Schlagwort: Natur

  • Manchmal zeigt es sich
    an eiskalten Tagen bei klarer Luft
    als weiße Kristallblumen mit feinem Saum
    Grashalme grazil umschlingend
    oder Hagebutten herrlich bekleidend
    als belebender Blumenteppich
    das Firmament federleicht erreichend
    als glänzende, knorrige Finger
    einsame Regenrinnen verzierend
    Manchmal erscheint es
    als bezaubernde Malereien
    am hellblauen Himmelszeit
    oder als ein zauberhafter Schleier
    über an Gewässern gelegenen Ortschaften
    Manchmal ist es das Zeichen
    meiner tiefen Liebe
    für freie Vögel und gehegte Pflanzen
    in unserem kleinen Paradies
    Manchmal ist es ein Spiegel
    den Fluss des Lebens zeigend
    ein tosendes, tiefes Meer
    den Mut der Suchenden besingend
    oder ein prächtiger Paukenschlag
    zum Gehen befähigte Gelähmte aufrüttelnd
    In welcher Erscheinung auch immer
    bleibt es unser Lebenselixier

  • (15.12.2022)
    für meine Enkelkinder
     
    Solltet ihr einst fragen
    wie euer Großvater es erreichte
    mit seiner Meinung in absoluter Minderheit zu sein
    und trotzdem zuversichtlich aufrecht zu gehen
    so bedenkt die vielfältig vermittelten Botschaften
    dieser wunderbaren uralten Erde
     
    Mit allen Sinnen wahrnehmbare Botschaften
    manchmal mit Vogel-Gesängen überbracht
    manchmal mit Schnee-Tünche gemalt
    manchmal mit Krokus-Küssen ausgesprochen
    manchmal in Symbol-Kleidern dargeboten
    als Spinnweben vor verschlossenen Türen
     
    Diese bildhaften Botschaften
    waren meine klärenden Kraftquellen

  • Tanzend streichelnde Schneeflocken
    selig lachende Schneerosen
    geduldig suchende Sperlinge
    stolz stehende Zypressen
    fröhlich strahlende Hagebutten
    gebt mir Kraft und Ausdauer
    in dieser Zeit gewaltiger Geburten
    bei dieser Gratwanderung voller Gefahren

  • Ich fließe den ganzen Tag. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist. Mein Bach ist der einzige, dem ich Abhängigkeit und Rechenschaft schulde. Er ist nicht so unbeharrlich wie ich und bleibt stets in seinem Bett. Er gibt die gleichen Geräusche von sich, er ist nicht unstet. Er unterliegt keinen Schwankungen, er wandelt sich nie, er ist immer der Gleiche. Man kann sich auf ihn verlassen. Hin und wieder schenkt er mir einen Stein, den er vorher glatt geschliffen hat. Ich bekomme nichts, das ausschließlich durch meine Hände gegangen ist. Ich bekomme nichts, das nur mir gehört. Es wäre selbstsüchtig so etwas zu verlangen.
    Bevor mein Wasser mich erreicht, spiegelt es Wolken, als ob sie echter Himmel wären. Kommt es zu mir, erlischt sein Schweigen und für einen Moment traut es sich aufzubegehren gegen die Wolken, die den Himmel verdecken. Es begehrt auf gegen Ungerechtigkeit, die es gezwungen ist zu spiegeln. Doch  jemandem, der immer schweigt, hört niemand mehr zu, wenn er sich Sprechen angewöhnt. Wer zu viel schweigt, der verstummt auch dann, wenn er redet.
    Meine Quelle ist ein mir fremder Gletscher oben in den Bergen. Gefroren und erhaben. Alle die ihn sahen, vergaßen ihn, bevor sie zu mir kamen. Man erzählt mir nichts, was mich in Unruhe bringen könnte. Doch der Gletscher speist mich und erweist mir gute Dienste. Mein Wasser wird nie versiegen. Niemand interessiert sich für schneeverhangene Berge, die weit genug entfernt sind. Es kommt nur zu Beschwerden über die Temperatur meines Wassers. Es kommt nicht zu Fragen, woher mein Wasser kommt. Mein Wasser wird nicht in Frage gestellt, nur angenommen. Kälte, die meinen Bach nicht austrocknen lässt, ist das einzige auf das ich vertrauen kann. Die Kälte schmelzenden Eises gibt mir Wasser, so dass ich nie gefährdet bin zu verstummen. Ich gebe Laute von mir, die zwar gehört, aber doch nur wahrgenommen werden.
    Ich habe keine Pflichten. Ich muss nicht lügen und ich muss niemandem schmeicheln. Tagein und tagaus muss ich mich im Fluss halten. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist.

