuer und oft eine schwere Belastung für alle Beteiligten. Aber es ist ein Versuch, jedem Menschen, der straffällig geworden ist, gerecht zu werden.

    Was sollen wir mit Menschen machen, die gen-verändert sind und vielleicht gefährlich werden? Die populistische Antwort ist einfach: „Gen-veränderte Menschen, die gemeingefährlich sind, müssen aus dem Verkehr gezogen werden.“ Dieses wörtliche Zitat bekam ich als Antwort, als ich den Entwurf dieses Artikels einer Bekannten geschickt hatte!

    Wenn wir aber wissen, dass etwa 40% der Europäer, also fast die Hälfte!!, das vermindert aktive MAOA-Gen haben und vielleicht gefährlich werden, was sollen wir dann mit unserer Bevölkerung machen? Und wir wissen aus der täglichen Erfahrung,. Dass bei Weitem nicht 40% der europäischen Bevölkerung aggressiv und gewalttätig sind.

    Sollen wir etwa eine Pflicht einführen, dass jeder Mensch auf die Aktivität seines MAOA-Gens untersucht wird, damit wir ihn dann –wie auch immer – „aus dem Verkehr ziehen“ können, wenn es eine zu geringe Aktivität ausweist? – Ich hoffe, Sie spüren meine tiefe Ablehnung hinter dieser absurden und zynischen Frage! – Als ich diesen Satz über das „Aus-dem-Verkehr-Ziehen“ gelesen habe, erschienen die Bilder von Gaskammern, Konzentrationslagern und Massenerschießungen vor meinem inneren Auge.

    Ich will dieser Bekannten wirklich nicht unterschieben, sie plane diese Form des „Aus-dem-Verkehr-Ziehens“, aber wie sollen wir denn die potenziell Gemeingefährlichen entdecken, und wie sollen sie konkret behandelt werden? Gefängnis allein, „Wegsperren“ ist keine taugliche Antwort. Aber ein Verhalten, das eine zivilisierte und kultivierte Bevölkerung auszeichnet, sollten wir schon anstreben bzw. weiterentwickeln. Die therapeutischen Möglichkeiten müssen weiter entwickelt werden. Sicherheitsverwahrung ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Und eine pauschale Verurteilung von irgendwelchen „verdächtigen Genträgern“ lehne ich rundweg ab.

    Noch etwas als Nachwort:

    Ich habe mal geschaut, wer Herr Stefan Magnet ist.[5] Er ist Werbetexter und war Führungskader der bis 2007 in Österreich aktiven Neonazigruppe „Bund freier Jugend“. Dort war Stefan Haider einer seiner Stellvertreter. Von Stefan Magnet gibt es Videos über seine politische Meinung auf Youtube, die ich nicht angeschaut habe, weil mir das oben besprochene schon gereicht hat. Ich möchte, wenn möglich, gern ausgewogene Informationen haben, auch mit dem „Risiko“, dass ich sorgfältiger darüber nachdenken muss.


    [1] Meine Prognose: Aus genau diesem Grund wird Donald Trump eine zweite Amtsperiode erhalten!

    [2] Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Oxytocin und Phenethylamin (PEA) und Endorphin gehören zu den sogenannten Glückshormonen.

    [3] Zusammenfassung von MAOA-Gen und Aggression sichtbar gemacht, siehe https://www.medmix.at/welchen-einfluss-haben-aggression-gene-wirklich/

    [4] https://www.medmix.at/welchen-einfluss-haben-aggression-gene-wirklich/

    [5] https://rfjwatch.wordpress.com/2013/05/27/ehemaliger-neonazi-kader-als-werbefachmann-haimbuchners/