    Wenn der Frühling in Sommer übergeht und Seelen in Flammen aufgehen, waschen die Menschen ihr Fleisch in mir. Sie hoffen durchsichtig zu werden, so wie ich es bin. Sie werden davon hässlich. Ich habe nie einem von ihnen gedient, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ich diene nicht, ich schweige in einem nie endenden Gurgeln.
    Mein Wasser fällt seit jeher auf harten Stein. Das ist es gewohnt. Ich muss mich nicht sorgen. Nein. Ich muss es nicht. Nur die Wolken stören mich, doch sie sind zu weit weg, als dass ich etwas gegen sie unternehmen würde. Darum habe ich sie akzeptiert. Das war das Einfachste. Zwischen mir und den Wolken herrscht Frieden. Wir ignorieren einander. Meinem Wasser schenke ich Glauben und höre ihm nicht zu. Und meine Stimme gebe ich nicht an mein Wasser weiter. Ich gurgele allein für mich. Das ist die beste Lösung um sich sagen zu können, dass man sich glücklich fühlt. Die Wolken existieren sowieso nur an einer Oberfläche, die längst unkenntlich ist, wenn sie mich erreicht. Und da Oberfläche alles ist, was Menschen interessiert, habe ich keine Sorgen. Selbst wenn sie mir etwas ansehen könnten, wäre es ihnen unmöglich mich zu verstoßen. Sie müssen ihr Fleisch in mir waschen. Sie müssen sich sagen, dass sie rein sind. Sie brauchen mich und ich – ich muss bloß fließen. Tagein und tagaus.

    Manchmal regnet es. Dann ist mein Wasser weniger kalt. Da aber aus Tradition niemand den Regen schätzt, werde ich gemieden, wenn mein Wasser angenehm wird. Allein zu sein ist dann eine Gewohnheit, die anderen Jahreszeiten gleicht. Menschen interessieren sich doch nicht für Wolken, die sich auf Wasser spiegelten – sie interessieren sich für Schmutz, den sie verlieren wollen. Ich spüre keinen Frust, ich spüre keine Wut. Ich fließe und werde durch kaltes, neues Wasser aus den Bergen durchsichtig und klar. Mein Schmutzwasser verstoße ich, wenn es die Steine erreicht. Ich vergesse es.
    Wonach ich strebe, weiß ich nicht. Ich bin bloß ein Wasserfall, dessen Wasser zu kalt ist um hitzige Gedanken zu erlauben. Die Berge sind wahrscheinlich meine Heimat, aber ich werde sie nie sehen. Sie liegen flussaufwärts und ich bin Teil dessen, was sich flussabwärts bewegt. Ordnung und Ruhe sind mehr wert als Hitze. Auf Unordnung habe ich nie einen Gedanken verwendet. Menschen, Steine und Wolken – sie brauchen mich. Aber ich diene keinem von ihnen. Ich habe meinen Platz, ich muss mich nicht fortbewegen.

    Wenn mein Wasser auf Steine fällt, dann verflüchtigt es sich aus meinem Bewusstsein. Daraus gewinne ich Kraft um weiter zu fließen. Natürlich bin ich mir bewusst, dass ich gar keinen Einfluss auf mein Dasein habe und dass mein Bewusstsein deshalb auch keine Richtung hat. Der Gletscher speist mich, mein Bach schenkt mir manchmal einen Stein, meinem Wasser höre ich nicht zu. Aber eigentlich habe ich an all dem keinen Anteil. Verwandlung und Veränderung werden mir zugeschrieben, sind aber nicht meine Aufgabe. Ich wasche nichts rein, ich fließe den ganzen Tag. Das ist alles, was ich mache. Das ist alles, was notwendig ist.

  • Belebender Sonnenschein bei ernüchternder Kälte
    Rote Blätter angehäuft um den Baumstamm
    Verbliebene rote Blätter an den Ästen
    mit dem Gesang des Windes tanzend
    Meine Gedanken sich bewegend
    zwischen diesem jährlichen Abschied
    und dem gegenwärtigen weltweiten Wandel
    dieser blutigen, gewaltigen Geburt
    voller Schmerz, Leid und Hoffnung

  • Was du heute kannst besorgen
    Verschiebe ruhig dir auf morgen.
    Denn morgen wird ein neuer Tag,
    Der das Verschieben sicher mag.

    Der Kuckuck ruft dich übermorgen.
    Er kann artgerecht entsorgen,
    Sein Verschiebekuckucksei
    Ins Nest legen und nebenbei

    Erklären nach der Ausbrutzeit
    Halte dich erneut bereit:

    Was du heute kannst besorgen
    Verschiebe ich dir cool auf Morgen.
    Denn Morgen kommt ein neuer Tag
    Nach dem Ausbrutflügelschlag.

    Er verschiebt auf übermorgen.
    Wird dir artgerecht besorgen
    Das Verschiebekuckucksei
    Im Nest ausbrüten, nebenbei

    Nach der Kuckucksausbrutzeit
    Ist er für dich erneut bereit
    Dir auf Morgen zu verschieben
    Was in deinem Nest geblieben.

    Und übermorgen kommt der Tag,
    den der Kuckuck wirklich mag.

    Er wird dir Zeit und Freude borgen.
    Wird dir artgerecht entsorgen
    Dies und das und allerlei
    Mit dem Verschiebekuckucksei.

    Deshalb sei froh und ohne Sorgen
    Was du heute kannst besorgen,
    …und so geht es heiter
    immer morgen, immer weiter…

  • Betrachtet wird die Kindersterblichkeit im 19. Jahrhundert und hier speziell auch auf die Mortalität der Scharlacherkrankungen eingegangen. Diese hatten sich in Deutschland und speziell auch 1832/33 in Erlangen, dem Wohnort und der Wirkungsstätte des Orientalisten und Dichters Friedrich Rückerts ausgebreitet. Zwei der fünf in der Familie lebenden Kindern verstarben 1833 an Scharlach und inspirierten Friedrich Rückert zu seiner mehr als 400 Verse umfassenden Kindertodtenlieder -Dichtung. Anhand der Analyse des dichterischen Werkes und von Aufzeichnungen der Mutter wird über den Verlauf der Erkrankung bei den Kindern aus medizinhistorischer Sicht berichtet. Auch wird auf den Scharlachtod von Kindern von Clemens Brentano, Gustav Mahler und des Berliner Baumeisters Hoffmann hingewiesen. Die Mängel der Medizin der Zeit werden aufgezeigt und die Trauerarbeit im 19. Jahrhundert mit unserem Jahrhundert verglichen. Das gesamte dichterische Werk von Friedrich Rückert, das er für seine verstorbenen Kinder Luise (3 Jahre) und Ernst (5 Jahre) geschaffen hat, steht unter dem Credo: “ Ihr habt nicht umsonst gelebt“.

    Kindstod im 19. Jahrhundert (Volker Hesse)

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  • Johann Wolfgang von Goethe empfand sich nicht nur als Dichter, sondern unter anderem vor allem auch als Naturwissenschaftler. Das Streben nach Naturerkenntnis nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält, hat ihn sein ganzes Leben beschäftigt und begleitet. Die Bedeutung der Wissenschaft ist für ihn hochrangig:
    „Die Wissenschaft hilft uns vor allem,   daß sie dem immer mehr gesteigerten Leben neue Fertigkeiten erwecke zur Abwendung des Schädlichen und Einleitung des Nutzbaren.

    Naturwissenschaftliche Erkenntnis erwarb Goethe bereits während seines Studiums, vertiefen könnte er sie später vor allem im Verbund mit Fachpersönlichkeiten und Spezialisten der Jenaer Universität. Der Schrift informiert über Goethes Beziehungen zu den Vertretern der Fachbereiche Botanik, Geologie, Mineralogie, Chemie, Physik, der Anatomie und Medizin. Seine Laboratorium-Szene im Faust II, mit der Erschaffung des künstlichen Menschen, des Homunculus, geht auf aktuelle naturwissenschaftliche Kenntnisse Goethes zurück.
    Aus seinem Studium der Naturwissenschaften zieht Goethe folgendes Resümee:
    Ohne meine Bemühungen, in den Naturwissenschaften hätte ich die Menschen nie kennengelernt, wie sie sind …  der Mensch muß fähig sein sich zur höchsten Vernunft erheben zu können, um an die Gottheit zu rühren, die sich in Urphänomenen, physischen, wie sittlichen offenbaret —“.

    Goethes Jenaer naturwissenschaftliche Lehrer und Partner (Volker Hesse)

    hesse_Goethes-Jenaer-naturwissenschaftl.-Lehrer-mit-Umschl.-1

  • Vor einiger Zeit las ich ein besonders schönes Buch, in dem russische Erzählungen von Gogol, Tolstoi, Tschechow und Turgenjew vorgestellt und besprochen werden. Man lernt in diesem Buch, wie gute Geschichten funktionieren, wie man sie schreibt, und was sie uns über unsere Welt erzählen.
    Man lernt, dass gute Literatur moralische Einstellungen beeinflussen und das Leben verändern kann, so ein Rezensent. Stimmt.

    Die Szene, „bei Regen in einem Teich schwimmen“ entstammt der Erzählung „Stachelbeeren“ von Anton Tschechow aus dem Jahre 1898, sie hat dem Buch von George Saunders den Namen gegeben.

    Daran denke ich, als wir am 9. September 2022 im Regen von Worpswede die Hamme hinunterrudern.
    Eigentlich wollte ich an diesem Wochenende mit dem Schwager auf dem Kummerower See segeln, die Tour wurde wegen eines herannahenden großen Tiefdruckgebietes abgesagt.
    Viel Regen und kein Wind, das wäre tatsächlich ungünstig gewesen.

    Das Tief ist da. Es regnet. Dennoch freue ich mich: Ich friere nicht im Ruderboot – durch die Muskelarbeit, wir rudern trotz der Nässe im Takt, lediglich die Griffe der Skulls sind durch das Wasser etwas rutschig, was beim Einsetzen und Aushebeln stört.

    Ich sehe vor meinem inneren Auge, wie der trockene Wandboden fast widerspenstig das Wasser aufnimmt, wie der Waldbrand unter dem Brocken im Hochharz langsam gelöscht wird, und wie der verbrannte Rasen in unserem Garten zu neuem Leben erwacht. Dem Jahrhundertsommer wird eine Abkühlung gegönnt.

    Mitten in dieser Abkühlung rudern wir freudig im Regen auf der Hamme – und erst an Land werden uns der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die Klimakatastrophe wieder einholen, wohl gegen 20 Uhr.

    Literatur:

    Die Stachelbeeren
    Anton Tschechow, Russkaja Mysl, August 1898

    Bei Regen in einem Teich schwimmen
    George Saunders, Luchterhand 2022


  • (2.4.2022)

    für Heidi

    Der unerwartete Aprilschnee
    hat gemächlich, großzügig
    mit seinem bezaubernden Glanz
    die Wiesen und Felder bedeckt
    Das lichte, weite, weiße Meer
    vereinigt sich am Horizont
    mit dem strahlenden Himmelsblau
    Hellgrüne, frische Farbtupfer zarter Blätter
    veredeln das grazile Gemälde
    weiß-bräunlich gestreifter Bäume
    Vielfältige Spuren im Schnee
    besingen die Vergänglichkeit
    Beseelt sind wir wieder
    Hand in Hand unterwegs
    mitten in diesem wirklichen Wunder

    ֎֎֎